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Atopisches Ekzem
Stadiengerechte Therapie im Kindesalter
DERMATOLOGIE
Die Therapie bei atopischem Ekzem beruht auf einem Stufenplan, der dem jeweiligen Hautzustand angepasst ist. Grundlage ist eine rückfettende Basistherapie zur Wiederherstellung der gestörten Hautbarriere und zur Behandlung der daraus resultierenden Hauttrockenheit. Im Ekzemschub erfolgt die befundadaptierte antientzündliche Therapie, in erster Linie mit topischen Glukokortikosteroiden oder Calcineurininhibitoren.
Von Birka Brauns, Michael P. Schön und Martin Mempel
Das atopische Ekzem (Neurodermitis) ist eine schubweise verlaufende entzündliche Erkrankung der Haut, deren Prävalenz im Kindesalter bei etwa 10 Prozent liegt. Die Ausprägung reicht von leichten, symptomarmen Formen mit nur begrenztem lokalen Befall über Verläufe mit regelmässigen Exazerbationsphasen bis hin zu schweren Verlaufsformen, die durch disseminierten Befall, die Notwendigkeit zu intensiver Dauertherapie und erhebliche Beeinträchtigungen im Alltag charakterisiert sind. Im Kindesalter überwiegen glücklicherweise die milden Formen. Die Ursache des atopischen Ekzems liegt in einer genetischen Disposition, die im Zusammenwirken mit einer Vielfalt individueller Auslösefaktoren das Auftreten und den Verlauf der Erkrankung bestimmt. Zu den Auslösefaktoren gehören insbesondere irritative, allergische, mikrobielle und psychische Einflüsse. Neben der Diagnostik und der Beratung hinsichtlich möglicher Provokationsfaktoren besteht die Aufgabe des behandelnden Kinder- oder Hautarztes in der Aufstellung eines individuellen Therapieplans. Die Therapie bei atopischem Ekzem basiert auf einem Stufenplan, der dem jeweiligen Hautzustand angepasst ist (Tabelle 1) (1–4). Grundsätzlich wird zwischen einer Basistherapie zur Behandlung der gestörten Hautbarrierefunktion und der daraus resultierenden Hauttrockenheit und spezifischen Lokal- und Systemtherapien zur Behandlung bei akutem oder chronischem Ekzem unterschieden.
Basistherapie
Das wesentliche Prinzip der Basistherapie (Stufe 1) ist die Zufuhr von Lipiden, deren Zusammensetzung in der Haut von Neurodermitispatienten gestört ist. Durch die gestörte epidermale Barrierefunktion ist die Haut des Neurodermitispatienten empfindlicher ge-
genüber irritativ oder immunologisch wirkenden Einflüssen, und zwar insbesondere in den befallenen, aber auch in den unbefallenen Hautarealen. Daher sollte die Basistherapie mindestens zweimal täglich am gesamten Körper erfolgen. Bei der Auswahl der Basistherapeutika muss der aktuelle Hautzustand berücksichtigt werden. Grundsätzlich gilt, dass bei sehr trockener Haut fettige Grundlagen gewählt werden sollten. Die rückfettende Wirkung kann durch Anlegen fettfeuchter Salbenverbände oder Zusatz von Glyzerin noch intensiviert werden. In den Hautfalten, bei stärkerer akuter Entzündung und auch während der Sommermonate sollten wässrige Zubereitungen bevorzugt werden. Harnstoffhaltige Präparate werden im Kindesalter aufgrund brennender Irritation häufig nicht toleriert und sollten daher allenfalls in niedriger Konzentration von 1 bis 3 Prozent verwendet werden. Neben der Hautreinigung mit milden Seifen oder Syndets sind ein- bis zweimal pro Woche rückfettende Ölbäder zu empfehlen.
Wesentliches für die Praxis
• Die Therapie bei atopischem Ekzem beruht auf einem Stufenplan, der dem jeweiligen Hautzustand angepasst ist.
• Grundlage der Therapie ist eine rückfettende Basistherapie zur Wiederherstellung der gestörten Hautbarriere und zur Behandlung der daraus resultierenden Hauttrockenheit.
• Im Ekzemschub erfolgt die befundadaptierte antientzündliche Therapie in erster Linie mit topischen Glukokortikosteroiden oder Calcineurininhibitoren.
• UV-Therapie und systemische Therapien stellen im Kindesalter eine Ausnahme dar. • Bei chronischer oder chronisch rezidivierender Neurodermitis ist für Eltern und be-
troffene Kinder die Teilnahme an einer Neurodermitisschulung empfehlenswert.
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DERMATOLOGIE
Topische Glukokortikosteroide
Bei leichten Ekzemschüben (Stufe 2) wird die Basistherapie um topische Glukokortikosteroide der Klasse 1 (Hydrocortison, Prednisolon) oder 2 (Triamcinolonacetonid, Fluticasonpropionat) ergänzt. Bei mittelschwerem Ekzemschub (Stufe 3) wird zu Glukokortikosteroiden der Klasse 3 (Betamethasonvalerat, Mometasonfuroat) gegriffen, die im Kindesalter jedoch nur in Ausnahmefällen eingesetzt werden. Grundsätzlich sollten Kortikosteroide bevorzugt werden, bei denen die erwünschten Wirkungen im Verhältnis zu den unerwünschten deutlich überwiegen. Ein solch günstiger therapeutischer Index ist für Hydrocortisonbutyrat, Mometasonfuroat, Methylprednisolonaceponat und Prednicarbat bekannt (5). Mögliche Nebenwirkungen topischer Glukokortikosteroidanwendung sind Hautatrophie, Hautinfektionen, Teleangiektasien, Striae distensae und seltener Kontaktallergien gegen Glukokortikosteroide. Systemische Nebenwirkungen sind bei kurzzeitiger Anwendung extrem selten, das Risiko ist aber bei der Anwendung in Regionen mit hohem Resorptionsindex erhöht (Hautfalten, Gesicht, Genitalbereich und bei Kindern auch das Capillitium). Die Behandlung im Schub sollte je nach Schwere des Ekzems ausschleichend über ein bis zwei Wochen erfolgen. Ein abruptes Absetzen ist wegen der Gefahr eines wiederaufflammenden Ekzems ebenso wie eine langfristige Anwendung zu vermeiden. Zur Rückfallprophylaxe kann jedoch unter Umständen eine intermittierende Glukokortikosteroidapplikation (etwa 1 x/Woche) sinnvoll sein, um die Schubhäufigkeit und damit den Gesamtbedarf an Kortikosteroid zu reduzieren (6).
Topische Calcineurininhibitoren
Ab dem zweiten Lebensjahr stellen topische Calcineurininhibitoren eine Alternative und sinnvolle Ergänzung der spezifischen Neurodermitistherapie dar. Derzeit stehen zwei topische Calcineurininhibitoren zur Verfügung, nämlich Pimecrolimus (Elidel®) und das etwas stärker wirkende Tacrolimus (Protopic®). Ähnlich wie das Ciclosporin A wirken sie über die Hemmung der Calcineurinphosphatase und hemmen damit die Transkription zahlreicher proinflammatorischer Zytokine in T-Lymphozyten und Mastzellen. Ein Vorteil dieser Substanzgruppe besteht darin, dass sie im Gegensatz zur Glukokortikosteroiden die Proliferation von Keratinozyten und Fibroblasten nicht hemmt, sodass auch bei längerer Anwendung keine Hautatrophie auftritt (7). Dadurch ist sie insbesondere für die intertriginösen Areale und das Gesicht gut geeignet. Die Anwendung erfolgt im Ekzemschub analog zu den Kortikosteroiden ausschleichend von zweimal täglich über einmal täglich bis zur zweiwöchentlichen Intervalltherapie, die als sogenannte «proaktive» Therapie über längere Zeit fortgesetzt werden kann. Häufigste Nebenwirkung ist ein vorübergehend auftretendes Brennen an der Applikationsstelle. Für Verunsicherung sorgte 2006 die amerikanische Zulassungsbehörde Food and Drug Administration (FDA), die aufgrund der fehlenden Langzeiterfahrungen vor einem möglicherweise erhöhten Risiko warnte, an Hautkrebs oder Lymphomen zu erkranken. Bis anhin konnte jedoch für keine der beiden Substanzen ein erhöhtes Malignomrisiko nachgewiesen werden (8). Aufgrund der im Tierexperiment beobachteten erhöhten Lichtempfindlichkeit und der Tatsache, dass die systemische Applikation die Entstehung lichtinduzierter Tumoren begünstigt, wird empfohlen, eine übermässige UV-Exposition während einer Behandlung mit topischen Calcineurininhibitoren zu vermeiden, auch wenn bis anhin keine eindeutigen Hinweise auf eine Fotokarzinogenität nach topischer Applikation bestehen.
Tabelle: Stufenplan des atopischen Ekzems
Stufe 1 Stufe 2
Stufe 3 Stufe 4
trockene Haut leichtes Ekzem
moderates Ekzem
persistierendes, schwer ausgeprägtes Ekzem
Topische Basistherapie: Hydratation der Haut, Emollienzien, Vermeidung oder Reduktion von Provokationsfaktoren Erforderliche Massnahmen der Stufe 1 plus antipruriginöse/antiseptische Wirkstoffe, topische Glukokortikosteroide der Klassen 1 und 2 und/oder topische Calcineurininhibitoren (ab 2. Lebensjahr) Erforderliche Massnahmen der Stufen 1 und 2 plus topische Glukokortikoide der Klassen 2 und 3 und/oder topische Calcineurininhibitoren Erforderliche Massnahmen der Stufen 1, 2 und 3 plus systemische immunmodulierende Therapie (z.B. Ciclosporin A)
(nach [4])
Antimikrobielle Therapie
Auf der Haut von Neurodermitispatienten lässt sich eine grosse Dichte an bakterieller und anderweitiger mikrobieller Besiedlung nachweisen. So ist die Haut in bis zu 90 Prozent der Fälle mit Staphylococcus aureus besiedelt, was zu einer Verschlechterung des Hautbefundes führen kann (9). Durch Einleitung einer antiinflammatorischen Therapie mit Verbesserung des Ekzems ist grundsätzlich auch ein Rückgang der mikrobiellen Besiedlung zu verzeichnen. Ab Stufe 2 können zusätzlich antiseptische Lokaltherapeutika eingesetzt werden. Geeignete Substanzen sind beispielsweise Triclosan, Octenidin oder Farbstoffe (beispielsweise Gentianaviolettlösung 0,25– 0,5%). Durch ihren austrocknenden Effekt können Farbstoffe auch gut auf akut nässenden Ekzemherden angewendet werden, allerdings muss auf die Abfärbung auf Haut und Textilien hingewiesen werden. Seit einigen Jahren steht für Patienten mit disseminiertem Befall und bakterieller Superinfektion silberbeschichtete Kleidung zur Verfügung, eine nicht ganz preisgünstige antiseptische Behandlungsmöglichkeit.
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DERMATOLOGIE
Topische Antibiotika sollten wegen der Gefahr einer Resistenzentwicklung und einer Kontaktsensibilisierung nur in Ausnahmefällen nach Ausschöpfung lokal antiseptischer Massnahmen zum Einsatz kommen. Eine systemische Antibiotikatherapie ist nur sehr selten und bei allgemeinen klinischen Zeichen der Infektion angezeigt.
Antipruriginöse Therapie
Eines der führenden Symptome des atopischen Ekzems ist der Juckreiz. Neben der antipruriginösen Wirkung der Glukokortikosteroide und Calcineurininhibitoren kann Polidocanol (Pruri-med®) hilfreich sein. Antipruriginöse Lokaltherapeutika auf der Basis von Eichenrinde oder synthetischen Gerbstoffen (Tannosynt®) haben durch ihren adstringierenden Effekt zusätzlich eine austrocknende und antientzündliche Wirkung. Sie haben sich insbesondere als Sitzbäder bei perianalem oder genitalem Ekzem und dyshidrosiformem Handekzem bewährt. Zur Juckreizreduktion können auch im Kindesalter orale Antihistaminika mit H1-Rezeptor-blockierender Wirkung eingesetzt werden. Unterschieden wird zwischen älteren, gleichzeitig sedierenden Präparaten wie Dimetinden (Feniallerg®), Clemastin (Tavegyl®) und neueren, wenig bis gar nicht sedierenden Präparaten wie Cetirizin (Zyrtec® und Generika), Fexofenadin (Telfast® und Generika), Levocetirizin (Xyzal® und Generika) und Desloratadin (Aerius® und Generika). Insbesondere bei durch Juckreiz beeinträchtigtem Nachtschlaf kann die sedierende Wirkung der älteren Antihistamika bei abendlicher Gabe therapeutisch genutzt werden. Eine direkte therapeutische Wirkung auf das atopische Ekzem ist für Antihistaminika nicht beschrieben. Topische Antihistaminika spielen bei der Neurodermitistherapie keine Rolle.
UV-Therapie
Die im Erwachsenenalter etablierte UV-Therapie sollte im Kindesalter wegen des fotokanzerogenen Risikos, vorzeitiger Hautalterung und des erhöhten Risikos eines Eczema herpeticatum nur in Ausnahmefällen und möglichst nicht vor dem 12. Lebensjahr durchgeführt werden. Zu bevorzugen ist UV-B. Die UV-Therapie kann mit topischer Glukokortikosteroidtherapie kombiniert werden.
Systemische immunsuppressive Therapie
Die bei schwer ausgeprägtem Ekzem im Erwachsenenalter zur Anwendung kommenden systemischen Immunsuppressiva wie Ciclosporin A, Azathioprin und Methotrexat (Stufe 4) sind im Kindesalter nicht zugelassen. Während für die meisten Immunsuppressiva keine Studien mit Kindern existieren, ist Ciclosporin A für Kinder bei schwerer therapieresistenter Neurodermitis eine mögliche Off-label-Therapieoption (10). Aufgrund des Nebenwirkungsprofils (Hypertonie, Kopfschmerzen, gastrointestinale Nebenwirkungen, Fotokarzinogenität) sollte die Anwendung grundsätzlich auf maximal zwei Jahre beschränkt werden. Die kurzzeitige systemische Applikation von Glukokortikosteroiden ist Ausnahmefällen vorbehal-
ten, während die längerfristige Gabe angesichts der therapeutischen Alternativen obsolet ist.
Psychosomatische Therapie, Schulungsmassnahmen und Klimatherapie
Das atopische Ekzem ist primär eine Hauterkrankung, die aber durch psychische Einflüsse wie Stress oder Konflikte verschlechtert werden kann. Ausserdem können die Krankheit selbst sowie ihre sozialen Auswirkungen erhebliche psychische Probleme bereiten. Bei Säuglingen und Kleinkindern stehen organische Ursachen klar im Vordergrund. Im weiteren Verlauf kann jedoch eine spezielle psychosomatische Beratung und Verhaltenstherapie sinnvoll sein. Schulungen für Eltern und Kinder bietet beispielsweise das Schweizer Allergiezentrum «aha!» an (www.aha.ch). Unter Klimatherapie versteht man komplexe medizinische Massnahmen an Orten mit besonderen klimatischen Bedingungen. Sie findet vor allem im Rahmen einer medizinischen stationären Rehabilitationsmassnahme Anwendung. Für das atopische Ekzem sind insbesondere die Nordseeinseln und das Hochgebirge geeignet. Die Dauer einer medizinischen Intervention sollte mindestens vier Wochen betragen.
Korrespondenzadresse: Dr. med. Birka Brauns Klinik für Dermatologie, Venerologie und Allergologie Georg-August-Universität Göttingen Robert-Koch-Strasse 40 D-37075 Göttingen E-Mail: b.brauns@med.uni-goettingen.de
Dieser Artikel erschien zuerst in der Zeitschrift «Kinderärztliche Praxis» 5/2013. Die Übernahme erfolgt mit freundlicher Genehmigung von Verlag und Autorin. Die Angaben zu Medikamenten und Schulungsadressen in der Schweiz wurden von der Redaktion PÄDIATRIE angepasst und ergänzt.
Literatur: 1. Ring J: Neurodermitis – atopisches Ekzem. Georg Thieme Verlag KG, Stuttgart 2012. 2. Ring J et al. Guidelines for treatment of atopic eczema (atopic dermatitis) Part I. J Eur Acad Dermatol Venereol 2012; 26 (8): 1045–1060. 3. Ring J et al. Guidelines for treatment of atopic eczema (atopic dermatitis) Part II. J Eur Acad Dermatol Venereol 2012; 26 (9): 1176–1193. 4. Werfel T et al. Neurodermitis S2-Leitlinie. J Dtsch Dermatol Ges 2012; 7: 1–46. 5. Luger TA et al. Topische Dermatotherapie mit Glukokortikosteroiden – therapeutischer Index. J Dtsch Dermatol Ges 2004; 2 (7): 629–634. 6. Berth-Jones J et al. Twice weekly fluticasone propionate added to emollient maintenance treatment to reduce risk of relapse in atopic dermatitis: Randomised, double blind, parallel group study. BMJ 2003; 326 (7403): 1367–1370. 7. Reitamo S et al. Tacrolimus ointment does not affect collagen synthesis results of a single-center randomized trial. J Invest Dermatol 1998; 111: 396–398. 8. Arellano FM et al. Risk of lymphoma following exposure to calcineurin Inhibitores and topical steroids in patients with atopic dermatitis. J Invest Dermatol 2007; 127: 808–816. 9. Breuer K et al. Bacterial infections and atopic dermatitis. Allergy 2001; 56 (11): 1034–1041. 10. Harper JI J et al. Cyclosporin for severe childhood atopic dermatitis: short course versus continous theapy. Br J Dermatol 2000; 142 (1): 52–58.
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