Transkript
ALLERGIE
Antikörper gegen Antikörper
Neuer Cochrane-Review zu Omalizumab
Das Wirkprinzip des monoklonalen Antikörpers Omalizumab beruht auf der Bindung von IgE, sodass dieses «Allergie-Immunglobulin» nicht mehr an Immunzellen binden kann, um eine Kaskade allergischer Reaktionen in Gang zu setzen. Vor Kurzem erschien ein neuer Cochrane-Review zur Anwendung des Medikaments bei Patienten mit allergischem, chronischem Asthma.
Die Autoren des neuen Cochrane-Reviews zu Omalizumab (Xolair®) bei Asthma befassen sich mit 25 Studien, wobei 4 davon älteren Datums sind, mit heute nicht mehr gebräuchlichen Darreichungsformen des Antikörpers (inhalativ, i.v.) (1). Die im Folgenden zusammengefasste Analyse bezieht sich nur auf Studien mit subkutan verabreichtem Omalizumab, das heisst insgesamt 21 Studien mit 5975 Probanden, wobei in den allermeisten Studien Omalizumab als Add-on zu einer Steroidbasisbehandlung gegeben wurde (19 Studien). Die Cochrane-Autoren haben die wesentlichen Resultate sehr anschaulich grafisch dargestellt (Abbildung). Die Exazerbationsrate lag in einem Zeitraum von 16 bis 60 Wochen bei durchschnittlich 26 Prozent mit Plazebo und bei 16 Prozent mit Omalizumab. Das bedeutet, dass von 100 Patienten 74 so oder so keine Exazerbation hatten und 8 Patienten eine solche durch Omalizumab erspart blieb (OR: 0,55; 95%-Konfidenzintervall [KI]: 0,42–0,60).
Die Hospitalisationsrate war mit Omalizumab geringer: Sie lag innert 28 bis 60 Wochen bei 3 Prozent mit Plazebo und bei 0,5 Prozent mit Omalizumab. Anders ausgedrückt: Ohne das Medikament traf es 200 von 6 Patienten gegenüber 1 von 200 Patienten mit Omalizumab (OR: 0,16; 95%-KI: 0,06–0,42). Auch der Gebrauch inhalativer Steroide (ICS) ging mit Omalizumab stärker zurück als mit Plazebo: Innert 28 bis 32 Wochen konnten 40 Prozent der Patienten mit Omalizumab ihre ICS weglassen, mit Plazebo waren es 21 Prozent (OR: 2,5; 95%-KI: 2,0–3,13). Dies macht einmal mehr deutlich, wie wichtig eine gute Betreuung der Patienten ist. Schon allein aufgrund der Tatsache, dass sie in einer Studie waren, sank der ICSGebrauch beträchtlich. Schwere Nebenwirkungen waren mit Omalizumab insgesamt seltener als unter Plazebo (OR: 0,72; 95%KI: 0,57–0,91), häufiger waren lediglich die Hautreaktionen an der Injektionsstelle (5,6% mit Plazebo vs. 9,1% mit Omalizumab).
Abbildung: Schematische Darstellung des Nutzens von Omalizumab bei je 100 Patienten mit mittelschwerem bis schwerem allergischem Asthma; nach (1); die Grafiken wurden von den Autoren des Cochrane-Reviews mit dem frei verfügbaren Programm Visual Rx erstellt (www.nntonline.net).
Und bei Kindern?
Die Studienlage speziell für Kinder ist wie bei vielen pädiatrischen Indikationen weiterhin dünn. Im aktuellen Cochrane-Review sind 2 Studien mit insgesamt 962 Kindern zwischen 5 und 11 Jahren enthalten, die in den Jahren 2001 und 2009 publiziert wurden (2, 3). In den anderen Studien wurden oft auch Kinder behandelt; der Anteil der 12- bis 17-Jährigen betrug dabei 6 bis 8 Prozent, die Resultate wurden jedoch nicht altersspezifisch angegeben. Die Resultate der beiden Studien mit den Kindern passen ins Gesamtbild. Auch hier waren Exazerbationsrate, ICS-Gebrauch und Hospitalisation seltener mit Omalizumab als mit Plazebo. Beispielsweise konnten in der Studie von Milgrom et al. (2) 55 Prozent der Kinder ihre ICS unter Omalizumab absetzen – aber auch bei 39 Prozent in der Plazebogruppe war das der Fall, was einen «Nettogewinn» von 14 Prozent ausmacht, das heisst, zusätzlich 14 von 100 Kindern mit Omali-
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zumab profitierten hinsichtlich der ICS-Vermeidung von dem Medikament. Der Anteil der Patienten mit Exazerbationen betrug in dieser Studie 38 Prozent mit Plazebo gegenüber 18 Prozent mit Omalizumab.
Bekommen die richtigen Patienten Omalizumab?
Die Autoren des Cochrane-Reviews werfen die Frage auf, ob tatsächlich diejenigen Patienten das Medikament bekommen, die am meisten davon profitieren würden, nicht zuletzt angesichts der hohen Kosten von zirka 7000 bis 27 000 Franken pro Jahr. Entsprechende prognostisch sinnvolle Parameter oder Biomarker kennt man jedoch noch nicht. In der Schweiz ist Omalizumab für Kinder ab 6 Jahren bei schwerem persistierendem allergischem Asthma zugelassen, falls anders keine ausreichende Kontrolle erreicht werden kann. Gemäss den Schweizer Therapieempfehlungen (4) ist Omalizumab zurzeit nur bei schwersten, sonst nicht behandelbaren Asthmaformen für Patienten ab 12 Jahren in Erwägung zu ziehen. Während in den Studien überwiegend Patienten mit mittelschwerem Asthma behandelt werden, bekommen in der Praxis nur die ganz schweren Fälle das Medikament. Mangels ausreichender Patientenzahlen mit schwerem Asthma in den Studien gibt es somit streng genommen kaum Daten, die belegen könnten, dass die schweren Fälle tatsächlich am meisten davon
profitieren. So zeigte sich in der vorliegenden Cochrane-Analyse für Patienten mit schwerem Asthma und oralen Steroiden kein statistisch signifikanter Vorteil durch Omalizumab hinsichtlich der Exazerbationsrate. Die Autoren geben ausserdem zu bedenken, dass sie in ihrer Analyse keine konsistenten Trends für verschiedene Endpunkte feststellen konnten, die einen speziellen Nutzen für Patienten mit schwerem Asthma belegten. Im Gegenteil, die einzige Analyse, bei der sie überhaupt einen Unterschied im Therapieerfolg gemäss Schwere des Asthmas feststellen konnten, sprach dagegen: Bei Patienten mit stabiler Steroiddosis und einer oder mehr Exazerbationen profitierten diejenigen mit mittelschwerem Asthma stärker von Omalizumab als die schweren Fälle. Als zweiten Punkt mit bis anhin unzureichender Datenlage nennen die Autoren des Cochrane-Reviews die Indikation gemäss IgE-Spiegel. Man wisse nur wenig darüber, ob Patienten mit niedrigen oder normalen IgE-Werten im Serum nicht doch von Omalizumab profitieren könnten, zumal das IgE im Gewebe möglicherweise eine bis anhin unterschätzte Rolle für die Atemwegssymptome bei Asthma spielt. Verantwortlich für diese Datenlücke ist der Umstand, dass in den Studien bestimmte IgE-Serum-Spiegel als Einschlusskriterien definiert wurden und der weitaus häufigste Grund sind, warum Patienten nicht in eine Studie aufgenommen werden.
ALLERGIE
ALLERGIE
Omalizumab als Unterstützung bei der Hyposensibilisierung?
Eine neue Anwendungsmöglichkeit für den IgE-Blokker könnte die Unterstützung von Hyposensibilisierungstherapien sein. In einer kürzlich publizierten, kleinen Phase-I-Studie mit 25 Patienten mit Nahrungsmittelallergien (5) zeigte sich, dass die Vorbehandlung mit Omalizumab die Hyposensibilisierung beschleunigte. Die Patienten mit der Vorbehandlung erreichten den primären Endpunkt (4 g allergene Proteine ohne Probleme essen) im Mittel bereits nach 18 Wochen gegenüber 85 Wochen mit dem normalen Hyposensibilisierungsprotokoll.
Renate Bonifer
Literatur: 1. Normansell R, Walker S, Milan SJ,Walters EH, Nair P. Omalizumab for asthma in adults and children. Cochrane Database of Systematic Reviews 2014, Issue 1. Art. No.: CD003559. DOI: 10.1002/14651858.CD003559.pub4. 2. Milgrom H et al. Treatment of Childhood Asthma With Anti-Immunoglobulin E Antibody (Omalizumab). Pediatrics 2001;108;e36 DOI: 10.1542/peds.108.2.e36. 3. Lanier B et al. Omalizumab for the treatment of exacerbations in children with inadequately controlled allergic (IgE-mediated) asthma. J Allergy Clin Immunol 2009; 124 (6): 1210–1216. 4. Roth S et al. Empfehlungen zur Behandlung der obstruktiven Atemwegserkrankungen im Kindesalter (SGPP/PIA-CH 2009). Paediatrica 2009; 20 (3): 44–51. 5. Bégin P et al. Phase 1 results of safety and tolerability in a rush oral immunotherapy protocol to multiple foods using Omalizumab. Allergy Asthma Clin Immunol 2014; 10 (1): 7.
BUCHTIPP
Sport trotz Verletzung oder orthopädischer Erkrankung
V erletzungen und orthopädische Erkrankungen während des Wachstums im Kindes- und Jugendalter unterscheiden sich zum Teil erheblich von denjenigen bei Erwachsenen. Häufig betrifft dies sowohl die Diagnose als auch das weitere Vorgehen. Angemessene sportliche Betätigung fördert bekanntermassen sowohl die physische als auch die psychische Gesundheit – birgt aber gleichzeitig immer auch ein je nach Sportart unterschiedlich hohes Überlastungs- und Verletzungsrisiko. Kindern und Jugendlichen wird der Sport nach Verletzungen und bei Erkrankungen des Bewegungsapparates aus Angst vor weiteren Verletzungen oder langfristigen Schäden noch allzu oft verboten. Dieses neue Buch will Ärzten helfen, die Sporttauglichkeit der Heranwachsenden adäquat zu beurteilen. Es richtet sich aber auch an Sportlehrer, Trainer und Physiotherapeuten. Man findet hier Antwort auf zentrale Fragen: Welche Sportart ist bei Erkrankungen und Verletzung zu welchem Zeitpunkt möglich? Worauf ist zu achten? Welche Sportarten sind sinnvoll im Sinn der Prävention?
61 Autoren aus Deutschland, Österreich, Luxemburg und der Schweiz geben in dem umfangreichen und reich bebilderten Werk einen umfassenden Überblick zu allen Aspekten der Sportorthopädie und -traumatologie im Kindes- und Jugendalter. In den einführenden Kapiteln geht es um die Grundlagen, wie die Bedeutung des Sports für Wachstum und Entwicklung inklusive grundlegender Erläuterungen zum Skelettwachstum sowie eine detaillierte Übersicht zu den verschiedenen Trainingszielen (Kraft, Ausdauer, Schnelligkeit, Beweglichkeit). Auch ein Kapitel über die Bedeutung des Sports für Kinder und Jugendliche aus sozialmedizinischer Sicht fehlt nicht. Den grössten Teil nehmen die Kapitel über Verletzungs- und Überlastungsschäden sowie Sport bei orthopädischen Erkrankungen ein. Was das Buch für die Praxis besonders attraktiv
macht, sind nicht zuletzt auch die Ausführungen zu den Kriterien der häufig zu unrecht erteilten «Befreiung» vom Schulsport sowie die Bewertung von 21 Individual- und Mannschaftssportarten, für die jeweils systematisch Verletzungsrisiken und deren Prävention aufgeführt werden. Auch an Kinder und Jugendliche im Rollstuhl wurde gedacht. Dem Rollstuhlsport ist ein eigenes Kapitel gewidmet.
RBO
Sportorthopädie und -traumatologie im Kindes- und Jugendalter. Empfehlungen zur Sporttauglichkeitsprüfung und zur Sportausübung bei Verletzungen und Erkrankungen. Von Holger Schmitt (Hrsg.). 461 Seiten, 261 Abbildungen mit 345 Einzeldarstellungen und 41 Tabellen; Deutscher Ärzte-Verlag 2014; Fr. 94,90; ISBN 978-3-7691-0614-5.
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