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SCHWERPUNKT
Sonografie der Nieren und ableitenden Harnwege
Die gute Zugänglichkeit sowie die Tatsache, dass zirka 30 Prozent aller Fehlbildungen die Nieren und ableitenden Harnwege betreffen, unterstreichen die Bedeutung der Sonografie im Kindesalter. Im vorliegenden Artikel werden Krankheitsbilder, die für niedergelassene Pädiater und Hausärzte von Interesse sind, an Fallbeispielen demonstriert.
Von Boris Utsch
Das Ultraschallgel sollte angewärmt werden.
Bei der Untersuchung zuerst die Harnblase sonografieren.
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F ür die Darstellung der Nieren und ableitenden Harnwege stellt die Sonografie das wichtigste bildgebende Verfahren dar. Sie kann von Kinder- und Hausärzten bei Kindern gut eingesetzt werden. Strahlenbelastende Techniken sind in den letzten Jahren aufgrund einer verbesserten sonografischen Bildgebung zunehmend in den Hintergrund getreten. Nicht nur aufgrund der pränatalen Sonografie zum Ausschluss von Fehlbildungen wird auch schon bei Neugeborenen oft eine sonografische Untersuchung des Harntrakts vorgenommen, um Fehlbildungen zu einem möglichst frühzeitigen Zeitpunkt festzustellen. In manchen Ländern werden die Nieren in derselben Untersuchung mit den Hüften zum Ausschluss einer Hüftdysplasie sonografiert. Für eine qualitativ hochwertige Untersuchung ist neben Geräten mit einer hohen Auflösung auch eine entsprechende fachliche Kompetenz des Untersuchers essenziell.
Untersuchungstechnik
Neben der Untersucherkompetenz sind optimierte Einstellungen des Ultraschallgeräts ebenso wichtig wie eine systematische Untersuchung des Harntrakts. Vor allem bei kleinen Kindern sollte an das Anwärmen des Ultraschallgels gedacht werden, um eine frühzeitige Blasenentleerung zu vermeiden. Da sonst bei leerer Blase der Blaseninhalt, der Retrovesikalraum und die terminalen Ureteren nicht ausreichend beurteilt werden können, sollte mit der Harnblase begonnen werden. Aufgrund der luftgefüllten Darmschlingen sollten die Nieren von lateral oder dorsal dargestellt werden. Von lateral können die Milz beziehungsweise die Leber als Schallfenster dienen und die Nieren durch tiefes Einatmen in ihrer Darstellung verbessert werden. Dahingegen können die Nieren von dorsal durch das Schall-
fenster der Rückenmuskulatur in zwei Ebenen problemlos zur exakten Vermessung der Nierenlänge dargestellt werden. Im Säuglingsalter sind diese eher parallel verlaufend, danach kaudal divergierend. Diese Kenntnis ist Voraussetzung für eine genaue Querschnittsdarstellung, was bei Fehlmessungen zu Volumenfehlbestimmungen führen kann. Während für die Volumenberechnung bei der Längenmessung die maximale Ausdehnung zählt, ist beim Querschnitt der kleinstmögliche Querschnitt die exakteste Schnittebene. Dabei ist auch zu bedenken, dass sich die Form der Nieren von einem eher rund-ovalen im Säuglingsalter hin zu einem längs-ovalen Organ im Jugendalter entwickelt. Der Ureter lässt sich im nicht dilatierten Zustand meist nicht und wenn, dann eher retrovesikal darstellen. Bei der Sonografie des Harntrakts sollte auf eine ausreichende Hydrierung geachtet werden. Untersuchungen innerhalb der ersten 48 Stunden postnatal sind nur eingeschränkt aussagefähig und schliessen eine Obstruktion nicht aus. Hydronephrosen sollten optimal am 5. Lebenstag beurteilt werden. Der Füllungszustand der Blase sollte dabei dokumentiert werden.
Harnblase
Die Sonografie der Harnblase ermöglicht die Beurteilung des Blaseninhalts, der Blasenwand und die Bestimmung einer Restharnmenge. Normalerweise stellt sich der Urin echofrei dar. Der ureterale Urinjet kann aber durchaus sichtbare Verwirbelungen in der Blase aufweisen. Hingegen können viele flottierende, echogene Partikel in der Blase im Rahmen einer Harnwegsblutung wie auch einer Infektion beobachtet werden. Allerdings schliesst ein echofreier Urin eine Harnwegsinfektion keineswegs aus. Die Blasenwand sollte glatt konturiert und ≤ 3 mm, bei grösseren Kindern maximal 4 mm dick sein. Die
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Wanddicke sollte nur im vollen Zustand gemessen werden. Unregelmässige Blasenwandkonturen sind im Füllungszustand als pathologisch zu beurteilen, können aber bei einer leeren Blase normal sein. Pseudodivertikel können als irreguläre Konturen oder kleine Ausstülpungen Hinweise auf eine Blasenentleerungsstörung sein. Da die Harnblase hauptsächlich eine Reservoirfunktion hat, stellt die Restharnbestimmung eine Messung der Blasenfunktion dar. Im gefüllten Zustand hat die Harnblase eher eine rechteckige Form mit abgerundeten Ecken, wohingegen die runde Form im gering gefüllten Zustand oder während der Miktion auftritt. Bei gefüllter Blase am Anfang der Untersuchung sollte das Blasenvolumen mithilfe der Ellipsoidformel (0,5 x Länge [cm] x Breite [cm] x mittlere Tiefe [cm] = Volumen in ml) gemessen werden, wobei das miktionierte Volumen eher dem eines Quaders mit dem berechneten Produkt von Breite x Tiefe x Höhe entspricht. Hierbei darf die Blasenwand nicht in die Messung mit einbezogen werden. Eine korrekte Restharnbeurteilung erfordert mindestens ein Blasenausgangsvolumen von 50 Prozent der maximalen altersentsprechenden Blasenkapazität. Diese wird mit der Formel 30 ml (Volumen bei Geburt) + 30 ml/Lebensjahr berechnet. Bis 10 Prozent Restharnmenge der normalen Blasenkapazität werden als normal betrachtet, darüber hinaus oder bei 20 ml und mehr spricht man von pathologischer Restharnmenge. Pendelvolu-
mina bei vesikoureteralem Reflux sollten bedacht und nicht als Restharn interpretiert werden (Cave: retrovesikale Ureteren!).
Harnleiter
Eine volle Harnblase ermöglicht die Beurteilung des vesikoureteralen Übergangs. Somit können die Weite, die Wand und der Inhalt des Harnleiters beurteilt werden. Normalerweise ist der Ureter nicht sichtbar, wohingegen eine konstante Erweiterung des Harnleiters als pathologisch zu werten ist. Ab einer konstanten Erweiterung des Harnleiters auf ≥ 6 mm wird von einem Megaureter gesprochen. Weitere wichtige Befunde im vesikoureteralen Übergangsbereich sind Ureterozelen und paraureterale Divertikel (Hutch-Divertikel).
Normale Anatomie der Niere
Die Kenntnis der normalen Anatomie ist essenziell. Die normale Niere weist eine glatte Kontur auf. Am Übergang vom mittleren zum oberen Drittel findet sich häufig eine Parenchymkerbe (parenchymal junction line), die keiner Parenchymnarbe, sondern interponierendem Fettgewebe entspricht. Zudem findet sich bei Früh- und Neugeborenen häufig die typische fetale Renkulierung (Lappung), die nach dem ersten Lebensjahr seltener zu sehen ist. Das Parenchym gliedert sich in Rinde und Mark. Zentral liegt der reflexreiche Mittelechokomplex, der aus
Eine ausreichende Hydrierung ist bei der Sonografie des Harntrakts wichtig.
SCHWERPUNKT
Nierenbecken-Kelch-System, peripelvinem Fettgewebe und im Hilus verzweigenden beziehungsweise verlaufenden Gefässen besteht. Die Nierenrinde ist von feiner, homogener Echotextur mittlerer Echogenität, die gering niedriger ist als diejenige der Leber; beim Neugeborenen ist die Echogenität noch gering höher als diejenige der Leber, sie nimmt aber etwa im dritten Lebensmonat ab. Die Markpyramiden sind deutlich echoärmer als die Nierenrinde und weisen in ihrer Basis eine ginkgoblattförmige Einkerbung auf. Da sich die Markpyramiden im Säuglingsalter echoärmer zeigen, können sie leicht mit Pyelektasien und Zysten verwechselt werden, ohne die dafür typische Schallverstärkung zu zeigen. Besonders in den ersten beiden Lebenswochen kann sich aber eine vorübergehend physiologische Echogenitäterhöhung der Markpyramiden zeigen. Des Weiteren sind nicht selten Columnae renalis (Bertini-Säulen) als Anteile der Nierenrinde, die zwischen den Pyramiden des Nierenmarks liegen, von Tumoren abzugrenzen. Eine Beurteilung des Nierenbecken-Kelch-Systems sollte generell in zwei Ebenen erfolgen, da sich die Dilatation des Mittelechokomplexes insbesondere im Längsschnitt stark abhängig vom Hydratations- und Diuresezustand zeigt.
Morphologie, Echogenität und Mark-Rinden-Differenzierung der Niere
Um einen Echogenitätsvergleich der Nieren durchzuführen, wird die Echogenität der linken Niere mit der Echogenität der Milz und diejenige der rechten Niere mit derjenigen der Leber verglichen. Hierfür werden die Nieren von ventrolateral dargestellt. Ausser im Neugeborenen- und Säuglingsalter bis etwa 6 Monate ist die normale Echogenität der Nierenrinde im Vergleich zu Milz und Leber niedriger. Die echoärmeren Markpyramiden lassen sich gut von der Rinde abgrenzen. Die Mark-Rinden-(MR-)Differenzierung kann bei akuter Glomerulonephritis (GN) betont sein, da die Nierenrindenechogenität erhöht ist, wohingegen bei chronischen GN eher die MR-Differenzierung reduziert oder aufgehoben ist. Einfache Doppelnieren werden meist zufällig diagnostiziert. Bei fehlender Klinik besteht kein Anlass zur weiteren Diagnostik. Sonografische Hinweise können eine verlängerte Nierenlängsachse beziehungsweise gegeneinander versetzte Achsen der einzelnen Anteile, eine Unterbrechung des Mittelechoreflexes und Parenchymeinziehungen im mittleren Nierendrittel sein. Bei einer Hufeisenniere sind die Nieren am unteren Pol durch eine Bindegewebs- beziehungsweise Parenchymbrücke miteinander verbunden. Die Achsen der Nieren sind hier meist kranialseits divergierend, und das Nierenbecken ist nach ventral gedreht. Bei ipsilateralen dystopen Nieren (z.B. Beckennieren) beziehungsweise gekreuzten dystopen Nieren (z.T. mit der kontralateralen Niere verschmolzen) muss nur bei entsprechender Klinik (vesikoureteraler Reflux, Hydronephrose, Nephrolithiasis) eine weitere Diagnostik und Therapie eingeleitet werden.
Nierengrösse und Morphometrie
Für die Nierengrösse beziehungsweise -volumina existieren gewichts- und grössenbezogene Perzentilenkurven, wobei die Daten besser mit der Körperlänge korrelieren. Am häufigsten wird das Nierenvolumen nach der Ellipsoidformel (0,5 x Länge [cm] x Breite [cm] x mittlere Tiefe [cm] = Volumen in ml) beurteilt. Die Nierengrösse sollte von dorsal mit dem Linearschallkopf bestimmt werden. In der Frühphase einer Pyelonephritis oder bei einer leichten Entzündung kann das Nierenvolumen noch normal sein. Dies kann dann aber im Verlauf deutlich zunehmen. Entzündlich veränderte Nieren können eine Nierenvergrösserung von 175 Prozent aufweisen. Wenn beide Nierenvolumina sich noch nicht eindeutig pathologisch zeigen, kann eine Volumendifferenz von mehr als 30 Prozent auf eine entzündliche Schwellung einer Niere hinweisen.
Nierenbecken-Kelch-System
Hierfür sollten die Nierenbecken- und NierenbeckenKelch-Erweiterungen dokumentiert und die Nierenbekkenweite im Querschnitt auf Höhe des Nierenhilus gemessen werden. Hier ist zwischen der intra- und der extrarenalen Nierenbeckenerweiterung zu unterscheiden. Für die Beurteilung einer eventuell urodynamisch relevanten Hydronephrose ist der intrarenale Durchmesser ebenso wie eine zudem vorhandene Erweiterung der Calices (Pyelokaliektasie) entscheidender. Die Nierenbeckenwand beziehungsweise das Urothel können im Fall einer Harnwegsinfektion verdickt sein, die Dicke liegt dann über der Norm von 0,8 mm.
Dopplersonografie
Die Dopplersonografie ermöglicht eine Beurteilung der physiologischen, aber auch der pathophysiologischen Zustände der Nieren. Hierbei werden die Flussgeschwindigkeiten in den Aa. renales, Aa. segmentales, Aa. interlobares und Aa. arcuatae gemessen. Wichtig sind ein standardisiertes Vorgehen, eine entsprechende Winkelkorrektur und vergleichbare Messwerte an exakt bestimmten Messpunkten. Die maximalen Blutflussgeschwindigkeiten nehmen vom Nierenhilus nach peripher deutlich ab. Auch dürfen Doppleruntersuchungen der Niere nie isoliert betrachtet werden, sondern sollen mit Untersuchungen anderer abdomineller Gefässe und der Kreislaufsituation korreliert werden. Um die Perfusionsdichte der Nieren oder eines Areals beurteilen zu können, kann die Power-Dopplersonografie bei korrekter Geräteeinstellung angewendet werden. Die normale Niere zeigt in der Nierenkapsel eine homogene Perfusion direkt bis unter die Kapsel. Die Markpyramiden zeigen sich aufgrund der Gefässarmut ausgespart. Bei einer Pyelo- oder einer Glomerulonephritis zeigt sich eine erhöhte, bei Niereninfarkten oder -abzessen eine entsprechend reduzierte oder aufgehobene Durchblutung. Im Folgenden sollen für Hausärzte und niedergelassene Pädiater relevante Fallbeispiele anhand einer kurzen klinischen Beschreibung, der sonografischen Charakteristika sowie des weiteren Vorgehens besprochen werden.
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Fallbericht 1: rezidivierender afebriler Harnwegsinfekt
Afebriler Harnwegsinfekt = Zystitis bei einem 4-jährigen Mädchen mit rezidivierenden, nicht fieberhaften Harnwegsinfekten, die eindeutig sind und die die Kriterien eines Harnwegsinfektes erfüllen (Leukozyturie, signifikante Bakteriurie bei pos. Monokultur, pos. Nitriturie [Cave: negativ bei Enterokokken!]). Eine Sonografie der Harnwege sollte neben der Anamnese bezüglich Trinkmenge, Obstipation, Putzrichtung und vorausgegangener Harnwegsinfekte erfolgen, auch bei rezidivierenden afebrilen Harnwegsinfekten initial einmal. Hier zeigen sich die Nieren normal, allerdings können hier auch Auffälligkeiten (Fehlbildungen, Zysten, Strukturauffälligkeiten, Lageanomalien usw.) entdeckt werden, die nicht in kausalem Zusammenhang mit den afebrilen Harnwegsinfekten stehen. Die Blase sollte bezüglich Inhalt, Volumen vor Miktion, Blasenwand und Restharnmenge beurteilt werden. Auch die umgebenden Strukturen sollten beurteilt werden, hier vor allem retrovesikal erweiterte Ureteren und das retrovesikal gelegene Rektum, was bei deutlicher Füllung und Dilatation Zeichen für eine Obstipation sein kann. Bei einer Zystitis kann sich der Urin echoreich mit Schwebeechos und Sediment darstellen, allerdings stellt ein echofreier Urin keinen Ausschluss einer Harnwegsinfektion dar. Die Blasenwanddicke im vollem Zustand beträgt hier meist > 4 mm, und die Blasenwand kann auch wellig und unregelmässig konfiguriert sein (siehe auch [1]).
Fallbericht 2: akute Pyelonephritis
Akute Pyelonephritis, erster fieberhafter Harnwegsinfekt bei einem 3 Monate alten Jungen. Hier muss immer eine Sonografie erfolgen. Schwere Fälle einer Pyelonephritis zeigen einseitig oder auch beidseitig eine diffuse Organvergrösserung mit echoreicher Rinde und prominenten echoarmen Pyramiden. Bei einer akuten Pyelonephritis zeigt sich eine deutliche Verdickung der Pyelonwand auf > 2 mm (normal ≤ 1 mm). Manchmal findet man nur einen Teil der Niere, der akut vergrössert und echoreich ist. Normalerweise handelt es sich um einzelne befallene Renkuli. Der Rest der Niere erscheint normal, nur die Pyelonverdickung deutet auf eine Pyelitis hin. Solche Veränderungen können zu Verwechselungen mit Malignomen führen. Diese fokalen Pyelonephritiden werden durch das Eindringen von Bakterien über einen pyelorenalen Reflux der Papillen verursacht. In der Blase können sich Schwebeechos befinden. Bei beidseitigen Hydronephrosen, retrovesikal erweiterten Ureteren, Restharnbildung, verdickter und trabekulierter Blasenwand sowie dilatierter proximaler Harnröhre muss beim männlichen Geschlecht an Harnröhrenklappen gedacht werden. Diese Situation erfordert weitere Diagnostik im Sinne einer Miktionszysturethrografie (MCUG). Zumeist werden diese sonografischen Auffälligkeiten aber schon pränatal bei Hydronephrose, Megaureter und dem Nachweis der proximalen Urethra-Erweiterung (key hole sign) detektiert. Diese Patienten sollten zeitnah postpartal an ein Zen-
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trum mit kindernephrologischer und urologisch-/kinderchirurgischer Expertise überwiesen und bei Bestätigung des Verdachts einer operativen Massnahme zur Abtragung von Harnröhrenklappen unterzogen werden (siehe auch [2]).
Fallbericht 3:
Abbildung 1a: Hydronephrose Grad III mit Pyelokaliektasie, intrarenaler Nierenbeckenausweitung auf 12 mm und breitem Parenchymsaum mit erhaltener Mark-Rinden-Differenzierung (Abbildung freundlicherweise
Hydronephrose mit Verdacht auf Ureterabgangs-
zur Verfügung gestellt von Dr. Bernd Erkert, Spital Thurgau)
stenose
Bereits pränatal diagnostizierte
Hydronephrose unilateral (11
mm intrarenal im Querschnitt)
bei einem 1 Monat alten Mäd-
chen, Verdacht auf Ureterab-
gangsstenose bei nicht erwei-
tertem ipsilateralem Ureter, bis
anhin keine Harnwegsinfek-
tion.
Oft haben diese Kinder bereits
einen intrauterinen Fehlbil-
Abbildung 1b: Hydronephrose Grad IV mit massiver Erweiterung des Nierenbecken-Kelch-Systems, aufgehobenen Grenzen zwischen Kelchen und Pyelon und ausgedünntem Parenchym (Abbildung freundlicherweise zur Verfügung gestellt von Dr. Bernd Erkert, Spital Thurgau)
dungsultraschall erhalten. Drei Hauptfaktoren bestimmen das Ausmass einer NierenbeckenKelch-System-Erweiterung: •Stenosegrad im ableitenden
Harnwegssystem
• Stenoselokalisation (proximale Stenose = Ureterab-
gangsstenose; distale Uretermündungsstenose, meist
aufgrund der Windkesselfunktion des Ureters gerin-
ger)
• funktionell wird das Ausmass durch die Diurese-
menge bestimmt.
Erst durch eine gewisse Diuresemenge werden man-
che Stenosen urodynamisch relevant, wohingegen an-
dere Stenosen bei unzureichender Hydrierung über-
sehen werden können. Das gilt insbesondere für die
postnatale Phase der Antidiurese. Daher sollte eine
Harntransportstörung am 5. Lebenstag sonografisch
beurteilt werden.
Die Gradeinteilung der Nierenbecken-Kelch-Dilatation
sollte aufgrund von Längs- und Querschnittsdarstellun-
gen erfolgen. Dabei werden das Nierenbecken, die Kel-
che und die Parenchymdicke beurteilt. Bei normal kon-
figurierten Kelchen, einer Parenchymdicke > 8 mm und
normaler Echogenität wird eine Nierenbeckenweite im
Querdurchmesser ≤ 12 mm von den meisten Arbeits-
gruppen/Gesellschaften für Pädiatrische Nephrologie
noch als normal beurteilt; andere setzen die Grenze be-
reits bei einer Nierenbeckenweite von ≤ 10 mm. Zu-
dem wird beurteilt, ob der Ureter auf derselben Seite
retrovesikal erweitert oder geschlängelt verläuft oder
gar bei beidseitiger Nierenbeckenerweiterung beim
männlichen Geschlecht Anzeichen für Harnröhrenklap-
pen vorhanden sind. Abhängig von diesen Werten be-
ziehungsweise bei Überschreitung der Ergebnisse
einer Szintigrafie besteht die Notwendigkeit einer Zu-
weisung zur OP-Evaluation an ein Zentrum.
Bestehen keine Anzeichen für einen höhergradigen Reflux (≥ 3°), muss keine MCUG durchgeführt werden. Hier sollten sonografische Verlaufskontrollen nach zirka 6 bis 12 Wochen beziehungsweise bei weiter stabilen Verhältnissen im Abstand von 6 bis 12 Monaten durchgeführt werden. Abhängig von der Hydronephrose muss aber eine nuklearmedizinische Verlaufsuntersuchung (MAG3-Szintigrafie) in Zusammenhang mit der Entwicklung der betroffenen Seite (Dilatation des Nierenbeckens bzw. der Kelche, Parenchymdicke) erwogen werden (siehe auch [3]). Die Abgrenzung einer hochgradigen Hydronephrose mit Parenchymsaumverschmälerung zu einer schweren multizystisch-dysplastischen Niere kann schwierig sein und lässt sich durch folgende Charakteristika abgrenzen (siehe Abbildung 1a und 1b): • Die grösste «Zyste» (= Nierenbecken) liegt zentral. • Die erweiterten Kelche zeigen eine radiäre peripel-
vine Anordnung. • Es bestehen septenartige Ausdünnungen des Par-
enchyms zwischen den Kelchen. • Darstellbare Verbindungen zwischen den Kelchen
und dem Pyelon beziehungsweise den «Zysten» lassen sich ineinander überführen.
Fallbericht 4: geringe Blasenkapazität
6 Jahre altes Mädchen mit geringer Tagestrinkmenge, immer wieder feuchten Hosen tagsüber und nächtlichem Einnässen. Das Ausmessen der vollen Blase mit normaler Blasenwand ergab ein Volumen von 90 ml. Das bestätigte sich auch in der Spontanurinportion. Retrovesikal und anamnestisch bestand kein Hinweis auf eine Obstipation. Da das Kind eine Blasensollkapazität von 210 ml ± 30 ml haben sollte, ist das für eine kleinkapazitäre Blase verdächtig. Die Patientin sollte ihre Trinkmenge steigern und ein Toilettentraining durchführen. Zudem ist im Verlauf das Spasmolytikum Oxybutynin zu erwägen.
Fallbericht 5: Hypoplasie oder Dysplasie?
2 Monate altes, gesundes Kind mit unilateraler Nierenhypo- oder dysplasie. Unter einer Nierenhypoplasie versteht man eine Niere, deren Grösse unterhalb der doppelten Standardabweichung des erwarteten Mittelwerts liegt und die keinen Hinweis für eine Dysplasie zeigt. Bei der Nierenhypoplasie zeigen sich sonografisch: • kleine Nieren • normale Echogenität der Rinde und kortikomedul-
läre Differenzierung • Reduktion der Anzahl Kelche und Pyramiden • kompensatorische Hypertrophie der Gegenseite bei
einseitiger Hypoplasie. Es muss differenzialdiagnostisch auch an pyelonephritische Verkleinerungen der Niere gedacht werden. Dahingegen stellen die Nierendysplasie oder die multizystische Nierendysplasie eine abnorme Entwicklung von Nierenrinde und -mark dar. Bei der Nierendysplasie zeigen sich sonografisch: • erhöhte Echogenität
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• fehlende oder stark reduzierte Mark-Rinden-Differenzierung
• unterschiedliche Grösse und Verteilung der Zysten • variable Nierengrösse, abhängig von der Anzahl
und Grösse der Zysten. Häufig sind dysplastische Nieren unter der 3. Perzentile und müssen dann von Schrumpfnieren abgegrenzt werden. Dysplastische Nieren können aber auch mit grossen Zysten bereits im Säuglingsalter als grosser Bauchtumor imponieren und sind häufig bereits pränatal diagnostiziert. Bei multizystischer Dysplasie sind die sonografischen Kriterien sehr variabel und wenig eindeutig: • traubenförmige Zystenkonglomerate zahlreicher,
unterschiedlich grosser Zysten oder aber auch nur eine oder wenige grosse Zysten • fehlender Parenchymsaum • lobuläre Konturen • Zysten lassen sich im Gegensatz zu einer hochgradigen Hydronephrose nicht ineinander überführen. Die Abgrenzung zu einer hochgradigen Hydronephrose mit Ureterabgangsstenose und ausgedünntem Parenchymsaum kann schwierig sein (s. oben). Gegebenenfalls ist eine Kernspintomografie oder/und Szintigrafie notwendig. Aufgrund der Genese der Dysplasien ist insbesondere die kontralaterale Seite zu beurteilen, da hier verschiedene Fehlbildungen auftreten können und diese Niere eine kompensatorische Hypertrophie (Volumetrie) zeigen sollte. Das gilt ebenso für einseitige Nierenagenesien. Hierfür sollte eine Sonografie nach der postnatalen Antidiureseperiode und regelmässig bei gutem Wachstum in grösseren Abständen durchgeführt werden. Diese Patienten sollten in Zentren betreut werden. Die operative Entfernung einer zystischdysplastischen Niere ist nicht mehr zeitgemäss, da das Risiko einer malignen Entartung geringer ist.
Fallbericht 6: Nierentumor
Ein 3 Jahre alter Junge mit Tumor in der rechten Niere. Das Nephroblastom (Wilms-Tumor) ist der häufigste embryonale Nierentumor. Er tritt meist einseitig auf, kann aber auch beidseitig vorkommen. Da ein Nierentumor häufig bei kongenitalen Fehlbildungen auftritt, sollten Kinder mit folgenden Fehlbildungen für das Auftreten eines Wilms-Tumors regelmässig überwacht werden. Hierzu gehören: WAGR-Syndrom (Wilms-Tumor, Aniridie, genitale Anomalien, mentale Retardierung), Denys-Drash-Syndrom, Neurofibromatose, Hemihypertrophiesyndrom, sporadische nicht familiäre Aniridie, Beckwith-Wiedemann-Syndrom, zerebraler Gigantismus). Die Abgrenzung eines Wilms-Tumors (Abbildung 2) von einem Neuroblastom kann schwierig sein und ist nur bei intrarenalem oder exophytischem Wachstum eindeutig. Sonografische Kriterien für den WilmsTumor: • variable Tumortextur je nach Grösse und Stadium,
meist leberähnlich • zentrale echoarme Nekroseareale, neben partiell
echoreichen Strukturen • wie beim Neuroblastom auch Verkalkungen, aber
lediglich bei 15 Prozent der Wilms-Tumore
• bei 50 Prozent der WilmsTumore kleinere zystische Anteile.
Bei grossen Tumoren können die Nieren verdrängt sein. Häufig ist die Niere beziehungsweise das Nierenbekken aufgespreizt und sitzt der Niere auf. Es kann aber auch sein, dass die Niere völlig aufgebraucht ist. Je nach Stadium bilden Wilms-Tumore Zapfen in die V. renalis beziehungsweise V. cava, was für Abbildung 2: Wilms-Tumor (Abbildung freundlicherweise zur Verfügung die Stadieneinteilung, die gestellt von Dr. R. Wolf, Kinderradiologie, Inselspital Bern) Therapie und die Prognose relevant ist. Während WilmsTumore vorwiegend die Gefässe verdrängen, verlaufen bei Neuroblastomen die Gefässe eher durch den Tumor beziehungsweise werden von diesem umschlossen. Differenzialdiagnostisch muss auch an eine Hypertrophie der Columna renalis (Bertini-Säule) gedacht werden, die im mittleren Nierendrittel lokalisiert ist.
Schlussfolgerungen
Heutzutage werden durch die pränatale Sonografie Fehlbildungen des Harntrakts häufig frühzeitig erkannt, rechtzeitig spezialisierten Zentren zugewiesen und hierdurch weitere Komplikationen vermieden. Auch aufgrund der Tatsache, dass Fehlbildungen des Harntrakts häufig sind, muss jeder Kinderarzt die Möglichkeiten der Sonografie kennen und interpretieren wie auch eine rationelle Diagnostik in sinnvollen Zeitintervallen planen können. Die Sonografie des Harntrakts soll bei Kindern immer die primäre diagnostische Methode sein, da sie ohne Schmerzen einhergeht, ubiquitär verfügbar ist und keine Strahlenbelastung darstellt.
Korrespondenzadresse: PD Dr. med. Boris Utsch Kinderarzthaus Zürich Goethestrasse 18, 8001 Zürich E-Mail: utsch@kinderarzthaus.ch und Abt. Allgemeine Pädiatrie und Jugendmedizin UKGM, Justus-Liebig-Universität Feulgenstrasse 12, D-35392 Giessen
Weiterführende Literatur: Karl-Heinz Deeg, Volker Hofmann, Peter F. Hoyer (Hrsg.): Ultraschalldiagnostik in Pädiatrie und Kinderchirurgie. Georg Thieme Verlag, Stuttgart, 2014. (s. auch Rezension auf Seite 28)
Referenzen: 1. Empfehlungen der Schweizerischen Arbeitsgruppe für pädiatrische Nephrologie (SAPN), der Pädiatrischen Infektiologiegruppe Schweiz (PIGS) und der Schweizerischen Gesellschaft für Kinderurologie (SwissPU): Diagnose und Behandlung von Harnwegsinfektionen beim Kind. Paediatrica 2013; 24 (4): 10–13. 2. Birraux J et al. Posteriore Urethralklappen. Paediatrica 2012; 23 (3): 10–12. 3. Chehade H et al. Neonatale Hydronephrose: Empfehlungen zur Betreuung in der Westschweiz. Paediatrica 2010; 21 (2): 19–22.
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