Transkript
SCHWERPUNKT
Tonsillektomie im Kindesalter
Häufigste Indikation ist OSAS, das obstruktive Schlafapnoesyndrom
Die Tonsillektomie gehört zu den häufigsten chirurgischen Eingriffen bei Kindern. Während man sie früher in erster Linie durchführte, um rezidivierende Mandelentzündungen zu verhindern, sind heutzutage respiratorische Obstruktionen während des Schlafs zur wichtigsten Indikation geworden, insbesondere bei Schlafapnoe. Weitere Indikationen sind der Peritonsillarabszess, das PFAPA-Syndrom sowie einige Situationen, in denen der Nutzen einer Tonsillektomie noch fraglich ist.
Von Claudine Gysin
Die Tonsillektomie, mit oder ohne Adenotomie, gehört zu den häufigsten chirurgischen Eingriffen im Kindesalter. Zu Beginn des 20. Jahrhunderts erfolgte diese Intervention in erster Linie mit dem Ziel, rezivierende Mandelentzündungen zu verhindern. Die Einführung der Antibiotika führte zu einem drastischen Rückgang der Tonsillektomien: Sie sanken in den USA von 1,4 Millionen im Jahr 1959 auf 500 000 im Jahr 1979 (1, 2). Dies trug möglicherweise mit dazu bei, dass in den Sechzigerjahren erstmals eine neue Krankheitsentität im Zusammenhang mit der Tonsillektomie beschrieben wurde: Cor pulmonale, pulmonale Hypertonie und Herzinsuffizienz, die nach Tonsillektomie verschwanden. Man bezeichnete dies als obstruktives Schlafapnoesyndrom (OSAS). In den entwickelten Ländern beruht die wichtigste Indikation für eine Tonsillektomie im Kindesalter auf einer Obstruktion der Atemwege durch eine adenotonsilläre Hypertrophie; rezidivierende Angina tonsillaris ist hingegen nur noch in 15 bis 20 Prozent der Fälle der Grund für den Eingriff (2, 3). Bei den Kindern unter 3 Jahren ist OSAS sogar in 90 bis 100 Prozent der Fälle die Indikation für eine Adenotonsillektomie. Die Indikation rezidivierende Anginen wird mit dem Alter häufiger (1, 2). Im Folgenden werden die Indikationen für eine Tonsillektomie im Kindesalter vorgestellt.
Obstruktive Atmungsstörungen im Schlaf
Die obstruktiven Atmungsstörungen im Schlaf können in drei Entitäten eingeteilt werden: das Schnarchen, das Upper-Airway-Resistance-Syndrom (UARS) und das obstruktive Schlafapnoesyndrom (OSAS). Das einfache Schnarchen ist als rein respiratorisches Geräusch definiert, ohne begleitende Hypopnoen,
Apnoen, Hypoxämie, Hyperkapnie oder Schlafstörungen (3). Das Upper-Airway-Resistance-Syndrom (UARS) wurde erstmals 1982 durch Guilleminault et al. (4) beschrieben. Charakteristisch für dieses Syndrom ist ein Anstieg des negativen intrathorakalen Drucks während der Einatmung, die zu einer Aufwachreaktion und Fragmentierung des Schlafes führt, jedoch ohne Hypopnoen oder Hypoxämie.
OSAS
Beim obstruktiven Schlafapnoesyndrom (OSAS) handelt es sich um eine schlafbezogene Atmungsstörung, die durch eine anhaltende Obstruktion entsteht. Diese führt zu einem partiellen (Hypopnoe) und/oder vollständigen (Apnoe) Aussetzen der Atmung, was den normalen Atmungszyklus und den Schlaf beeinträchtigt. Bis anhin wurde das einfache Schnarchen als benigne Erscheinung betrachtet, einige Studien zeigen jedoch, dass auch das einfache Schnarchen neurologische und verhaltensrelevante Implikationen haben kann (6, 7). Die Inzidenz des OSAS wird bei Kindern auf 1 bis 3 Prozent geschätzt. Die häufigste Ursache für OSAS ist eine adenotonsilläre Hypertrophie. Der Inzidenzgipfel für OSAS bei Kindern liegt im Vorschulalter, einem Alter, in dem am häufigsten ein hypertrophes Wachstum von Gaumen- und Rachenmandeln vorliegt (4–8). Ein OSAS entsteht aufgrund kollabierender Atemwege oder eines erhöhten Widerstands der oberen Atemwege. Man nahm lange an, dass die adenotonsilläre Hypertrophie die einzige Ursache für die Obstruktion und das Kollabieren der Atemwege sei. Die Grösse der Tonsillen korreliert jedoch nicht mit der Schwere des OSAS, und eine erhöhte OSAS-Indizidenz findet sich auch bei neuromuskulären Erkrankungen. Dies zeigt, dass neuromuskuläre Anomalien
2/14
Die häufigste Ursache für OSAS ist eine adenotonsilläre Hypertrophie.
9
SCHWERPUNKT
Die Tonsillengrösse korreliert nicht mit der Schwere des OSAS.
Tabelle 1: Symptome bei OSAS im Kindesalter
• Schnarchen • Mundatmung • Apnoen • Atmungsprobleme • interkostale Retraktionen • Kopf überstreckt • Schlaf nicht erholsam • Aufwachreaktionen • Schwitzen • Enuresis • nasale Obstruktion • mangelnder Appetit • Schluckbeschwerden • Nausea, häufiges Erbrechen • Wachstumsverzögerung • übermässige Tagesmüdigkeit • aggressives Verhalten • schlechte Schulleistungen • Hyperaktivität
in der Pathologie des OSAS eine Rolle spielen. Wie die Erwachsenen reagieren auch Kinder mit OSAS im Vergleich mit Gesunden verzögert auf das Kollabieren der Atemwege, und ihre Fähigkeit, den Luftstrom aufrechtzuerhalten und das Kollabieren der Atemwege zu verhindern, ist vermindert (9, 10). Marcus et al. (10) konnten zeigen, dass sich dies nach einer Adenotonsillektomie wieder normalisiert. Zu den Risikofaktoren für ein OSAS im Kindesalter gehören adenotonsilläre Hypertrophie, Adipositas, ethnische Faktoren (Afroamerikaner), neurologische Erkrankungen und kraniofaziale Syndrome (4, 8). Mit OSAS assoziierte Komplikationen sind pulmonale Hypertonie, Cor pulmonale und kongestive Herzinsuffizienz (11). Diese sind in den entwickelten Ländern selten geworden. Wachstumsstörungen werden für 27 bis 62 Prozent der OSAS-Fälle berichtet (12). Möglicherweise ist dies auf eine verminderte Sekretion von IGF (Insulin-like growth factor) und Wachstumshormonen zurückzuführen (13). Ein erhöhter Energiebedarf während des Schlafes und mangelnder Appetit tragen ebenso zu einer Wachstumsverzögerung bei, die nach einer Adenotonsillektomie reversibel ist (14). Kinder mit OSAS können auch neurologische und verhaltensrelevante Störungen aufweisen, wie kognitive Entwicklungsverzögerung, schlechte Schulleistungen, übermässige Tagesmüdigkeit sowie Verhaltensstörungen wie die Hyperaktivität (15). Eine erhöhte Prävalenz des OSAS wurde bei hyperaktiven Kindern beobachtet (16).
Diagnose des OSAS
Die Polysomnografie (PSG) ist die Methode der Wahl, um eine korrekte OSAS-Diagnose zu stellen (11). Kinder mit OSAS ohne PSG treffsicher zu identifizieren, bleibt schwierig. Obwohl es keine guten grossen, prospektiven und randomisierten Studien dazu gibt, scheint es nicht möglich zu sein, ein Kind mit einfachem Schnarchen von einem Kind mit OSAS nur aufgrund von Symptomen zu unterscheiden. Die zum Teil recht unspezifischen Symptome bei OSAS sind in Tabelle 1 zusammengefasst. Ein OSAS ist bei fehlendem Schnarchen sehr unwahrscheinlich. Falls das Kind schnarcht, ist eine detaillierte Evaluation der Schlafqualität erforderlich. 1997 haben Nieminen et al. (17) PSG-Befund und klinische Untersuchung verglichen und einige prädiktive Faktoren identifiziert, die für das Vorliegen eines OSAS sprechen: Apnoen, die von den Eltern jede Nacht beobachtet werden, konstantes Schnarchen und unruhiger Schlaf, permanente Mundatmung sowie eine Ade-
Tabelle 2: Wichtige Punkte für die klinische Untersuchung bei OSAS im Kindesalter
• Allgemeinzustand, Gewicht, Körpergrösse, Augenringe? • Mundatmung, laute Atmung? • Nase: Verkrümmung der Nasenscheidewand, nasale Obstruktion? • Nasopharynx: Hypertrophie der Rachenmandeln? • Mundhöhle und Pharynx: Hypertrophie der Tonsillen, Makroglossie, Gaumen, Kreuzbiss, Überbiss? • Gesicht: Mikrognathie, Retrognathie, Gesichtshypoplasie?
notomie in der Vergangenheit. Sensitivität und Spezifität der klinischen Symptome waren jedoch nur gering. In Tabelle 2 werden die wichtigsten klinischen Untersuchungen bei einem Kind mit OSAS zusammengefasst. Dazu gehören eine endoskopische Untersuchung der Nase, die Untersuchung von Mund- und Rachen sowie eine Evaluation kraniofazialer Fehlbildungen (z.B. Mikro-/Retrognathie, Gesichtshypoplasie). Die Grösse der Tonsillen und der Rachenmandeln ist zwar wichtig, aber es besteht leider keine gute Korrelation zwischen Tonsillengrösse und OSAS, sodass ein normaler Befund ein OSAS nicht ausschliesst (18). Eine endoskopische Untersuchung der Atemwege unter Vollnarkose ist bei Kindern mit kraniofazialen Fehlbildungen nötig, um das Ausmass der Obstruktion zu beurteilen. Es wurden zahlreiche Evalutionsfragebögen vorgeschlagen, um die Treffsicherheit bei der OSAS-Diagnose zu erhöhen. Bis jetzt gibt es aber noch keinen validen Fragebogen, der eine ausreichend sichere Unterscheidung von Kindern mit einfachem Schnarchen und Kindern mit OSAS erlauben würde (19, 20). Häufig bringen die Eltern Ton- oder Videoaufnahmen mit. Während Tonaufnahmen keine Unterscheidung zwischen einfachem Schnarchen und OSAS erlauben, sind Videoaufnahmen mit einer Sensitivität von 94 Prozent und einer Spezifität von 68 Prozent erfolgversprechender (21). Die zu Hause durchgeführte nächtliche Oxymetrie ist keine valide diagnostische Methode für Atmungsstörungen während des Schlafes, denn Mikroaufwachreaktionen ohne Hypoxämie kommen bei schnarchenden Kindern durchaus vor. Der pathologische Befund einer nächtlichen Oxymetrie erlaubt zwar die Diagnose OSAS, ein normaler Befund schliesst die Möglichkeit einer trotzdem bestehenden OSAS aber nicht aus (22).
Wann ist eine Polysomnografie sinnvoll?
Die Polysomnografie wurde für jedes Kind mit OSASVerdacht empfohlen. In der Realität ist es aber unmöglich, jedes schnarchende Kind ins Schlaflabor zu schicken. Darüber hinaus ist die Polysomnografie ein teures Verfahren, das in den meisten Fällen an dem Therapieentscheid, nämlich einer Adenotonsillektomie, nichts ändern wird. 1992 publizierten Marcus et al. (12) eine Referenzstudie, in der sie zeigten, dass Kinder normalerweise weder Apnoen noch Hypopnoen während des Schlafes aufweisen. Seitdem lieferten weitere Studien ähnliche Resultate, und ein Apnoe-/Hypopnoe-Index über 1 wird bei Kindern als nicht normal betrachtet. Die klinische Relevanz eines leicht erhöhten Apnoe-/Hypopnoe-Indexes ist jedoch nach wie vor unklar. In Anbetracht der Eigenheiten des kindlichen Schlafes müssen zusätzliche Parameter berücksichtigt werden, wie die Obstruktion des Luftstroms, die Hyperkapnie und die Aufwachreaktionen. Eine Polysomnografie vor der Adenotonsillektomie ist bei Kindern mit Komorbiditäten notwendig, wie Adipositas, Trisomie, kraniofazialen Fehlbildungen oder
10 2/14
SCHWERPUNKT
Kasten: OSAS – das Wichtigste in Kürze
• Die Differenzialdiagnose einfaches Schnarchen oder OSAS bleibt bei Kindern eine Kunst, für die es kein einfaches und 100-prozentig sicheres diagnostisches Verfahren gibt.
• Anamnese und klinische Untersuchung bleiben die wichtigsten Methoden für die meisten pädiatrischen Patienten mit OSAS aufgrund adenotonsillärer Hypertrophie.
• Die Polysomnografie kann nicht in allen Fällen durchgeführt werden. Sie bleibt Patienten mit weiteren Komorbiditäten vorbehalten sowie den Fällen, bei denen Anamnese und klinische Untersuchung widersprüchliche Befunde liefern. Es gibt derzeit kein anderes, valides diagnostisches Verfahren.
• Bei korrekt ausgewählten Kindern löst die Adenotonsillektomie in den meisten Fällen das Problem.
Von den Eltern gemachte Videoaufnahmen können bei der OSAS-Diagnose helfen.
neuromuskulären Erkrankungen, falls die Zuweisung zur Chirurgie unklar ist oder eine Diskrepanz bezüglich Tonsillengrösse und erwartbaren Ausmasses der Atmungsstörungen im Schlaf besteht (24). Eine von Brietzke et al. (25) publizierte Metaanalyse zum Stellenwert von Anamnese und klinischer Untersuchung im Vergleich mit der Polysomnografie ergab eine schlechte Korrelation in 11 von 12 Studien, in denen die Polysomnografie systematisch zur Diagnose eingesetzt wurde. Leider wurden in 6 Studien entweder diagnostische PSG-Kriterien für Erwachsene verwendet, oder es wurden gar keine Kriterien definiert. Die Autoren der Metaanalyse kamen zu dem Schluss, dass Anamnese und klinische Untersuchung zu einer Überdiagnose von OSAS führe. Dies muss jedoch mit Vorsicht interpretiert werden. Möglicherweise wäre die Korrelation zwischen klinischem und PSG-Befund besser gewesen, wenn man pädiatrisch angepasste PSG-Kriterien verwendet hätte. Die wichtigsten Punkte zu OSAS werden im Kasten zusammengefasst.
Rezidivierende Angina tonsillaris
Die Angina tonsillaris ist eine bakterielle Infektion des Pharynx durch betahämolysierende Streptokokken der Gruppe A (GABHS). Sie ist die Ursache für zirka 15 Prozent aller Halsschmerzen bei Kindern (26), während andere Pharynxinfektionen viral bedingt sind. Eine Angina aufgrund anderer Bakterien ist sehr selten. Die bakterielle Angina tritt bei Kindern unter 2 Jahren normalerweise nicht auf. Die Infektion ist bei Angina tonsillaris typischerweise im Pharynx lokalisiert, und sie dauert 3 bis 5 Tage. In den meisten Fällen kommt es zu einer Spontanheilung. In sehr seltenen Fällen kann es zu lokalen oder systemischen Vereiterungen kommen. Antibiotika verkürzen die Dauer der Symptome und senken die Inzidenz lokaler Vereiterungen. Hauptgrund für die antibiotische Therapie ist jedoch, akutes Gelenkrheuma zu verhindern; die Gabe von Antibiotika für 9 Tage nach Einsetzen der Symptome dient der Prävention dieser Komplikation. Ob eine Pharynxinfektion durch GABHS verursacht ist, kann klinisch nicht korrekt diagnostiziert werden.
Aus diesem Grund ist der «modified Centor score» sehr hilfreich (27); für jedes zutreffende Kriterium gibt es 1 Punkt: • kein Husten • Lymphknoten am Hals schmerzhaft vergrössert • Fieber über 38 °C • Tonsillen mit Eiter bedeckt • Patient unter 14 Jahre alt. Bei 0 bis 1 Punkt besteht weder eine Indikation für weitere Abklärungen noch für eine Therapie, weil die Wahrscheinlichkeit einer GABHS-Infektion weniger als 5 Prozent beträgt. Falls 4 oder mehr Punkte erreicht werden, kann eine Antibiotikabehandlung ohne weitere Untersuchungen und Tests erwogen werden, weil die Wahrscheinlichkeit einer GABHS-Infektion dann über 50 Prozent liegt. Bei 2 oder 3 Punkten sollte vor der Antibiotikatherapie ein Abstrich erfolgen. Im Fall einer GABHS-Infektion verschwinden die Symptome unter Antibiotika rasch. Leider erhalten viele Patienten ungerechtfertigterweise Antibiotika. Da die Diagnose GABHS-bedingte Angina oft falsch gestellt wird, ist es darüber hinaus sehr schwierig, Studien zum Nutzen einer Tonsillektomie mit dem Ziel des Verhinderns rezidivierender Anginen durchzuführen.
Verhindert die Tonsillektomie rezidivierende Anginen?
Um die Wirksamkeit der Tonsillektomie mit oder ohne Adenotomie in diesem Sinne zu beurteilen, führten Burton und Glasziou (28) einen Cochrane-Review durch. Sie suchten nach randomisierten Studien seit 1966, in denen die chirurgische mit der medikamentösen Therapie verglichen wurde. Insgesamt fanden sie 1 Studie bei Erwachsenen mit 70 Patienten (29) und 3 Studien mit insgesamt 719 Kindern (30–32). Die Studien waren so heterogen, dass eine Metaanalyse nicht möglich war. Der Therapieerfolg wurde mit unterschiedlichen Parametern gemessen: die Reduktion der Anzahl an Rezidiven, die Schwere der Angina tonsillaris oder der Halsschmerzen und die Verminderung der Halsschmerztage. Im Folgenden werden die drei pädiatrischen Studien im Detail vorgestellt. Die erste Studie von Paradise et al. (30) bestand aus zwei Teilen. Die erste umfasste 91 Patienten (von 2043, die für eine Adenotonsillektomie infrage kamen!) im Alter von 3 bis 15 Jahren. Sie wurden in zwei Gruppen randomisiert: Chirurgie oder Beobachtung. Im zweiten Teil wurden die Patienten gemäss den Wünschen der Eltern in die beiden Gruppen (Chirurgie vs. Beobachtung) eingeteilt, sodass dieser Teil kaum von wissenschaftlichem Interesse ist. Die Einschlusskriterien waren strikt: 7 Anginaepisoden in einem Jahr oder mehr als 5 pro Jahr für 2 Jahre oder 3 pro Jahr für 3 Jahre. Diese Episoden waren klinisch dokumentiert (Fieber, Lymphknotenschwellung, Eiter auf den Tonsillen), ein Abstrich musste in allen Fällen vorliegen, und der Patient wurde immer mit Antibiotika behandelt. In der Tonsillektomiegruppe kam es zu einer statistisch signifikanten Reduktion der Anzahl und der Schwere der Infektionen in den ersten 2 Jahren nach der Operation, aber auch in der Beobachtungsgruppe wurde eine Verringerung der infektiösen Episoden beobachtet.
12 2/14
SCHWERPUNKT
In der zweiten Studie von Paradise (31) wurde der Nutzen der Tonsillektomie für Patienten untersucht, die durch rezidivierende Anginen «mittelschwer beeinträchtigt» waren. Diese Studie umfasste drei Gruppen: Tonsillektomie, Adenotonsillektomie, Beobachtung. Die Einschlusskriterien waren weniger streng als bei der ersten Studie. Die meisten Patienten hatten 1 bis 2 Anginen pro Jahr. Die Inzidenz der Pharynxinfektionen war in den Ektomiegruppen in den folgenden 3 Jahren statistisch signifikant niedriger, aber der Nutzen war insgesamt bescheiden. Es gab keinen Unterschied zwischen den Kindern mit Tonsillektomie und Adenotonsillektomie. Unter Berücksichtigung des Nutzens der Chirurgie sowie der Komplikationen und der Kosten kamen die Autoren zu dem Schluss, dass es keinen klaren Vorteil der Tonsillektomie für Patienten mit mittelschwerer Symptomatik gab. Van Staaij et al. (32) schlossen in ihre randomisierte Studie 300 Kinder im Alter von 2 bis 8 Jahren ein. Die Studie wurde an 21 Zentren durchgeführt. Der HNOArzt füllte vor der Randomisierung einen Fragebogen aus, in welchem die Indikation für den Eingriff evaluiert wurde. Danach wurden die Kindern in zwei Gruppen randomisiert: Adenotonsillektomie oder Beobachtung. Es zeigte sich kein statistisch signifikanter Unterschied zwischen den beiden Gruppen bezüglich Anzahl der febrilen Episoden pro Jahr oder der Lebensqualität. Die Studienautoren folgerten, dass die Beobachtung eine gute Option für Kinder mit mittelschweren Symptomen sei. Die Kriterien für die Indikation einer Tonsillektomie im Kindesalter wegen rezidivierender Anginen sind noch immer diejenigen, die Paradise 1984 definierte (33). Es ist sehr wichtig, GABHS-Anginen korrekt zu diagnostizieren. Dadurch können nicht nur nutzlose Antibiotikagaben vermieden, sondern auch diejenigen Patienten besser identifiziert werden, die von einer Adenotonsillektomie profitieren könnten. Bei mittelschweren Symptomen ist Abwarten und Beobachten angebracht.
PFAPA-Syndrom
1987 beschrieben Marshall et al. (34) ein periodisches Fiebersyndrom unbekannter Ursache. Die Patienten hatten alle 2 bis 12 Wochen periodisch auftretendes, 5 Tage anhaltendes hohes Fieber (40–41 °C). 75 Prozent der Patienten hatten ausserdem eine Pharyngitis mit begleitender aphthöser Stomatitis, und bei zwei Dritteln der Patienten waren die zervikalen Lymphknoten vergrössert. Die Symptome traten immer vor dem Alter von 5 Jahren auf. Zwischen den Episoden waren die Patienten asymptomatisch, und sie entwickelten sich normal. Antibiotika oder Entzündungshemmer bewirkten keinerlei Besserung. Das Fieber verschwand nach ein oder zwei oralen Dosen Kortison (Prednison 1 mg/kg KG), doch das Auftreten weiterer Fieberepisoden wurde dadurch nicht verhindert. Zwei weitere Publikationen folgten 1999, in welchen 94 beziehungweise 29 Patienten mit den gleichen Symptomen beschrieben wurden (35, 36). Das Syndrom wurde mit dem Akronym PFAPA bezeichnet (periodisches Fieber, aphthöse Stomatitis, Pharyngitis, zervikale Adenitis). Zu den diagnosti-
schen Kriterien gehören das regelmässige Auftreten von Fieberepisoden im frühen Kindesalter (< 5 Jahre) und dass die Symptome in Abwesenheit einer Infektion der oberen Atemwege auftreten sowie mindestens eines der Kriterien aphthöse Stomatitis, zervikale Adenitis oder Pharyngitis. Zwischen den Episoden müssen die Patienten völlig asymptomatisch sein und ein normales Wachstum aufweisen. Eine zyklische Neutropenie ist auszuschliessen. Orale Kortikoide (Prednison 1- oder 2-mal 1 mg/kg KG) unterdrücken das Fieber, verhindern aber weitere Episoden nicht. Das Intervall zwischen zwei Episoden kann nach der Steroidgabe verkürzt sein. Im Jahr 2000 wurde erstmals berichtet, dass PFAPA nach einer Tonsillektomie verschwinden kann. Seitdem wurden ähnliche Fälle bekannt. Peridis et al. (37) publizierten 2010 eine Metaanalyse, die zum einen bestätigte, dass Kortikoide zwar die wirksamste nicht chirurgische Massnahme sind, weitere Episoden jedoch nicht verhindern können. Zum anderen zeigte die Metaanalyse, dass die Tonsillektomie die wirksamste Behandlung bei PFAPA ist, mit einer kompletten Remission in 64 Prozent der Fälle. Die Adenotomie scheint hierbei keine Rolle zu spielen. Die Ursache des PFAPA ist noch immer unbekannt, aber die Wirksamkeit der Steroide und der Tonsillektomie weisen auf einen entzündlichen oder immunologischen Pathomechanismus hin. Peritonsillarabszess Der Peritonsillarabszess ist bei Kindern selten. Es handelt sich um eine Eiteransammlung zwischen Tonsillen und dem M. constrictor pharyngis. Die Behandlung besteht in einer Punktion, einer Inzision oder einer «heissen» Tonsillektomie (Quinsy-Tonsillektomie). In der Literatur besteht kein Konsens über das beste Vorgehen bei Erwachsenen, und es gibt keine einzige Studie zu dieser Frage bei Kindern. Das Risiko eines Peritonsillarabszessrezidivs ist jedoch bei Patienten unter 40 Jahren erhöht, sodass es sinnvoll scheint, eine Quinsy-Tonsillektomie beim Kind durchzuführen. Einige empfehlen die Ablation beider Tonsillen, andere nur die Ablation der vom Abzess betroffenen Mandel. Dies ist von Fall zu Fall zu entscheiden. Asymmetrische Mandeln Asymmetrische Tonsillen bei Kindern sind ein relativ häufiger Konsultationsgrund. Harley et al. (38) berichteten, dass in einem Kollektiv von 258 Kindern, bei denen eine Tonsillektomie durchgeführt wurde, 18 Prozent asymmetrisch lokalisierte Mandeln hatten. Das Volumen der Mandeln war gleich gross. Die Asymmetrie entstand aufgrund einer unterschiedlichen Tiefe der Tonsillengrube. Van Lierop et al. (39) publizierten 2007 ähnliche Resultate, wonach es keinen Unterschied zwischen zwei asymmetrisch lokalisierten Mandeln gibt. Eine diagnostisch begründete Tonsillektomie ist bei Kindern indiziert, die eine rasch wachsende tonsilläre Asymmetrie aufweisen, eine zervikale Lymphadenopathie oder andere klinische Symptome. Eine isolierte tonsilläre Asymmetrie ist keine Indikation für eine Tonsillektomie. 2/14 Eine korrekte Diagnose der Angina tonsillaris ist wichtig. Tonsillektomie scheint bei rezidivierenden Anginen wenig zu nützen. 13 SCHWERPUNKT Zahnfehlstellungen Die Entwicklung des Gebisses ist ein weiterer Grund, eine Tonsillektomie zu erwägen. Die Mundatmung hat einen negativen Einfluss auf die Zahnstellung, ist aber meist auf eine Hypertrophie der Rachenmandeln zurückzuführen. Die Tonsillen tragen nicht dazu bei, und aus diesem Grund liegt hier keine Indikation für eine Tonsillektomie vor. Psoriaris und IgA-Nephropathie In einigen Studien wird von einem positiven Effekt der Tonsillektomie bei Psoriasis (40) oder IgA-Nephropathie (41) berichtet. Bis jetzt gibt es mangels valider Daten keine klaren Empfehlungen zu dieser Frage. Diese Indikationen müssen von Fall zu Fall diskutiert werden und gehören keinesfalls zu «Routineindikationen». Korrespondenzadresse: Dr. med. Claudine Gysin ORL-Abteilung, Universitätskinderkliniken Steinwiesstr. 75, 8032 Zürich E-Mail: claudine.gysin@kispi.uzh.ch Dieser Artikel wurde für die PÄDIATRIE auf Französisch verfasst. Die Übersetzung erfolgte durch Dr. Renate Bonifer. Literatur: 1. Rosenfeld RM, Green RP. Tonsillectomy and adenoidectomy: Changing trends. Ann Otol Rhinol Laryngol 1990; 99: 187–191. 2. Parker NP, Walner DL. Trends in the indications for pediatric tonsillectomy or adenotonsillectomy. Int J Pediatr Otorhinolaryngol 2011; 75: 282–285. 3. Erickson BK et al. Changes in incidence and indications of tonsillectomy and adenotonsillectomy, 1970-2005. Otolaryngol Head Neck Surg 2009; 140: 894–901. 4. Pediatric Pulmonology Subcommittee on Obstructive Sleep Apnea Syndrome A. Clinical practice guideline: Diagnosis and management of childhood obstructive sleep apnea syndrome. Pediatrics 2002; 109: 704–712. 5. Guilleminault C et al. Children and nocturnal snoring: Evaluation of the effects of sleep related respiratory resistive load and daytime functioning. Eur J Pediatr 1982; 139: 165–171. 6. Brockmann PE et al. Primary snoring in school children: Prevalence and neurocognitive impairments. Sleep Breath 2012; 16: 23–29. 7. O’Brien LM et al. Neurobehavioral implications of habitual snoring in children. Pediatrics 2004; 114: 44–49. 8. Rosen CL, Larkin EK, Kirchner HL, Emancipator JL, Bivins SF, Surovec SA, Martin RJ, Redline S. Prevalence and risk factors for sleep-disordered breathing in 8- to 11-year-old children: Association with race and prematurity. The Journal of pediatrics 2003; 142: 383–389. 9. Gold AR et al. Upper airway collapsibility during sleep in upper airway resistance syndrome. Chest 2002; 121: 1531–1540. 10. Marcus CL et al. Upper airway collapsibility in children with obstructive sleep apnea syndrome. J Appl Physiol 1994; 77: 918–924. 11. Cardiorespiratory sleep studies in children. Establishment of normative data and polysomnographic predictors of morbidity. American thoracic society. American journal of respiratory and critical care medicine 1999; 160: 1381–1387. 12. Katz ES, D’Ambrosio CM. Pediatric obstructive sleep apnea syndrome. Clin Chest Med 2010; 31: 221–234. 13. Bonuck KA, Freeman K, Henderson J. Growth and growth biomarker changes after adenotonsillectomy: Systematic review and meta-analysis. Arch Dis Child 2009; 94: 83–91. 14. Marcus CL et al. Determinants of growth in children with the obstructive sleep apnea syndrome. The Journal of pediatrics 1994; 125: 556–562. 15. Stein MA et al. Sleep and behavior problems in school-aged children. Pediatrics 2001; 107: E60. 16. O’Brien LM et al. Sleep and neurobehavioral characteristics of 5- to 7-year-old children with parentally reported symptoms of attention-deficit/hyperactivity disorder. Pediatrics 2003; 111: 554–563. 17. Nieminen P et al. Snoring children: Factors predicting sleep apnea. Acta oto-laryngologica 1997; 529: 190–194. 18. Nolan J, Brietzke SE. Systematic review of pediatric tonsil size and polysomnogrammeasured obstructive sleep apnea severity. Otolaryngol Head Neck Surg 2011; 144: 844–850. 19. Montgomery-Downs HE et al. Snoring and sleep-disordered breathing in young children: Subjective and objective correlates. Sleep 2004; 27: 87–94. 20. Chervin RD et al. Pediatric sleep questionnaire: Prediction of sleep apnea and outcomes. Arch Otolaryngol Head Neck Surg 2007; 133: 216–222. 21. Sivan Y, Kornecki A, Schonfeld T. Screening obstructive sleep apnoea syndrome by home videotape recording in children. Eur Respir J 1996; 9: 2127–2131. 22. Brouillette RT et al. Nocturnal pulse oximetry as an abbreviated testing modality for pediatric obstructive sleep apnea. Pediatrics 2000; 105: 405–412. 23. Marcus CL et al. Normal polysomnographic values for children and adolescents. Am Rev Respir Dis 1992; 146: 1235–1239. 24. Roland PS et al. Clinical practice guideline: Polysomnography for sleep-disordered breathing prior to tonsillectomy in children. Otolaryngol Head Neck Surg 2011; 145: S1–15. 25. Brietzke SE, Katz ES, Roberson DW. Can history and physical examination reliably diagnose pediatric obstructive sleep apnea/hypopnea syndrome? A systematic review of the literature. Otolaryngol Head Neck Surg 2004; 131: 827–832. 26. Pichichero ME. Group a beta-hemolytic streptococcal infections. Pediatr Rev 1998; 19: 291–302. 27. Centor RM et al. The diagnosis of strep throat in adults in the emergency room. Med Decis Making 1981; 1: 239–246. 28. Burton MJ, Glasziou PP. Tonsillectomy or adeno-tonsillectomy versus non-surgical treatment for chronic/recurrent acute tonsillitis. Cochrane Database Syst Rev 2009: CD001802. 29. Alho OP et al. Tonsillectomy versus watchful waiting in recurrent streptococcal pharyngitis in adults: Randomised controlled trial. BMJ (Clinical research ed 2007; 334: 939. 30. Paradise JL et al.: Efficacy of tonsillectomy for recurrent throat infection in severely affected children. Results of parallel randomized and nonrandomized clinical trials. The New England journal of medicine 1984; 310: 674–683. 31. Paradise JL et al. Tonsillectomy and adenotonsillectomy for recurrent throat infection in moderately affected children. Pediatrics 2002; 110: 7–15. 32. van Staaij BK et al. Effectiveness of adenotonsillectomy in children with mild symptoms of throat infections or adenotonsillar hypertrophy: Open, randomised controlled trial. BMJ Clinical research ed 2004; 329: 651–650. 33. Baugh RF et al. Clinical practice guideline: Tonsillectomy in children. Otolaryngol Head Neck Surg 2011; 144: S1–30. 34. Marshall GS et al. Syndrome of periodic fever, pharyngitis, and aphthous stomatitis. The Journal of pediatrics 1987; 110: 43–46. 35. Thomas KT et al. Periodic fever syndrome in children. The Journal of pediatrics 1999; 135: 15–21. 36. Padeh S et al. Periodic fever, aphthous stomatitis, pharyngitis, and adenopathy syndrome: Clinical characteristics and outcome. The Journal of pediatrics 1999; 135: 98–101. 37. Peridis S et al. PFAPA syndrome in children: A meta-analysis on surgical versus medical treatment. Int J Pediatr Otorhinolaryngol 2010; 74: 1203–1208. 38. Harley EH. Asymmetric tonsil size in children. Arch Otolaryngol Head Neck Surg 2002; 128: 767–769. 39. van Lierop AC et al. Is diagnostic tonsillectomy indicated in all children with asymmetrically enlarged tonsils? S Afr Med J 2007; 97: 367–370. 40. Thorleifsdottir RH et al. Improvement of psoriasis after tonsillectomy is associated with a decrease in the frequency of circulating t cells that recognize streptococcal determinants and homologous skin determinants. J Immunol 2012; 188: 5160–5165. 41. Mariotti AJ, Agrawal R, Hotaling AJ. The role of tonsillectomy in pediatric IgA nephropathy. Arch Otolaryngol Head Neck Surg 2009; 135: 85–87. 14 2/14