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Laparoskopie im Kindesalter
Vor- und Nachteile der «Minimal Access Surgery (MAS)»
Dieser subjektive Artikel soll die möglichen Vorteile sowie die Herausforderungen der minimalinvasiven Kinderchirurgie kritisch beleuchten. Minimalinvasive Methoden bieten Vorteile, jedoch sind diese weniger bedeutend, je kleiner und jünger das zu operierende Kind ist.
Von Stefan Holland-Cunz
L aparoskopische Methoden bieten für das Kindesalter neben den offensichtlich kleineren Inzisionen weitere Vorteile wie ein reduziertes Infektionsrisiko, präzisere chirurgische Präparation, eine mögliche Kostenreduktion durch verkürzte stationäre Nachsorge und letztlich eine bessere Dokumentation des jeweiligen Eingriffes. Es ist jedoch festzustellen, dass diese Vorteile in der Gegenüberstellung mit den Kriterien von Sicherheit und Qualität umso weniger Bedeutung erlangen, je kleiner und jünger das zu operierende Kind ist. «Minimalinvasiv» suggeriert einen minder schweren Eingriff, was der Sache in der Realität nicht gerecht wird. Auch der Begriff Schlüssellochoperationen trifft im Grunde nicht zu. Er suggeriert etwas Geheimes, Verborgenes und steht damit im Widerspruch zu der verbesserten Darstellbarkeit schwer zugänglicher Regionen. Die treffendste Bezeichnung der laparo-/ thorakoskopischen Techniken findet sich im englischen «Minimal Access Surgery (MAS)», da sie den wesentlichen Unterschied zur offenen Chirurgie beschreibt, ohne das Verfahren bereits durch eine intentiöse Betitelung zu werten.
Licht – mehr Licht!
Diese vermeintlichen berühmten letzten Worte Goethes hört man auch immer wieder aus dem Munde angespannter Chirurgen, die schwer zugängliche Regionen nicht gut ausgeleuchtet bekommen. Mithilfe der Glasfasertechnologie ist es möglich, auch in die düstersten Operationsgebiete das hellste Licht zu bringen und somit Präparationen zu ermöglichen, die im offenen Verfahren nicht möglich sind. Der Kinderchirurg ist es seit je gewohnt, durch kleinste Zugänge grosse und komplexe Operationen durchzuführen und sich auf wahrlich engstem Raum zu bewegen.
Entwicklung der Laparoskopie
Der ausgesprochen innovative Kinderchirurg Stephen L. Gans hat die Peritoneoskopie zu diagnostischen Zwecken im Kindesalter bereits 1973 zum ersten Mal beschrieben (1) – weit vor der ersten laparoskopisch durchgeführten Operation bei einem Erwachsenen (2). Die Kinderchirurgie war in der Folge jedoch nicht an der Entwicklung der notwendigen Geräte und Instrumente während der ersten Generation der sogenannten minimalinvasiven Technik beteiligt, da der augenscheinliche Vorteil der kleineren und somit schonenderen Zugänge nicht so deutlich auf der Hand lag wie bei der Chirurgie an erwachsenen Patienten. Die neue Operationstechnik bewirkte eine Revolution in der Chirurgie bei Erwachsenen, und im Nachgang konnten im Kindesalter eher seltene Eingriffe, wie die laparoskopische Cholezystektomie, direkt in das technische Repertoire der Kinderchirurgen übernommen werden. Gegen Ende des vergangenen Jahrhunderts passten kinderchirurgische Pioniere die rasend schnell Verbreitung findende technische Alternative zur herkömmlichen offenen Chirurgie an die kindlichen Verhältnisse an. Nur wenige Instrumentenhersteller hatten den Mut, sich diesem Segment zu öffnen und bei der zu erwartenden kleinen Stückzahl dennoch in die Entwicklung dieser bis zu lediglich 2 mm durchmessenden Arbeitsgeräte zu investieren. Es wurden immer kleinere, zartere Instrumente entwickelt, Erfahrungen mit den notwendigen Druckverhältnissen, den verträglichen Insufflationsgasen und allgemeinen systemischen Auswirkungen der beschönigend als minimalinvasiv betitelten Techniken gemacht. Während der in der pädiatrischen MAS sehr produktiven Neunzigerjahre waren immer neue Videosequenzen auf den Kongressen zu bewundern, mit denen dargestellt wurde, dass diese Operationen «feasable»,
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Die MAS ist eine technische Alternative etablierter OP-Verfahren.
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Ein Vorteil der MAS ist die Kombination diagnostischer und therapeutischer Möglichkeiten.
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also machbar, sind. Ausserordentlich geschickte und beherzte Operateure führten so ganze Serien von erstmaligen laparoskopischen oder thorakoskopischen Eingriffen durch und machten diese nicht selten einmaligen Erfolge publik.
Expertise ersetzt Evidenz
Es stellt sich bei beinahe allen Operationen im Kindesalter das Problem, dass die grossen Fallzahlen bei seltenen angeborenen Abweichungen nicht existieren und somit der prospektive, randomisierte vergleichende Studienansatz ethisch nicht mehr vertretbar ist, sobald sich eine Technik innerhalb der überschaubaren internationalen Community der Kinderchirurgie verbreitet hat. Somit wurden bis heute häufig Gelegenheiten verpasst, wirkliche Evidenz zu den Voroder Nachteilen neuer Techniken im Vergleich zum etablierten offenen Verfahren zu generieren. Darum gibt es nur wenige Krankheitsbilder in der Kinderchirurgie, bei denen auf eine entsprechende Studienlage zurückzugreifen ist. Trotzdem wird die Chirurgie der minimalen Zugänge für das Kindesalter mittlerweile flächendeckend angeboten. Sie ist nicht mehr so kostenintensiv wie noch vor einigen Jahren, und es wird auch in strukturschwächeren Gesundheitssystemen ausgesprochen häufig und selbstverständlich solcherart operiert (3). Ein Leitgedanke für den Chirurgen, der sich in diese Techniken einarbeiten möchte, sollte sein, dass es sich eben nur um eine technische Alternative etablierter OPVerfahren handelt und nicht um eine Alternative zum chirurgischen Umgang mit den anatomischen Verhältnissen. Zum Beispiel muss bei einer Ösophagusatresie analog zum offenen Vorgehen die ösophagotracheale Fistel aufgehoben und eine End-zu-End-Anastomose beider Ösophagusenden in Einzelknopftechnik ganzwandig gefertigt werden. Der Unterschied liegt in dem transpleuralen Zugang bei der thorakoskopischen Technik im Vergleich zum extrapleuralen Zugang beim offenen Verfahren, aber die eigentlichen rekonstruktiven Schritte sind identisch. Selbstverständlich lässt sich trefflich über Vor- und Nachteile beider Verfahren streiten, doch in der Argumentation bleiben die Chirurgen abhängig von ihrer subjektiven Erfahrung. Bei der Seltenheit der notwendigen Operationen und der sehr unterschiedlichen interindividuellen Situationen kann keine objektivere Evidenz erhoben werden. Hieraus hat sich als Minimalanspruch an die MAS abgeleitet, dass die Ergebnisse mindestens so gut sein müssen wie nach offenen Standardoperationen und dass MAS-Techniken sicher für den Patienten sein müssen. Als Erfolgskriterium wird unter anderem die Konversionsrate ermittelt, also in wie vielen Fällen die MAS-Technik abgebrochen und offen weiteroperiert werden muss. Heute jedoch sollte die Konversion als Bestätigung der Sicherheitsansprüche des Operateurs gedeutet werden und nicht als Versagensrate. Schliesslich profitiert der kleine Patient wesentlich mehr von einem blutungsarmen, raschen Eingriff als von einem teuer erkauften kosmetischen Vorteil. Hat der Chirurg den Ehrgeiz aufgegeben, unbedingt die MAS von Beginn
bis zum Ende einer Operation durchzusetzen, eröffnet sich ihm eine Vielzahl von kreativen Optionen in kombinierten Verfahren. Es lassen sich in bestimmten Situationen anatomische Verhältnisse sehr viel leichter und rascher über die MAS darstellen und präparieren, das Absetzen oder das Bergen der vorbereiteten Resektate kann aber offen wesentlich schneller und vor allem sicherer sein.
Laparoskopische Appendektomie ist Standard
Die häufig diskutierte Weiterbildungsfrage hat sich erübrigt, da bereits die zweite Generation von Kinderchirurgen mit MAS-Techniken aufwächst. Diese Kollegen haben durchweg die Appendektomie als MASEingriff erlernt und wenden diesen in ihrem Alltag als Standardtechnik souverän und geübt an. Durch diesen Wandel ist keinerlei Qualitätsdefizit zu beobachten, im Gegenteil konnten durch die so ermöglichten Fast-Track-Konzepte Liegezeiten, Nüchternzeiten und Antibiotikagaben sowie Schmerzmittelbedarf reduziert werden. Esposito et al. (4) haben in ihrer Literaturrecherche im Vergleich der Resultate zwischen offener und laparoskopischer Appendektomie (LA) klare Vorteile der LA bestätigt. Sie schliessen daraus Folgendes: Wenn ein Kind in ein Spital aufgenommen wird, an welchem keine LA angeboten wird, sollen dort Antibiose und Analgesie initiiert und das Kind an eine Kinderchirurgie zur LA verlegt werden. Selbstverständlich gilt es, diesen essenziellen Weiterbildungsinhalt zu strukturieren, zu vermitteln und zu überprüfen. Die Kommissionen der Fachgesellschaften können hier auf eine seriöse Studienlage bezüglich Training und Kenntniserwerb von MAS-Techniken zugreifen.
Pädiatrische MAS-Operationen
Mittlerweile sind die Druckverhältnisse während der MAS-Eingriffe so angepasst, dass die Techniken bei Neu- und Frühgeborenen beinahe unabhängig vom Körpergewicht sicher eingesetzt werden können. Ein grosser Vorteil laparoskopischer Eingriffe ist die Kombination aus diagnostischen und therapeutischen Möglichkeiten. So kann zum Beispiel beim Verdacht auf eine akute Appendizitis mittels der Skopie ein Meckel-Divertikel oder eine Ursache vom inneren weiblichen Genital ausgehend dargestellt werden. Diese Regionen sind beim offenen Verfahren und kleinem Zugang nicht zu visualisieren. Es gibt sehr interessante Berichte einzelner Arbeitsgruppen, die in den frühen Zweitausenderjahren bestimmte skopische Operationen durchführten, aber aufgrund inakzeptabel hoher Komplikationsraten davor warnten, diese Eingriffe als MAS-Technik standardisiert einzuführen. Einige Jahre später wurden von denselben Arbeitsgruppen wesentlich bessere Ergebnisse publiziert, mit deutlich geringerer Komplikationsquote. Beispiele für solche ergebnisverbessernden Modifikationen aus einzelnen Zentren sind MAS-Operationen bei Duodenalatresiekorrekturen, Kasai-Operationen oder auch der Zwerchfellhernienverschluss (5). Der Anspruch in der MAS für das Kindesalter umfasst neben dem Erreichen der oben erwähnten Vorteile
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auch die Weiterentwicklung und die Etablierung neuer Techniken. So wird die «Single Port Laparoscopic Surgery (SILS)», 2009 von Ponsky et al. publiziert, auch im Kindesalter eingesetzt. Es wird bei dieser Technik mit mehreren Instrumenten und einer Optik über einen einzelnen Nabelzugang operiert. Eine weitere Entwicklung der allgemeinen Erwachsenenchirurgie ist die «Natural Orifice Translumial Endoscopic Surgery (NOTES)», bei der keine Narbe auf der Bauchdecke zurückbleibt, da der Zugang in die peritoneale Höhle über den Magen, das Rektum oder die Vagina gelegt wird. Bis anhin hat diese Technik unter Kinderchirurgen keine weite Verbreitung gefunden, aber es sind bereits sehr interessante Technikvarianten für die kolorektale Präparation bei M. Hirschsprung im Kindesalter beschrieben worden. Nachfolgend wichtige Aspekte zu einigen pädiatrischen Operationsentitäten bezüglich MAS: Leistenhernie Leicht erhöhte Rezidivquote bei der laparoskopischen Technik, aber unbestrittener Vorteil der Exploration der Gegenseite; simultaner Verschluss beidseitiger Hernien laparoskopisch möglich. Appendektomie: Keine Kontraindikationen für die laparoskopische Appendektomie mehr (insbesondere generalisierte Peritonitis und Perforata haben kein verfahrensabhängig unterschiedliches Resultat); grosser diagnostischer Vorteil durch die Inspektion der gesamten Peritonealhöhle. Fundoplikation: Grosser Vorteil beim Vergleich der Grösse des Zugangs. Die laparoskopische Antirefluxchirurgie ist der unangefochtene Standard auch im Kindesalter. In der initialen Phase der pädiatrischen laparoskopischen Fundoplikation waren unter anderem schwere Skoliosen, aber auch das Vorliegen einer Gastrostomie Kontraindikationen. Dies gilt in Abhängigkeit der Erfahrung des Chirurgen nicht mehr. Pyloromytomie: Die laparoskopische Pyloromyotomie ist der Literatur nach die Technik der Wahl. Die supraumbilikale offene Technik, die beinahe narbenfrei durchgeführt werden kann, im Gegensatz zu zwei zusätzlichen 3-mm-Zugängen im Oberbauch bei der laparoskopischen Technik, ist kosmetisch eher überlegen, aber man muss den Pylorus im offenen Verfahren recht grob vor die Bauchdecke verlagern; im Gegensatz zur laparoskopischen Inzision des Pylorus ohne intraperitoneale Mobilisierung. Ösophagusatresie und Zwerchfellhernie: Thorakoskopische Eingriffe beim Neugeborenen sind technisch sehr anspruchsvoll und komplikationsträchtig. In den Händen einzelner erfahrener Chirurgen können diese auch offen als komplex einzustufenden Operationen durchaus in MAS-Techniken, jedoch bei gleicher Qualität ungeachtet der Technik, angeboten werden. Die Operationen sind an europäischen kinderchirurgischen Zentren aufgrund der pränatalen Diagnostik und der Möglichkeit zum Abbruch der Schwangerschaft mittlerweile selten. Somit ist es schwierig, diese thorakoskopischen seltenen, aber technisch anspruchsvollen Operationen, von deren Erfolg der Ver-
lauf für das gesamte Leben des Patienten abhängig ist, zu lehren und auf mehrere Experten pro Zentrum zu verteilen. Morbus Hirschsprung: Die chirurgische Therapie bei M. Hirschsprung hat sich rasant entwickelt, von dem Vergleich diverser offener Verfahren zur Anpassung der MAS-Techniken an die etablierten offenen Verfahren bis hin zur rein transanalen, stomafreien Rektosigmoidresektion. Beim längerstreckigen aganglionären Segment ist die Kombination aus transanaler Resektion und laparoskopischer intraperitonealer Skelettierung und Biopsie eine ideale Kombination beider Techniken. Es gibt zahlreiche weitere Indikationen im viszeralchirurgischen sowie im urologischen Spektrum, für die sich die MAS im Kindesalter durchgesetzt hat. Die Diskussion zu den entsprechenden krankheitsspezifischen chirurgischen Techniken wird vor allem anlässlich der Fachkongresse anhand kleiner Fallserien und Kasuistiken geführt.
Schlussfolgerungen
Die chirurgischen Techniken befinden sich in beständiger Weiterentwicklung, und die Reihenfolge der eigentlichen Innovation bei den Erwachsenen und der darauf folgenden Anpassung an das Kindesalter ist unter dem Aspekt der grössten möglichen Sicherheit für die kleinen Patienten gerechtfertigt. Dies ist ebenfalls auf die einzelnen Institutionen übertragbar, an denen Kinder operiert werden. Wenn dort eine häufig geübte offene Technik bisher exzellente Ergebnisse lieferte, muss sich die Einführung von MAS-Techniken diesen Ergebnissen stellen. Es darf kein erhöhtes Komplikationsrisiko aus werbetechnischen oder individuellem Ehrgeiz in Kauf genommen werden! Den Eltern der zu operierenden Patienten müssen die eigene Erfahrung, sowie das zur Verfügung stehende technische Repertoire des Chirurgen ehrlich und umfassend dargestellt werden. Ist es nicht möglich, eine komplexe Operation in MAS-Technik anzubieten, aber bekannt, dass dies andernorts mit guten Ergebnissen realisierbar ist, hat man das den verantwortlichen Eltern im Rahmen der vorbereitenden Aufklärungsgespräche mitzuteilen. Für den einzelnen Kinderchirurgen ist es in der zeitgemässen Komplexität und Spezialisierung nicht mehr möglich, das komplette kinderchirurgische Operationsspektrum sowohl offen als auch in MAS-Technik auf jeweils höchstem Niveau zu beherrschen. So werden sich im Rahmen der zunehmenden Zentralisierung Spezialeinheiten für MAS-Techniken im Kindesalter etablieren und zugleich die häufigen, weniger schwierigen MAS-Eingriffe flächendeckend angeboten werden.
Korrespondenzadresse: Prof. Dr. med. Stefan Holland-Cunz Chefarzt Kinderchirurgie Universitätskinderspital beider Basel UKBB Spitalstrasse 33 4056 Basel E-Mail: stefan.holland-cunz@ukbb.ch
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MAS um jeden Preis ist nicht gerechtfertigt.
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Literatur: 1. Gans SL, Berci G. Peritoneoscopy in infants and children. J Pediatr Surg 1973; 8: 399– 405. 2. Mühe E. Die erste Cholecystektomie durch das Laparaskop. Vortrag am 103. Kongress der Deutschen Gesellschaft für Chirurgie, München, 23.-26 April 1986; zitiert in: G. S. Litynski E. Mühe and the rejection of laparoscopic cholecystectomy (1985): a surgeon ahead of his time. JSLS 1998; 2(4): 341–346. 3. Gupta AR Gupta R, Jadhev V, Sanghvi B, Shah HS, Parelkar SV. Minimal access surgery in children: an initial experience of 28 months. Afr J Paediatr Surg 2009; 6 (2): 93–97. 4. Esposito C, Calvo AI, Castagnetti M, Alicchio F, Suarez C, Giurin I, Settimi A. Open versus laparoscopic appendectomy in the pediatric population: A Literature review and analysis of complications; J of Laparoendoscopic and Adv Surgical Techn 2012; 22 (8): 834–839. 5. Blinman T, Ponsky T. Pediatric minimally invasive surgery: Laparoscopy and thoracoscopy in infants and children. Pediatrics 2012; 130 (3): 539–549.
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