Transkript
SCHWERPUNKT
Glomerulonephritiden erkennen und abklären
Kinderärzte spielen dabei eine wichtige Rolle
Dieser Artikel befasst sich mit Diagnose, Abklärung und weiterem Vorgehen bei Glomerulonephritiden. Da niedergelassene Pädiater Zugang zu breiten Bevölkerungsschichten haben, gehört es zu ihren Aufgaben, diese Erkrankungen zu erkennen und die Patienten, häufig in Zusammenarbeit mit dem Nephrologen, zu behandeln (1). Einfache Massnahmen, die wir im Folgenden beschreiben, erlauben es dem Pädiater, mit der Diagnose und Behandlung dieser Patienten zu beginnen und Indikationen zu erkennen, die für eine Überweisung an den Spezialisten sprechen.
Von Thomas Golano1, Eric Girardin2, Paloma Parvex2, Alexandra Wilhelm-Bals2, Elsa Gonzalez2, François Cachat1 und Hassib Chehade1
G lomerulonephritiden sind durch eine Schädigung der Glomeruli, der Filtrationseinheiten der Niere, gekennzeichnet. Sie können akut oder chronisch sowie isoliert oder im Zusammenhang mit einer systemischen Erkrankung auftreten. Infektionen sind die häufigste Ursache für akute Glomerulonephritiden, und sie treten meist infolge einer Streptokokkenangina oder einer Impetigo auf (2). Chronische Glomerulonephritiden können idiopathisch sein (z.B. IgA-Nephropathie/Morbus Berger, membranoproliferative Glomerulonephritis oder Goodpasture-Syndrom [Autoantikörper gegen die glomeruläre Basalmembran]) oder mit systemischen Erkrankungen assoziiert sein, wie dem systemischen Lupus erythematodes oder der rheumatoiden Purpura (Purpura SchoenleinHenoch, die auch für akute Glomerulonephritiden verantwortlich sein kann) (3). Glomerulonephritiden können sich auch sekundär als Medikamentennebenwirkung entwickeln (Antiepileptika, NSAR) (4). In unterschiedlichem Ausmass können alle Glomerulonephritiden zu einer Niereninsuffizienz führen.
Anamnese
Bei Verdacht auf Glomerulonephritis muss der Pädiater mittels umfassender Anamnese und klinischer Untersuchung abklären, welche weiteren diagnostischen Massnahmen zu ergreifen sind. Darum ist es zunächst wichtig, verdächtige Symptome zu definieren, insbesondere die Hämaturie und/oder andere Anzeichen, welche mit der Hämaturie zusammenhän-
1Unité universitaire romande de néphrologie pédiatriques, site CHUV. Département médicochirurgical de pédiatrie, Rue du Bugnon 46, 1011 Lausanne. 2Unité universitaire romande de néphrologie pédiatriques, site HUG. Départment de l’Enfant et de l’Adlescent, Hôpital des Enfants, 6 rue Willy-Donzé, 1211 Genève.
gen. Man muss das Kind und/oder seine Eltern fragen, ob Randen, bestimmte Lebensmittelfarben oder Medikamente wie Rifampicin oder Nitrofurantoin (5) eingenommen wurden, die zu einer Rotfärbung des Urins führen können. In Bezug auf eine Hämaturie sind folgende Aspekte wichtig (siehe auch den Beitrag «Hämaturie» in dieser Ausgabe der PÄDIATRIE): • Ist der Urin nur am Anfang (initiale Hämaturie) oder
erst am Ende der Miktion (terminale Hämaturie) oder während der gesamten Miktion (vollständige Hämaturie) verfärbt? Eine initiale Hämaturie spricht eher für eine urethrale Blutungsursache, bei terminaler Hämaturie ist die Blutung in der Regel vesikal. Am häufigsten ist jedoch die vollständige Hämaturie, welche keine Lokalisation der Blutungsquelle erlaubt. • Ist der Urin braun (wie Eistee oder Coca-Cola), so spricht dies für einen glomerulären Ursprung der Blutung; ist der Urin feuerrot, spricht dies eher für einen nicht glomerulären Ursprung (ausser bei Morbus Berger, der sich als feuerrote Hämaturie manifestieren kann). Es gibt weitere Anzeichen, die entweder gemeinsam mit einer Hämaturie oder auch für sich allein den Verdacht auf eine Glomerulonephritis nahelegen. Hierzu gehören zum Beispiel Ödeme (Absinken des kolloidosmotischen [onkotischen] intravaskulären Drucks aufgrund von Proteinverlust über den Urin) oder, seltener, Hypertoniesymptome wie Kopfschmerzen, Schwindel, Tinnitus, Herzklopfen, Sehstörungen, Nasenbluten (auch das erste Symptom einer Granulomatose mit Polyangiitis [Morbus Wegener] [6]) oder Bluthusten (auch Anzeichen eines GoodpastureSyndroms [7]). Auch Hypervolämiesymptome (z.B. Dyspnoe oder mangelnde körperliche Belastbarkeit aufgrund pulmonaler Ödeme) können mit einer Niereninsuffizienz einhergehen.
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Tabelle 1: Alarmsymptome bei Hämaturie • Hypertonie • Proteinurie • Niereninsuffizienz
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mnese abzuklären: Exantheme (systemischer Lupus erythematodes), Gelenkschmerzen, Gewichtsänderungen, Fatigue, Veränderung des Appetits, respiratorische Symptome und so weiter. Sodann ist es wichtig, bestehende Therapien zu erfragen. Auch die Familienanamnese hilft bei der Diagnose, beispielsweise das Vorkommen von Autoimmun- oder Nierenerkrankungen, Schwerhörigkeit (Alportsyndrom), Dialyse oder Nierentransplantation.
Abbildung 1
In der Anamnese sollte man nach ähnlichen Episoden in der Vergangenheit fragen, weil dies auf die akute Exazerbation eines chronischen Prozesses hinweisen könnte. Ebenfalls wichtig ist die Frage nach kürzlich durchgemachten Infektionskrankheiten, insbesondere bakteriellen (am häufigsten Streptokokken) oder auch viralen sowie Pilzinfektionen (8). Da eine Glomerulonephritis Folge einer systemischen Erkrankung sein kann, sind entsprechende Hinweise in der Ana-
Tabelle 2: Nephrologische Abklärungen bei Verdacht auf Glomerulonephritis*
Grundlegende Blutanalysen • grosses Blutbild • Kreatinin • Harnstoff • Elektrolyte • Blutgase • Parathormon (PTH) • Gesamtprotein • Albumin, Cholesterin • Komplement C3 und C4
Zusätzliche Blutanalysen • CH50 • IgA (bei V.a. Morbus Berger) • antinukleäre Antikörper (ANA und anti-dsDNA, bei V.a. Lupus) • Antikörper gegen Neutrophile (ANCA, bei V.a. Vaskulitis) • Antikörper gegen Streptolysin (ASLO), Streptokinase und Streptodornase
(Poststreptokokken-Glomerulonephritis) • Ein Serumröhrchen einfrieren und lagern, um später ggf. weitere Untersuchungen
durchzuführen (z.B. anti-GBM-Antikörper).
Ultraschall der Harnwege • Suche nach Dilatation/Obstruktion • Erhöhte Dichte des Nierenkortex weist auf Glomerulonephritis hin.
*fallbezogen mit dem Nephrologen zu besprechen.
Klinische Untersuchung
Die klinische Untersuchung umfasst alle Organsysteme zur Abklärung systemischer Erkrankungen (Adenopathie, Exanthem, Arthritis, Leber-/Milzvergrösserung) oder von Nierenerkrankungen (Ödeme, Aszites). Zu den essenziellen Messwerten gehört vor allem der Blutdruck, aber auch Puls, Atemfrequenz, Gewicht und Körpertemperatur. Eine genaue Untersuchung der äusseren Genitalorgane dient der Suche nach nicht uro-nephrologischen Blutungsursachen.
Weitere Abklärungen
Nach sorgfältiger Anamnese und genauer klinischer Untersuchung sind weitere Abklärungen an der Reihe. Selbstverständlich steht hier die Urinuntersuchung an erster Stelle (siehe auch Artikel «Urinuntersuchung und Urinbefund» in dieser Ausgabe der PÄDIATRIE). Der Urinstreifentest ist sensitiv, aber nicht spezifisch für bestimmte Erkrankungen. Er weist mit einer Sensitivität von 5 bis 10 Erythrozyten pro Mikroliter bereits sehr geringe Blutkonzentrationen im Urin nach. Der Streifentest muss duch eine mikroskopische Untersuchung ergänzt werden (Urinsediment), welche Auskunft über die Quantität und Qualität der Erythrozyten im Urin gibt. Zunächst gilt es verschiedene Differenzialdiagnosen auszuschliessen: Urinverfärbung aufgrund von Lebensmitteln oder Medikamenten, Nachweis von Myoglobin oder freiem Hämoglobin beziehungsweise genitale oder harnwegsbedingte Blutungen. Zusammen mit der oben genannten, genauen klinischen Untersuchung erlaubt der Streifentest (+/- Urinsediment) eine Richtungsentscheidung für die weitere Differenzialdiagnostik. Wenn der Streifentest negativ für eine Hämaturie ausfällt, spricht dies für eine Urinverfärbung aufgrund von Lebensmitteln (Randen, bestimmte Lebensmittelfarben) oder Medikamenten (z.B. Rifampicin oder Nitrofurantoin). Ist er hingegen positiv, klärt die Untersuchung des Urinsediments, ob es sich um eine Pseudohämaturie (Hämoglobin- oder Myoglobinurie) oder eine echte Hämaturie handelt; ausserdem kann man im Phasenkontrast beurteilen, ob die Erzythrozyten verformt (spricht für glomeruläre Schädigung) oder intakt sind (spricht für eine nicht glomeruläre Ursache) (4). Die am häufigsten anzutreffende echte Hämaturie ist definiert als mehr als 5 Erythrozyten pro Gesichtsfeld in der mikroskopischen Untersuchung (bei 40-facher Vergrösserung) des Urinsediments beziehungsweise als mehr als 10 Erythrozyten pro Mikroliter (bzw. 10 000 Erythrozyten pro ml). Von einer echten Makro-
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hämaturie spricht man, wenn es im Urinsediment mehr als 200 Erythrozyten pro Mikroliter sind (Aufbereitung des Urinsediments siehe Artikel «Urinuntersuchung und Urinbefund» in dieser Ausgabe der PÄDIATRIE). Falls sich die Hämaturie bestätigt, müssen Alarmzeichen einer schweren zugrunde liegenden Erkrankung gesucht werden (9) (Tabelle 1; Algorithmus siehe Abbildung 1).
Abwarten bei isolierter Mikrohämaturie
Bei isolierter Mikrohämaturie sind weitere Abklärungen nicht nötig, sofern keine der oben genannten Alarmzeichen für eine gravierende Erkrankung vorliegen. Es ist bei diesen Patienten jedoch äusserst wichtig, ein- bis zweimal pro Jahr einen Urin-Streifentest durchzuführen, um den weiteren Verlauf der Hämaturie zu verfolgen und gegebenenfalls die genannten Alarmzeichen (Tabelle 1) weiterhin auszuschliessen. Darum sollte man bei jeder klinischen Kontrolle den Blutdruck messen und die Proteinurie im Spoturin bestimmen. In manchen Fällen ergibt sich die Notwendigkeit eines Nierenfunktionstests.
Was tun bei Proteinurie?
Normalerweise werden Proteine von der Basalmembran im Glomerulum zurückgehalten; bei Entzündungen des Glomerulums sind sie in pathologischer Konzentration im Urin nachweisbar. Eine Proteinurie kann mit einer Hämaturie oder auch isoliert auftreten. Man spricht von Proteinurie, wenn der Urin mehr als 4 mg/m2 Körperoberfläche/Stunde oder mehr als 5 mg/kg Körpergewicht/Tag Protein enthält beziehungsweise der Protein/Kreatinin-Quotient mehr als 20 g/mol im Spoturin beträgt (11). Nach einem positiven Streifentest muss der Befund durch weitere Analysen (Spoturin) oder im 24-Stunden-Urin bestätigt werden. Der Protein/Kreatinin-Quotient im Urin (Uprot/creat) in einer einzelnen Miktion (Spot) korreliert bei Kindern gut mit dem Befund im 24-StundenUrin. Ab dem Alter von 6 Jahren ist ein Wert von ≤ 20 g/mol normal; bei Kindern unter 6 Jahren wird ≤ 80 g/mol wegen der noch nicht ausgereiften Nierenfunktion noch als normal eingestuft. Man muss auch an potenzielle Ursachen einer transienten Proteinurie denken, wie beispielsweise intensives Training oder Fieber. Diese Art von Proteinurie erfordert keine weiteren Abklärungen, die vorübergende Natur des Phänomens muss jedoch durch wiederholte Streifentests bestätigt werden. Abbildung 2 zeigt einen Algorithmus zur Abklärung der Proteinurie (9). Eine 24-Stunden-Proteinurie mit ≥ 40 mg/m2 Körperoberfläche/Stunde oder ≥ 50 mg/kg KG/Tag oder auch ein Spoturin mit einem Protein/Kreatinin-Quotienten über 200 g/mol spricht für eine Proteinurie im Rahmen eines nephrotischen Syndroms. Sie führt zu einer Hypoalbuminämie und sekundär zu Ödemen und Hyperlipidämie. Wie in den Algorithmen dargestellt, erfordern bestimmte Situationen weitergehende Abklärungen (braune Hämaturie, nephrotische Proteinurie, Mikrohämaturie mit Alarmzeichen) wie Blutbild und Nieren-
Abbildung 2
funktionsparameter. Die von uns empfohlenen, grundlegenden Analysen sind in Tabelle 2 zusammengefasst; es wird empfohlen, diese fallbezogen mit einem Spezialisten zu besprechen.
Die Bedeutung der Komplementbestimmung
Die Bestimmung der Komplementfaktoren ist wichtig für die Abklärung, um welche Art von Glomerulonephritis es sich jeweils handelt (Tabelle 3) (5). Das Komplement ist wesentlicher Bestandteil der angeborenen Immunität. Es wird grösstenteils während akuter Entzündungen gebildet. Ein Rückgang des Komplements kann auf einem übermässigen Verbrauch,
Tabelle 3: Glomerulonephritiden und Komplementspiegel
Komplement (C3, C4) erniedrigt • postinfektiöse Glomerulonephritis (v.a. Streptokokken) • systemischer Lupus erythematodes • membranoproliferative Glomerulonephritiden
Komplement (C3, C4) normal • IgA-Nephropathie (Morbus Berger) • Alport-Syndrom • fokal und segmental sklerosierende Glomerulonephritis • membranöse Glomerulonephritis
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einer insuffizienten Synthese oder einer erworbenen oder genetischen Funktionsstörung beruhen (12). Im Folgenden werden die wichtigsten Arten von Glomerulonephritiden anhand von Komplementmessungen erläutert, ohne auf die therapeutischen Massnahmen einzugehen. Letztere sind fallbezogen mit einem Spezialisten zu diskutieren.
Komplement erniedrigt
Poststreptokokken-Glomerulonephritis: Zu den Erkrankungen mit vermindertem Komplement gehören Glomerulonephritiden nach Streptokokkeninfektionen, der häufigsten Ursache akuter Nierenschädigung; sie treten 7 bis 15 Tage nach einer HNO-Infektion oder 3 bis 6 Wochen nach einer Hautinfektion auf. Die Glomerulonephritis manifestiert sich akut mit Hämaturie, Ödemen, Hypertonie oder gar Niereninsuffizienz. Auch andere Symptome können damit einhergehen wie Fatigue, Unwohlsein, Beinschmerzen, Anorexie oder Erbrechen. Die physiopathologischen Mechanismen sind nicht genau bekannt. Vermutlich induzieren bestimmte beta-hämolysierende A-Streptokokkenstämme Immunkomplexe, die zur Komplementaktivierung und einer lokalen Entzündung in den Nieren führen. Der wahrscheinlichste Mechanismus ist die Bildung von Immunkomplexen in situ, nachdem zirkulierende Antigene im Glomerulum akkumuliert worden sind. Die Diagnose beruht auf dem Rückgang von Komplementfaktoren im Blut bei einem gleichzeitigen Anstieg von Antikörpern gegen Streptolysin, Streptodornase und Streptokinase. Die Prognose ist in 90 Prozent der Fälle gut, die Behandlung rein symptomatisch. Die Normalisierung der Komplementwerte dauert 6 bis 9 Wochen, ein Rückgang der Hämaturie ist in weniger als 30 Tagen zu beobachten (13). Membranoproliferative Glomerulonephritis: Falls die in Tabelle 1 genannten Alarmzeichen persistieren oder zunehmen oder falls die niedrigen Komplementwerte über mehr als 6 bis 9 Wochen bestehen, ist eine Nierenbiopsie indiziert. Sie dient der Abschätzung der Nierenschädigung und der Suche nach einer membranoproliferativen Glomerulonephritis (MPGN), deren Diagnose im Wesentlichen histologisch gestellt wird. Es gibt einfache und sekundäre Formen der MPGN, und die Therapie richtet sich nach dem Ausmass der Glomerulumschädigung (14). Systemischer Lupus erythematodes: Glomerulonephritiden bei systemischem Lupus erythematodes bedeuten in der Regel verminderte Komplementfaktoren. Der Verdacht aufgrund systemischer Beeinträchtigungen (dermatologisch, neurologisch, hämatologisch) kann durch eine ganze Reihe klinischer Kriterien sowie durch den Nachweis zirkulierender antinukleärer Antikörper (ANA) und Antikörper gegen doppelsträngige DNA im Blut (anti-dsDNA) bestätigt werden. Es besteht kein klarer Zusammenhang zwischen dem klinischen Bild und der Nierenschädigung. Meist ist eine Biopsie indiziert, um einen Therapieentscheid treffen zu können.
Komplementspiegel normal
IgA-Nephropathie: Die häufigste chronische Glomerulonephritis mit normalem Komplementspiegel ist die
IgA-Nephropathie (Morbus Berger), bei der wahrscheinlich eine gestörte Glykosilierung der IgA-Moleküle deren Ablagerung im renalen Mesangium bewirkt. Die IgA-Nephropathie manifestiert sich in der Regel 2 bis 3 Tage nach einer HNO-Infektion in Form einer rezidivierenden Makrohämaturie mit Proteinurie. Es gibt keinen spezifischen Labortest, weil das Serum-IgA in der Hälfte der Fälle nicht erhöht ist. Nur eine Nierenbiopsie kann die Diagnose durch den Nachweis der oben genannten Ablagerungen bestätigen. Sie ist jedoch nicht indiziert, wenn keine Alarmzeichen (Tabelle 1) vorliegen. Die Therapie richtet sich nach dem Ausmass der Nierenschädigung. Alport-Syndrom: Das Alport-Syndrom ist eine Erbkrankheit mit heterogenem klinischen Bild. Die renalen Manifestationen sind von den jeweiligen charakteristischen Anomalien der glomerulären Basalmembran abhängig, genauer gesagt von den Alphaketten (A3, A4, A5) und dem Kollagen IV (COL4). Das Alport-Syndrom manifestiert sich auch in anderen Organsystemen, weil das Protomer (A3-A4A5) des COL4 auch in anderen Basalmembranen vorkommt, zum Beispiel in der Cochlea oder im Auge, und das Protomer A5 des COL4 in der Haut, der glatten Muskulatur und dem Ösophagus. In 85 Prozent der Fälle wird die Erkrankung X-chromosomal dominant vererbt mit Mutationen im COL4A5-Gen (15, 16). Es handelt sich hierbei um die klassische, ursprünglich beschriebene Form des Alport-Syndroms (17, 18), worunter betroffene Knaben stärker leiden, weil sie nur ein X-Chromosom (hemizygot, mit Mutation) haben, während Mädchen mit zwei X-Chromosomen im heterozygoten Fall auch über ein nicht mutiertes Gen verfügen. In 10 bis 15 Prozent der Fälle wird das Alport-Syndrom autosomal rezessiv vererbt, sei es mit Mutationen in beiden Allelen von COL4A3 und COL4A4 (homozygot), sei es mit Mutationen in jeweils nur einem Allel von COL4A3 und COL4A4 (heterozygot kombiniert) (19). Zu den klinischen Manifestationen gehört eine Mikrohämaturie, manchmal auch eine Makrohämaturie. Häufig ist ein bilateraler, neurosensibler Verlust des Gehörs damit verbunden sowie eine gelegentliche Beeinträchtigung des Sehens (Lentikonus: anteriore Vorwölbung des Glaskörpers aufgrund von mangelndem Widerstand der Basalmembran; dies ist pathognomonisch für das X-chromosomale Alport-Syndrom). Sehr selten kann das X-chromosomale Alport-Syndrom in einer Familie aufgrund einer grossen Deletion inklusive der Gene COL4A5 und COL4A6 (20, 21) auch mit einer ösophagealen Leiomyomatose assoziiert sein. Eine genetische Analyse sollte bei positiver Familienanamnese erwogen werden (8). Fokal oder segmental sklerosierende GN: Patienten mit fokal und segmental sklerosierender Glomerulonephritis (oder Hyalinose) weisen meist ein nephrotisches Syndrom auf, welches sich zuweilen sehr rasch manifestiert, ohne damit verbundene Hämaturie. Oft ist eine Biopsie indiziert, um den Anteil der befallenen Glomeruli zu bestimmen. Die Therapie ist von der Ursache und dem Ausmass der Nierenschädigung abhängig.
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Therapie
Grundsätzlich gilt es alle diagnostizierbaren Ursachen aktiv zu suchen und spezifisch zu behandeln. Je nach Typus und Stadium der Glomerulonephritis kommen spezifische Immunsuppressiva infrage, die mit einem Nephrologen fallbezogen zu diskutieren sind. Bei Anzeichen einer schweren Erkrankung ist die optimale medikamentöse Blutdruckkontrolle von zentraler Bedeutung. Infrage kommen zum Beispiel Diuretika (Furosemid), Kalziumantagonisten (Amlodipin, Nifedipin) oder ACE-Hemmer (falls keine Hyperkaliämie oder Niereninsuffizienz vorliegt) (22). Letztere bieten aufgrund ihres antiproteinuretischen und nierenschützenden Potenzials Vorteile, indem sie den intraglomerulären Druck vermindern (s. auch Artikel «Arterielle Hypertonie im Kindes- und Jugendalter» in dieser Ausgabe der PÄDIATRIE). Konservative Massnahmen wie die Salzrestriktion verstehen sich von selbst. Im Falle einer Niereninsuffizienz muss die Behandlung von spezialisierten Zentren übernommen werden. Im fortgeschrittenen Stadium können Patienten mit Glomerulonephritiden auch dialysepflichtig werden und eine Nierentransplantation benötigen. Im Einzelfall, je nach klinischem Zustand und Krankengeschichte, ist daher ein nephrologisches Konsil notwendig, um die Diagnose zu verfeinern und die Therapie zu diskutieren.
Schlussfolgerungen
Eine frühzeitige Abklärung der Glomerulonephritiden erlaubt eine frühzeitige Therapie und somit bessere Behandlungserfolge. Das diagnostische Vorgehen stützt sich auf eine Kombination aus klinischen Anzeichen, Symptomen, Urin- und Blutuntersuchungen sowie der Histologie. Die Diagnose ist schwierig, insbesondere wegen des breiten Spektrums klinischer Manifestationen, das von asymptomatisch bis rasch progressiv mit Verlust der Nierenfunktion reicht (23). Klinische Anzeichen, die auf einer glomerulären Schädigung beruhen könnten, müssen immer ernst genommen werden. Man muss auf die oben genannten Alarmsymptome achten und diese suchen, um Komplikationen zu vermeiden. Es sei daran erinnert, dass folgende Situationen das Hinzuziehen eines Spezialisten erfordern und als «red flags» gelten: • erhöhter Blutdruck • Niereninsuffizienz • Proteinurie und/oder positive Familienanamnese für
eine Nierenerkrankung. Falls einer dieser Punkte zutrifft, soll der Patient rasch an einen Spezialisten überwiesen werden. Den Pädiatern in der Praxis, die einen Grossteil der Kinder kennen, kommt beim Erkennen und Behandeln dieser Erkrankungen eine wesentliche Rolle zu. Die vom Pädiater erhobene Anamnese sowie die von ihm durchgeführten klinischen Untersuchungen und zusätzlichen Abklärungen wie Urin- und Blutanalyse ermöglichen eine Einschätzung der Nierenfunktionsschädigung und somit den Entscheid, in welchen Situationen ein Spezialist konsultiert werden muss, um in enger Zusammenarbeit die Therapie und langfristige Betreuung dieser Patienten zu optimieren.
Korrespondenzadresse:
Dr. Hassib Chehade
Médecin associé
Service de néphrologie pédiatrique
CHUV, 1011 Lausanne
E-Mail: Hassib.Chehade@chuv.ch
Der Artikel wurde von den Autoren in Französisch verfasst, die Übersetzung erfolgte durch Dr. Renate Bonifer, Redaktion PÄDIATRIE.
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