Transkript
SCHWERPUNKT
Schall und Bauch
Sonografie bei Bauchschmerzpatienten in der pädiatrischen Praxis
«Primum nil nocere» – dieses oberste medizinische Gebot gilt in besonderem Masse bei Kindern. Ihr in Entwicklung befindlicher Organismus ist besonders verletzlich und anfällig für schädigende Einflüsse. Die nachweislich unbelastenden Ultraschallwellen können direkten Einblick erlauben und werfen so Licht in manch diagnostisches Dunkel!
Von Raoul Schmid
D ie eingeschränkten Kommunikationsmittel besonders kleiner Kinder erschweren die Anamnese und die Befunderhebung manchmal stark. Die Evaluation einer Schmerzursache oder die Lokalisation eines Problems beim schreienden Säugling mit – wie könnte es anders sein? – hartem Bauch sind knifflig. Die Abklärung eines 3-Jährigen, der wütend-kurzatmig im Sprechzimmer sitzt, oder die Suche nach der Ursache für hohes Fieber mit Entzündungswerten im peripheren Blut erweisen sich in der Praxis als aufwändig und trotzdem oft unergiebig. Auch wenn damit nicht unmittelbar Schaden angerichtet wird, so empfinden die Kin-
der und ihre Eltern unsere Spurensuche mittels Palpation, Rütteln, Klopfen, Pieksen und digital-rektaler Exploration durchaus als Belästigung. Auch lösen falsche Behandlungsmassnahmen oder die vorschnelle Zuweisung auf die Notfallstation der nächstgelegenen Klinik verständlicherweise bei allen Beteiligten keine Begeisterung aus.
Die Sonografie ist eine klinische Untersuchungsmethode …
… und nicht reine Bildgebung! Eingebettet in unser vertrautes Praxissetting (Abbildung 1) und in Ergänzung von Anamnese und den übrigen Untersuchungsbefunden gibt sie je nach Situation dem Hausoder Kinderarzt zielführende Informationen. Abgelenkt und entspannt durch die Untersuchungssituation und das Gerät mit dem Fernsehbildschirm offenbaren die kleinen Patienten und ihre Angehörigen dem aufmerksamen Zuhörer nicht selten den Schlüssel zur Lösung des Problems. Geübten Sonografeuren gelingt es so oft, Verdachtsdiagnosen zu erhärten oder auszuschliessen. Mit Hilfe des Ultraschalls lassen sich aber auch Zeit und Kosten sparen. So ist die Sonografie des Abdomens in den Händen des Grundversorgers besonders wertvoll. Hinzu kommt, dass Kinder aufgrund der Sondennähe ihrer Organe und der Gewebestruktur ganz besonders gut sonografisch untersucht werden können.
Abbildung 1: Mögliches Setting: Arzt und Mutter sitzen beim Kind, ein Spielzeug oder eine Videoprojektion helfen beim Ablenken.
Sonografie beim «akuten Bauch»
Können wir uns mit den Kindern verbal verständigen, so gelingt die Eingrenzung der Beschwerden «in gegenseitiger Absprache» oft gut. Trotzdem lassen die Unterscheidung zwischen verschiedenen Schmerzcharakteristika und die genaue Lokalisation der Missempfindung Interpretationsspielraum offen. Schauen wir also hinein!
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SCHWERPUNKT
A
B
C
Abbildung 2: Akute Appendizitis: Die Appendix ist verdickt (> 6mm), die Wand ödematös; vermehrt echogenes Fettgewebe im umgebenden Mesenterium; A: längs; B: quer; C: normale Appendix im Vergleich.
AB
Abbildung 3: Lymphadenitis mesenterialis: druckschmerzhafte, vergrösserte Lymphknoten mit erhaltener Struktur und in der Dopplersonografie hoher Perfusion; A: Lymphknotenpaket im rechten Unterbauch, direkt dem Psoasmuskel anliegend; B: Lymphknoten in Mittellinie auf Nabelhöhe. AB
Abbildung 4: Ileozökale Invagination: Kokkarde im rechten Oberbauch. Im Invaginatkopf sind echoarme Lymphknoten zu erkennen; A: längs; B: quer. AB
Abbildung 5: A: Basale Pneumonie: kaudal (rechts) ist der Nieren-Oberpol «n» zu erkennen, kranial oberhalb des echofreien (schwarzen) Zwerchfells «z» findet sich ein «hepatisiertes» Lungeninfiltrat «p», daran angrenzend ein echofreier Winkelerguss von 3 mm. B: Pneumonie mit hepatisiertem Lungengewebe und sichtbarem Bronchopneumogramm und echofreiem Erguss im interkostalen Schnitt.
Appendizitis …
Klassiker unter den Ursachen für Bauchschmerzen ist sicherlich die allseits gefürchtete Appendizitis. Mit den modernen Geräten lässt sich dieses Chamäleon meist gut im Dickicht der Darmstrukturen ausmachen und beurteilen (Abbildung 2). Je nach Alter des Kindes kann eine normale Appendix in über 70 Prozent dargestellt werden. Die Spezifität und Sensitivität der Sonografie bei Appendizitis werden in der Literatur mit über 90 Prozent angegeben, und sie sind jeder anderen diagnostischen Massnahme zumindest ebenbürtig. Als Folge sinkt die Operationsrate signifikant. Der gezielte Ultraschall hat sich, ergänzend zu Anamnese und Abdominalpalpation, als wichtigste Untersuchung etabliert. In der Praxis lässt sich mit geringem Zeitaufwand die Zuverlässigkeit der primären Diagnostik erheblich verbessern.
… und Verwandte
Die Abgrenzung zur manchmal nicht minder schmerzhaften Lymphadenitis mesenterialis ist dank SonoPalpation, der Untersuchung von Druckschmerzhaftigkeit unter Sicht, problemlos möglich (Abbildung 3). Die Invagination ist besonders bei kleinen Kindern bis zum Alter von 4 Jahren gefürchtet und eine nicht nur hoch schmerzhafte Affektion, sondern auch risikobehaftet und somit ein echter Notfall. Die ileokolische Invagination ist eine sonografische Blickdiagnose (Abbildung 4) und auch ohne spezielle Ausbildung in Darmsonografie sicher zu erkennen. Hier ist die Sonografie weichenstellend für das weitere Vorgehen. An diversen Zentren wird sie zudem verwendet, um die hydrostatische Reposition zu beobachten und zu dokumentieren. Weitere akute Schmerzursachen, bei denen die Sonografie einen wesentlichen Beitrag zur initialen Diagnostik leistet, werden in folgender Auflistung ohne Anspruch auf Vollständigkeit genannt: Enteritis, Flatulenz (Blähungen sind häufig und durchaus schmerzhaft!), Harnverhaltung, Nierenaffektionen und Pneumonie (Abbildung 5). Selten, aber relevant sind natürlich der Volvulus bei Malrotation (sogenanntes «Whirlpool-Sign» um die Arteria mesenterica superior), ein Hämatokolpos bei Hymenalatresie oder eine Ovarialtorsion.
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SCHWERPUNKT
Wenn es immer wieder zwickt
Erfahrungsgemäss ist die Obstipation die häufigste Ursache für wiederkehrende, nichtfunktionelle Bauchbeschwerden. Sie lässt sich sonografisch gut darstellen und somit auch den manchmal kritischen Eltern vor Augen führen. Eine Querschnittsweite des stuhlgefüllten, retrovesikalen Rektums von > 2,4 cm gilt als hinweisend für eine Stuhlretention (Abbildung 6). Bei chronisch entzündlichen Darmerkrankungen haben die Beurteilung der Morphologie und die Messung der Dicke der Darmwände einen Stellenwert bei der Primärdiagnose, wie auch bei Verlaufsbeobachtungen. Die Sensitivität ist für Morbus Crohn (Abbildung 7) besser als bei der Colitis ulcerosa. Eine Immunenteritis, zum Beispiel bei Morbus SchoenleinHenoch, kann ebenfalls anhand der Wandverdickung ohne und, in schwereren Fällen, mit Aufhebung der Wandschichtung erkannt werden.
AB Abbildung 6: Obstipation mit Skybala hinter der dadurch eingedellten Harnblase im Längs- (A) und Querschnitt (B)
Der therapeutische Schall
Ein Schulkind klagt seit Langem immer wieder über Bauchschmerzen, ist aber dazwischen beschwerdefrei, wirkt fit und wächst perzentilengerecht. Die Eltern können auch in der Phase des «Unwohlseins» keinen wirklichen Leidensdruck erkennen, sind aber trotzdem hoch beunruhigt – was die Häufigkeit der Schmerzphasen vielleicht noch steigert. Die mehrfache klinische Untersuchung, ergänzende Blut-, Stuhlund Urinuntersuchungen haben nichts Auffälliges ergeben. Ein Behandlungsversuch mit Magnesium und Probiotika ist gescheitert, der Stuhlgang geregelt, und das Schmerzprotokoll hilft auch nicht weiter. Die Beschwerden dürfen als funktionell eingestuft werden. Doch das ist unter Umständen für den Patienten und die Angehörigen nur schwer zu akzeptieren. Eine Ultraschalluntersuchung in aller Ruhe mit Demonstration und Erläuterung aller Normalbefunde wirkt oft Wunder und erlöst alle. Kind und das ganze soziale Umfeld sind beruhigt. Schliesslich konnte man es sehen: Alles ist in Ordnung! In diesem Kontext hat die Sonografie manchmal auch einen therapeutischen Wert.
Fazit für die Praxis
Im Praxisalltag lohnt es sich, im wahrsten Sinn «genau hinzuschauen». Die Sonografie setzt zwar eine entsprechende Ausbildung und einige Übung voraus. Mit den modernen, hoch auflösenden Ultraschallgeräten kann aber bei Kindern besonders gut sichtbar gemacht werden, wonach man sucht – oder ausgeschlossen werden, was man befürchtet. Gerätetechnisch reichen die Basisgeräte neuerer Generationen mit einer genügenden Auflösung (z.B. für die Hüftsonografie verwendete Linear- und/oder Sektorsonde von 5–10 MHz) zumeist gut aus!
Abbildung 7: Morbus Crohn: Coecum im Querschnitt mit aufgelockerter, ödematös verdickter Wand und vermehrt entzündlich-echogenem umliegendem Mesenterialgewebe (Bild freundlicherweise zur Verfügung gestellt von Andreas Wegener, Chur).
Informationen zum Erwerb des Fähigkeitsausweises «Pädiatrische Sonografie» unter www.svupp.ch.
Korrespondenzadresse: Dr. med. Raoul Schmid Co-Präsident SVUPP Mitglied Hüftkommission SGUM Rigistrasse 15 6340 Baar E-Mail: raoul.schmid@bluewin.ch
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