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Säuglinge mit Fieber
Was ist bei Fieberkrampf oder Harnwegsinfektionen zu beachten?
Bis auf den letzten Platz besetzt war der Workshop «Fieber bei Neugeborenen und Säuglingen» an der SGP-Jahrestagung in Genf. Dr. med. Klara Posfay-Barbe, Hôpital des Enfants de Genève, und Prof. Christoph Berger, Universitätskinderkliniken Zürich, gaben Ratschläge, was im Einzelfall zu tun ist. Ausserdem nutzte man die Chance, den Workshopteilnehmern Tipps zur Masernimpfung mit auf den Weg zu geben.
Zirka 2 bis 5 Prozent aller Kinder erleiden Fieberkrämpfe, meist im Alter von 18 bis 22 Monaten. Es gebe keine Anhaltspunkte dafür, dass dies mit einer erhöhten Mortalität, Hemiplegie oder mentaler Retardierung einhergehe, sagte Dr. med. Klara Posfay-Barbe, Hôpital des Enfants de Genève. Das Epilepsierisiko ist bei diesen Kindern nur wenig erhöht. In einem Drittel der Fälle kommt es zu rezidivierenden Fieberkrämpfen. Ob man nach einem Fieberkrampf präventiv Antipyretika geben sollte, ist umstritten und fraglich.
Ursache von Fieberkrämpfen meist unklar
Die meisten Teilnehmer des Workshops tippten bei dem vorgestellten Fall auf eine Infektion der Atemwege beziehungsweise Otitis media. Meist bleibt die Ursache eines Fieberkrampfs aber im Dunkeln. Betrachtet man die verfügbaren Daten aus Studien, zeigt sich ein sehr heterogenes Spektrum potenzieller Ursachen, das von der am häufigsten genannten «unbe-
Tabelle 1: Wesentliche Punkte der neuen Schweizer Guideline zu HWI im Kindesalter
1. Säuglinge und Kleinkinder mit Fieber immer auf HWI untersuchen. 2. Diagnose mittels Urinkultur, Urin bevorzugt mittels Katheter gewinnen oder mit der
Clean-catch-Methode. 3. Ab einem Alter von 6 Monaten bei gutem Allgemeinzustand: orale Therapie. 4. Am Tag 3 Diagnose überprüfen, empirische Therapie überdenken, gegebenenfalls
Reevaluation. 5. Bildgebung: 1 x Ultraschall bei der ersten febrilen HWI (MCUG nur in speziellen
Fällen). 6. Keine Antibiotikaprophylaxe ausser in speziellen Fällen (nie Cephalosporine zur
Prophylaxe geben).
Quelle: präsentiert von C. Berger am Workshop «Fieber bei Neugeborenen und Säuglingen», SGP-Jahrestagung Genf, 21. Juni 2013.
stimmten Ursache» über Infektionen der Atemwege, Otitis media, Harnwegsinfekte bis zu Lungenentzündung und Gastroenteritis reicht. Die Angst vor einer ZNS-Infektion scheint meist unbegründet, da dies nur in seltenen Fällen vorkommt. Seit Einführung der Impfungen gegen Haemophilus influenzae Typ b und Streptococcus pneumoniae sind bakterielle Meningitiden bei geimpften Kindern im Alter von über 6 Monaten sehr selten geworden. Dies zeigte sich in verschiedenen Studien in den USA und in Indien mit Lumbalpunktionen nach einem ersten Fieberkrampf (USA: n = 271, 10 Fälle mit Pleozytose, kein Fall von Meningitis; Indien: n = 497; Meningitis in 4 Fällen) beziehungsweise nach einem ersten, komplexen Fieberkrampf (USA: n = 526; 14 Fälle mit Pleozytose und 3 Meningitisfälle, 2 davon bei ungeimpften Kindern).
Abklärungen bei Fieberkrampf
Bei einem Fieberkrampf müsse man immer den Impfstatus des Kindes überprüfen, betonte Posfay-Barbe. Bei einem vollständig geimpften Kind mit einem einfachen Fieberkrampf ohne weitere Komplikationen sind Blutuntersuchungen und eine Lumbalpunktion in der Regel nicht nötig; das Gleiche gilt für neuroradiologische Untersuchungen. Je nach Jahreszeit kann ein Schnelltest auf RSV oder Influenza sinnvoll sein. Bei einem Kind unter 6 Monaten werde die Lumbalpunktion in der Regel empfohlen, sagte Klara PosfayBarbe. Ausserdem gilt diese Empfehlung, wenn offensichtliche Symptome einer Meningitis oder klinische Anhaltspunkte für eine intrakranielle Infektion vorliegen. Eine Lumbalpunktion kann in Betracht gezogen werden bei Säuglingen im Alter von 6 bis 12 Monaten, falls ihr Impfstatus lückenhaft ist oder Tage vor dem Fieberkrampf systemische Antibiotika gegeben wurden.
Viren als Auslöser
Viren sind häufige Ursachen für Fieber bei Säuglingen, insbesondere Adenoviren, HHV-6, Entero- und Parechoviren. Eine grössere Rolle als bis anhin angenommen könnten die neurotropen Herpesviren (HHV-6,
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HHV-7) als Ursache von Fieberkrämpfen spielen. HHV6 und HHV-7 sind ubiquitär und kommen praktisch bei allen Personen über 6 Jahre vor. Eine primäre Infektion mit HHV-6 oder HHV-7 scheint eine häufige Ursache von Krampfanfällen bei Säuglingen zu sein. So zeigte sich bei 42 Kindern mit einem ersten Fieberkrampf, dass ein Viertel von ihnen mit HHV-6 infiziert war. Eine Studie mit 496 Kindern unter 3 Jahren ergab, dass drei Viertel der HHV-7-Infizierten Fieberkrämpfe hatten sowie 17 Prozent der mit HHV-6 Infizierten. Eine Infektion mit HHV-6B ist oft mit einem febrilen Status epilepticus (FSE) assoziiert, während dies für HHV-7 seltener zutrifft. HHV-6B und HHV-7 sind zusammen genommen für ein Drittel der FSE-Fälle verantwortlich.
Tabelle 2: Antibiotikatherapie bei Harnwegsinfektionen
Alter ≤ 2 Monate 2 bis 6 Monate
≥ 6 Monate, Fieber ≥ 6 Monate, kein Fieber
Behandlung nur i.v. (1–)3 Tage i.v., dann oral
oral oral
Amoxicillin + Aminoglykosid Cetriaxon Cefiximin/Ceftibuten Cefixim/Ceftibuten Cotrimoxazol Amoxicillin/Clavulansäure Cefuroxim
(10–)14 Tage 10–14 Tage
10–14 Tage 3–5 Tage
Quelle: präsentiert von C. Berger am Workshop «Fieber bei Neugeborenen und Säuglingen», SGP-Jahrestagung Genf, 21. Juni 2013.
Tabelle 3: «Hilfe, mein Kind könnte sich mit Masern angesteckt haben!» Was tun?
Alter des Kindes < 6 Monate Intervall seit potenzieller Ansteckung < 7 Tage Befund IgG gegen Masern? > 7 Tage
IgM gegen Masern?
> 6 Monate < 72 Stunden 72 Stunden bis 7 Tage keine Serologie keine Serologie > 7 Tage
Masern IgM?
Serologie Was tun?
Ja MMR-Impfung im Alter von 9 bis 12 Monaten
Nein Immunglobuline (IVIG), MMR-Impfung nach min. 6 Monaten (und nach 9 Monaten)
Ja = Masern! Spitaleinweisung empfohlen, keine Impfung, keine Immunglobuline
Nein MMR-Impfung im Alter von 6 Monaten
MMR-Impfung sofort + Booster im Alter von 12 Monaten (1 Monat später, falls das Kind über 12 Monate alt ist) Kind jünger als 12 Monate: IVIG + MMR-Impfung nach 6 Monaten und Booster nach 1 Monat Kind älter als 12 Monate: MMR-Impfung nach 3 Wochen Ja = Masern!
ggf. Spitaleinweisung (je nach Symptomatik) Nein MMR-Impfung nach 3 Wochen
Quelle: HUG, präsentiert von K. Posfay-Barbe am Workshop «Fieber bei Neugeborenen und Säuglingen», SGP-Jahrestagung Genf, 21. Juni 2013.
FSE erhöht das Risiko neuronaler Schäden im Hippocampus und von Temporallappenepilepsie.
Immer an Harnwegsinfektionen denken!
Etwa 7 Prozent der unter 2-jährigen Kinder mit unklarem Fieber hätten eine Harnwegsinfektion (HWI), sagte Prof. Christoph Berger, Universitätskinderkliniken Zürich. Die erste Massnahme sei darum immer, eine Urinprobe zu nehmen. In der Praxis wird dies häufig mit einem «Säckliurin» gemacht, aber: «Man kann den Säckliurin zum Screening verwenden, aber nicht für eine Urinkultur», sagte Berger. In den neuen Schweizer Guidelines der pädiatrischen Nephrologen, Urologen und Infektiologen, die demnächst publiziert werden sollen (Tabelle 1), wird darum der Katheterurin als Goldstandard genannt. Notfalls auch geeignet sei die sogenannte «Cleancatch»-Methode, also das möglichst saubere, direkte Auffangen des Urins. Nicht wenige der am Workshop anwesenden Praktiker schienen von der Forderung nach einem Katheterurin nicht so recht begeistert. Wenn alles für eine HWI spreche, so genüge ihm doch der Säckliurin mit Urinstix und Mikroskopie, gab einer von ihnen zu bedenken. Dem widerprach Berger entschieden: Er verstehe diesen Einwand zwar gut, doch wisse man ohne sauber entnommenen Urin eben nicht, ob dieser nun wirklich pathogene Keime enthält oder ob diese durch äussere Verunreinigungen in die Probe gelangt seien. Möglicherweise würde dann ein Kind 14 Tage lang unnötigerweise mit Antibiotika behandelt oder, was gravierender sei, man könnte auf den falschen diagnostischen Pfad kommen und eine andere, möglicherweise viel schwerwiegendere Ursache des Fiebers verpassen. Auch den Einwand, dass das Katherisieren per se ein Infektionsrisiko sei, liess Berger nicht gelten. Dieses Risiko sei nach seiner Erfahrung viel geringer als das Risiko einer Überbehandlung. Je mehr Übung man mit dem Katheter habe, umso sicherer sei diese Methode.
Urinkultur und Reevaluation am «Tag 3»
In der kommenden Schweizer Guideline der pädiatrischen Fachgesellschaften wird die Urinkultur für die Diagnose der HWI zwingend gefordert. Dies bedeute jedoch nicht, mit der Antibiotikatherapie zu warten. Wenn Klinik und Urinanalyse (Leukozyturie, Nitrit) für eine HWI spricht, sollte man sie beginnen. Applikation und Antibiotikawahl hängen vom Alter des kleinen Patienten ab (Tabelle 2). Wird eine HWI durch die Urinkultur nicht bestätigt, setzt man die Antibiotika ab und evaluiert den Fall neu. Als bestätigt gilt sie bei urinpathogenen Keimen in einer Konzentration von > 104 CFU/ml im Katheterurin beziehungsweise > 105 CFU/ml im «Cleancatch»-Urin. Eine besondere Bedeutung hat der Tag 3 nach Beginn der HWI-Therapie. Spätestens dann liegt nicht nur der Befund der Urinkultur vor, sondern an diesem Tag sollte auch die klinische Untersuchung wiederholt werden: Ist der Allgemeinzustand gut? Ist das Fieber
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gesunken? Falls alles auch weiterhin zur Diagnose HWI passt und die Therapie anschlägt, wird diese fortgesetzt. Passt hingegen auch nur ein Parameter nicht so recht ins Bild, muss erneut untersucht werden (Labor, Blutbild), und es sind mögliche Differenzialdiagnosen zu bedenken. Bei sehr jungen Säuglingen, Berger präsentierte dazu den Fall eines 5 Wochen alten Knaben, sollte von Anfang an eine Sepsis ausgeschlossen werden.
Ultraschalluntersuchung ist sinnvoll
Es gebe zwar unterschiedliche Ansichten über die Notwendigkeit einer Ultraschalluntersuchung bereits bei der ersten febrilen HWI-Episode, aber sie sei trotzdem empfehlenswert, um frühzeitig Fehlbildungen auszuschliessen: «Man muss das nicht gleich am ersten Tag machen», sagte Berger, sondern könne es nach ein paar Tagen, spätestens aber nach einem Monat tun.
MCUG und Antibiotikaprophylaxe nur in Sonderfällen
Die MCUG (Miktionszystoureterografie) braucht es in der Regel nicht, sondern nur in Spezialfällen wie bei einer Pyelonephritis im Alter unter 3 Monaten, bei rezidivierender Pyelonephritis, bei einem abnormen Ultraschallbefund und bei Harnwegsfehlbildungen in der Familienanamnese (VUR). Auch von der Antibiotikaprophylaxe rät man nun ab. Sie wird nur noch empfohlen für Kinder mit Pyelo-
nephritis im Alter unter 3 Monaten im Intervall bis zur MCUG, bei rezidivierender Pyelonephritis, bei einem abnormen Ultraschallbefund im Intervall bis zur MCUG, bei VUR III–V und bei komplexen urologischen Fehlbildungen.
Impftipps bei Masern
Neben so naheliegenden Themen wie Fieberkrampf oder HWI nutzte man in dem Workshop auch die Chance, den Workshopteilnehmern Tipps zur Masernimpfung mit auf den Weg zu geben. Die Durchimpfungsrate gegen Masern liegt in der Schweiz im Durchschnitt bei 77 Prozent in der Gesamtbevölkerung, bei den Kindern sind es 90 Prozent – mit gewissen Unterschieden in den verschiedenen Regionen. Immer wieder flackern lokale Masernepidemien auf, und auch Säuglinge kommen mit Masern in die Praxis, denn die Ansteckung sei praktisch «so unvermeidbar wie der Tod und die Steuern», sagte Dr. med. Klara Posfay-Barbe, Hôpital des Enfants de Genève. Nicht selten geraten Eltern ungeimpfter Kinder in Panik, wenn sich ihr Kind möglicherweise angesteckt hat. In Tabelle 3 ist zusammengefasst, was dann zu tun ist.
Renate Bonifer
Quelle: Workshop «Fieber bei Neugeborenen und Säuglingen», SGP-Jahrestagung in Genf, 20. bis 21. Juni 2013.
Literaturtipp: Guideline des Schweizer Ärztenetzwerks mediX 2012: Harnwegsinfekte bei Kindern. PÄDIATRIE 1.2013; 18: 11–13. und www.medix.ch
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