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SCHWERPUNKT
Das nephrotische Syndrom im Kindesalter
Dank verbesserter Therapien ist die akute Morbidität und Mortalität beim nephrotischen Syndrom im Kindesalter niedrig. Die Betreuung dieser Kinder bleibt jedoch anspruchsvoll, da es sich um eine chronisch-rezidivierende Erkrankung handelt. Drei von vier Kindern erleiden Rezidive. Sehr wichtig ist eine interaktive Zusammenarbeit zwischen Eltern, betreuendem Kinderarzt und Kindernephrologen, um langfristig eine gute Betreuung dieser Kinder zu gewährleisten.
Von Giuseppina Spartà
D as nephrotische Syndrom (NS) gilt als eine seltene Erkrankung im Kindesalter, ist jedoch eine der häufigsten Nierenerkrankungen in der pädiatrischen Nephrologie. Die jährliche Inzidenz beträgt in westlichen Ländern zirka 20 bis 27 pro 1 Million Kinder unter 16 Jahren. Die Inzidenz kann in manchen ethnischen Gruppen auch höher sein; so ist NS in der asiatischen Bevölkerung bis zu 6-mal häufiger (1). Beim idiopathischen steroidsensiblen nephrotischen Syndrom (SSNS) findet sich ein gehäuftes Auftreten bei Knaben mit einem Verhältnis 2:1. Beim steroidresistenten nephrotischen Syndrom (SRNS) ist das Geschlechtsverhältnis 1:1. Nach der Erstmanifestation eines nephrotischen Syndroms im Kindesalter kommt es in drei Viertel der Fälle zu Rezidiven (1).
Kriterien zur Einteilung des nephrotischen Syndroms
Das nephrotische Syndrom ist definiert als eine Kombination aus Proteinurie (> 1 g/m2 Körperoberfläche/ Tag oder 40 mg/m2 Körperoberfläche/Stunde im Sammelurin bzw. einem Protein-Kreatinin-Quotienten im Urin von > 200 g/mol) kombiniert mit einer Hypalbuminämie von < 25 g/l (2). In der Regel sind damit Ödeme und Hyperlipidämie assoziiert, vor allem bei der Erstmanifestation. Die Diagnose wird primär klinisch beziehungweise laborchemisch gestellt. Das nephrotische Syndrom im Kindesalter lässt sich nach den folgenden vier Kriterien einteilen: • Ätiologie und Genetik • Alter bei Erstmanifestation • Ansprechen auf Glukokortikoidtherapie • histologische Befunde. Diese Einteilungen sind wichtig, sowohl für die Behandlung als auch für die Prognose.
Ätiologie und Genetik: Die Ursache des nephrotischen Syndroms bleibt in den meisten Fällen ungeklärt (primär = idiopathisches NS [INS]). Bei Patienten mit kongenitalem oder infantilem nephrotischem Syndrom sowie Patienten mit steroidresistentem nephrotischem Syndrom (SRNS) findet sich häufig ein genetischer Hintergrund. Es handelt sich dabei um Mutationen in Genen, deren Produkte an der glomerulären Filtrationsbarriere exprimiert werden, zum Beispiel Nephrin und Podocin. Auch Mutationen in mitochondrialen Genen können zu einer Proteinurie führen (3, 4). Solche Mutationen finden sich unter anderem im Zusammenhang mit syndromalen Krankheitsbildern (z.B. Nail-patella-Syndrom, immunoossäre Dysplasie Schimke, Denys-Drash-Syndrom etc.). Das sekundäre nephrotische Syndrom (u.a. bei immunologischen Systemerkrankungen) ist im Kindesalter selten. Alter bei Erstmanifestation: Das kongenitale (zwischen Geburt und 3. Lebensmonat) und das infantile nephrotische Syndrom (zwischen 4. und 12. Lebensmonat) sind häufig genetisch bedingt und steroidresistent. Das häufige idiopathische nephrotische Syndrom tritt typischerweise im Alter zwischen 2 und 10 Jahren auf. Sind die Kinder bei der Erstmanifestation eines nephrotischen Syndroms über 10 Jahre alt, findet sich häufiger eine steroidresistente Form. Ansprechen auf Glukokortikoide: Zirka 80 bis 90 Prozent der Patienten sprechen bei der Erstmanifestation primär auf eine Glukokortikoidtherapie an (= steroidsensibles NS [SSNS]). Als steroidresistent ist ein Kind mit nephrotischem Syndrom einzustufen, wenn nach sechswöchiger oraler Therapie mit 60 mg Prednison/m2 Körperoberfläche/Tag und 3 Dosen i.v. Methylprednisolon keine Remission erfolgt (Remission = eiweissfrei im Urinstreifentest) (2, 5). Genetische Formen sprechen in der Regel nicht auf Steroide an.
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Die Ursache des nephrotischen Syndroms bleibt in den meisten Fällen ungeklärt.
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Histologische Befunde: Bei einem idiopathischen nephrotischen Syndrom wird primär nicht biopsiert, da bei zirka 80 Prozent der Kinder eine «Minimalchange»-Glomerulonephritis (MCN) vorliegt, die bei mehr als 90 Prozent der Betroffenen steroidsensibel ist. In 10 Prozent der Fälle ist eine fokal-segmentale Glomerulosklerose (FSGS) nachweisbar. Die primäre Steroidresistenz betrifft zirka 10 Prozent der Patienten mit idiopathischem nephrotischem Syndrom. Histologisch findet man in diesen Fällen meist eine FSGS. Bei Kindern über 10 Jahre bei Erstmanifestation sollte dagegen eine Nierenbiopsie durchgeführt werden, da in dieser Altersgruppe eine primäre Steroidresistenz beziehungsweise eine Nicht-MCNForm häufiger vorkommt. Andere histologische Befunde treten selten auf (diffuse mesangiale Sklerose, mesangial-proliferative Glomerulonephritis, membranöse Glomerulonephritis, membrano-proliferative Glomerulonephritis).
Pathogenese des nephrotischen Syndroms
Wie bereits erwähnt, bleibt die genaue Ursache des nephrotischen Syndroms in den meisten Fällen ungeklärt. Unter anderem können ein primärer glomerulärer Defekt oder eine immunologische Dysbalance zur Entwicklung einer Proteinurie führen. Primärer glomerulärer Defekt: Die glomeruläre Kapillarwand stellt ein Sieb dar, welches Makromoleküle selektiv, das heisst nicht nur entsprechend ihres Molekulargewichts und ihrer Ladung durchlässt (6). Das Glomerulusfiltrat muss dabei kleine Öffnungen (slits) passieren, welche durch die Fussfortsätze der epithelialen Podozyten gebildet werden und durch ein «Diaphragma» (Schlitzmembran) bedeckt sind. Verschiedene Veränderungen von Strukturproteinen dieser glomerulären Filtrationsbarriere (Glykokalyx, Gefässendothel, glomeruläre Basalmembran und Podozyt) aufgrund von Mutationen oder Polymorphismen plus Trigger (z.B. Infekte der Luftwege) führen zu einer erhöhten Durchlässigkeit. Darüber hinaus wird vermutet, dass ein zirkulierender Faktor mit der Filtrationsbarriere interagiert und das Entstehen einer Proteinurie begünstigt (7).
Immunologische Dysbalance beim steroidsensiblen nephrotischen Syndrom (SSNS): Der Erstmanifestation eines nephrotischen Syndroms geht häufig ein immunogen wirkender Trigger voraus, zum Beispiel eine Infektion der oberen Luftwege. Auch Allergene können Triggerfaktoren darstellen. Atopien wie Heuschnupfen und Asthma bronchiale scheinen bei Kindern mit SSNS häufiger vorzukommen als in der Normalbevölkerung (6). Auch die Tatsache, dass durch eine akute Maserninfektion eine passagere Remission induziert werden kann, lässt eine Störung des Immunsystems (T- und B-Zellen) mit Auswirkungen für die glomeruläre Filtrationsbarriere vermuten. Darüber hinaus können Glukokortikoide und andere immunosuppressive Medikamente (u.a. Kalzineurininhibitoren, Mycophenolatmofetil) die T-Zellen beeinflussen und eine Remission des nephrotischen Syndroms induzieren. Vermutet wird, dass aktivierte T-Zellen einen Permeabilitätsfaktor für die glomeruläre Filtrationsbarriere bilden (8).
Klinische Diagnose
Bei Erstmanifestation finden sich typischerweise morgendliche Lidödeme, meist liegen jedoch bereits ausgeprägte periphere Ödeme vor. Diese treten innerhalb von Tagen bis Wochen auf. Eine Eiweissbestimmung im Urin (Proteinurie) und im Serum (Hypalbuminämie) bestätigt die Diagnose eines nephrotischen Syndroms. Weitere Flüssigkeitsansammlungen können ebenfalls vorliegen, wie prätibiale Ödeme, Genitalödeme (skrotal), Aszites, Pleuraergüsse oder Anasarka (Abbildung). In der Folge kommt es zu einer deutlichen Gewichtszunahme. Aufgrund der Hypalbuminämie kommt es zur intravasalen Hypovolämie, welche zu einer funktionellen Oligurie führen kann. Sehr selten kann es zu einem prärenalen Nierenversagen kommen. Trotz verminderter (oder fehlender) Urinmenge ist das Plasmakreatinin in der Regel noch normal. Der Blutdruck ist ebenfalls meist normal. Wegen der Hypalbuminämie ist das Gesamtkalzium erniedrigt, bei normaler Konzentration an ionisiertem Kalzium. Parallel zur ausgeprägten Proteinurie findet sich auch eine Hyperlipidämie (u.a. Cholesterin und Triglyzeride im Serum erhöht). Eine Mikrohämaturie kann bei zirka 30 Prozent der Kinder mit SSNS und bei 50 bis 80 Prozent der Kinder mit SRNS gefunden werden (6).
Tabelle: Einteilung des SSNS nach Rezidivhäufigkeit
infrequent relapser
frequent relapser
steroidabhängiges SSNS
< 4 Rezidive innerhalb von 12 Monaten oder < 2 Rezidive innerhalb von 6 Monaten nach Erstmanifestation ≥ 4 Rezidive innerhalb von 12 Monaten oder ≥ 2 Rezidive innerhalb von 6 Monaten nach Erstmanifestation Rezidiv unter alternierender Therapie mit Prednison oder Rezidiv innerhalb von 14 Tagen nach Absetzen von Prednison
SSNS: steroidsensibles nephrotisches Syndrom
Indikation zur Nierenbiopsie
Die Erstdiagnose eines idiopathischen nephrotischen Syndroms ist per se keine Indikation zur Nierenbiopsie. Sie liegt aber vor, wenn untypische klinische Hinweise ein nicht idiopathisches nephrotisches Syndrom vermuten lassen: • Alter bei Erstmanifestation < 12 Monate oder
> 10 Jahre • Makrohämaturie • ausgeprägte arterielle Hypertonie • erniedrigte Komplementfaktoren (C3, C4) im Serum • nicht prärenal bedingte akute Niereninsuffizienz • schleichender Beginn über Monate • Verdacht auf eine sekundäre Form des nephroti-
schen Syndroms.
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Abbildung: Kind mit nephrotischem Syndrom vor Therapie: (A) Unterschenkelödeme; (B) Augenlidödeme; (C) Aszites und Skrotalödem.
Nach Behandlungsbeginn liegt eine Indikation zur Nierenbiopsie vor bei fehlender Vollremission nach sechs Wochen unter initialer Standardtherapie (primäre Steroidresistenz) sowie bei sekundärer Steroidresistenz (nach anfänglichem Ansprechen auf Glukokortikoidtherapie).
Molekulargenetische Diagnostik
Die Identifikation der zugrunde liegenden Mutation eines Strukturdefekts im Bereich der podozytären Schlitzmembran ist vor allem beim steroidresistenten nephrotischen Syndrom (SRNS) von grosser Bedeutung; insbesondere hinsichtlich Therapie und Prognose. Bei Patienten mit SRNS kann derzeit in zirka 20 Prozent der Fälle eine verursachende Mutation gefunden werden (3). Zwei Drittel der kongenitalen und infantilen SRNS werden durch eine Mutation in einem der folgenden vier Gene verursacht (4): NPHS1 (Nephrin), NPHS2 (Podocin), LAMB2 und WT1. Die Liste neu entdeckter Gene wird fortlaufend aktualisiert. Wenn sich im Verlauf eine Steroidresistenz abzeichnet, sollte möglichst frühzeitig eine Gendiagnostik durchgeführt werden (z.B. nach 6 Wochen ohne Ansprechen auf Prednison). Dadurch soll auch eine unnötige Toxizität der immunosuppressiven Medikation vermieden werden.
Differenzialdiagnosen
Zur Differenzierung des primären vom sekundären nephrotischen Syndrom sind auch eine Reihe serologischer Untersuchungen notwendig (u.a. Bestimmung von Komplementfaktoren, Anti-ds-DNA-Antikörpern, ANCA, Virusantikörpern, Gerinnungsfaktoren, ggf. Nierenbiopsie). Extrarenale Erkrankungen können ebenfall zu Ödemen führen (u.a. Lebererkrankungen, Proteinverlustenteropathien, Herzinsuffizienz), verlaufen aber ohne Proteinurie.
Akute Komplikationen
Bedingt durch die zahlreichen möglichen Komplikationen empfiehlt die GPN (Gesellschaft für pädiatrische Nephrologie), jedes Kind bei Erstmanifestation eines nephrotischen Syndroms stationär in einer Kinderklinik aufzunehmen. Thromboembolien: Bedingt durch die Hypovolämie, Hyperkoagulabilität, erhöhte Viskosität sowie die Glukokortikoidtherapie ist das Risiko für Thromboembolien bei Kindern mit nephrotischem Syndrom erhöht, und sie treten in < 5 Prozent der Fälle auf (9). Mögliche Lokalisationen der Thrombosen sind zentraler Sinus (Gehirn), tiefe Beinvenen und Nierenvenen. Eine angeborene Thrombophilie kann das Thromboserisiko
erhöhen, weshalb diese gezielt ausgeschlossen werden sollte. Seltener können arterielle Thrombosen auftreten (z.B in Lungen- oder Extremitätenarterien). Mögliche Ursachen, welche diese thrombogene Situation aggravieren, sind unter anderem der Verlust antithrombotischer Faktoren (u.a. Antithrombin III), Thrombozytose (erhöht die Plättchenaggregabilität) und eine mögliche diuretische Therapie (verstärkt die Hypovolämie). Bis anhin gibt es keine Studien, welche eine prophylaktische Antikoagulation bei Kindern mit nephrotischem Syndrom unterstützen. Eine Prophylaxe mit niedermolekularem Heparin ist jeweils individuell zu diskutieren. Wichtig ist auf jeden Fall eine Mobilisierung des Patienten. Infektionen: Bedingt durch einen sekundären Antikörpermangel und den Verlust von Komplementfaktoren können sehr schwere Infektionen auftreten. Die Ödeme begünstigen die Entstehung von Phlegmonen oder Peritonitiden. Typische Keime dafür sind Staphylococcus und Streptococcus pneumoniae. Es empfiehlt sich deshalb, Kinder mit nephrotischem Syndrom auch gegen Pneumokokken zu impfen. Auch virale Infektionen – vor allem durch Varizellen verursacht – können bei Kindern mit nephrotischem Syndrom lebensbedrohlich sein. Lungenödem: Im Zusammenhang mit therapierefraktären, schweren Ödemen kann auch ein Lungenödem assoziiert sein.
Spätkomplikationen
Bei den Spätkomplikationen sind Adipositas, die Beeinträchtigung von Körperwachstum und Knochenstoffwechsel sowie die mit dem nephrotischen Syndrom assoziierte Dyslipidämie zu nennen. Ausserdem ist das steroidinduzierte Katarakt eine wichtige, wenn auch selten auftretende Komplikation der Glukokortikoidtherapie. Adipositas und Wachstum: Eine Langzeittherapie mit Glukokortikoiden kann sowohl Körpergewicht als auch Wachstum und Knochenmineralisation negativ beeinflussen. Insbesondere die Körperlänge verläuft vor Pubertätseintritt zwar noch meist parallel zu den Wachstumsperzentilen, aber in der Pubertät kann es zu einem «Knick» innerhalb der Perzentilen kommen. Auch kann die Pubertät verzögert eintreten. Deshalb ist ein frühzeitiger Einsatz von glukokortikoidsparenden Therapien vor allem beim steroidabhängigen nephrotischen Syndrom oder bei häufigen Rezidiven (frequent relapser) (Tabelle) sehr wichtig. Ein glukokortikoidinduzierter Wachstumsrückstand kann in den meisten Fällen von SSNS bis zum Erwachsenenalter aufgeholt werden. Dyslipidämie: Nebst einer Hypercholesterinämie und Hypertriglyzeridämie in der nephrotischen Erkran-
Der Erstmanifestation geht häufig ein immunogen wirkender Trigger voraus.
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Die Erstdiagnose eines idiopathischen nephrotischen Syndroms ist per se keine Indikation zur Nierenbiopsie.
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kungsphase sind auch LDL, VLDL und Lipoprotein(a)Konzentrationen erhöht. Diese stellen wichtige kardiovaskuläre Langzeitrisikofaktoren dar. Auch können Glukokortikoide und Ciclosporin A, welche bei der Behandlung von Patienten mit nephrotischem Syndrom eingesetzt werden, die Hyperlipidämie noch verstärken. Im Falle eines SSNS sind diese Faktoren wenig relevant, da sie in der Regel nur vorübergehend respektive intermittierend auftreten. Anders ist es jedoch beim SRSN, bei dem eine chronische Dyslipidämie vorliegen kann und somit auch ein erhöhtes Risiko für kardiovaskuläre Erkrankungen besteht. Leider gibt es keine Evidenz in der Behandlung der Hyperlipidämie beim nephrotischen Syndrom im Kindesalter.
Psychosoziale Belastung
Aufgrund des chronisch-rezidivierenden Krankheitsverlaufes tragen die Kinder sowie deren Familien eine hohe psychosoziale Belastung, und ihre Lebensqualität ist gemindert. Eine adäquate Patienten- und Elternschulung ist deshalb unabdingbar (11, 12).
Therapieziele und Definition von Remission und Rezidiv
Bei der Behandlung von Patienten mit nephrotischem Syndrom (NS) sollten folgende Ziele verfolgt werden (13): • möglichst rasche Remission, um Komplikationen zu
vermeiden, die durch die Akutphase des NS bedingt sind; • Vermeiden von Rezidiven beziehungsweise Verlängerung des Intervalls bis zum nächsten Rezidiv, da jedes Rezidiv mit Komplikationen (und Medikamentennebenwirkungen) assoziiert sein kann; • möglichst geringe Toxizität der Therapie, da durch den chronisch-rezidivierenden Verlauf ein kumulativer Effekt auftreten kann. Die Remission ist folgendermassen definiert: • Proteinurie < 100 mg/m2 Körperoberfläche/Tag (resp. < 4 mg/m2 Körperoberfläche/Stunde oder Protein-Kreatinin-Quotient im Urin < 200 g/mol), beziehungsweise Urinstreifen Albustix® negativ oder nur Spuren von Protein • Serumalbumin > 35 g/l • keine Ödeme. Das Rezidiv wird in der Regel durch den Patienten/die Eltern festgestellt, da vor allem im ersten Jahr nach Erstmanifestation der morgendliche Urin täglich mittels Streifentests (Albustix®) untersucht werden muss. Durch diese frühe Diagnose (d.h. vor dem Auftreten von Ödemen!) können Hospitalisierungen vermieden werden. Das Rezidiv ist definiert als das Wiederauftreten einer Proteinurie an wenigstens drei aufeinanderfolgenden Tagen mit: • Urinstreifen Albustix® ≥ 2+ • Protein-Kreatinin-Quotient im Urin > 200 g/mol • Proteinurie > 1 g/m2 Körperoberfläche/Tag (bzw. > 40 mg/m2/Stunde) • Ödeme müssen noch nicht vorliegen. In Abhängigkeit von der Rezidivhäufigkeit wird das SSNS gemäss Tabelle weiter unterteilt.
Therapie bei Erstmanifestation
Die Standardtherapie bei der Erstmanifestation eines nephrotischen Syndroms ist gemäss GPN-Empfehlungen wie folgt (6): • Prednison 60 mg/m2 Körperoberfläche/Tag (oder
2 mg/kg Körpergewicht/Tag) per os für 6 Wochen (maximal 80 mg/Tag in 1 Dosis morgens), danach • Prednison 40 mg/m2 Körperoberfläche/jeden 2. Tag (oder 1,3 mg/kg Körpergewicht/jeden 2. Tag) per os für 6 Wochen (maximal 60 mg/Tag). Kontrovers diskutiert wird, ob eine Verlängerung der initialen Therapie mit langsamem Ausschleichen der Prednisondosis die Anzahl der Rezidive reduzieren und somit den Therapieerfolg verbessern könnte (14, 15). Zeigt sich im Verlauf eine primäre Steroidresistenz, erfolgen Nierenbiopsie und molekulargenetische Diagnostik. Häufig findet sich histologisch eine FSGS, denn wie oben ausgeführt sind nur 30 Prozent der Patienten mit FSGS steroidsensibel (2). SRNS-Patienten mit histologischem Nachweis einer FSGS haben eine verbesserte Prognose, wenn sie langfristig mit Ciclosporin A behandelt werden (16). ACE-Inhibitoren und/oder Angiotensinrezeptorantagonisten sind als antiproteinurische Basistherapie bei Kindern mit SRNS empfohlen. Dagegen profitieren Patienten mit SRNS nicht von einer Cyclophosphamidgabe (17).
Standardtherapie bei Rezidiv
Beim Auftreten eines Rezidivs ist die Gesamtdosis der Glukokortikoide geringer als bei der Initialtherapie: • Prednison 60 mg/m2 Körperoberfläche/Tag per os
(maximal 80 mg/kg Körpergewicht), bis der Urin an drei aufeinanderfolgenden Tagen eiweissfrei ist (im Streifentest Albustix® negativ oder nur Spuren von Protein); • anschliessend Prednison 40 mg/m2 Körperoberfläche/jeden 2. Tag für 4 Wochen (maximal 60 mg/Tag). Patienten mit (häufigen) Rezidiven oder Steroidabhängigkeit werden im Anschluss an die Standardrezidivtherapie ausschleichend mit Glukokortikoiden behandelt (z.B. Reduktion von 2,5 mg/m2 Körperoberfläche/ Woche) (18). Bestehen jedoch inakzeptable Nebenwirkungen der Glukokortikoidtherapie (u.a. Striae, Übergewicht, arterielle Hypertonie, Wachstumsverzögerung), ist der Einsatz von alkylierenden Substanzen (Cyclophosphamid) oder Ciclosporin A sowie Levamisol gerechtfertigt.
Glukokortikoidsparende Therapien
Alkylierende Substanzen: Beim SSNS besteht die grösste Erfahrung mit Cyclophosphamid, welches bereits in den Sechzigerjahren erstmals dafür eingesetzt wurde. Es konnte gezeigt werden, dass unter Cyclophosphamid die Rezidivrate beim SSNS gesenkt werden konnte (19). Durchgesetzt hat sich das 12-wöchige GPN-Schema (13). Die Behandlung wird begonnen, wenn die Patienten in Remission sind. Parallel zum Cyclophosphamid wird Prednison in ausschleichender Dosierung verordnet. Die Cyclophosphamiddosis beträgt 2 bis 2,5 mg/kg Körpergewicht/Tag für 12 Wochen. Wegen der Gonadentoxizität sollte die kumulative Cyclophosphamiddosis aber nicht mehr als 200 mg/kg Körpergewicht betragen (18). Weitere
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Vor allem im ersten Jahr nach der Erstmanifestation muss der morgendliche Urin täglich mittels Streifentests untersucht werden.
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Nebenwirkungen von Cyclophosphamid sind Leukopenie und Thrombozytopenie, weshalb regelmässige Blutbildkontrollen erforderlich sind. Selten treten Haarausfall und hämorrhagische Zystitis auf. Insgesamt haben weniger als ein Drittel der Patienten nach einer Cyclophosphamidbehandlung keine Rezidive mehr, bei einem weiteren Drittel sind die Rezidive seltener, und beim letzten Drittel zeigt sich keine Veränderung des Krankheitsverlaufs (10). Ciclosporin A: Ciclosporin A führt in mehr als 85 Prozent der Fälle zu einem Remissionserhalt. Die Dosis liegt bei 150 bis 200 mg Ciclosporin A/m2 Körperoberfläche/Tag in 2 Einzeldosen. Der Zielbereich des Medikamententalspiegels (Messung erfolgt vor Medikamenteneinnahme) liegt zwischen 60 und 120 ng/ml, wobei die Schwelle, ab der erneut Rezidive auftreten können, individuell ist. Diese Monotherapie wird meist während 2 bis 3 Jahren durchgeführt, bevor sie langsam (meist über 12 Monate) ausgeschlichen wird. Aufgrund der Langzeittherapie kann die Nephrotoxizität der Substanz problematisch werden. Andere Medikamentennebenwirkungen sind Gingivahyperplasie, Hypertrichose, arterielle Hypertonie und Hyperkaliämie. Levamisol: Levamisol ist ein Antihelminthikum, gehört zur Gruppe der Imidazothiazole und wird oral verabreicht. Es hat einen immunmodulatorischen Effekt (20), wobei der genaue Wirkmechanismus jedoch noch nicht verstanden wird. Empfohlen wird der Einsatz vor allem bei SSNS mit Rezidiven und beim steroidabhängigen NS. Die Dosis beträgt 2,5 mg/kg Körpergewicht jeden 2. Tag (maximale Dosis 150 mg) für mindestens 6, meist aber über 36 Monate. Levamisol wird im Allgemeinen gut vertragen. Seltene Nebenwirkungen sind gastrointestinale Beschwerden, Leukopenie oder Hautnekrosen (sehr selten!).
Supportive Therapie
Wichtig ist eine supportive Therapie vor allem im Zusammenhang mit der Erstmanifestation des nephrotischen Syndroms oder bei Patienten, die ungenügend auf die immunosuppressive Therapie ansprechen. Dies bedeutet im Einzelnen: • keine Bettruhe • Flüssigkeitsrestriktion (ca. 1500 ml/m2 Körperober-
fläche; meist haben die Kinder wenig Durst) • Natrium- respektive salzarme Ernährung; in der
Akutphase des nephrotischen Syndroms sind das Gesamtkörperwasser und die Gesamtkörpernatriumkonzentration erhöht • Es ist keine Diät nötig, ausser einer Kalorienreduktion im Falle einer glukokortikoidbedingten Gewichtszunahme • Bei Verschwinden der Proteinurie können die natriumarme Kost und die Flüssigkeitsrestriktion beendet werden.
Fazit
Wichtigster prognostischer Faktor beim nephrotischen Syndrom (NS) im Kindesalter ist das primäre Ansprechen auf die Glukokortikoidtherapie. Beim steroidsensiblen nephrotischen Syndrom (SSNS) besteht kein Risiko, eine chronische Niereninsuffizienz zu entwickeln.
Zirka 80 bis 90 Prozent der Kinder mit NS gehen primär in Remission. Letzteres ist aber stark vom histologischen Befund abhängig: Bei einer «Minimalchange»-Glomerulonephritis (MCN) sind es zirka 90 Prozent, während es bei einer fokal-segmentalen Glomerulosklerose (FSGS) nur 30 Prozent sind, die ein SSNS haben. Etwa drei Viertel aller Kinder mit SSNS erleiden Rezidive. Diese werden gehäuft durch Infektionen der Luftwege oder allergische Reaktionen ausgelöst. In zirka 70 Prozent der Fälle verschwindet die Erkrankung im Lauf der Pubertät. Bei Persistenz im Erwachsenenalter sinkt die Rezidivhäufigkeit meist ab, zudem bleiben die Patienten in der Regel steroidsensibel. Dank verbesserter Therapien ist die akute Morbidität und Mortalität bei nephrotischem Syndrom im Kindesalter niedrig. Die Betreuung von Kindern mit NS bleibt jedoch anspruchsvoll, da es sich aufgrund häufig auftretender Rezidive um eine chronisch-rezidivierende Erkrankung handelt. Deshalb sollte die Betreuung langfristig durch einen pädiatrischen Nephrologen geführt werden. Der Kinder- beziehungsweise Hausarzt spielt hierbei aber eine wichtige Rolle, da er die Behandlung überwacht und in akuten Situationen (z.B. Infektionen) rasch eingreifen kann. Sehr wichtig ist folglich eine interaktive Zusammenarbeit zwischen Eltern, betreuendem Kinderarzt und Kindernephrologen, um langfristig ein gutes Management bei der Betreuung dieser Kinder zu erzielen.
Korrespondenzadresse: Dr. med. Giuseppina Spartà Pädiatrische Nephrologie Universitätskinderklinik Steinwiesstr. 75, 8032 Zürich E-Mail: giuseppina.sparta@kispi.uzh.ch
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