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SCHWERPUNKT
Kinderchirurgie
Aktuelle Möglichkeiten, Chancen und Grenzen
Während in vielen Gebieten der allgemeinen Kinderchirurgie ein Trend zu minimalinvasiven Verfahren, kurzen Verweildauern und ambulanter Behandlung zu beobachten ist, haben sich für die Korrekturen der angeborenen Fehlbildungen Standardoperationen durchgesetzt, die mit besseren funktionellen Ergebnissen verbunden sind als frühere Verfahren. Diese Übersichtsarbeit geht auf die wichtigsten Entwicklungen der allgemeinen und viszeralen Kinderchirurgie ein sowie auf die Frage, welche Vorausetzungen eine gute Kinderchirurgie ausmachen.
Von Steffen Berger und Andreas Bartenstein
Ambulante Operationen machen an den Kliniken 30 bis 40 Prozent der Eingriffe aus.
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Im Bereich der allgemeinen Kinderchirurgie kann ein grosser Teil der häufigen Eingriffe inzwischen ambulant gemacht werden. Trotzdem sind diese Operationen nicht banal und geben durchaus Anlass zu Diskussionen. Die untere Alterslimite für die ambulante Durchführung einer Narkose und Operation wird von den meisten Häusern bei 3 bis 6 Monaten angesetzt, ein sonst gesundes und termingeborenes Kind vorausgesetzt. Die Neugeborenenchirurgie bleibt damit den Kliniken vorbehalten, die auch eine spezialisierte Kinderanästhesie und eine Kinderintensivstation aufweisen können. Im stark wachsenden ambulanten Bereich der Kinderchirurgie operiert die Mehrzahl der niedergelassenen Kinderchirurgen in einer Belegklinik. Nur wenige Praxen verfügen über einen eigenen OP-Bereich. Fast alle kinderchirurgischen Kliniken und Abteilungen bieten auch einen ambulanten tagesklinischen Service an. Die ambulanten Operationen machen an den Kliniken inzwischen zirka 30 bis 40 Prozent der Eingriffe aus. Viele Eingriffe der ambulanten Kinderchirurgie sind selbst im Rahmen einer Belegarztpraxis nicht kostendeckend. Im Rahmen einer universitären Tageschirurgie sind manche Eingriffe sogar deutlich defizitär. Es ist deshalb zu erwarten, dass dieser Bereich der Kinderchirurgie in den grossen Zentren eher schrumpfen wird, was für die Ausbildung des kinderchirurgischen Nachwuchses ungünstig ist. Für den Patienten und seine Eltern stellt die ambulante Chirurgie, wann immer sie medizinisch sinnvoll ist, meist die optimale Behandlungsform dar. Es würde einen medizinischen Rückschritt bedeuten, wenn dieser Bereich aufgrund der deutlich besseren Abrechnungsmöglichkeiten im stationären Bereich zurückgedrängt würde.
Zirkumzisionen ohne Phimose?
Die Durchführung von Zirkumzisionen ohne das Vorliegen einer Phimose aus religiöser Motivation ist umstritten, mindestens seitdem in Deutschland im Mai 2012 ein Landgericht (Köln) diese Operationen als Körperverletzung klassifizierte und im Dezember 2012 ein Parlamentsentscheid dafür sorgte, dass das Recht der Eltern, einen solchen Eingriff aus religiösen Gründen durchführen zu lassen, erhalten bleibt. In der Schweiz stellt sich ebenfalls die Frage, welche medizinische Mindestqualifikation ein nicht ärztlicher Beschneider aufweisen muss. Sicher sollten für einen solchen Eingriff das schriftliche Einverständnis beider Elternteile vorliegen und eine adäquate Anästhesie sowie ein kindergerechtes Umfeld vorliegen. Nicht wenige Kinderchirurgen bieten diese Operation als Wunscheingriff nur an, um grösseres Übel (Operation im Heimatland oder durch einen Beschneider ohne entsprechende Anästhesie und Hygiene) von den betroffenen Kindern abzuwenden.
Hodenhochstand
Die Behandlung des Hodenhochstandes ist in den letzten Jahren durch einen Wandel zur frühzeitigeren Durchführung der Operationen gekennzeichnet. Die Indikation zur Hodenverlagerung wurde früher spätestens zum Ende des zweiten Lebensjahres gestellt. Die Durchführung des Eingriffs wird von den Fachgesellschaften jetzt bis zum Ende des ersten Lebensjahres empfohlen. Damit soll die Infertilitätsrate gesenkt werden.
Leistenbruch
In der Behandlung des Leistenbruches gab es eine Welle der laparoskopischen beidseitigen Operation, die inzwischen wieder abgeflacht ist (1). Die laparoskopische Herniotomie ist vor allem beim Mädchen
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Appendektomien werden überwiegend laparoskopisch durchgeführt.
Bei Bauchtraumata wird fast ausschliesslich konservativ behandelt.
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eine Therapieoption, jedoch in keiner Klinik in der Schweiz zum Routineverfahren geworden.
Postoperative Schmerztherapie
In allen Bereichen der Kinderchirurgie hat sich in den letzten 10 Jahren ein deutlich verbessertes Bewusstsein für die Qualität der postoperativen Schmerztherapie entwickelt. In vielen Kinderkliniken wurden interdisziplinäre Schmerzfachteams gegründet, die hausinterne Richtlinien für eine Schmerztherapie im Kindesalter erstellen. Das Konzept der multimodalen Schmerztherapie steht hier im Vordergrund (2). Moderne Verfahren wie Lachgasapplikation, Fentanyl intranasal, Lokalanästhetika-Gel für Wundversorgungen und Kombinationen zur Analgosedation gehören neben den klassischen Verfahren der Regional- und Leitungsanästhesie zum Handwerkszeug des Kinderchirurgen vor allem in der Notfallversorgung und Wundbehandlung.
Laparoskopische viszerale Chirurgie auf dem Vormarsch
Die häufigste viszeralchirurgische Operation bei Kindern ist nach wie vor die Appendektomie. Hier hat sich das laparoskopische Vorgehen so weit durchgesetzt, dass Assistenten in ihrer Ausbildung inzwischen Mühe haben, die offene Appendektomie noch zu erlernen und im Bedarfsfall ausreichend routiniert zu beherrschen. Die Verkürzung der Verweildauer nach Appendektomie von früher zirka 1 Woche auf jetzt durchschnittlich 3 Tage ist allerdings nicht nur Folge einer besseren Behandlung durch laparoskopische Verfahren, sondern überwiegend das Resultat wirtschaftlicher Zwänge aufgrund der DRG-Vergütung. Die minimalinvasive Chirurgie hat sich in der Kinderchirurgie flächendeckend durchgesetzt für weitere Engriffe wie die Nissen-Fundoplikatio, die Cholezystektomie, die Behandlung von Ovarialzysten sowie die Entnahme von Darmbiopsien.
Bauchtraumata
In der Behandlung der häufigen Bauchtraumata bei Kindern hat sich eine generelle Wende zu fast ausschliesslich konservativem Vorgehen gezeigt, und auch hier sind die stationären Verweildauern von früher mehreren Wochen auf heute wenige Tage selbst bei höhergradigen Leber- oder Milzverletzungen geschrumpft. Diese Veränderungen gehen auf einige grundlegende Arbeiten von Stylianos (3) zurück, der in grossen Kollektiven zeigen konnte, dass dieses Vorgehen bei kreislaufstabilen Patienten sicher ist. In einer kürzlich erschienenen amerikanischen Arbeit über mehr als 22 000 Kinder mit Leber- und Milzverletzungen lag die Rate operativer Versorgungen bei den Leberverletzungen noch bei 4,7 Prozent und bei den Milzverletzungen bei 12 Prozent mit einer Gesamtletalitätsrate von 3 Prozent (4). In europäischen Kollektiven liegt die Operationsrate eher noch niedriger. Interessanterweise ist das konservative Vorgehen bei schweren Leber-, Milz-und Nierenverletzungen inzwischen auch bei Erwachsenen häufig geworden. Hier hat also die Kinderchirurgie massgeblich die Erwachsenenchirurgie beeinflusst.
Ösophagusatresie
Die Chirurgie der Ösophagusatresie hat wenige grundsätzliche Neuerungen erfahren, lediglich als Zugangsweg ist die Thorakoskopie in manchen Kliniken eine Option. Hier gilt es, die OP-Zahlen der einzelnen Zentren zu berücksichtigen: In den meisten mitteleuropäischen kinderchirurgischen Kliniken werden pro Jahr 3 bis 5 Kinder mit einer Ösophagusatresie operiert. Wenn in solchen Häusern nur Chefärzte und die erfahrensten Oberärzte diese Operationen durchführen, entfällt auf jeden Operateur maximal eine Operation pro Jahr. Da auch die Gesamtzahl an Thorakoskopien in kinderchirurgischen Kliniken begrenzt ist, muss also über einen relativ ungeübten Zugangsweg eine seltene und (thorakoskopisch) technisch recht schwierige Operation durchgeführt werden. Dass dieses Verfahren nur bei sehr geübten Operateuren (5) nicht mit einer erhöhten Komplikationsrate einhergeht, ist nachvollziehbar. Wenn der offene Zugang zum Ösophagus mit einer kosmetisch günstigen längs verlaufenden Inzision in der hinteren Axillarlinie gewählt wird, muss die höhere Komplikationsrate des thorakoskopischen Zugangs gegen ein geringfügig besseres kosmetisches Ergebnis gut abgewogen werden. Da diese Kinder neben den kurzfristigen postoperativen Komplikationen häufig auch langfristige Probleme zum Beispiel durch eine Tracheomalazie, gastroösophagealen Reflux, Narbenstrikturen, Dysphagie und Skoliosen haben, sollten sie im interdisziplinären Setting für systematische Verlaufskontrollen angebunden bleiben: «Operation is life-saving, follow-up is life-enhancing.» Auch bei asymptomatischen Kindern sind Kontrollendoskopien zum Ausschluss eines Barrett-Ösophagus ab dem 10. Lebensjahr indiziert (6).
Angeborene Zwerchfellhernien
Angeborene Zwerchfellhernien haben nach wie vor eine hohe «hidden mortality», das heisst, viele Schwangerschaften enden bereits, bevor die Vorstellung in einem Zentrum erfolgt. Die Letalitätsraten in den grossen Zentren sind hingegen in den letzten Jahren stetig rückläufig, aufgrund von Fortschritten vor allem in der Intensivmedizin. Während noch vor 20 Jahren eine möglichst frühe Operation nach der Geburt angestrebt wurde, erfolgt die Operation jetzt erst nachdem das Kind mit intensivmedizinischen Massnahmen einige Tage stabilisiert worden ist. Hierfür kommen die «gentle ventilation», das heisst eine grösstmögliche Schonung des intakten Lungengewebes, eine «permissive Hyperkapnie», das heisst Zulassen eines hohen pCO2 und Verfahren wie die Hochfrequenzoszillationsbeatmung zur Anwendung. Zur Senkung der pathophysiologisch im Vordergrund stehenden pulmonal-arteriellen Hypertension werden sowohl die NO-Applikation mit dem Atemgas wie auch die Gabe von Sildenafil eingesetzt (7). Die zusätzliche Option einer extrakorporellen Membranoxygenierung (ECMO) ist überwiegend den Zentren mit einer kinderherzchirurgischen Abteilung vorbehalten. Eine weitere Option für Kinder mit einer ungünstigen Prognose (lung to head ratio < 1,0, Leber im Thorax) ist der pränatale Verschluss der Trachea durch einen
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fetoskopisch eingelegten Ballon. Diese Technik beherrschen in Europa nur wenige Zentren (z.B. Leuwen, Belgien). Die Blockierung der Trachea lässt die Lungen deutlich an Volumen zunehmen. Der Ballon muss allerdings entweder pränatal fetoskopisch wieder entfernt werden oder unter der Geburt im Rahmen einer sogenannten EXIT-Prozedur (Kaiserschnitt mit Tokolyse und Abnabelung erst nach Freimachen der Trachea) aus der Trachea geholt werden. Erste Studien zeigen eine deutlich verbesserte Überlebensrate bei so behandelten Kindern (8). Auch diese Kinder profitieren von einem interdisziplinären Follow-upProgramm.
Anorektale Fehlbildungen
Angeborene Fehlbildungen des Anorektums können heute in der Mehrzahl der Fälle mit einem befriedigenden Ergebnis in Hinsicht auf die Kontinenz versorgt werden. Während tiefere Formen der Analatresie mit rektoperinealer oder rektovestibulärer Fistel in der Regel primär für einige Monate mit Dilatationen behandelt werden, muss bei den höheren Formen ohne bougierbare Fistel meist ein künstlicher Darmausgang angelegt werden, auch um die Verbindung der Stuhlpassage zum Urogenitaltrakt zu unterbrechen. Standard ist heute die operative Versorgung durch eine posteriore sagittale Anorektoplastik (PSARP) nach Pena/deVries. Bei sehr hohen Formen muss die Operation teilweise durch einen abdominellen Eingriff unterstützt werden, der auch laparoskopisch erfolgen kann (9).
Morbus Hirschsprung
Für die Behandlung bei M. Hirschsprung hat sich die transanale endorektale Durchzugsoperation nach de la Torre durchgesetzt (TERPT) und ältere Verfahren wie die nach Rehbein, Swenson, Duhamel abgelöst (10). Diese Operation entspricht dem bekannten Verfahren nach Soave, erfolgt aber bei den Aganglionosen, die nicht weiter als bis zur Mitte des Colon descendens reichen, gänzlich transanal, also ohne sichtbare Narbe. Für langstreckigere Formen wird oft initial ein Anus praeter angelegt und die Durchzugsoperation dann später mit einer laparoskopischen oder offenen Kolonresektion kombiniert (11). Bei Vorliegen einer totalen Kolonaganglionose kann entweder eine direkte ileoanale Anastomose oder eine Seitzu-Seit-Zwischenschaltung eines aganglionären Dickdarmsegmentes im Sinne einer Duhamel-Operation vorgenommen werden (12). Bei der (sehr seltenen) Ausdehnung der Aganglionose auch in den gesamten Dünndarm kann ein Teil des aganglionären Dünndarmes belassen werden, wenn dieser mit einer Ileostomie ausgeleitet wird. Diese Patienten können oft nur mit einer Langzeit-Parenteralteilernährung überleben, hier finden die Prinzipien der Behandlung bei Kurzdarmsyndrom (siehe unten) Anwendung. Bei allen Patienten mit einem familiären M. Hirschsprung oder mit einer längerstreckigen Ausdehnung ist eine genetische Abklärung indiziert, hier finden sich bei zirka 10 Prozent der Patienten bekannte Mutationen zum Beispiel des RET-Protoonkogens oder der Endothelinrezeptorgene.
Kurzdarmsyndrom
Für Patienten mit angeborenem Kurzdarmsyndrom (intrauteriner Volvulus, totale Darmaganglionose) oder erworbenem Kurzdarmsyndrom (Gastroschisis, NEC, Volvulus) stehen heute andere Therapieoptionen zur Verfügung als noch vor 20 Jahren, als diese Situation nur selten mit einem Langzeitüberleben vereinbar war. Neben verschiedenen Methoden zur chirurgischen Verlängerung des Rest-Dünndarms besteht auch die Möglichkeit einer Langzeit-Parenteralernährung über einen Broviac-Katheter unter Verwendung einer Fischöl-basierten Fettemulsion statt der bis anhin üblichen Sojaöl-basierten Fettemulsionen. Vorteil der Fischöl-basierten Emulsion ist eine Verhinderung der früher limitierenden Leberfunktionsstörung (13). Die chirurgischen Methoden zur Dünndarmverlängerung kommen vor allem bei Patienten mit ultrakurzem Dünndarm (Restlänge < 20%) zum Einsatz. Hier wurde zuerst das Verfahren nach Bianchi mit einer longitudinalen Teilung und Hintereinanderschaltung der beiden resultierenden Darmhälften (LILT: longitudinal lengthening and tailoring) und dann die Methode nach Kim (14) mit einem transversalen Einsatz multipler Stapler-Nähte (STEP: serial transverse enteroplasty) populär. Beide Methoden verlängern den Dünndarm auf das etwa 1,5-Fache der Ausgangslänge und können bei einem Grossteil der Patienten die Abhängigkeit von einer parenteralen Ernährung beenden (15). Die Zusammenarbeit von Kinderchirurgen und Kindergastroenterologen mit dem weiterbetreuenden Kinderarzt ist für Kinder mit einem Kurzdarmsyndrom essenziell.
Bauchwanddefekte
Die angeborenen Bauchwanddefekte weisen eine unterschiedliche Entwicklung ihrer Inzidenz auf: Während die Gastroschisis weltweit an Häufigkeit zunimmt (die Ursache hierfür ist unklar), ist die Omphalozele im Zug ihrer pränatalen Diagnose (und der oft schweren Begleitfehlbildungen) dabei, selten zu werden. Für die Gastroschisis wurde das Verfahren der schrittweisen Bedside-Reduktion, zum Teil mit einem speziellen Silobeutel, beschrieben. Standard ist aber nach wie vor der operative Verschluss am Tag der Geburt. Bei grossen Omphalozelen kann eine Reduktion durch äussere Kompression über zirka 1 Woche im vorhandenen Omphalozelensack erfolgen, bevor die eigentliche Operation zum partiellen oder vollständigen Bauchwandverschluss durchgeführt wird. Bei beiden Defekten muss unbedingt eine zu starke Kompression und damit Durchblutungsstörung der Bauchorgane durch zu schnellen oder zu vollständigen Verschluss vermieden werden. Die Überlebensrate wird bei beiden Erkrankungen heute vorwiegend durch mögliche Begleitfehlbildungen definiert, die Bauchwanddefekte selbst haben bei adäquater Behandlung nur noch eine geringe Letalität.
Nekrotisierende Enterokolitis
Die nekrotisierende Enterokolitis (NEC) ist eines der am stärksten beforschten Gebiete in der Kinderchirurgie, trotzdem hat sich an der Letalität (ca. 30%) und Morbidität der Erkrankung in den letzten 20 Jahren
Chirurgische Eingriffe bei anorektalen Fehlbildungen führen meist zu einer befriedigenden Kontinenz.
Bauchwanddefekte sind bei adäquater Behandlung meist nicht mehr lebensbedrohlich.
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Die Zukunft der Kinderchirurgie im stationären und tertiären Bereich liegt in grösseren Kliniken.
Jedes Kind sollte an einem auf Kinder ausgerichteten Ort behandelt werden.
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wenig geändert. Während die Erkenntnisse über die Pathophysiologie mit Beteiligung der angeborenen Immunität (innate immunity) stetig wachsen, lässt sich noch kaum eine Verbesserung in der Prävention oder Therapie finden (16). In Ländern mit einer sehr guten Neonatologie geht zwar die Rate von NEC-Fällen in der Gruppe der Frühgeborenen zurück, es gibt dort jedoch auch mehr überlebende Extrem-Frühgeborene, die wiederum eine höhere NEC-Rate als reifere Kinder aufweisen, sodass die Gesamtzahl der Erkrankungen auch hier ähnlich hoch bleibt. Die Langzeitmorbidität vor allem auch im neurologischen Bereich bedingt eine langfristige Nachsorge durch Kinderarzt und Klinik.
Onkologie
Bei den soliden Tumoren soll hier nur exemplarisch auf die Entwicklungen bei Nephroblastomen eingegangen werden. Für diesen Tumor konnten mit verschiedenen Protokollen (überwiegend SIOP in Europa, NWTSG/COG in den USA) Überlebensraten von über 90 Prozent erreicht werden. Die Überlebensrate ist damit so hoch, dass Langzeitmorbidität und Spätfolgen der Behandlung einen ähnlichen Stellenwert haben wie die eigentliche Tumor-Eradikation (17). Die radikale Exzision des Tumors ist nach wie vor Ziel der Behandlung, in manchen Fällen und vor allem bei beidseitigem Befall ist jedoch eine Nephron-sparende Resektion mit Erhalt eines Teils der betroffenen Niere möglich (18). Der Trend geht derzeit zur laparoskopischen Nephrektomie oder partiellen Nephrektomie, auch in onkologischen Fällen, teilweise werden hierfür Operationsroboter benutzt (19).
Hämangiome
Seit der Erstbeschreibung der Hämangiomtherapie durch Propanolol (20) hat sich in wenigen Jahren ein massiver Rückgang der früher üblichen Behandlungen mit Laser oder Chirurgie gezeigt. Diese Verfahren sind dennoch nicht ausgestorben, da auch Propanolol nicht bei allen Patienten ausreichend wirkt. Aufgrund der Seltenheit der heute noch notwendigen Behandlungen dieser Art wird die Kompetenz hierfür nur in den grösseren Zentren erhalten bleiben. Es werden unterschiedliche Sicherheitsstandards bei der Anwendung von Propanolol befolgt: Wegen der Gefahren des Entstehens einer Bradykardie, Hypotension und Hypoglykämie bei Therapiebeginn wird zumeist eine kurze Phase der Überwachung empfohlen. Eine in manchen Häusern übliche 48-stündige Überwachung ist aber wahrscheinlich nicht notwendig und kann bei strikter Beachtung der Kontraindikationen durch eine tagesklinische Überwachung ersetzt werden (21). Ein Therapiebeginn ohne jede Form der Kreislauf- und Blutzuckerüberwachung ist nicht zu empfehlen.
Was macht eine gute Kinderchirurgie aus?
In den letzten Jahrzehnten hat sich gezeigt, dass Kinderchirurgen im engeren Sinne in der Regel keine spezialisierteren herzchirurgischen, neurochirurgischen, kieferchirurgischen sowie Augen- und HNO-
ärztlichen Eingriffe mehr durchführen. Mit den genannten Fachgebieten bestehen jedoch immer auch Überschneidungen: Entsprechend ausgebildete Kinderchirurgen verschliessen an manchen Kliniken durchaus den Ductus Botalli (Herzchirurgie), heben Schädelfrakturen, entlasten intrakranielle Hämatome und führen Shuntoperationen bei Hydrozephalus durch (Neurochirurgie). Während im augenärztlichen operativen Bereich fast keine Überschneidungen bestehen, gehen diese im HNO-Bereich relativ weit: Halsfisteln, präaurikuläre Fisteln, abstehende Ohren werden von beiden Disziplinen adäquat behandelt. Kein Kinderchirurg käme jedoch heutzutage auf die Idee, ein Herzvitium oder einen Hirntumor operieren zu wollen, für solche Operationen sind spezialisierte Herzchirurgen oder Neurochirurgen kompetent zuständig. Heute kann kein Kinderchirurg mehr in voller Tiefe die gesamte Breite seines Gebietes abdecken. Als Einzelkämpfer kann er nur einen kleinen Abschnitt in höchster Qualität bearbeiten. Die Zukunft des Faches im stationären und tertiären Bereich liegt daher in grösseren Kliniken, die aufgrund eines breiteren Personalstammes das ganze Spektrum oder zumindest einen grossen Teil davon abbilden. Wenn der hohe Spezialisierungsgrad die Operation eines Kindes durch einen Nicht-Kinderchirurgen sicherer macht, ist es von Vorteil, wenn dieser Chirurg regelmässig Kinder operiert und so auch die Besonderheiten der kindlichen Physiologie und Psyche kennt. Eine an vielen Ort nicht gelebte, aber in unserer Erfahrung sehr sinnvolle Kombination kann sich ergeben, wenn ein Chirurg ohne Erfahrung mit Kindern aufgrund seiner hohen Fachkompetenz für ein Organ oder eine seltene Erkrankung ein Kind operieren soll: Organspezialist und Kinderchirurg führen die Operation dann gemeinsam durch. Der Nutzen liegt auf der Hand. In dieser an sich banalen Erkenntnis liegt eine der grössten Entwicklungschancen der Kinderchirurgie: höchste chirurgische Qualität, gepaart mit höchster Fachkenntnis für das Kind.
Kindgerechtes Spital: mehr als farbenfrohe Wände
Ein anderes grosses Entwicklungspotenzial des Faches liegt in der Tatsache, dass noch immer ein grosser Teil der Standardoperationen an Kindern in Kliniken durchgeführt, die weder räumlich noch personell auf Kinder ausgerichtet sind. Die Autoren vertreten nicht die Meinung, dass diese Eingriffe dort schlecht durchgeführt werden. Da die Operation aber immer nur ein Teil einer Therapie ist, sollte es für jedes Kind die Möglichkeit geben, an einem auf Kinder ausgerichteten und für Kinder eingerichteten Ort behandelt zu werden. Dies ist für den stationären Bereich in der Regel ein Kinderkrankenhaus oder zumindest eine Kinderstation, also ein Ort, an dem eine kinderspezifische Pflege gewährleistet ist. Auf Kinder ausgerichtet zu sein, bedeutet in diesem Zusammenhang nicht eine farbenfrohe Gestaltung der Wände, sondern das Vorhandensein einer umfassenden Infrastruktur: angefangen bei einer Kinderradiologie, die mit wesentlich geringeren Strahlen-
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dosen arbeitet; einem Labor, das mit kleinen Probenvolumina zuverlässige Resultate erzielt; einer Anästhesie, die mit der speziellen Anatomie und kardiopulmonalen Physiologie vertraut ist. Kinder haben nicht nur andere Erkrankungen, sondern auch eine andere Physiologie, Anatomie und Psyche als Erwachsene. Auch für banal erscheinende Interventionen ist manchmal eine langwierige Vorbereitung notwendig. Viele Eingriffe, die beim Erwachsenen in Lokalanästhesie möglich sind, sollten beim Kind in Allgemeinanästhesie durchgeführt werden. Kinder brauchen eine andere Pflege und für eine gute Behandlungsqualität einen oft höheren Zeitaufwand. Diesen Unterschied berücksichtigt auch die Leistungsvergütung bisher nicht ausreichend.
Korrespondenzadresse: Prof. Dr. Steffen Berger Kinderchirurgische Universitätsklinik Inselspital, Universität Bern Freiburgstrasse 3010 Bern E-Mail: steffen.berger@insel.ch
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