Transkript
SCHWERPUNKT
Ein Fall für den Rheumatologen?
Roundtable-Gespräch zur Differenzialdiagnose bei Gelenkschmerzen
Wenn Kinder über Gelenkschmerzen klagen, stellt sich häufig die Frage, ob ein orthopädisches oder ein rheumatologisches Problem dahinterstecken könnte. Dr. med. Andreas Wörner, Rheumatologe am Universitätskinderspital beider Basel (UKBB), Dr. med. Daniel Studer, Orthopäde am UKBB, und Dr. med. Monika Landolt, Praxispädiaterin in Binningen, diskutierten anhand von Fallbeispielen, welche Diagnose jeweils die wahrscheinlichste sein dürfte und welches Vorgehen sinnvoll ist.
Fall 1: Knieschmerz nach Training Ein 13-jähriger Junge beklagt sich seit zwei Wochen über Knieschmerzen rechts nach dem Fussballtraining. In der klinischen Untersuchung fallen ein Kniebeugeschmerz bei 40 bis 60 Grad und ein leichter Kniegelenkserguss auf. D. Studer: Die Anamnese weist eher in Richtung Orthopädie mit dem Fussballtraining als vermeintlichem Auslöser. Ich gehe davon aus, dass der Patient vorher beschwerdefrei war, wenn er Fussball gespielt hat. Die erste Frage ist, ob der Junge ein akutes Trauma erlitten hat oder ob der Schmerz im Lauf der Zeit durch das Fussballtraining entstanden ist. A. Wörner: Gerade das Auftreten von Schmerzen in einem bestimmten Bereich des Bewegungsumfangs ist ein Hinweis auf eine orthopädische Ursache. Welche könnte es in diesem Fall sein? D. Studer: Bei einer solchen Schmerzprovokation denke ich primär an eine Kniebinnenläsion, die auch Einklemmungen verursachen kann, wie zum Beispiel eine Meniskusläsion oder eine Osteochondrosis dissecans, die sogenannte Gelenksmaus. Der beschriebene Erguss würde zu einer Verletzung im Kniegelenk passen. Die Unterscheidung zwischen einem Erguss, das heisst einem intraartikulären Geschehen, und einer Schwellung, die für extraartikuläre Ursachen spricht, ist sehr wichtig. A. Wörner: Wie sollte man nun bei der klinischen Abklärung vorgehen? D. Studer: Wichtig ist der Vergleich mit dem anderen Bein. Die Unterscheidung zwischen Schwellung und Erguss ist nicht ganz einfach und braucht etwas Erfahrung. Man versucht, den suprapatellaren Recessus auszustreichen. Wenn dadurch Flüssigkeit zwischen Oberschenkel und Kniescheibe kommt, hebt sich die Kniescheibe etwas ab, und es ist eine «tanzende Patella» zu ertasten. Das ist nicht einfach und für den Pa-
tienten schmerzhaft. Mit etwas Übung merkt man sehr schnell, ob es sich um eine extraartikuläre Schwellung oder einen Erguss handelt. Man spürt bei einem Erguss feine Flüssigkeitsverschiebungen. A. Wörner: Eine «tanzende Patella» weist auf einen bereits recht ausgeprägten Erguss hin. Man kann auch nach dem Ausstreichen des suprapatellaren Recessus, also vom Femur abwärts in Richtung Patella, mit etwas Druck auf das laterale oder mediale Knie am Recessus medial oder lateral von der Patella kleine Volumenverschiebungen beobachten. In der Rheumatologie sehen wir Ergüsse häufig im Rahmen von chronischen Entzündungen der Gelenkkapsel. Zum Teil weisen diese nur wenig Erguss auf, jedoch ist die Schwellung der Synovia und des umgebenden Weichteilgewebes zu tasten. M. Landolt: Bei diesem Fall denke ich primär auch an ein orthopädisches Problem. Oft ist auch ein Trauma, zum Beispiel ein Sturz oder Verdrehen, erinnerlich. Wenn das Knie geschwollen ist, kommen die Patienten auch sehr schnell in eine Konsultation. Falls nur Schmerzen vorhanden sind, warten sie erst einmal ab, reduzieren die Intensität des Trainings, und erst wenn es dann nicht bessert, kommen sie. Das Kriterium mit den Schmerzen bei Beugung zwischen 40 und 60 Grad ist zwar schön beschrieben, aber in der Praxis oft nicht ganz so klar zu sehen. Wie weit das Knie gebeugt werden kann, kommt auch stark auf das Schmerzempfinden des Kindes an, zum Teil blockieren die Kinder aus Angst sehr schnell. Wenn ein Erguss vorliegt, denke ich an eine Binnenläsion und würde den Patienten auf die Orthopädie zuweisen. Differenzialdiagnostisch versuche ich, anamnestisch andere Gründe auszuschliessen. D. Studer: Das ist in der Tat ein sehr wichtiger Aspekt. Man darf nicht nur das Knie, sondern man muss den Patienten insgesamt betrachten und nach Begleitsymptomen fragen. Ein Infekt ist in diesem Fall
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Die Unterscheidung zwischen Weichteilschwellung und Erguss ist sehr wichtig.
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SCHWERPUNKT
Dr. med. Andreas Wörner, Universitätskinderspital beider Basel
Dr. med. Daniel Studer, Universitätskinderspital beider Basel
Dr. med. Monika Landolt, Kinderund Jugendmedizin FMH, Binningen
Bei einer indolenten Gelenkschwellung ist ein Tumor auszuschliessen.
unwahrscheinlich, und eine gute Anamnese hilft bei der Eingrenzung der Differenzialdiagnosen. A. Wörner: Nehmen wir einmal an, dass es keine besonderen Begleitsymptome gibt, was würdest du als Nächstes tun? D. Studer: Hier am Spital würde ich ergänzend zur Anamnese und der klinischen Untersuchung als erste weitere diagnostische Massnahme ein konventionelles Röntgenbild in zwei Ebenen und – falls möglich – unter Belastung zum Ausschluss einer knöchernen Läsion machen. Ich kann mir vorstellen, dass in der Praxis die Möglichkeit zum Röntgen nicht immer gegeben ist. In dieser Situation darf man, abhängig vom Leidensdruck des Patienten und der Möglichkeit zur zeitnahen Verlaufskontrolle, auch einmal den spontanen Verlauf beobachten. M. Landolt: Ich würde auch eher dazu raten, erst einmal ein bis zwei Wochen abzuwarten, würde bei hohem Leidensdruck aber auch sehr schnell röntgen. D. Studer: Unser Fallbeispiel ist sehr suggestiv für eine Kniebinnenläsion, weshalb ich bei unauffälligem Röntgenbild und anhaltender Beschwerdesymptomatik als nächsten Schritt ein MRT empfehlen würde. Bei einem 13-Jährigen kann dies ohne Narkose erfolgen, und die Sensitivität zum Nachweis einer intraartikulären Verletzung ist sehr hoch. Die Beurteilung von MRT-Bildern erfordert Erfahrung und setzt die Kenntnis der anatomischen Besonderheiten bei Kindern und Jugendlichen voraus. Aus diesem Grund versuche ich, die Bildgebung möglichst immer am Kinderspital durchzuführen, da unsere Kollegen in der Radiologie die nötige Erfahrung mitbringen. A. Wörner: Bei Entscheid für die Durchführung eines MRT sollte die Fragestellung an die Radiologen möglichst präzise sein. Steht der Verdacht auf eine chronisch entzündliche Erkrankung als Differenzialdiagnose im Raum, bringt der Zusatz eines Kontrastmittels eine deutlich bessere Differenzierbarkeit der Gewebestrukturen und der möglichen entzündlichen Veränderungen. Falls keine Kontraindikationen bestehen, sollte das MRT daher mit Kontrastmittel durchgeführt werden.
2. Fall: Indolente Schwellung Ein 6-jähriges Mädchen hat seit drei Monaten eine zunehmende, wenig schmerzhafte Schwellung der suprapatellären Gelenkkapsel. M. Landolt: Hier denke ich an einen entzündlichen Prozess. Differenzialdiagnostisch muss ein maligner Prozess ausgeschlossen werden. In der Praxis würde ich eine Blutentnahme durchführen mit Blutbild, CRP, Blutsenkung und LDH und das Kind an einen Rheumatologen zuweisen. A. Wörner: Bei der Blutsenkung ist zu bedenken, ob Faktoren vorliegen, die den Befund beeinflussen könnten. Dazu gehören beispielsweise eine Anämie, Dysproteinämien oder ein zurückliegender leichter oberer Luftwegsinfekt. Auch ist zu klären, ob die Schwellung wirklich in der Gelenkkapsel ihre Ursache hat oder nicht. Ich würde darum neben Senkung, CRP und differenziertem Blutbild plus LDH relativ schnell eine Bildgebung durchführen. Im MRT lässt sich besser unterscheiden, ob die Schwellung intrakapsulär oder extrakapsulär ist und welches Gewebe involviert ist.
D. Studer: Bei einem langsam wachsenden und zusätzlich schmerzhaften Prozess sollte man aufmerksam werden, vor allem, wenn sich das Ganze in der Kniegegend abspielt. Ein entzündlicher Prozess scheint zwar im Vordergrund zu stehen, aber im Wissen, dass 40 Prozent aller Knochentumoren bei Kindern und Jugendlichen knienahe auftreten, wäre ich in diesem Fall grosszügig bei der Indikation für weiterführende Abklärungen und Bildgebungen. M. Landolt: Es braucht auch ein konventionelles Röntgen. Um Zeit zu sparen, ist dies bereits vor dem Termin beim Spezialisten durchzuführen. D. Studer: Das Röntgen wäre für mich in diesem Fall der erste Schritt, erst danach – falls nötig – ein MRI mit Kontrastmittel. In geübten Händen kann auch eine Ultraschalluntersuchung, die schnell, schonend und kostengünstig durchgeführt werden kann, wichtige Zusatzinformationen liefern. A. Wörner: Bei primär entzündlichen Gelenkschmerzen ist die tageszeitliche Verteilung der Schmerzen wichtig. Der morgendliche Schmerz wird dabei auch bei Kindern und Jugendlichen häufig als Symptom genannt. Darum empfehlen sich zum Beispiel Fragen wie: «Wenn Ihr Kind morgens die Stiege herunterläuft, läuft es dann normal, oder hinkt es, entlastet es vielleicht ein Bein?» Dieser Morgenschmerz ist ein recht sensitives Zeichen für eine chronische Gelenkentzündung, und er ist ein sehr sensitiver Parameter, um das Anschlagen einer Therapie zu verfolgen. D. Studer: Welchen Stellenwert hätte im genannten Fall die Familienanamnese? A. Wörner: Ich versuche, in solchen Situationen immer mindestens drei Generationen zu berücksichtigen. Es geht generell um die Frage nach Autoimmunerkrankungen in der Familie. Man muss allerdings sehr gezielt nachfragen und ist dann oft erstaunt, dass sich die Familien plötzlich doch an entsprechende Fälle erinnern. Ich frage neben chronischen Gelenkentzündungen auch nach Hauterkrankungen wie zum Beispiel Psoriasis, nach Schilddrüsenerkrankungen, Diabetes, rezidivierenden Fieberschüben und nach gastrointestinalen Erkrankungen wie Morbus Crohn oder Colitis ulcerosa. D. Studer: Ist das Kniegelenk eine typische Lokalisation für eine Monarthritis bei einem 6-jährigen Kind? A. Wörner: Man kann in diesem Alter durchaus eine Monarthritis im Rahmen einer juvenilen idiopathischen Arthritis haben. Am vorliegenden Fall ist aber untypisch, dass keine oder nur wenig Schmerzen geschildert werden. Schmerz ist ein wichtiger Parameter bei einer Entzündung, insofern ist das Abklären einer breiten Differenzialdiagnose, insbesondere von Tumoren, wichtig. Denken sollte man auch an gutartige Tumoren des Gelenkes, wie zum Beispiel die pigmentierte villonoduläre Synovitis.
3. Fall: Der vordere Knieschmerz Ein 13-jähriges Mädchen hat seit einigen Monaten beidseits vordere Knieschmerzen, zum Teil nach Belastung auftretend. M. Landolt: Das kommt in der Praxis sehr häufig vor. Oft ist dies der eigentliche Konsultationsgrund, oder es wird bei anderen Konsultationsgründen zusätzlich
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erwähnt. Die Schmerzen sind aber nicht auf sportliche Belastungen beschränkt. Sie können bereits beim Bummeln durch die Stadt oder beim Wandern auftreten und werden als stark störend erlebt. D. Studer: Letztlich ist der vordere Knieschmerz eine Ausschlussdiagnose. Das beidseitige Auftreten, wenn auch in unterschiedlicher Intensität, macht ein bösartiges Geschehen sehr unwahrscheinlich. Ich frage auch nach Beschwerden beim Bergaufgehen oder Treppensteigen, weil dies das Knie besonders belastet, oder ob Beschwerden auftreten, wenn das Knie über längere Zeit gebeugt ist, zum Beispiel im Kino oder bei langen Autofahrten. Die Tatsache, dass der vordere Knieschmerz, der im Englischen als «anterior knee pain» bezeichnet wird, als eigentliche Diagnose und nicht nur als Symptom anerkannt ist, zeigt, wie wenig genau wir dieses Krankheitsbild verstehen. Früher nannte man das Phänomen «Chondropathia patellae» und ging von einem Knorpelschaden auf der Rückfläche der Kniescheibe aus – was zu unzähligen und wahrscheinlich auch unnötigen Arthroskopien geführt hat. Wahrscheinlich führt ein erhöhter Anpressdruck der Kniescheibe ins femorale Gleitlager zu den Beschwerden. A. Wörner: Und welche Rolle spielt die Bildgebung? D. Studer: Wenn Anamnese und klinische Untersuchung keine Besonderheiten ergeben, ist der vordere Knieschmerz für mich primär eine klinische Diagnose. Entscheidend in dieser Situation ist die Aufklärung der Patienten und Angehörigen, nicht zuletzt, um unnötige Abklärungen vermeiden zu können. A. Wörner: In diesem Alter beginnen Jugendliche ins Fitnessstudio zu gehen. Sollte man das nicht bedenken? Nach meiner Erfahrung sind es die isoliert auftrainierten Regionen, wie zum Beispiel der Quadriceps femoris ohne Einbezug der Ischiokruralmuskulatur, welche später die Beschwerden verursachen. D. Studer: Lange Zeit haben Fitnesscenter Jugendliche unter 16 Jahren gar nicht angenommen. Man glaubte, dass Krafttraining schädigende Auswirkungen auf den wachsenden Bewegungsapparat habe. Das ist aber völlig aus der Luft gegriffen und kann wissenschaftlich nicht belegt werden. Entscheidend ist, dass richtig trainiert wird. Dies setzt ein dem Alter angepasstes Traninig und eine entsprechende Betreuung durch geschultes Personal voraus. Das Training sollte so ausgerichtet sein, dass vorwiegend mit dem eigenen Körpergewicht gearbeitet wird. M. Landolt: Oft rate ich den Patientinnen, abzuwarten. Die Physiotherapie erwähne ich, sie ist in diesem Alter oft nicht so beliebt, wird aber mehrheitlich von den Eltern gewünscht. Wenn ich bei einer solchen Patientin eine deutliche Abweichung der Beinachsen sehe, schicke ich sie zum Orthopäden. D. Studer: Selbstverständlich sollte nebst der gezielten Untersuchung der betroffenen Kniegelenke eine klinische Beurteilung der Achsen- und Drehverhältnisse der unteren Extremitäten sowie des Gangbildes standardmässig durchgeführt werden. Nach dem altbekannten Merksatz «Schmerzen im Knie, vergiss die Hüfte nie» ist auch die Untersuchung der Hüftgelenke obligat. M. Landolt: Ausserdem drängt dann ja oft auch die Zeit, wenn man eine relevante Achsfehlstellung noch vor dem Wachstumsabschluss behandeln will.
D. Studer: Dem kann ich nur zustimmen. Wenn jemand hartnäckige Knieschmerzen und eine abnorme Beinachse hat, ist es einfacher, diese noch während des Wachstums mit einer temporären Hemiepiphyseodese zu korrigieren, als später mit einer aufwendigen Korrekturosteotomie. Die meisten Kinder und Jugendlichen mit vorderen Knieschmerzen haben aber normale Beinachsen und Drehverhältnisse, und die Beschwerden erweisen sich in aller Regel im Verlauf als spontan regredient.
Fall 4: Nächtliche Beinschmerzen Ein 6-jähriges Mädchen mit Beinschmerzen, mal links, mal rechts, wird in der Nacht wach und weint. Die Eltern massieren das Kind, und es kann danach wieder schlafen; am nächsten Tag hat es keine Beschwerden. D. Studer: Bei diesem Befund denke ich primär an Wachstumsschmerzen. Das beidseitige Vorliegen der Schmerzen ist beruhigend, weil es gegen maligne Ursachen spricht. Die Schmerzen treten nachts auf, wenn der Knochenstoffwechsel und das Wachstum am aktivsten sind. Da es sich auch beim Wachstumsschmerz um eine Ausschlussdiagnose handelt, dürfen eine genaue Anamnese und eine sorgfältige klinische Untersuchung nicht ausbleiben. So können auch Drehfehler der Beine dazu führen, dass die Muskulatur beim Versuch, die Füsse stets in Gangrichtung auszurichten, ermüdet und am Abend oder in der Nacht schmerzt. A. Wörner: Und was sind die «red flags», die trotzdem weitere Abklärungen erfordern? M. Landolt: Der Wachstumsschmerz ist wie erwähnt eine Ausschlussdiagnose und eine häufig auftretende Symptomatik in der Praxis. Der Wachstumsschmerz tritt typischerweise im Vorschulalter und frühen Primarschulalter auf, hat eine wechselnde Lokalisation, also in beiden Beinen abwechselnd, tritt abends oder nachts, oft nach anstrengenden Tagen, auf. Am nächsten Tag ist das Kind asymptomatisch, es hinkt trotz Schmerzen nicht, die körperliche Untersuchung ist unauffällig. Oft besteht eine familiäre Häufung, die Geschwister oder auch die Eltern waren ebenfalls betroffen. «Red flags» sind klar lokalisierter Schmerz, Hinken sowie ein auffälliger Untersuchungsbefund mit Schwellung, Überwärmung, Rötung und einem reduzierten Allgemeinzustand mit Fieber, vermehrter Müdigkeit oder Gewichtsverlust. Bei Auftreten dieser Zeichen sollen sich die Eltern wieder bei mir in der Praxis melden, damit ich weitere Untersuchungen einleiten kann, wie Laboruntersuchungen und konventionelles Röntgen. D. Studer: Welchen Stellenwert würdet ihr dem Magnesium bei Wachstumsschmerzen einräumen? M. Landolt: Ein Kind hat mehr davon, wenn Mami und Papi das Bein massieren oder eincremen, als von einem Magnesiumpulver. Manchmal braucht man nur auf die schmerzende Stelle zu blasen, und dann schläft das Kind wieder ein. Es geht oft eher darum, sich dem Kind zuzuwenden, damit es merkt, dass seine Eltern kommen und helfen, wenn es nach ihnen ruft.
Der vordere Knieschmerz ist eine Ausschlussdiagnose.
Nicht klar lokalisierte nächtliche Beinschmerzen sind oft Wachstumsschmerzen.
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Ursache einer Gehverweigerung ohne adäquates Trauma könnte ein bakterieller Infekt sein.
Fall 5: Gehverweigerung Ein 4-jähriger Knabe verweigert schmerzbedingt das Gehen, er hinkt. Er hat kein Fieber, sein Allgemeinzustand ist gut und er ist sonst gesund. M. Landolt: Neben einem kompletten Status des Kindes inklusive Gelenke und Wirbelsäule lasse ich immer ein Blutbild und ein CRP durchführen. Eine Blutsenkung mache ich meistens nicht. Oft finden sich Anzeichen eines Luftwegsinfekts mit Schnupfen oder Husten. Bei einem klinisch gesund wirkenden Kind mit eingeschränkter Hüftbeweglichkeit denke ich in erster Linie an eine Coxitis fugax, als Bestätigung könnte man songrafisch einen Erguss feststellen. Ich habe auch schon in der Praxis den Ultraschallkopf auf so eine Hüfte gehalten und einen Erguss im Vergleich zur Gegenseite festgestellt, persönlich mache ich das aber nicht regelmässig. Differenzialdiagnostisch auszuschliessen ist immer eine bakterielle Arthritis. Diese Kinder sind sehr krank und haben deutlich mehr Schmerzen, und die Laboruntersuchungen sind auffällig. In diesem Fall weise ich das Kind bei Verdacht auf die Notfallstation des Kinderspitals zu. Da hier jede Stunde zählt, schärfe ich den Eltern ein, das Kind gut zu beobachten und bei Verschlechterung des Allgemeinzustandes, zum Beispiel bei Fieber, Schmerzen oder Schwellung des Gelenks, auch nachts sofort die Notfallstation aufzusuchen. Je nach persönlicher Einschätzung der Eltern kontrolliere ich das Kind nach 24 bis 48 Stunden. Therapeutisch setze ich Ibuprofen, Mefenaminsäure oder Diclofenac ein, oft werden nur wenige Dosen gebraucht, bis das Kind bei Coxitis fugax wieder beschwerdefrei ist. Bei Persistenz der Beschwerden leite ich weiterführende Abklärungen ein, wie eine Kontrolle der Laborwerte mit Blutsenkung, eine Ultraschalluntersuchung und eventuell eine Röntgenaufnahme. D. Studer: Wenn ich ein 4-jähriges Kind wegen Gehverweigerung ohne adäquates Trauma sehe, dann handelt es sich für mich bis zum Beweis des Gegenteils primär um einen bakteriellen Infekt. Die Tatsache, dass unser Patient afebril und in gutem Allgemeinzustand ist, spricht sicherlich gegen eine septische Arthritis, eine Spondylodiszitis – die sich oft auch mit einer Gehverweigerung äussert – oder eine akute Osteomyelitis. Die Differenzialdiagnosen sind dann Coxitis fugax, Trauma und Morbus Perthes. Aber auch eine Infektion mit einem niedrig pathogenen Keim, zum Beispiel Kingella kingae, ist bei Kindern im Vorschulalter relativ häufig. Nebst der klinischen Untersuchung sind für mich in dieser Situation die Kontrolle der Entzündungswerte, inklusive Blutsenkung, sowie eine Ultraschalluntersuchung zur Abklärung eines Gelenksergusses indiziert.
A. Wörner: Ultraschall hilft gerade beim kleinen Kind zu erkennen, ob es wirklich die Gelenkkapsel ist, von der das Hinken ausgeht, oder nicht. Wenn die Sonografie bei akuter Gehverweigerung und gutem Allgemeinzustand unauffällig ist, muss man an andere Ursachen denken. Im Ultraschall sollte man auf zwei Details neben dem Erguss in der Gelenkkapsel schauen. Bei einem Hüftschnupfen, der Coxitis fugax, wird die Gelenkkapsel eher dünn sein, und man wird in der Regel keine vermehrte Durchblutung der Gelenkkapsel sehen können. In der klinischen Untersuchung ist häufig auch der Muskeltonus erhöht. Wenn man das Gelenk durchbewegt, spürt man, wie das Kind versucht, sein Gelenk zu stabilisieren. Die Beurteilung der Innenrotationseinschränkung ist wichtig, die beim ausgeprägten Erguss auch bei einem kleineren Kind rechtzeitig fassbar ist. D. Studer: Nehmen wir für diesen Fall einmal an, dass im Ultraschall wenig Flüssigkeit von unklarer Qualität im Gelenk nachgewiesen werden kann. Das Kind hat kein Fieber, und es hat auch keine fiebersenkenden Mittel bekommen. Das Blutbild ist unauffällig, das CRP vielleicht minimal erhöht. Der Allgemeinzustand ist gut. In dieser Situation ist die Wahrscheinlichkeit einer bakteriellen Infektion sehr klein. Ich würde das Kind mit NSAR-Sirup nach Hause entlassen und nach ein bis zwei Tagen für eine klinische Kontrolle einbestellen. Die Eltern sollten sich jederzeit vorzeitig melden, wenn das Kind Fieber bekommt oder sich sein Allgemeinzustand verschlechtert. M. Landolt: Der Ultraschall ist sicher nützlich. Ein deutlicher Erguss ist sonografisch auch für mich sichtbar, aber um die Qualität des Ergusses oder die Hyperperfusion der Synovia zu beurteilen, braucht es entsprechende Erfahrung, sodass ich die Patienten ins Kinderspital zuweisen muss. Ich vermute, dass viele Pädiater in der Praxis ein Kind mit oben beschriebenem Krankheitsbild, mit normalem Blutbild, CRP und bei Verdacht auf Coxitis fugax, darum auch ohne Ultraschall nach Hause schicken, therapieren und im Verlauf nachkontrollieren. Wichtig ist, dass die Eltern sich bei Verschlechterung sofort melden.
Das Gespräch fand am 14. April 2015 am Universitätskinderspital beider Basel (UKBB) statt. Es wurde von Dr. Renate Bonifer aufgezeichnet und für den Abdruck aufbereitet und zusammengefasst.
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