Transkript
Flugreisen mit Kindern
Mit guter Vorbereitung sind sie meist kein Problem
SCHWERPUNKT
Mit guter Vorbereitung ist das Fliegen mit gesunden Kindern in Verkehrsflugzeugen medizinisch unbedenklich, und auch der Komfort der Kinder, ihrer Eltern und der Mitpassagiere kann durch eine gute Vorbereitung deutlich verbessert werden. Probleme ergeben sich vor allem aufgrund der besonderen physikalischen Verhältnisse an Bord von Flugzeugen. Die häufigsten medizinischen Probleme bei Kindern betreffen den ORL-Bereich. Bei Flügen mit akut oder chronisch kranken Kindern braucht es eine genaue medizinische Abklärung und allenfalls spezielle prophylaktische und therapeutische Massnahmen.
Von Christoph Stüssi
P raktisch jede Fluggesellschaft informiert auf ihrer Homepage über das Fliegen mit Kindern (travelling with children). Abgesehen davon, dass Säuglinge und Kinder bis zum Alter von zwei Jahren keinen Sitzplatz benötigen und dass Tickets für Kinder in der Regel günstiger sind als für Erwachsene, divergieren die Angebote für Kinder jedoch sehr. Es ist daher sinnvoll, sich vor einer Buchung, spätestens aber zwei bis drei Wochen vor Abreise, auf der Homepage der betreffenden Fluggesellschaften zu informieren. Vor erstmaligen Langstreckenflügen informieren sich fast alle Eltern bei ihrem Kinder- oder Hausarzt über Risiken und Gefahren bei Flug und Auslandaufenthalt. Dabei kommen oft nur medizinische Themen wie Ansteckungsrisiken im Gastland zur Sprache. Praktische Informationen zu wichtigen Aspekten vor, während und nach dem Flug sind jedoch bei den meisten heute angeflogenen Destinationen fast genauso wichtig.
gen. Von der Rückgabe des Buggys an der Flugzeugtür weichen die Flughäfen einzelner Länder leider ab, beispielsweise in ganz Spanien. Die Eltern müssen dann Kinder und Handgepäck über weite Strecken selbst tragen. Die Babytrage gehört ins Handgepäck. Es empfiehlt sich, das Handgepäck auf das Allernotwendigste zu reduzieren. Schoppenpulver und -flasche (leer) sowie Windeln gehören aber ins Handgepäck! Die meisten Fluggesellschaften bieten spezielle Mahlzeiten für Kinder an, welche aus international mehrheitsfähigen und nicht speziell auf die kindliche Gesundheit ausgerichteten Zutaten bestehen und vorbestellt werden müssen. Der Vorteil bestellter Kindermahlzeiten ist, dass sie meist vor denjenigen der Erwachsenen serviert werden. Das stillt nicht nur schnell den ersten Hunger, sondern es mindert sowohl die Hektik als auch das Risiko, etwas zu verschütten und hilft somit, Verbrennungen und Verbrühungen zu vermeiden.
Praktische Informationen zum Handgepäck
Das Mitnehmen eines zusammenklappbaren Buggys ist kostenlos und zusätzlich zum Gepäckstück des Kindes bis zirka im ersten Kindergartenjahr möglich. Ein Buggy ist hilfreich, um Kinder nicht zum Flugzeug tragen zu müssen, er bietet ihnen einen Schlafplatz oder übernimmt das Gepäck, wenn die Eltern ihre Kinder in einer Babytrage (z.B. Babybjörn®) oder im Tragtuch transportieren. Der Buggy wird an der Flugzeugtür abgegeben. Man bekommt ihn am Ende eines Fluges am Zielort, aber auch beim Umsteigen in der Regel am gleichen Ort wieder zurück. So kann das dann oft schlafende Kind mit den Eltern die meist mehrstündige Wartezeit auf die «Immigration», wie sie zum Beispiel in den USA in Miami durchaus vorkommen kann, im Buggy verbrin-
Getränke und Breinahrung
Die medizinischen Dienste der Fluggesellschaften empfehlen Kabinenpersonal und Piloten, mindestens 2 dl pro Flugstunde zu trinken. Das gilt auch für alle Flugpassagiere und – altersangepasst – auch für Kinder. Am einfachsten funktionieren Ernährung und Trinken bei gestillten Kindern. Diese melden sich oder sie werden nach üblichen Intervallen an die Brust angesetzt und sie schlafen wieder ein, wenn sie das Bedürfnis dazu haben. Wichtig ist, dass die Mutter auf Flügen noch deutlich mehr trinkt, als sie das üblicherweise tut. Aufgrund der höheren Anzahl an Mahlzeiten und Schlafstunden pro Tag ist die Umstellung auch beim Überfliegen mehrerer Zeitzonen bei Säuglingen problemloser als bei ihren Eltern. Breimahlzeiten können mitgenommen oder bei wenigen Fluggesellschaften auch bestellt werden. Zu
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Stillende Mütter müssen während des Flugs deutlich mehr trinken.
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SCHWERPUNKT
Fliegen entspricht einer Höhenexposition von 2000 bis 2400 Metern.
Infektionen der oberen Luftwege sind ein oft unterschätztes Risiko.
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beachten ist, dass Flüssigkeitsmengen aufgrund von Sicherheitsvorschriften pro Behälter maximal 120 ml betragen dürfen – das gilt auch für Kinderbreinahrung oder vorher gefüllte Schoppen. In der Annahme, dass wohl kaum jemand Sprengstoff essen würde, werden die Eltern vom Sicherheitspersonal häufig gebeten, vom Inhalt der Behälter zu kosten, selbst wenn es sich um offensichtlich industriell verschlossene Gläser handelt. Mehr Gläschen mitzunehmen, als man für den einen Flug unbedingt braucht, ist daher nicht sinnvoll.
Zeitverschiebung
Bei Kindern und Jugendlichen sind die Auswirkungen einer Zeitverschiebung bis etwa drei Stunden eher gering und bewegen sich im Rahmen des Wechsels der Tageslängen und der Winter-/Sommerzeit in Mitteleuropa. Bei darüber hinausgehenden Flügen zeigen sich die Auswirkungen jedoch deutlich – weniger während des Ferienaufenthaltes, bei dem man sich dem Tagesablauf anpassen kann, als bei der Rückkehr. Speziell bei Kindergarten- und Schulkindern ist es sinnvoll, entweder Anpassungstage daheim einzuplanen oder aber den Auslandaufenthalt eher im Osten zu planen, weil die Zeitverschiebung mit Rückreise nach Westen dann nach der Rückkehr ein frühes Aufstehen und ein frühes Zubettgehen bedeutet und damit besser zum Schulalltag passt. Die Anwendung von Melatonin bei Kindern ist klar kontraindiziert, weil es bis jetzt zu wenig Daten gibt, die das rechtfertigen würden. Doch auch am Ferienort selbst braucht es eine Anpassung der Aktivitäten an die Zeitverschiebung in den ersten Ferientagen: Eltern müssen sich bewusst sein, dass ihre (Klein-)Kinder in der Karibik und in Amerika nach einem Flug aus Europa morgens um halb vier Uhr aufstehen, in Südostasien hingegen erst am Mittag. Fast alle Kinder können in Fluzeugen schlafen. Man sollte nach Möglichkeit Flüge wählen, die gegen Abend starten und/oder zur üblichen Aufwachzeit der Kinder ankommen. So sind es weniger Stunden, in denen die Kinder unterhalten werden müssen. Zur Unterhaltung tragen Bordsysteme mit Filmen viel bei. Die Ohrhörer sind schon für Erwachsene von schlechter Qualität, und sie sind das erst recht für Kinder, zudem passen sie nicht in die kleinen Ohren. Die eigenen Kopfhörer mitzunehmen, lohnt sich deshalb, allenfalls auch ein portables System mit eigenen Filmen oder eigener Musik. Allerdings sind die Batterielaufzeiten der Laptops und iPads nicht unendlich, und die Batterien halten Langstreckenflüge kaum durch.
Medizinische Probleme bei Flügen mit Verkehrsflugzeugen
Medizinische Probleme beim Fliegen mit Verkehrsflugzeugen ergeben sich primär aus physikalischen und physiologischen Fakten: • Fliegen stellt eine Höhenexposition von 2000 bis
2400 Metern über dem Meeresspiegel dar. • Diese Höhenexposition bedeutet eine Reduktion
des Sauerstoffpartialdrucks, der bei gesunden Kleinkindern, Kindern und Jugendlichen zu einer Verminderung der Sauerstoffsättigung (SaO2) im
Blut von (maximal) 4 bis 5 Prozent führt. Gesunde Kinder tolerieren dies in jedem Alter, auch in den ersten drei Lebensmonaten. Grundsätzlich kann eine Höhenexposition von 2000 bis 2400 Metern zu Unwohlsein (discomfort) führen. Das äussert sich mit ähnlichen Symptomen wie eine akute Bergkrankheit, wie aus Studien mit Erwachsenen mit simulierten Flügen von mehr als 20 Stunden Dauer bekannt ist. Die Beschwerden treten bei Erwachsenen nach zirka 3 bis 9 Stunden Flugzeit auf. Ähnliche Untersuchungen bei (Klein-)Kindern wurden bis jetzt nicht durchgeführt. Da die Höhenexposition zwar mehrstündig ist, aber in der Regel nicht länger als 12 bis 14 Stunden dauert, dürfte das Risiko für therapiebedürftige Symptome durch die Höhenexposition bei Kindern in Verkehrsflugzeugen gering sein, was auch das weitgehende Fehlen von Berichten über schwerwiegende Pathologien bei Kindern in diesem Bereich reflektiert. • Die Luftfeuchtigkeit der Innenluft in Flugzeugen ist äusserst gering (2–3%). Das ist dadurch bedingt, dass in 10 000 m Höhe die sehr kalte und somit praktisch nicht wasserhaltige Aussenluft von minus 70 Grad von den Triebwerken angesaugt, verdichtet/erwärmt und dann in die Druckkabine geblasen wird. • Die Druckänderung bedingt, dass lufthaltige Körperhöhlen (Lunge, Nasennebenhöhlen, Mittelohr u.a.) eine weitgehend unbehinderte Verbindung zur Aussenluft haben müssen, um den Druckausgleich während des Steigflugs und noch viel mehr während des Sinkflugs sicherzustellen (siehe unten, ORL-Affektionen). • Der Druckausgleich in den Luftwegen erfolgt durch Schlucken, Bewegungen der Mandibula oder Valsalva-Manöver. Kleinkinder, die noch nicht in der Lage zu aktiven Manövern sind, werden im Steigund insbesondere im Sinkflug am besten zu aktivem Saugen an der Brust angesetzt oder bekommen Nuggi oder Trinkflasche. Wenn Kleinkinder im Sinkflug weinen oder schreien, ergibt das in Bezug auf den Druckausgleich durchaus Sinn und darf deshalb den Mitpassagieren sehr wohl zugemutet werden. • Zeitzonenreisen (> 3 Stunden) bedeuten eine Zusatzbelastung auch für Kinder. Eine entsprechende Erholungs- und Anpassungsphase nach der Hin-, aber auch nach der Rückreise muss eingeplant werden. Die häufigsten flugbedingten Pathologien bei Kindern in Verkehrsflugzeugen betreffen den ORL-Bereich: Vorbeugend zur Pflege der Nasenschleimhaut auf und nach Flügen haben sich neben Nasensalbe besonders auch NaCl-Pumpsprays oder -Tropfen bewährt. Diese müssen aber regelmässig angewendet werden und dürfen wegen der Sicherheitsvorschriften weder Treibgas noch ein Volumen von mehr als 120 ml pro Behälter aufweisen. Abschwellende Nasentropfen/ Nasensprays können bei leichten ORL-Infekten hilfreich sein. Die Flugtauglichkeit ist allerdings nur dann gegeben, wenn ohne oder mit Nasensprays ein adäquater Druckausgleich möglich ist. Eine schwere ORL-Affektion zwingt zur Reiseverschiebung (s. unten).
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SCHWERPUNKT
Immer wieder stellt sich die Frage, ab welchem Alter Kinder beziehungsweise ab wie vielen Tagen Neugeborene fliegen dürfen. Vonseiten der Fluggesellschaften werden Babys meist ab dem Alter von 7 oder 14 Tagen befördert. Alle Passagiere – auch Babys – benötigen für den Transport in Verkehrsflugzeugen einen gültigen Pass beziehungsweise Personalausweis, welcher ausschliesslich vom Passbüro ausgestellt wird, was Zeit in Anspruch nimmt. Bereits dadurch stellt sich die Frage nach der Flugtauglichkeit für Mittel- und Langstreckenflüge aus praktischen Gründen meist erst nach der Neonatalperiode, also frühestens ab dem zweiten Lebensmonat. Das Ausmass der zusätzlichen Strahlenbelastung beim Fliegen hängt von der Flugdauer, der Flughöhe, der Flugroute und der Sonnenaktivität ab. Für Gelegenheitsflieger, wie es die meisten Ferienflieger sind, ist die zusätzliche Strahlenbelastung durch das Fliegen sehr gering und gesundheitlich unbedenklich. Das gilt auch für Schwangere und Kleinkinder. Piloten, Kabinenpersonal oder berufliche Vielflieger können jedoch, vor allem wenn sie häufig Langstrecken auf den nördlichen Polrouten fliegen, Strahlendosen ausgesetzt sein, die vergleichbar sind mit denjenigen von Berufsgruppen, die ionisierende Strahlung einsetzen oder mit radioaktiven Quellen umgehen. Mit guter Vorbereitung sind medizinische Notfälle mit Kindern und Jugendlichen von 0 bis 18 Jahren selten: Die Statistik einer amerikanischen Fluggesellschaft listet 222 Crew-Anfragen aus Flugzeugen vor dem Start (53) und aus fliegenden Flugzeugen (169) wegen pädiatrisch-medizinischer Probleme auf (Passagiere von 0 bis 18 Jahre). Das entspricht 1 Anfrage pro 20 775 Flügen; 19 Anfragen führten zu einer vorzeitigen Landung (1 pro 240 000 Flüge). 27 Prozent der Anfragen betrafen Infektionen, 15 Prozent neurologische Probleme und 13 Prozent übrige Luftwegsaffektionen.
Fliegen bei akuter Krankheit
Die Fluggesellschaften verweigern Passagieren mit ansteckenden Krankheiten den Flug. Einzelne Krankheiten werden dabei explizit erwähnt, wie Masern oder Varizellen. Bei anderen Infekten wie beispielsweise einem febrilen grippalen Infekt oder einer Pneumonie sind die Kinder so krank, dass ihnen aus grundsätzlichen Überlegungen ein mehrstündiger Langstreckenflug nicht zugemutet werden darf. Versuchen Eltern, trotzdem an Bord zu kommen, kann es sein, dass sie für den ersten Flug oder noch schlimmer für den Weiterflug ab Umsteigeflughafen abgelehnt und gar nicht beziehungsweise nicht weitertransportiert werden. Sie sitzen dann in Frankfurt, Dubai oder New York und kommen mit ihrem kranken Kind nicht ans Ziel, aber auch nicht mehr heim. Zudem gibt es Krankheiten wie ein nicht drainierter Pneumothorax, welche absolute Kontraindikationen darstellen. Praktisch alle diese Krankheiten verursachen aber so schwere oder so eindeutige Symptome, dass in der Regel ein Verkehrsflug damit nicht angetreten wird. Immer wieder unterschätzt werden jedoch (obere) Luftwegsinfekte mit Belüftungsstörung von Höhlen.
Bei diesen Affektionen ist Fliegen absolut kontraindiziert, solange abschwellende therapeutische Massnahmen und deren wiederholte Anwendung auch während des Flugs einen genügenden Luftaustausch nicht sicherstellen. Dieser muss nicht nur beim Start eines Flugzeugs, sondern insbesondere nach mehrstündiger Exposition in sehr trockener Luft auch bei der Landung gesichert sein. Ob abschwellende Nasentropfen in Bezug auf den Druckausgleich wirksam sind, ist umstritten. Die durch fehlenden Druckausgleich ausgelösten Schmerzen sind sehr intensiv. Die immer wieder befürchtete Ruptur eines Trommelfells (Barotrauma) wegen fehlenden Druckausgleichs ist aus rasch steigenden oder sinkenden Militärflugzeugen bekannt, bei Passagieren in Verkehrsflugzeugen jedoch eine Rarität.
Fliegen bei chronischer Krankheit
Herz- und Kreislauferkrankungen sowie pulmonale Krankheiten mit erhöhtem Sauerstoffbedarf können eine Kontraindikation für einen regulären Flug im Verkehrsflugzeug darstellen. Es gibt die Möglichkeit, zusätzliche Sauerstoffflaschen an Bord laden zu lassen; die Flugdauer ist durch die benötigte Menge Sauerstoff begrenzt. Neben diesen bekannten Problemen kann auch eine (unerkannte) schwere Anämie oder eine Sichelzellanämie eine Einschränkung der Flugtauglichkeit bedeuten. Zuständig für die Vorbesprechung dieser Patienten und der an Bord möglichen Massnahmen sind die medizinischen Dienste der Fluggesellschaften. Bei anderen Krankheiten bedarf es einfach einer guten Vorbereitung: Dazu gehören Diabetes mellitus, gastrointestinale Affektionen mit häufiger Darmentleerung oder Kinder mit Anus praeter. Wenn Medikamente in der Flugzeugkabine mitgenommen werden und damit durch die Sicherheitskontrolle gebracht werden müssen, ist eine Vorabklärung bezüglich Begleitschreiben und Beurteilung durch diese Sicherheitskontrollen wichtig. Bei sehr temperaturempfindlichen Medikamenten lohnt sich eine Vorbesprechung mit dem medizinischen Dienst der zu buchenden Fluggesellschaft: Die Flugzeugkabine und die Frachträume für Koffer weisen meist Zimmertemperatur auf. Kühlschränke mit konstanter Temperatur gibt es auf Flugzeugen nicht, und auch die Medikamente unterliegen der Höhenexposition sowie den Vorschriften bezüglich Inhaltsstoffen und Treibgasen der Fluggesellschaften.
Korrespondenzadresse: Dr. med. Christoph Stüssi Klinik für Kinder und Jugendliche Kantonsspital Spitalcampus 1 8596 Münsterlingen E-Mail: christoph.stuessi@stgag.ch
Literatur beim Verfasser.
Die durch fehlenden Druckausgleich ausgelösten Schmerzen sind sehr intensiv.
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