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PRÄVENTION
«Sonnenschutz sollte so selbstverständlich sein wie Zähneputzen»
Massive Sonnenbrände in der Kindheit scheinen für das Melanomrisiko eine wichtige Rolle zu spielen. Mit dem Projekt «SunPass» versucht die Europäische Hautkrebsstiftung (ESCF), diesem Trend entgegenzuwirken, indem schon in den Kindergärten auf adäquaten Sonnenschutz geachtet wird. Ein Gespräch mit dem Leiter der Initiative, Prof. Dr. Eggert Stockfleth von der Berliner Charité.
H err Prof. Stockfleth, was gibt es Neues zur Hautkrebsprävalenz in Europa? Prof. Dr. Eggert Stockfleth: Wir haben 2008 bis 2013 im Rahmen eines EU-Projektes Erhebungen in verschiedenen Ländern durchgeführt. Dabei wurde festgestellt, dass Hautkrebs noch um 33 Prozent häufiger ist als bisher angenommen. Allein in Deutschland werden jedes Jahr rund 230 000 Hautkrebsneuerkrankungen diagnostiziert. Ich nehme an, dass der Trend in der Schweiz ähnlich ist. In den kommenden 20 Jahren rechnen wir mit einer Zunahme von mindestens 5 bis 7 Prozent pro Jahr!
Ist diese Zunahme der Hautkrebsfälle auf die Sonnenbrände der Kinder vor 30 Jahren zurückzuführen? Stockfleth: Man hat sich in den vergangenen Jahrzehnten ziemlich sorglos der Sonne ausgesetzt. Es ist gut belegt, dass Sonnenbrände in der Kindheit vor allem die Melanomhäufigkeit, aber auch die Inzidenz des hellen Hautkrebses deutlich erhöhen. Jeder hat ein persönliches UV-Konto, auf das er sein Leben lang «einzahlt», und je nach Hauttyp ist es früher oder später voll. Eigentlich ist der helle Hautkrebs ein Krebs älterer Menschen. Da die Patienten ihr Sonnenkonto immer schneller auffüllen, werden sie auch immer jünger.
Mit wie vielen Sonnenbränden muss man denn «einzahlen», bis irgendwann ein Melanom erscheint? Stockfleth: Man geht davon aus, dass 5 bis 10 Sonnebrände als Kind ausreichen, um das Hautkrebsrisiko im Erwachsenenalter signifikant zu erhöhen. Die Europäische Hautkrebsstiftung hat eine Umfrage bei rund 3400 Familien durchgeführt. Dabei wurde deutlich, dass viele Eltern offenbar die Gefahr der Sonne unterschätzen. Nur 14 Prozent der Eltern gaben an, ihren Kindern zum Spielen im Freien Mützen mitzugeben, und nur jeder Fünfte achtete auf adäquate Kleidung im Sommer.
Was wollen Sie mit dem Projekt «SunPass» erreichen? Stockfleth: Wir wollen die Kinder den gesunden Umgang mit der Sonne lehren, ähnlich wie richtige Ernährung oder das regelmässige Zähneputzen. Im Kindergarten – und das ist das Besondere daran – erreichen wir nicht nur die Kinder, sondern auch die Erzieherinnen und Erzieher, die Eltern und sogar die Grosseltern.
Wie gehen Sie dabei vor? Stockfleth: Zuerst gehen wir in die Kindergärten und schauen uns die dortigen Tagesabläufe an. Wo befinden sich die Kinder zu den Hauptsonnenzeiten? Wenn sie draussen sind, sind sie im Schatten oder in der Sonne? Sind überhaupt Schattenplätze vorhanden? Werden die Kleinen morgens eingecremt? Welche Kleidung wird draussen getragen? Wer hat einen Hut? Wie verhalten sich die Erzieher selbst? Sind sie punkto Sonnenschutz ein Vorbild für die Kinder? In dieser Phase nehmen wir also den Ist-Zustand auf, wir testen die Kenntnisse der Eltern und Erzieher und veranstalten dann eine Fortbildung mit den Eltern. Beim nächsten Termin prüfen wir, ob sich das Wissen der Beteiligten verändert hat. Nach drei weiteren Monaten schauen wir, ob sich im Kindergarten tatsächlich etwas verbessert hat. Ist das der Fall, dann bekommt der Kindergarten beziehungsweise die Kita eine Auszeichnung als «Sonnenschutzkindergarten» und ein entsprechendes Schild. Damit schmücken sich die Einrichtungen dann sehr gerne.
Das alles klingt ziemlich aufwendig … Stockfleth: Wir arbeiten mit der Deutschen Krebsgesellschaft zusammen. In Zukunft wollen wir noch viel mehr Kindergärten einbinden. Allein mit dem Personal der Europäischen Hautkrebsstiftung ist das aber nicht mehr zu schaffen. Vor Jahren habe ich einmal gedacht, ein solches Projekt gehe nur mit Dermatologen. Aber das ist überhaupt nicht nötig. Wir bilden
Professor Dr. med. Eggert Stockfleth
Sonnenbrände in der Kindheit erhöhen das Risiko für Melanome und hellen Hautkrebs.
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PRÄVENTION
Jeder hat ein persönliches UV-Konto, auf das er sein Leben lang «einzahlt».
Freiwillige aus, denen man innerhalb von kurzer Zeit die wichtigsten Dinge zum Sonnenschutz beibringen kann.
Was bringen diese Helfer den Erziehern und Eltern bei? Stockfleth: Wir haben in jedem Kindergarten einen oder eine «Sonnenschutzbeauftragten». Diese Person wird aktiv, wenn der UV-Index einen gewissen Wert erreicht hat. Dann werden die Eltern dazu angehalten, die Kinder möglichst schon morgens vor dem Kindergarten gut einzucremen. Zudem sollen die Kleinen leichte Kleidung und ein Hütchen tragen. Einer der wichtigsten Punkte ist es, die Kinder zu den Hauptsonnenzeiten zwischen 11 und 15 Uhr im Schatten zu lassen. In manchen Fällen standen von vornherein zu wenig Schattenplätze zur Verfügung, da hat man sich eben ein Sonnendach zugelegt.
INFO
Melanomhäufigkeit in der Schweiz In der Schweiz werden jährlich 22 neue Melanomfälle pro 100 000 Einwohnern entdeckt. Die Schweiz liegt damit im europäischen Vergleich an der Spitze und weltweit hinter Australien und Neuseeland auf dem zweiten Platz. In den letzten 20 Jahren hat sich die Melanominzidenz verdoppelt, was vermutlich auch auf eine erhöhte Aufmerksamkeit seitens der Ärzte und Bevölkerung zurückzuführen sein dürfte.
Das Projekt «SunPass»
Professor Dr. med. Eggert Stockfleth ist Direktor des Hauttumorzentrums an der Berli-
ner Charité und Leiter der Europäischen Hautkrebsstiftung (ESCF). Das im Jahr 2009
in Deutschland gestartete «SunPass»-Kindergartenprojekt von ESCF, Deutscher Krebs-
gesellschaft und den deutschen Landeskrebsgesellschaften wurde kürzlich mit dem
von Jenapharm gestifteten «Zukunfts- und Innovationspreis Dermatologie 2013» des
Berufsverbands der deutschen Dermatologen ausgezeichnet.
Das Unternehmen Pierre Fabre Avène unterstützt das Projekt «SunPass», und liefert
kostenlose Sonnenschutzpräparate an die beteiligten Kindergärten.
RBO
Wie ist die Compliance der Beteiligten? Stockfleth: Die Compliance in den Kindergärten ist sehr gut – und zwar sowohl von den Kindern als auch von den Erzieherinnen und Erziehern. Auch die Träger der Einrichtungen haben sich sehr engagiert, für sie ist das Projekt «SunPass» natürlich auch eine Werbung. Erste Auswertungen zeigen messbare Erfolge. Zum einen hat sich das Wissen bei allen Beteiligten massiv verbessert, zum anderen werden Sonnenschutzvereinbarungen tatsächlich eingehalten und umgesetzt. Das einzige Problem sind manche Eltern, die wir bis jetzt nicht erreichen. Denn die Compliance hängt extrem vom sozialen Status ab. Als wir diese Aktionen im Berliner Wedding gemacht haben, einer sozial eher schwächeren Gegend, sind kaum Eltern gekommen. Dagegen war im reichen Stadtteil Grunewald die Beteiligung der Eltern hervorragend.
Wenn die Eltern ihre Kinder nicht eincremen, könnten das ja auch die Erzieherinnen übernehmen … Stockfleth: Das wird in den meisten Einrichtungen auch so gemacht. Alle Kinder haben dann einen Sonnenschutz auf der Haut. Allerdings gibt es Kindergärten, in denen das Personal die Kinder nicht eincremen darf. Das ist dort nur den Eltern erlaubt, und damit wird das Einschmieren eben auch immer wieder vergessen. Dass mancherorts solche Bestimmungen existieren, wusste ich zuvor auch nicht.
Wie viele Kindergärten sind bis heute mit im Boot? Stockfleth: Ich schätze, dass derzeit rund 250 Kindergärten in Deutschland dabei sind. Wenn man davon ausgeht, dass in jedem Kindergarten 100 Kinder betreut werden, haben wir schon 25 000 Kinder erreicht. 2014 wollen wir 1000 Kindergärten einbinden – allerdings gibt es in Deutschland insgesamt 32 000 Kindergärten. Die Hautkrebsstiftung will 2014 das Projekt auch in der Schweiz, in Österreich, Italien und in Polen vorstellen. Es wäre schön, wenn wir dafür noch Ansprechpartner fänden.
Das Interview führte Dr. Klaus Duffner.
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