Transkript
HPV-Impfung zeigt Wirkung
Impfraten in der Schweiz noch weit unter BAG-Zielsetzung
IMPFUNG
Während die HPV-Impfrate in der Schweiz noch weit unter den angestrebten 80 Prozent liegt, zeigen sich in Ländern mit hoher Impfrate bereits deutliche Erfolge. Die ebenfalls durch Papillomviren verursachten Genitalwarzen sind dort bei jungen Frauen und Männern innert weniger Jahre deutlich zurückgegangen.
Nach Auskunft des BAG beträgt die durchschnittliche HPV-Impfrate bei Mädchen im Alter von 16 Jahren für die gesamte Schweiz 57 Prozent für mindestens 1 Impfdosis und 52 Prozent für 3 Impfdosen. Die Unterschiede zwischen den Kantonen sind sehr gross und reichen von 19 Prozent in Appenzell Ausserrhoden im 2010 bis 69 Prozent im Waadtland im 2011. Wie am Schweizer Impfkongress 2012 berichtet wurde, ist die Impfrate in der Romandie höher als in der deutschsprachigen Schweiz (65 vs. 43%), und sie ist generell höher, wenn die HPV-Impfung im Rahmen von Schulimpfungen durchgeführt wird (53 vs. 40%). BAG und EKIF empfehlen, alle Mädchen im Alter von 11 bis 14 Jahren gegen HPV zu impfen, sowie eine Nachholimpfung für 15- bis 19-jährige Mädchen. Wurden nach der Einführung der HPV-Impfung noch generell 3 Impfdosen empfohlen, so sind dies seit 2012 für die 11- bis 14-jährigen Mädchen nur noch 2 Impfdosen im Abstand von 4 bis 6 Monaten. Eine dritte Impfdosis gilt als unnötig, wenn die erste Impfdosis vor dem 15. Geburtstag verabreicht wurde. Für junge Frauen ab dem 15. Geburtstag blieb es unverändert bei dem Impfschema von 3 Impfdosen. Man erhoffte sich von der neuen Empfehlung eine bessere Akzeptanz und Compliance, eine frühzeitigere Impfung und eine Kos-tensenkung um ein Drittel. Ob sich diese Hoffnungen erfüllt haben, ist offen, da noch nicht genügend Zahlen zur Entwicklung nach der Änderung der Impfempfehlung vorliegen. Diese Impfung ist kostenlos, sofern sie im Rahmen eines kantonalen Impfprogrammes erfolgt, eine Franchise wird nicht erhoben. In der Schweiz wurden bis 2010 insgesamt 3727 Mädchen ein- oder mehrmals gegen HPV geimpft.
(76% mit HPV 16/18). Die HPV-Prävalenzen (alle Stämme) anderer Tumoren betragen 84,2 Prozent (Anus), 76,8 Prozent (Vagina), 46,7 Prozent (Penis), 34,7 Prozent (Vulva) und 28,2 Prozent (Oropharynx). Da Tumoren sich erst Jahre oder Jahrzehnte nach der Virusinfektion enwickeln, kann man einen Rückgang des Zervixkarzinoms bei Geimpften zurzeit weder beweisen noch widerlegen. Man konnte aber bereits in randomisierten Studien zeigen, dass HPV-naive Mädchen, die vor dem ersten Sexualkontakt geimpft wurden, praktisch vollständig vor HPV-16/18-assoziierten präkanzerösen Zervixkarzinomstadien CIN 2+ und CIN 3+ geschützt waren (1, 2).
Deutlicher Rückgang von Genitalwarzen
Anlass zum Optimismus gibt die Entwicklung in Australien, das 2007 als eines der ersten Länder ein staatlich finanziertes Impfprogramm startete. Hier werden 12- bis 13-jährige Mädchen an den Schulen kostenlos gegen HPV geimpft. In den ersten zwei Jahren des Programms, bis 2009, wurde die Impfung auch jungen Frauen bis zum Alter von 26 Jahren gratis angeboten. Die HPV-Impfrate in Australien ist hoch. Sie betrug 2010 für die ersten beiden Impfdosen 80 Prozent bei den 12- bis 13-jährigen Mädchen. Verwendet wird der quadrivalente HPV-Impfstoff Gardasil®. Dieser enthält die Antigene der HPV-Typen 16 und 18 (Zervixkarzinom) sowie HPV 6 und 11. Letztere sind die wichtigsten Erreger von Genitalwarzen (zu 90% mit HPV 6/11 assoziiert), der am häufigsten sexuell übertragenen Viruserkrankung.
Linktipp
Wie wirksam ist die HPV-Impfung?
Papillomaviren werden für zirka 5 Prozent aller Krebserkrankungen verantwortlich gemacht. Für einige Tumoren kennt man die HPV-Prävalenzen. So sind 99,7 Prozent aller Zervixkarzinome mit HPV assoziiert
Auf der Webseite des BAG finden Kinderärzte hilfreiche Informationen und Argumentationen, die sie ihren Patienten zur Verfügung stellen können, zum Beispiel Flyer in acht verschiedenen Sprachen, ein «factsheet» und Antworten auf häufige Fragen. Ausserdem können Ärzte dort auch eine PowerPoint-Präsentation zu HPV herunterladen. www.sichimpfen-hpv.ch
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SEKUNDÄRTHEMA
Bereits 2011, im fünften Jahr des Impfprogramms, konnte man in einer Erhebung an acht australischen Kliniken für Geschlechtskrankheiten einen deutlichen Rückgang der Genitalwarzen verzeichnen (3): Bei den Frauen unter 21 Jahren sank die Prävalenz von Genitalwarzen um 93 Prozent (von 11,5% in 2007 auf 0,85% in 2011). Auch die Nachholimpfung für ältere Frauen, von denen viele bereits vor der Impfung sexuell aktiv waren, brachte noch etwas: Bei den 21- bis 30-Jährigen zeigte sich ein Rückgang um 73 Prozent (von 11,3% in 2007 auf 3,1% in 2011). Bei keiner der unter 21-jährigen Frauen, die geimpft worden waren, wurden 2011 Genitalwarzen diagnostiziert, was zwei Schlüsse zulässt: Entweder kommen in Australien nur Genitalwarzen vor, die durch HPV 6 oder 11 verursacht werden, oder es besteht eine Kreuzimmunisierung auch gegen andere HPV-Typen.
HPV-Impfung auch für Jungen
In Australien zeigte sich ein immunologischer «Herdeneffekt», der offenbar auch die männlichen, ungeimpften jungen Männer vor Genitalwarzen schützt (3): Von 2007 bis 2011 sank die Erkrankungsrate bei den heterosexuellen australischen Männern unter 30 Jahre. Der
Rückgang war bei den unter 21-Jährigen mit 82 Prozent am grössten (2007: 12,1%; 2011: 2,2%), aber auch bei den bis 21- bis 30-Jährigen mit 51 Prozent noch recht deutlich (2007: 18,2%; 2011: 8,9%). Als Konsequenz hat die australische Regierung 2013 an den Schulen auch ein Impfprogramm für 12- bis 13-jährige Jungen begonnen; wie bei den Mädchen mit einer Nachholimpfung für die 14- bis 15-Jährigen in den ersten beiden Jahren des Programms. Man erhofft sich davon langfristig einen Rückgang der Anal-, Penis- und Oropharynxkarzinome. In der Schweiz diskutiert man in der EKIF zurzeit über Empfehlungen zur HPV-Impfung für Jungen.
Renate Bonifer Literatur: 1. Lehtinen M et al. Overall efficacy of HPV-16/18 AS04-adjuvanted vaccine against grade 3 or greater cervical intraepithelial neoplasia: 4-year end-of-study analysis of the randomised, double-blind PATRICIA trial. Lancet Oncol 2012; 13 (1): 89–99. 2. Munoz N et al. Impact of Human Papillomavirus (HPV)-6/11/16/18 Vaccine on All HPV-Associated Genital Diseases in Young Women. J Natl Cancer Inst 2010; 102: 325– 339. 3. Hammad A et al. Genital warts in young Australians five years into national human papillomavirus vaccination programme: national surveillance data. BMJ 2013; 346: f2032.
LESERMEINUNG
Veränderungen in der Autismuslandschaft
Leserbrief zur «Pädiatrie» 5/2013
Wir sind es gewöhnt, dass bestimmte Themen unter Fachleuten diskutiert und in der Öffentlichkeit breit popularisiert werden. Das war so mit der Diagnose ADHS. Dabei besteht immer wieder die Gefahr, dass Diagnosekriterien (zu) sehr ausgeweitet und bestimmte Diagnosen zu ubiquitär anwendbaren Erklärungsmodellen der Wirklichkeit werden. Die Artikel in der Schwerpunktausgabe der «Pädiatrie» zum Autismus sind eine gute Zusammenfassung zum Stand der Autismusforschung und der therapeutischen Angebote bei Autismus-Spektrum-Störungen. Dabei wird jedoch auf das Problem der Veränderung der Diagnosekriterien wenig eingegangen. Was meine ich? Die aktuell extrem unterschiedliche Prävalenz von Autismusstörungen in soziokulturell ähnlichen Staaten, zum Beispiel zwischen 3 Autismusfällen auf 1000 (Grossbritannien) versus 8 Fälle auf 100 (USA) zeigt ja, dass die Diagnosekriterien nicht identisch sein können. In der Schweiz sehen wir neben der Zunahme diagnostizierter Autismusfälle den mehr als deutlichen Trend, Oligophreniediagnosen seltener oder nicht mehr zu stellen, sondern die Auffälligkeiten im Rahmen einer massiven Behinderung als Autismus zu klassifizieren. Ver-
sicherungsmedizinisch heisst das, dass es kaum noch Anmeldungen des GG 403 (Oligophrenie, Behandlung von erethischem oder apathischem Verhalten) bei der IV gibt, sondern diese Diagnose zugunsten der Diagnose Autismus GG 405 verschwindet. Wir fragen uns oft, wenn autistische Kinder angemeldet werden, wie würde die Überweiserin ein schwer oligophrenes Kind beschreiben? Die Ursachen dieser Entwicklung sind vielfältig: Aufbau spezialisierter Zentren, Mangel an qualifizierten Fachkräften (vor allem Fachärztinnen für Kinder- und Jugendpsychiatrie), bessere Akzeptanz der Diagnose Autismus als Oligophrenie, Versprechen therapeutischen Erfolgs, bessere Leistungen der IV bei Autismus als bei Oligophrenie. In der aktuellen Literatur wird den Diskussionen zur Abgrenzung von Oligophrenie zum Autismus wenig Raum gegeben, Kinder mit einer schweren Oligophrenie zeigen in der Regel auch Auffälligkeiten in der sozialen Interaktion und eine qualitative Beeinträchtigung der Kommunikation. Repetitive und stereotype Verhaltensmuster und eingeschränkte Interessen sind geradezu ein Kernsymptom bei Oligophrenie. Ich vermisse dabei eine Reflexion der Veränderung der Diagnosekriterien. Bei Autismus ist die Abweichung und
nicht der Rückstand das entscheidende Diagnosekriterium. Ich sehe auch die Gefahr, dass bei einer grosszügigen Autismusdiagnose bei manchen Kindern der schwere globale Entwicklungsrückstand im Rahmen einer diffusen Hirnschädigung nicht oder kaum korrigiert werden kann und den Eltern falsche Hoffnungen auf die mögliche Behandlung eines Autismus gemacht respektive eine Akzeptanz der kognitiven Behinderung erschwert wird. Wir betreuen Kinder in unserer Praxis, bei denen extern eine Autismus-Spektrum-Störung (und GG 405) diagnostiziert wurde, über lange Zeit, auch mit autismusspezifischer Einzeltherapie, und verfolgen die Entwicklung. Oft bestätigt sich die Diagnose Autismus im Verlauf nicht, und wir sehen die Problematik primär als geistige Behinderung, das heisst, nicht die Kommunikations- und Interaktionsstörung wirken für die Integration limitierend, sondern der globale Entwicklungsrückstand/Oligophrenie.
Dr. med. Ulrich Fischer Facharzt FMH für Kinder- und Jugendpsychiatrie, Psychotherapie Psychotherapeutische Praxisgemeinschaft
Klösterli, Zofingen E-Mail: dr.fischer@hispeed.ch
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