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ALLERGIEN
Wie wirksam ist SLIT?
Sublinguale Immuntherapie bei Gräserpollenallergie
Die sublinguale Hyposensibilisierung, kurz SLIT, wird bei saisonaler allergischer Rhinosinusitis häufig eingesetzt. In einer neuen Metaanalyse wurde die Wirksamkeit sublingualer Tabletten mit Grasextrakten bei Patienten mit Gräserpollenallergie unter die Lupe genommen. Das Ergebnis: Die SLIT wirkt – im Durchschnitt aber weniger beeindruckend, als manche glauben mögen.
Die SLIT mit Sublingualtabletten wirkt bei Gräserpollenallergie besser als Plazebo.
Das durchschnittliche, klinisch relevante Ausmass der Wirksamkeit ist gering.
Die Wirksamkeit der SLIT wurde in der neuen Metaanalyse (1) anhand von zwei Parametern im Vergleich mit Plazebo bewertet, dem Ausmass der Symptomkontrolle (Symptom-Score) und der Notwendigkeit Antihistaminika oder Kortikosteroide zu gebrauchen. Da die Symptomkontrolle in verschiedenen Studien mit verschiedenen Skalen ermittelt wurde, errechnete man die standardisierte mittlere Differenz (SMD) der Symptomkontrolle zwischen Beginn und Ende der Studie. Dabei gilt: • SMD ≤ 0,2 = kein klinisch relevanter Effekt • SMD > 0,2 = geringer Effekt • SMD ≥ 0,5 = mittelgrosser Effekt • SMD ≥ 0,8 = grosser Effekt. Insgesamt wurden 13 randomisierte, plazebokontrollierte Studien mit 4659 Patienten einbezogen, darunter 7 Studien aus Europa, 5 aus den USA und 1 Studie, die in Europa und Kanada durchgeführt wurde. In den meisten Studien wurden sowohl Kinder und Jugendliche als auch Erwachsene aufgenommen. Nur in 3 Studien waren es ausschliesslich Kinder und Jugendliche und in 2 Studien überwiegend Erwachsene.
Etwas besser als Plazebo
Sowohl bei der Symptomkontrolle als auch bei der Notwendigkeit von Antiallergika zeigte sich die Wirksamkeit der SLIT, wenn auch in eher geringem Ausmass. Für die Symptomkontrolle betrug die SMD -0,28 zugunsten der SLIT im Vergleich mit Plazebo (95%-Konfidenzintervall [KI]: -0,37 bis -0,19; p < 0,001). Bei der Notwendigkeit akuter Antiallergika ergab sich eine SMD von -0,24 zugunsten der SLIT (95%-KI: -0,31 bis -0,17; p < 0,001). Die Autoren der Metaanalyse illustrieren das Ausmass der SLIT-Wirkung mit weiteren Angaben. So wurde der Symptom-Score in den meisten Studien mit einer Skala von 0 bis 18 Punkten gemessen, wobei die Patienten vor der Studie im Durchschnitt bei 12,5 Punkten lagen. Am Ende der Studie waren es im Durchschnitt 3 bis 4 Punkte weniger. Die Differenz zwischen SLIT und Plazebo bezüglich der Minderung der Symptome während der Behandlung war nur gering: Im Mittel sank der Symptom-Score mit Plazebo nur um 0,83 Punkte weniger als mit der SLIT. Anders ausgedrückt: Selbst bei einem Rückgang des SymptomScores um 8 bis 9 Punkte würden nur 10 Prozent der
Wirkung auf das Konto der SLIT gehen, der Rest beruhte auf dem Plazeboeffekt. Auch die Art und Weise, wie die Wirksamkeit beziffert wird, beeinflusst die Wahrnehmung der Wirksamkeit. So ist in einer der berücksichtigten Studien (2) von einer «um 22,8 Prozent höheren Wirksamkeit» der SLIT im Vergleich mit Plazebo die Rede. Dies ist jedoch nur der relative Unterschied zwischen einem Rückgang des Symptom-Scores um -3,21 Punkte mit Plazebo gegenüber -4,16 Punkten mit SLIT. Die absolute Differenz beträgt nicht einmal einen Punkt, was sich weit weniger eindrucksvoll liest als «22,8 Prozent».
Schlussfolgerungen
Die Autoren der Metaanalyse sind der Ansicht, dass die Wirksamkeit der SLIT bei Gräserpollenallergie im Vergleich mit Plazebo überschätzt werde. Trotz der unbestreitbaren Vorteile der SLIT stelle sich darum die Frage, ob die weite Verbreitung dieser Therapie gerechtfertigt sei, schreiben Danilo Di Bona und seine Koautoren. Ein Votum zugunsten der subkutanen Hyposensibilisierung (SCIT) wollen sie aber auch nicht abgeben. Die SCIT sei zwar möglicherweise wirksamer, aber auch nicht so einfach durchführbar und nicht zuletzt gefährlicher als die SLIT. Unter SLIT ist es – anders als bei der SCIT – noch nie zu einem Todesfall infolge systemischer Reaktionen gekommen. Letztlich drücken sich die Autoren dieser Metaanalyse um ein eindeutiges Statement, ob die SLIT aus ihrer Sicht nun trotz der überschaubaren Wirksamkeit immer einen Versuch wert sei oder nicht. Sie sind jedoch der Ansicht, dass die SLIT aufgrund ihrer guten Verfügbarkeit und einfachen Anwendung für bestimmte Patienten, insbesondere auch für Kinder, eine gut tolerierbare Behandlungsoption sei. In Zukunft müsse man sich der Frage widmen, welche Parameter für ein gutes Ansprechen auf die SLIT sprechen, um die Therapie gezielter einsetzen zu können, so Di Bona und sein Team.
Renate Bonifer
Literatur: 1. Di Bona D et al.: Efficacy of grass pollen allergen sublingual immunotherapy tablets for seasonal allergic rhinoconjunctivitis. A systematic review and meta-analysis. JAMA Intern Med 2015; 175 (8): 1301–1309. 2. Cox LS et al.: Clinical efficacy of 300IR 5-grass pollen sublingual tablet in a US study: the importance of allergen-specific serum IgE. J Allergy Clin Immunol 2012; 130 (6): 1327–1334.
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