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SCHWERPUNKT
Arterielle Hypertonie im Kindesund Adoleszentenalter
Die Prävalenz der arteriellen Hypertonie im Kindesalter ist niedriger als bei Erwachsenen, trotzdem ist der Bluthochdruck im Kindesalter nicht selten. Der Kinderarzt sollte deshalb gewisse Besonderheiten bezüglich der Definition des normalen Blutdrucks, der Messtechnik und der Abklärungen beim Vorliegen erhöhter Blutdruckwerte bei Kindern und Jugendlichen kennen. Im folgenden Artikel werden diese Aspekte, zusammen mit einer Übersicht über die Pharmakotherapie und über bestimmte Risikofaktoren, die die Entwicklung einer arteriellen Hypertonie im Kindesalter begünstigen, dargestellt.
Von Simone Salzmann, Giacomo D. Simonetti und Barbara S. Bucher
W ährend 20 bis 25 Prozent der Erwachsenenbevölkerung eine arterielle Hypertonie aufweisen, ist sie bei Kindern seltener; der Anteil betroffener Kinder beträgt definitionsgemäss 5 Prozent (s. unten). In einer epidemiologischen Studie im Kanton Waadt betrug die Prävalenz der Hypertonie bei wiederholten Messungen bei Kindern etwa 2 Prozent (1). Die Definition der arteriellen Hypertonie bei Erwachsenen und bei Kindern unterscheidet sich jedoch grundlegend. Beim Erwachsenen gilt < 130/85 mmHg als normal, 130–139/85–89 mmHg als hoch normal und ≥ 140/90 mmHg als Hypertonie. Im Kindesalter stellt auch der Blutdruck eine von Alter, Länge und Geschlecht abhängige Grösse dar. Im Kindesalter gelten deshalb alters- und geschlechtsspezifische Normwerte, wie das auch für das Gewicht, die Körperlänge und den Kopfumfang bekannt ist. Mittels verschiedener Studien wurden Normwerttabellen für den Blutdruck bei Kindern und Jugendlichen erstellt. Allgemein gilt dabei als normaler Blutdruck ein Wert unterhalb der entsprechenden 90. Perzentile. Als hoch normal werden Werte ≥ 90. Perzentile und < 95. Perzentile bezeichnet. Eine arterielle Hypertonie ist definiert als ein Messwert ≥ 95. Perzentile, wobei drei erhöhte Messwerte anlässlich von drei Konsultationen zur Diagnosestellung einer arteriellen Hypertonie gefordert werden (Kasten) (2). Im Adoleszentenalter gehen die pädiatrischen Blutdruckperzentilenwerte in die Erwachsenennormwerte über. Die Blutdruckwerte der Normtabellen sollten nicht als absolute Zielwerte bei der Therapie der arteriellen Hypertonie verstanden werden. Die Normtabellen gelten lediglich als Hilfsmittel, um Patienten mit möglicher arterieller Hypertonie zu identifizieren. Speziell bei Vorliegen einer Nierenerkrankung oder eines Diabetes mellitus sollten restriktivere Grenzwerte zur An- wendung kommen. Nach neuen Erkenntnissen ist der Zielbereich für nierenkranke Kinder ohne Proteinurie die 75. Perzentile, für nierenkranke Kinder mit Proteinurie hingegen die 50. Perzentile (Kasten) (3, 4). Auch bei Erwachsenen wird in diesen Situationen ein Blutdruck < 130/80 mmHg angestrebt. Kasten: Gleichungen zur Schätzung der Blutdruckreferenzwerte für Kinder und Adoleszente 95. Perzentile (Grenze «Hypertonie») • Systolisch: 100 + Alter (Jahre) x 2 • Diastolisch: 1–10 Jahre: 60 + Alter x 2 (Jahre); 11–17 Jahre: 70 + Alter (Jahre) 90. Perzentile (Grenze «Normotonie») • 95. Perzentile x 0,95 75. Perzentile (Zielbereich für nierenkranke Kinder ohne Proteinurie) • Systolisch: 90 + Alter (Jahre) x 2 • Diastolisch: 1–5 Jahre: 43 + Alter x 4 (Jahre); 6–17 Jahre: 58 + Alter (Jahre) 50. Perzentile (Zielbereich für nierenkranke Kinder mit Proteinurie) • Systolisch: 83 + Alter (Jahre) x 2 • Diastolisch: 1–5 Jahre: 35 + Alter x 4 (Jahre); 6–17 Jahre: 50 + Alter (Jahre) Diese Gleichungen ermöglichen im Alltag eine grobe Schätzung der oberen Blutdruckreferenzwerte (95. und 90. Perzentile) und der 50. und 75. Perzentile bei Kindern und Adoleszenten (bis 17 Jahre) (Werte in mmHg). Die 50. und 75. Perzentile stellen den Zielbereich für nierenkranke Kinder mit oder ohne Proteinurie dar. Die mit diesen Gleichungen ermittelten Werte sind für beide Geschlechter gültig. 3/13 15 SCHWERPUNKT ser Wichtigkeit für die Langzeitprognose und die Entwicklung von Endorganschäden. Abbildung 1: Diagnostischer Algorithmus der Hypertonie. SBD: systolischer Blutdruck; DBD: diastolischer Blutdruck; P: Perzentile; ABPM: ambulante 24-Stunden-Blutdruckmessung (3). Auch in der Pädiatrie allgemein anerkannt sind die zirkadiane Variabilität des Blutdrucks und die Entität der «Praxishypertonie». Der tageszeitabhängige Rhythmus wurde bei gesunden Kindern und Adoleszenten untersucht, und entsprechende Normwerttabellen stehen nun auch für diese Altersgruppe zur Verfügung. Bei Verdacht auf eine «Praxishypertonie», aber auch bei fehlendem Ansprechen auf eine antihypertensive Pharmakotherapie ist die ambulante Blutdruckmessung deshalb auch im Kindesalter (ab dem Alter von 5 bis 6 Jahren) sehr hilfreich. Zudem ist die Beurteilung des nächtlichen Absinkens des Blutdrucks sowie der absoluten nächtlichen Blutdruckwerte von gros- Tabelle 1: Indikationen zur Blutdruckmessung im Kindes- und Adoleszentenalter Screening: • Vorsorgeuntersuchung ab dem Alter von 6 Jahren* • jede gründliche Allgemeinuntersuchung • jedes unklare Krankheitsbild Gezielte Messung: • bekannte oder vermutete renale Erkrankung • bekannte oder vermutete kardiale Erkrankung • akute neurologische Erkrankung (z. B. Krampfanfall, Bewusstseinstrübung) • auf arterielle Hypertonie verdächtige Symptome (z. B. Kopfschmerzen, Epistaxis, Lähmung des Nervus facialis) • vor und während jeder Medikation, die potenziell den Blutdruck beeinflusst • familiäre Belastung mit arterieller Hypertonie oder Adipositas und anderen kardio- vaskulären Risikofaktoren • Zustand nach Früh- oder Mangelgeburtlichkeit *Empfehlung der Schweizerischen Gesellschaft für Pädiatrie Blutdruckmessung bei Kindern Beim Kleinkind ist die Blutdruckmessung technisch schwierig und aufwendig, und eine unsachgemässe Durchführung ergibt falsche, meist zu hohe Werte. Die Messung sollte idealerweise beim entspannten Kind erfolgen, unter Verwendung einer Manschette, deren Breite der Körpergrösse angepasst ist (Länge der Luftkammer 80–100% des Armumfangs; Breite der Luftkammer 40% des Armumfangs). Es sollte eine Manschette verwendet werden, die satt am Oberarm angelegt werden kann, ohne das Stethoskop in der Ellenbeuge zu berühren. Dafür sollten mindestens drei Breiten (zum Beispiel 4, 8 und 12 cm) zur Verfügung stehen. Wie bei der Messung beim Erwachsenen werden das Auftreten und das Verschwinden der Korotkoff-Töne registriert. Beim Säugling und beim Kleinkind ist eine zuverlässige Messung jedoch nur mithilfe eines validierten, oszillometrischen Messgeräts möglich (2). Präventive Routinemessungen des Blutdrucks werden in der Schweiz ab dem Alter von sechs Jahren empfohlen (Empfehlung Schweizerische Gesellschaft für Pädiatrie). Es gibt jedoch zusätzliche, altersunabhängige Indikationen, die eine Kontrolle des Blutdrucks verlangen (Tabelle 1). Ursachen der arteriellen Hypertonie im Kindesalter Die essenzielle Hypertonie ist im Voradoleszentenalter selten, weshalb bei der Abklärung einer arteriellen Hypertonie immer eine sekundäre Ursache gesucht werden muss. Wiederholte Blutdruckmessungen oberhalb der 95. Perzentile oder eine pathologische ambulante 24-Stunden-Blutdruckmessung erfordern weitere Abklärungen. Bei wiederholten Blutdruckmessungen zwischen der 90. und 95. Perzentile sind hingegen lediglich regelmässige Blutdruckkontrollen indiziert (Abbildung 1). Die möglichen Ursachen einer sekundären Hypertonie beim Kind sind vielfältig und altersabhängig. Bei Neugeborenen oder Säuglingen findet sich ein anderes ätiologisches Spektrum als bei Kleinkindern oder Schulkindern (Tabelle 2). Die Ausschlussdiagnose einer essenziellen Hypertonie wird meistens erst in der Pubertät gestellt. Bei mehr als der Hälfte der Kinder mit einer arteriellen Hypertonie liegt eine «renale» arterielle Hypertonie vor. Dazu führen vor allem die Fehlbildungen der ableitenden Harnwege, Nierenparenchymerkrankungen und sämtliche Erkrankungen, die mit einer renalen Minderperfusion einhergehen. Hier ist nebst den vielen möglichen Erkrankungen, die den Blutfluss im Bereich der Nierenarterien reduzieren, die im Kleinkindesalter klassischerweise vorkommende Aortenisthmusstenose speziell erwähnenswert. Diese präsentiert sich klinisch mit verzögerten, schlecht palpablen oder gar fehlenden Inguinalpulsen sowie mit deutlich tieferen Blutdruckwerten der unteren Extremitäten bei Hypertonie der oberen Körperhälfte. Eine arterielle Hypertonie kann im Alltag als Erstmanifestation einer der oben genannten Grunderkrankun- 16 3/13 SCHWERPUNKT Abbildung 2: Wann soll die pharmakologische Therapie gestartet werden? Eine persistierende Hypertonie trotz allgemeiner und diätetischer Massnahmen erfordert auch eine medikamentöse Behandlung (3). gen auftreten, welche anschliessend gesucht werden müssen. Sehr häufig tritt eine arterielle Hypertonie aber im Verlauf einer bereits bekannten Erkrankung auf, die zur Entwicklung einer Hypertonie prädisponiert. Gelegentlich kann eine Hypertonie auf die Einnahme von Pharmaka oder bestimmten anderen Substanzen zurückgeführt werden (Tabelle 3). Bei Vorliegen einer ausgeprägten arteriellen Hypertonie stellt sich im Kindesalter stets die Frage nach dem Vorliegen einer Nierenarterienstenose. Eine artherosklerotisch bedingte Nierenarterienstenose kommt bei Kindern und Jugendlichen praktisch nicht vor. In dieser Altersgruppe findet sich meist eine der folgenden Ursachen: fibromuskuläre Dysplasie, Thrombose der Nierenarterie (z.B. nach Einlage eines Nabelarterienkatheters im Neugeborenenalter) oder Tabelle 2: Ursachen arterieller Hypertonie im Kindes- und Jugendalter häufig Neugeborene und Säuglinge • Stenose der Nierenarterie (vor allem aber Thrombose und Spasmen nach Nabelarterienkatheter) • Aortenisthmusstenose • kongenitale Erkrankungen des Nierenparenchyms (Hypoplasie, polyzystische Nierenkrankheit) • kongenitale Erkrankungen der ableitenden Harnwege (Obstruktion) selten • Ductus arteriosus Botalli persistens • bronchopulmonale Dysplasie • Hirnblutung • medikamentös bedingt Kleinkindes- und Schulalter • akute und chronische Nierenparenchym- erkrankungen (Glomerulonephritis, Pyelonephritis, posttraumatisch) • Erkrankungen der ableitenden Harnwege (Obstruktion, Reflux) • Aortenisthmusstenose • essenzielle Hypertonie (erst ab Adoleszentenalter relevant) • Stenose der Nierenarterien • neuroendokrine Tumoren • Hyperkalzämie jeglicher Genese • Erkrankungen mit Hypokaliämie (primärer Hyperaldosteronismus im Kindesalter sehr selten) • Enzephalitis, erhöhter intrakranieller Druck (eventuell Hypotonie!) • medikamentös bedingt angeborene multisystemische Syndrome (z.B. Williams-Beuren-Syndrom, Alagille-Syndrom oder Neurofibromatose Typ 1). Bei schlanken Kindern ist die Dopplersonografie der Arteria renalis eine zuverlässige Untersuchungsmethode, die jedoch gelegentlich falschnormale Ergebnisse zeigt. Bei starkem Verdacht muss deshalb auch bei normalem dopplersonografischem Befund eine anderweitige bildgebende Untersuchung der Nierengefässe durchgeführt werden. Die Magnetresonanzuntersuchung mit Kontrastmitteldarstellung der Gefässe ist eine wenig invasive und sehr zuverlässige Untersuchung ohne ionisierende Bestrahlung. Die Bestimmung von Renin und Aldosteron im Plasma kann in der Differenzialdiagnose zusätzlich hilfreich sein (beide sind im Fall einer Nierenarterienstenose stark erhöht). Die sogenannten monogenetischen, familiären Hypertonieformen sind sehr selten, aber meistens schwer einstellbar und im Kindesalter manifest. Hinweisend für diese Hypertonieformen ist eine positive Familienanamnese und das Vorhandensein einer Hypokaliämie mit metabolischer Alkalose oder einer Hyperkaliämie mit metabolischer Azidose; die Reninwerte im Plasma sind meistens supprimiert (low renin hypertension). Kindliche Risikofaktoren für die Entwicklung einer arteriellen Hypertonie Bereits im Vorschulalter findet sich ein statistischer Zusammenhang zwischen Body-Mass-Index (BMI) und Blutdruckniveau. Bei Jugendlichen mit Bluthochdruck besteht in zirka 40 Prozent der Fälle eine Adipositas; durch Gewichtsreduktion kann in diesen Fällen meist eine Normalisierung der Blutdruckwerte erreicht werden. Mit der zunehmenden Anzahl übergewichtiger Kinder in der Bevölkerung muss auch mit einem Anstieg der Häufigkeit des Bluthochdrucks in dieser Altersgruppe gerechnet werden. Es ist deshalb wichtig, dass die Familien, die Gesellschaft und die Schule eine gute Prävention (gesunde Ernährung, regelmässige sportliche Aktivität) unterstützen. Kinder hypertensiver oder adipöser Eltern neigen ebenfalls häufig zur Entwicklung hypertoner Blutdruckwerte. Dieses Phänomen ist im Rahmen einer genetischen Prädisposition oder des «ungesunden» Lebensstils innerhalb der Familie zu erklären. Neue Erkenntnisse zeigen, dass auch Passivrauchen im Kindesalter zur Entwicklung höherer Blutdruckwerte führt. Auch Frühgeburtlichkeit und intrauterine Wachstumsverzögerung gehen mit höheren Blutdruckwerten und mit einem erhöhten kardiovaskulären Risiko im späteren Leben einher. Gerade in diesen Risikogruppen wäre eine frühzeitige Erkennung des Bluthochdrucks wichtig, um kardiovaskulären Schäden vorzubeugen. Schweregrad und Folgeerkrankungen Die arterielle Hypertonie bei Kindern stellt ein akutes und ein chronisches Problem dar. Eine schwere arterielle Hypertonie hat akut meistens zentralnervöse Konsequenzen: Kopfschmerzen und Erbrechen sind 18 3/13 SCHWERPUNKT milde Symptome; selten können jedoch Krampfanfälle, Visusverlust, Bewusstlosigkeit, Hirnödem und Durchblutungsstörungen auftreten. Eine maligne hypertensive Krise bei Kindern kann fatale Auswirkungen haben, und eine entsprechende intensivmedizinische Therapie mit Blutdrucksenkung ist entsprechend notwendig. Eine akute hypertensive Krise kann als Erstmanifestation der arteriellen Hypertonie auftreten oder im Rahmen einer bekannten, aber ungenügend therapierten arteriellen Hypertonie. Auch die chronischen Konsequenzen des Bluthochdrucks bei Kindern sind vielfältig. Die Endorganschäden entsprechen grundsätzlich denen des Erwachsenenalters: Myokardhypertrophie, hypertensive Retinopathie, Proteinurie und chronische Niereninsuffizienz. Zudem führt eine arterielle Hypertonie auch im Kindesalter zu einer erhöhten Arteriensteifigkeit und einer Zunahme der Intima-MediaDicke, beides Präkursoren der Atherosklerose, die nach Jahren zu kardiovaskulären Krankheiten (vor allem Herz- und Hirninfarkt) führen können. Bei Kindern werden zusätzlich Konzentrations- und Lernschwierigkeiten als Konsequenzen der arteriellen Hypertonie beschrieben. Therapie bei chronisch arterieller Hypertonie im Kindesalter Bei sekundären Formen der arteriellen Hypertonie stellt sich primär die Frage nach der Möglichkeit einer kausalen Therapie. Gewichtsreduktion bei adipösen Patienten, gesunde salzarme Ernährung mit viel Gemüse und Früchten sowie regelmässige körperliche Aktivität haben einen wichtigen Stellenwert in der Behandlung von Kindern mit arterieller Hypertonie. Auch bei Kindern haben sich diese allgemeinen Massnahmen bewährt und sollen sowohl in der Prävention als auch in der Therapie einer manifesten arteriellen Hypertonie immer erwähnt werden. Eine pharmakologische Therapie ist dann indiziert, wenn die Hypertonie symptomatisch ist, eine sekundäre Ursache hat (zum Beispiel renal bedingt), lebensbedrohlich ist oder Endorganschäden nachweisbar sind (Abbildung 2). Folgende Medikamentenklassen werden beim Kind mit chronischer arterieller Hypertonie empfohlen: Antihypertensiva, die auf das Renin-Angiotensin-System wirken, das heisst ACE-Hemmer und Angiotensin-II-Rezeptorblocker, Betablocker, lang wirkende Kalziumantagonisten und Thiazid- oder kaliumsparende Diuretika. Diese Antihypertensiva haben eine ebenbürtige Wirkung bezüglich Blutdrucksenkung und Endorganläsionen (5). Bei Kindern mit einer Hypertonie renaler Genese (mehr als 50% der Kinder mit arterieller Hypertonie) oder mit diabetesassoziierter Hypertonie ist die Wirkung von Pharmaka, die auf das Renin-Angiotensin-System wirken, hinsichtlich Proteinurie und Progression der Nephropathie besser im Vergleich zu den Diuretika, Betablockern und insbesondere zu den Kalziumantagonisten. Bei diesen Patienten ist die arterielle Hypertonie mit einer Monotherapie, auch nach Erhöhung der Dosis, häufig ungenügend behandelt. In diesen Fällen kann ein Thiaziddiuretikum (ein Schleifendiuretikum bei schwerer Niereninsuffizienz) zusätzlich eingeführt werden. Falls die renal bedingte Hypertonie sehr schwer ist, wird bereits zu Beginn eine kombinierte Zweifachtherapie verordnet (meistens ein Medikament, das über das Renin-Angiotensin-System wirkt, und ein Thiaziddiuretikum). Zur Behandlung der arteriellen Hypertonie reicht eine Monotherapie selten aus. Es werden vier Kombinationstherapien empfohlen, die eine additive Wirkung haben: • Renin-Angiotensin-Antagonisten plus Diuretika • Renin-Angiotensin-Antagonisten plus Kalziumant- agonisten • Betablocker plus Kalziumantagonisten • Betablocker plus Diuretika (6). Mit dem Akronym AB/CD (A für Renin-AngiotensinAntagonist, B für Betablocker, C für [C]Kalziumantagonist, D für Diuretikum) lassen sich die günstigen Assoziationen leicht merken: Ein Medikament aus dem Zähler kann mit einem Medikament aus dem Nenner kombiniert werden, jedoch nicht mit einem Medikament aus dem Zähler (und umgekehrt). Die schlechte Compliance ist ein grosses und häufiges Problem bei Patienten mit arterieller Hypertonie. Die Compliance kann verbessert werden, indem Medikamente verschrieben werden, die wenige Nebenwirkungen haben, und indem vor Erhöhung der Medikamentendosis oder vor Einführen eines neuen Medikamentes mindestens vier, besser sechs Wochen abgewartet wird. Das grösste Problem bezüglich einer guten Compliance ist eine komplizierte, häufige Verabreichung der Medikamente: Medikamente, die mehrmals täglich eingenommen werden müssen, ver- Tabelle 3: Medikamente oder Substanzen, die einen Blutdruckanstieg verursachen können Anästhetika: • Ketamin • Fentanyl • Naloxon Antiemetika: • Metoclopramid • Alizaprid Nichtsteroidale Antirheumatika, schleimhautabschwellende Medikamente: • Phenylpropanolamin • Phenylephrin • (Pseudo-)Ephedrin • Epinephrin • Oxymetazolin Immunsuppressiva: • Glukokortikosteroide • Calcineurininhibitoren (Cyclosporin und Tacrolimus) Wirkstoffe mit mineralokortikoider Wirkung: • Fluorocortisol und Fluoroprednison • Ketoconazol • Lakritze Sexualhormone: • Östrogene und Gestagene • Androgene inklusive Danazol Antidepressiva, Anxiolytika und Neuroleptika: • Monoaminooxydasehemmer • trizyklische Antidepressiva • Fluoxetin • Buspiron • Thioridazin Stimulanzien und missbräuchlich verwendete Wirkstoffe: • Amphetamine (Beachte: Therapie der Hyper- aktivitätssyndrome bei Kindern mit Methylphenidat) • 3,4-Methylendioxymetamphetamin (Ecstasy) • Phencyclidin (Angel-Dust) • Kokain • Alkohol • Koffein • Nikotin 3/13 19 SCHWERPUNKT Tabelle 4: Antihypertensiva, die einmal pro Tag verordnet werden Klasse ACE–Hemmer Medikament Benazepril Enalapril Fosinopril Lisinopril* Quinapril Ramipril Vorgeschlagene tägliche Dosis (mg) Körpergewicht 10–25 kg 25–40 kg > 40 kg
2,5–5,0
5,0–10 10–20 (40)
2,5–5 5–10 10–20 (40)
1,3–2,5
2,5–10 5,0–20 (40)
2,5–10
5,0–20 10–30 (40)
2,5–5,0
5,0–10 10–20 (40)
1,3–2,5
2,5–10 5,0–20
Angiotensin-II–Rezeptorantagonisten
Irbesartan Losartan Candesartan* Valsartan
37–75 12–25 2–4 20–40
75–150 (25)–100 4–8 40–80
150–300 (50)–100 8–16 80–160
Betablocker
Atenolol Bisoprolol Metoprolol
12–25 1,2–2,5 10–25
25–100 2,5–5,0 25–100
100–200 5,0–10 100–200
Zusammenfassung
Die Blutdruckmessung im Kindesalter, die frühzeitige Erfassung von Risikokindern und die korrekte Therapie hypertensiver Kinder tragen zur Prävention kardiovaskulärer Spätfolgen im Erwachsenenalter bei. Die arterielle Hypertonie und die Zielwerte für deren Behandlung sind heutzutage klar definiert. Sekundäre Ursachen einer Hypertonie müssen im Kindesalter immer gesucht werden. Etablierte Medikamente zur Behandlung der arteriellen Hypertonie im Kindesalter sind Diuretika, Betablocker, lang wirkende Kalziumantagonisten und die Antihypertensiva, die auf das Renin-AngiotensinSystem wirken. Letztere sind die Medikamente der ersten Wahl für Kinder mit einer Nephropathie oder einem Diabetes mellitus. Die Compliance kann verbessert werden, indem nebenwirkungsarme und schmackhafte Medikamente verordnet werden, die nur einmal pro Tag eingenommen werden müssen.
Kalziumantagonisten
Amlodipin Lercanidipin*
Thiaziddiuretika
Chlortalidon* Hydrochlorothiazid*
Kaliumsparende Diuretika
Amilorid Spironolacton Triamteren
adaptiert nach (3) *besonders schmackhafte Medikamente
2,5–5 5–10
6,3–12 6,3–12
1,3–2,5 12–25 12–25
5–10 10–20
12–25 12–25
2,5–5,0 12–100 12–100
10–20 20–40
25–50 25–50
5,0–20 50–200 50–200
schlechtern die Compliance. Bei Kindern werden deshalb nur Pharmaka mit einer Wirkungsdauer von mindestens 24 Stunden empfohlen, sodass sie nur einmal pro Tag eingenommen werden müssen (Tabelle 4). Retardpräparate hingegen werden vermieden, da bei Kindern die Kinetik dieser Pharmaka unvorhersehbar und die Applikationsformen nicht kinderfreundlich sind (nicht zermörserbar). Auch der Geschmack ist ein wichtiger Faktor zur Verbesserung der Compliance, da Kleinkinder und Säuglinge häufig zermörserte Tabletten einnehmen müssen. Es sollten deshalb nur Präparate mit einem neutralen Geschmack verordnet werden (Tabelle 4).
Korrespondenzadresse: Prof. Dr. med. Giacomo D. Simonetti Pädiatrische Nephrologie Universitätsklinik für Kinderheilkunde Inselspital, 3010 Bern E-Mail: giacomo.simonetti@insel.ch
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