Transkript
SCHWERPUNKT
Sportverletzungen im Kindes- und Jugendalter
Kinder und Jugendliche in der Schweiz sind sportbegeistert. Gemäss einer Studie des Schweizer Bundesamtes für Sport betreiben Jugendliche neben dem Schulsport zusätzlich im Durchschnitt pro Woche über sechs Stunden Sport. Über 60 Prozent der 10- bis 14-jährigen Jugendlichen sind Mitglied in einem Sportverein. Diese hohe sportlicher Aktivität erklärt einiges: Im Jahr 2014 zogen sich etwa 20 Prozent der Kinder und Jugendlichen zwischen 10 und 19 Jahren eine Sportverletzung zu, die ärztlich behandelt werden musste.
Von Sylvia Willi-Dähn und Hannes Manner
Die meisten Sportverletzungen entstanden 2014 beim Fussball (etwa 25%), gefolgt von Turnsport und Skifahren, dabei ist mit einem Anteil von zwei Dritteln der Verletzungen die untere Extremität am häufigsten betroffen, nur etwa ein Viertel betrifft die obere Extremität. Im Bereich der unteren Extremitäten sind die Kniegelenke und Sprunggelenke am häufigsten betroffen. Die offenen Wachstumsfugen und der im Pubertätsalter geschwächte Apophysenbereich am Knochen (Ansatz der Sehnen) sind im Vergleich zum Erwachsenenalter die eigentlichen Schwachzonen. Stetiges Knochenwachstum verursacht – relativ gesehen – verringerte Muskel- und Sehnenlängen, was wiederum unter Belastung den Druck und Zug auf die Muskelund Sehnenansätze am Knochen verstärkt. Aus kinder- und jugendorthopädischer Sicht unterscheiden wir zwischen sogenannten «Overuse»-Beschwerden, die durch repetitive Traumata induziert werden, und direkten, akuten Sportverletzungen, die meist durch Impactereignisse bewirkt werden. Im folgenden Artikel gehen wir auf beide Problemstellungen ein und beschränken uns auf die hauptbetroffene untere Extremität.
Anamnese und klinische Untersuchung
Einer genauen Anamneseerhebung kommt bereits eine entscheidende Bedeutung zu. Folgende Fragen sollten daher geklärt werden: • Zeitpunkt des Auftretens der Symptome? • Was genau ist passiert (Unfallhergang, Gegenspie-
ler, direktes Trauma, Distorsion)? • Handelte es sich um ein adäquates Trauma? • War es ein plötzlicher Schmerz oder ein schleichen-
der Beginn der Symptomatik? • Handelte es sich um ein Erstereignis oder ein Rezi-
div der Verletzung?
• Kam es zu einer raschen, langsamen oder überhaupt nicht zu einer Schmerzregredienz?
• Wurde bereits therapiert – wenn ja, hat es geholfen? In der klinischen Untersuchung werden das Gangbild, der genaue Gelenkstatus, die einzelnen Muskelfunktionen, die Schmerzlokalisation und eventuelle äusserliche Auffälligkeiten untersucht.
Sportverletzungen im Becken- und Hüftbereich
Die Ursachen für verletzungsbedingte Beschwerden im Hüftgelenksbereich sind vielfältig und die anatomische Situation ist relativ komplex, sodass sich die Diagnosestellung schwierig gestalten kann. Es ist nicht immer einfach, zwischen artikulären und extraartikulären Problemen zu differenzieren. Die sicher häufigste Schmerzlokalisation im Hüftbereich ist die Leiste. In den meisten Fällen handelt es sich um Überlastungsprobleme im Bereich der sehnigen Ansätze der Oberschenkelmuskeln an den jeweiligen Apophysen. Die anatomische Kenntnis der einzelnen Sehnenansätze erlaubt bereits eine Verdachtsdiagnose. So setzt beispielsweise der Rectusfemoris-Muskel an der unmittelbar oberhalb des Hüftgelenks liegenden Spina iliaca anterior inferior an, und eine Apophysenreizung oder Avulsionsverletzung führt dort zu einem lokalen Druckschmerz, Schmerzen bei maximaler Beugung und bei Überstreckung des Hüftgelenkes. Relativ häufig wird eine akuter Leistenschmerz von Fussballern nach einer plötzlichen Überstreckung des Hüftgelenkes (z.B. nach einem «Pressschlag») angegeben und eine Belastung des Beines ist häufig nicht mehr möglich. Eine Röntgenuntersuchung kann klären, ob eine Avulsionsverletzung der Apophyse vorliegt (Abbildung 1A). Nur selten ist eine operative Therapie erforderlich, da der Dislokationsgrad meist
10 1/16
SCHWERPUNKT
Abbildung 1A: Avulsionsverletzung der Spina iliaca anterior inferior (Ansatz der Rectussehne); 1B: Eine fehlverheilte Apophyse führt zu einer Bewegungseinschränkung des Hüftgelenkes (Subspine-Impingement).
Abbildung 2A: Avulsionsverletzung des Ansatzes der ischiokruralen Muskulatur am Sitzbein; 2B: Avulsionsverletzung des Trochanter minor (Ansatz Psoassehne)
Abbildung 3A und 3B: Epiphysenlösung des Hüftkopfes bei einem sportlichen Jugendlichen; in der axialen Aufnahme wird das Ausmass des Abrutsches erst richtig sichtbar. 3C und 3D: offene Refixation des Hüftkopfes links und prophylaktische Verschraubung rechts.
gering ist. Üblicherweise ist ein Entlasten für sechs Wochen und eine Sportdispens von drei bis vier Monaten zielführend. Nur bei einem höheren Dislokationsgrad (Abbildung 1B) entsteht ein sogenanntes «subspine impingement», das die Beugefähigkeit des Hüftgelenkes schmerzhaft einschränkt. Eine offenen Refixation wird dann notwendig. Weitere typische Avulsionsverletzungen können an der
Spina iliaca anterior superior (Sartoriusmuskel), am Trochanter minor (Psoasmuskel), am Sitzbein (ischiokrurale Muskeln) und am Schambein (Adduktoren) auftreten. Bei diesen ist die Behandlung in der Praxis eigentlich durchgehend konservativ. Die Heilung ist meistens mit einer kräftigen Callusbildung verbunden (Abbildung 2A und 2B), die aber häufig nicht stört. Chronische Leistenschmerzen können durch oben genannte Apophysenreizungen, aber auch durch eine Labrumläsion verursacht werden. Diese entsteht typischerweise dann, wenn das Hüftgelenk repetitiv Bewegungen ausgesetzt ist, die aus anatomischer Sicht nicht oder nur eingeschränkt möglich sind. Eine Übergangsstörung der Hüftkopfschenkelhalsrundung (Offsetstörung) kann dann zu einer immer wiederkehrenden Einklemmung der Gelenkslippe (Labrum acetabulare) führen, welche schliesslich Rissbildungen aufweist und Schmerzen verursacht. Auch eine Torsionsanomalie (erhöhte Oberschenkelaussendrehung – femorale Retrotorsion) begünstigt eine Impingementproblematik. Die Behandlung einer Labrumverletzung ist relativ diffizil. Nicht selten ist auch eine ehrliche Beratung erforderlich, wenn eine gewisse Sportart durchgeführt wird, die anatomisch gesehen für das Hüftgelenk nicht möglich ist (Tanzsport, Eishockey, Fussball). Nicht selten verschwinden die durch eine Labrumläsion verursachten Beschwerden, wenn die auslösenden repetitiven Traumata unterlassen werden. Falls jedoch, aufgrund darüberhinaus andauernder Beschwerden, eine chirurgische Therapie erforderlich wird, kann je nach Einzelfall eine Arthroskopie des Hüftgelenkes ausreichend sein. Sie ist aber als alleinige Massnahme nicht sinnvoll, wenn Begleitdeformitäten des Schenkelhalses oder der Oberschenkeltorsion damit nicht behandelt werden können. In diesem Fall ist eine offene, chirurgische Luxation des Hüftgelenkes die bessere, aber sicher auch deutlich aufwendigere Alternative. Als Auslöser von hüftgelenksnahen Beschwerden soll hier unbedingt auch die Hüftkopfepiphysenlösung genannt werden, die ebenfalls zu chronischen Schmerzen bei Belastungen führen kann oder auch zu einem plötzlichen Schmerzereignis. Bei einer akuten und instabilen Epiphysenlösung handelt sich um eine orthopädische Notfallsituation, da die Durchblutung des Hüftkopfes gefährdet ist. Typischerweise handelt es sich um eher adipöse Jugendliche am Beginn der Pubertät, die ohne eigentliches Trauma über zunehmende Leistenschmerzen klagen, verbunden mit Hinkzeichen und einer Aussenrotationsstellung des betroffenen Beines. Die klinischen Symptome sind eigentlich eindeutig und eine Röntgenuntersuchung in beiden Ebenen (Becken ap und Imhäuser) ist unabdingbar (Abbildungen 3A und 3B). Immer wieder sehen wir aber auch sportliche Jugendliche mit einer Epiphysenlösung, die leider zu spät diagnostiziert wurde, da der Habitus nicht zur Erkrankung passt. Die Therapie ist immer operativ und reicht von einer beidseitigen In-situ-Verschraubung mit oder ohne arthroskopische Offsetkorrektur bis zur offenen Reposition der abgerutschten Epiphyse (Abbildungen 3C und 3D).
12 1/16
SCHWERPUNKT
Verletzungen des Kniegelenks
Die häufigsten sportassoziierten Problemstellungen entstehen aufgrund längerfristiger Überbelastungen bei Lauf- und Sprungsportarten («stop and go»). In den meisten Fällen handelt es sich um sogenannte Traktionsapophysitiden an den Ansätzen der Bänder und Sehnen. Die wohl bekannteste Problematik ist die Osgood-Schlatter-Symptomatik mit längerfristigen Beschwerden bei und typischerweise nach dem Sport im Bereich der Tuberositas tibiae, dem Ansatzpunkt der Patellarsehne. Dieser Bereich ist durch wachstumsbedingten Umbau relativ geschwächt und wird durch die repetitiven Mikrotraumata beim Lauf- und Sprungsport gereizt. Die Tuberositas tibiae ist dabei typischerweise etwas prominent, druckdolent und leicht überwärmt. Die Streckung des Kniegelenks gegen Widerstand ist schmerzhaft. Nachtschmerzen werden nicht angegeben, und eher selten hindern die Beschwerden den Betroffenen an der Ausführung der sportlichen Betätigung, die Leistung ist aber herabgesetzt. Eine plötzliche Schmerzsymptomatik im Bereich der Tuberositas tibiae kann durch eine plötzliche Maximalbelastung des leicht gebeugten Kniegelenkes zum Beispiel nach einem Sprung auftreten. Die Beschwerden sind teilweise immobilisierend. Eine Diagnostik sollte rasch erfolgen, um eine «echte» Avulsionsverletzung der Tuberositas tibiae (Abbildung 4A) auszuschliessen. Nicht selten sieht man einzelne Fragmente in diesem Bereich als Ausdruck eines traumatisierten Morbus Osgood Schlatter (Abbildung 4B). Während bei einer «klassischen» Osgood-SchlatterSymptomatik mittels Patellarsehnenbandage, einem Stretching der Kniestrecker- und Beuger und an die Symptomatik adaptierter sportlicher Betätigung relativ rasch Besserung erzielt werden kann, dauert eine traumatisierte Schlattersymptomatik deutlich länger und erfordert eine Ruhigstellung. Meist heilt der Morbus Osgood Schlatter folgenlos aus. Sehr selten entsteht im Zuge der Erkrankung ein freies Ossikel, welches nur äusserst selten entfernt werden muss. Etwas weiter kranial kann die Patellarsehne an ihrem Ursprung an der Kniescheibe ebenfalls zu einer Traktionsapophysitis (Abbildung 5) führen. Diese sogenannte Sinding-Larssen-Erkrankung oder auch Patellaspitzensyndrom wird ähnlich wie die zuvor genannte Problematik behandelt. Bei beiden ist das wohl eigentliche Geheimnis hinter einer erfolgreichen Therapie, dass sich der Patient sportlich einigermassen adaptieren kann. Weitaus heikler sind die meist durch Distorsionstraumata verursachten Verletzungen der Kniebinnenstrukturen. Die teils schwerwiegenden Verletzungen im Bereich der Kreuzbänder und Meniskusstrukturen sehen wir typischerweise nach Distorsionen, beispielsweise beim Fussball und Skifahren. Bei einer relativ heftigen initialen Schmerzsymptomatik besteht eine mehr oder weniger gute Belastbarkeit des Beines. Leider wird diese Problematik vor allem bei jüngeren Kindern nicht selten bagatellisiert und zunächst keine über das Röntgen hinausgehende Diagnostik durchgeführt. Insbesondere bei Vorhandensein eines Gelenkergusses muss aber eine Verletzung der Knie-
Abbildung 4A: «Echte» Avulsionsverletzung der Tuberositas tibiae. Gut zu erkennen ist der sekundäre Patellahochstand. 4B: «traumatisierter» Morbus Osgood Schlatter
Abbildung 5: Traktionsapophysitis der Patellaspitze (Sinding-Larssen, jumpers knee)
Abbildung 6: knöcherner Ausriss des vorderen Kreuzbandes
binnenstrukturen in Betracht gezogen und es sollte nicht an einer MRI-Untersuchung gespart werden. Bei isolierten Meniskusverletzungen werden die Schmerzen meist direkt am Kniegelenksspalt angegeben und die Meniskuszeichen sind positiv. Grundsätzlich gelten in der Behandlung dieser Verletzung dieselben Behandlungsalgorithmen wie in der Erwachsenenorthopädie, nur dass die Heilungschancen eines gerissenen Meniskus bei Kindern und Jugendlichen besser sind. Insbesondere die basisnahen Meniskusrisse können häufig konservativ behandelt werden, längerstreckige Risse oder Korbhenkelläsionen erfordern aber eine arthroskopische Therapie. In den meisten Fällen kann auf eine Teilresektion des eingerissenen Mensikus verzichtet werden und der Meniskus wird genäht. Die Nachbehandlung umfasst aber eine bis zu sechsmonatige Dispens von Kontaktsportarten. Leider werden, vor allem beim jüngeren Kind, Kreuzbandverletzungen nicht selten übersehen oder bagatellisiert. Initial ist die Untersuchung aufgrund der
1/16 13
SCHWERPUNKT
Abbildung 7A und B: Ausriss des vorderen Kreuzbandes aus seinem femoralen Ursprung (MRI und im Arthroskop); 7C: Eine arthroskopische Reinsertion des Kreuzbandes ist möglich, wenn die Diagnose schnell gestellt wird.
Schmerzen schwierig und die Erholungszeit nach einer derartigen Verletzung beim Kind relativ kurz, so dass das Kind eine Instabilität erst bei der Rückkehr zum Sport bemerkt. Beim Verdacht auf eine Kniebinnenverletzung sollte neben der klinischen Untersuchung auch eine Röntgenuntersuchung durchgeführt werden, denn gerade bei jüngeren Kindern kann ein knöcherner Ausriss des vorderen Kreuzbandes vorliegen (Abbildung 6). Diese Verletzung benötigt, abhängig vom Dislokationsgrad, eventuell eine zügige operative Refixation. Eine Verlaufsuntersuchung sollte nach jedem ausgeprägteren Kniegelenktrauma nach etwa einer Woche erfolgen, um das Knie nochmals genauer untersuchen zu können. Bei positiven Kreuzbandtests sollte dann umgehend eine MRI-Untersuchung erfolgen. Nicht selten handelt es sich bei den Kreuzbandläsionen um einen isolierten Ausriss des Bandes aus dem femoralen Ursprung (Abbildung 7A und B). Das Band kann, falls die Diagnose nicht zu verzögert gestellt wurde, arthroskopisch wieder reinseriert werden (Abbildung 7C). Wird diese Möglichkeit verpasst oder liegt eine vollständige substanzielle Zerreissung des Kreuzbandes vor, kann aufgrund der meist noch deutlich geöffneten Wachstumsfugen nicht sofort eine konventionelle Kreuzbandplastik erfolgen. In den meisten Fällen wird diese aber aufgrund persistierender Instabilität und der daraus folgenden Gefahr von Begleitverletzungen der Menisken und langfristiger Arthrose insbesondere bei sportlichen Jugendlichen rasch nach dem Wachstumsabschluss notwendig.
Abbildung 8: Fraktur der Basis des 5. Mittelfusskochens; Cave: keine Wachstumsfuge (!), diese ist distal.
Verletzungen im Fussund Sprunggelenksbereich
Der sicher häufigste sportbedingte Grund einer Vorstellung in der kinderorthopädischen Sprechstunde sind die Reizungen der Apophysen im Rückfussbereich. Im Fersenbereich klagen die Kinder – meist zwischen dem 8. und 12. Lebensjahr und vor allem nach dem Lauf- und «Stop-and-Go»-Sport – immer wieder über Fersenschmerzen, die zum Teil eine Fortsetzung der Aktivität nicht mehr zulassen.
Klassischerweise setzen diese Beschwerden irgendwann ein (ohne Trauma), und sie treten immer wieder auf, einseitig oder beidseitig. Äusserlich zeigt sich praktisch nie eine Veränderung, typisch ist aber ein Druckschmerz vor allem medialseitig über der Apophyse. Zu beachten ist, ob begleitend auch eine Verkürzung der Trizepsmuskulatur vorliegt, denn diese verstärkt den Zug auf die Apophyse, die sowieso bereits durch Wachstum und Stossbelastungen in den «brettlharten» Fussballschuhen gereizt ist. Auf eine Röntgenuntersuchung verzichten wir bei der Erstuntersuchung meistens, versorgen die Kinder mit Silikonfersenpolstern und händigen Anleitungen für Trizepsstretchingübungen aus. Meistens reicht dies aus, um den Kindern eine Fortsetzung der sportlichen Tätigkeit zu ermöglichen. Seltener ist die Apophysitis des Innenknöchels, dafür ist sie aber häufig langwieriger. Falls eine verstärkte, begleitende Knicksenkfüssigkeit vorliegt, ist eine temporäre Versorgung mit medialseitig bettenden Einlagen häufig sehr gewinnbringend. Zwei weitere typische Lokalisationen, an denen Reizungen der Apophysen aufgrund von Sehneninsertionen auftreten, sind das Os naviculare auf der Fussinnenseite und die Basis des fünften Mittelfussknochens. An erstgenannter Stelle inseriert die kräftige Tibialis-posterior-Sehne, die den inneren Fussrand anhebt. Stellenweise wird die Symptomatik auch durch ein hier vorliegendes Os tibiale externum (akzessorischer Knochen) verstärkt. Auch hier kommt einer Knicksenkfüssigkeit eine Bedeutung zu, somit gelingt mit einer stützenden Einlage meistens eine ausreichende Behandlung. Die Basis des fünften Mittelfussknochens sorgt immer wieder für Unsicherheit. Häufig traumatisiert durch ein direktes Anpralltrauma oder ein Supinationstrauma, kommt es zu einer Schwellung; ein Röntgenbild zeigt Linien, die es richtig zu interpretieren gilt. Nicht selten wird eine Fraktur vermutet, dabei ist es eine korrekt dargestellte Apophyse, oder eine Fraktur wird für eine Epiphysenfuge gehalten (Abbildung 8). Diese Differenzierung ist bedeutend: Eine Fraktur in diesem Bereich benötigt eine sechswöchige Gipsbehandlung, hingegen kann die Apophysenavulsion zielführend symptomatisch behandelt werden. Sprunggelenkdistorsionen machen gesamthaft zirka 10 bis 28 Prozent aller Sportverletzungen aus. Das typische Supinationstrauma führt über eine massive Inversion und Plantarflexion zu extremer Zugwirkung auf die fibulotalaren und fibulocalcanearen Bänder. Im Vergleich zum Erwachsenen kommt es aber bei Kindern häufiger zu Avulsionsverletzungen, das heisst knöchernen Ausrissen mit der Bildung chondraler oder osteochondraler Schuppen, die nicht selten initial übersehen werden, später aber als symptomatisches subfibulares Ossikel imponieren können (Abbildung 9A und B). Grundsätzlich dient die praktisch immer durchgeführte Röntgenuntersuchung in beiden Ebenen dazu, eine ossäre Verletzung wie eine Malleolarfraktur oder Epiphysenverletzung auszuschliessen. Eine MRI-Untersuchung ist nur in Einzelfällen notwendig. Schwellung und Hämatom sprechen immer für eine
14 1/16
SCHWERPUNKT
Abbildung 9: Das Traumabild zeigt nicht selten eine kleine knöcherne Schuppe als Zeichen des knöchernen Ausrisses des Aussenbandes (A), später kann sich daraus ein grösseres symptomatisches Ossikel bilden (B).
Bei der Osteochondrosis dissecans (OD) führt vermutlich eine umschriebene Durchblutungsstörung zu einer aseptischen Nekrose des subchondralen Knochens, möglicherweise mitverursacht durch sich wiederholende Mikrotraumata beim Sport. Typischerweise entsteht sie an der medialen Talusschulter. Eine Instabilität dieses Areals kann zu einer Rissbildung des Knorpels, später bis zur Ablösung eines Knochen-Knorpel-Fragmentes und damit freier Gelenkmaus führen. Die meist jugendlichen Patienten beklagen bei der OD milde bis starke Schmerzen auf der Vorderseite des oberen Sprunggelenks. Nicht selten kommt es auch zu Einklemmungssymptomen und Schwellungen. Bei anhaltenden Beschwerden im Sprunggelenkbereich sollte daher ein konventionelles Röntgen des Sprunggelenks durchgeführt werden (Abbildung 10). Die MRI-Untersuchung dient dann vor allem der näheren Beurteilung des Knorpels und der Stadieneinteilung. Bei Kindern und bei eher geringem Ausprägungsgrad der OD ist ein konservativer Therapieversuch gerechtfertigt, der eine Sportdispens, Entlastung und Schienung umfassen kann. Bei persistierendem, aber noch nicht gelöstem osteochondralem Defekt und noch offenen Wachstumsfugen (juvenile Osteochondrosis dissecans) kann der Befund retrograd angebohrt, kürettiert und mit körpereigenem Knochenmaterial unterfüttert werden. So können spätere Knorpelschäden meist verhindert werden, welche ansonsten aufwendigere Gelenkseingriffe notwendig machen würden.
Korrespondenzadresse: Dr. med. Hannes Manner Leitender Arzt Kinderorthopädie Schulthess Klinik Lengghalde 2 8008 Zürich E-Mail: hannes.manner@kws.ch
Abbildung 10: Die Osteochondrosis dissecans an der medialen Talusschulter zeigt sich nativradiologisch (A), zur besseren Einschätzung ist ein MRI erforderlich, welches das Ausmass der Nekrose und das Stadium der OD zeigt (B).
ligamentäre Verletzung, und eine konsequente Behandlung sollte daher unbedingt durchgeführt werden, um einer persistierenden Instabilität des Sprunggelenks vorzubeugen. Die Therapie ist praktisch immer konservativ und frühfunktionell. Primär erfolgt bei starker Schwellung die Entlastung und Ruhigstellung in einem gespaltenen Unterschenkelgips oder einer Orthese. Nach etwa einer Woche ist meist der rasche Übergang in die Vollbelastung unter Schutz des Sprunggelenks und Bandapparates vor Inversionsbewegungen durch eine seitlich stabilisierende Orthese möglich. Insgesamt sollte das Sprunggelenk so für sechs Wochen gestützt werden; meistens raten wir dazu, danach die stabilisierende Orthese für den Sport noch für einige Wochen zu verwenden.
16 1/16