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SCHWERPUNKT
Somatoforme Störungen bei Kindern und Adoleszenten
Neben einer Übersicht zur Klassifikation der somatoformen Störungen wird in diesem Beitrag am Beispiel chronischer Bauchschmerzen und des Reizdarmsyndroms dargelegt, wie man mit einer strukturierten Vorgehensweise unnötige Abklärungen und Therapien vermeiden und trotzdem mit hoher Wahrscheinlichkeit eine angemessene Patientenzufriedenheit erreichen kann – ohne Gefahr zu laufen, eine bedrohliche organische Erkrankung zu verpassen.
Von Josef Laimbacher
Die Umdeutung somatoformer Störungen in ein rein psychiatrisches Krankheitsbild geht an der klinischen Realität vorbei.
Ziel sind ein gemeinsames Krankheitskonzept und ein Krankheitsverständnis von Arzt und Patient, um langwierige und erfolglose Therapieversuche zu vermeiden.
Patienten mit somatoformen Störungen sind in Praxis und Klinik häufig anzutreffen. Diese Störungen zeichnen sich dadurch aus, dass eine Diskrepanz zwischen objektiven Befunden und subjektivem Befinden besteht. Unauffällige organmedizinische Befunde stehen intensiv erlebten Beschwerden mit starker Beeinträchtigung im Alltag des Patienten gegenüber, die zusätzlich häufig mit grosser Angst und Sorge um die Gesundheit assoziiert sind. Solche Störungsbilder lassen sich als psychosomatische Störungen (früher meistens als «funktionelle Störungen» bezeichnet) definieren oder werden heute zunehmend unter dem Konzept der somatoformen Störungen gemäss den diagnostischen Standards des ICD-10 (Tabelle 1) und des DSM-IV klassifiziert.
Eine problematische Diagnose
Somit werden somatoforme Störungen gemäss ICD10-Klassifizierung zu psychiatrischen Diagnosen, obwohl Patienten aus dieser Diagnosegruppe sehr selten primär einen Psychiater aufsuchen oder von sich aus psychotherapeutisch Hilfe in Anspruch nehmen. Vielmehr konsultieren diese Patienten Grundversorger, also Pädiater, Allgemeinmediziner, Internisten oder Gynäkologen. Von daher geht nach Wolf Langewitz (1) die Umdeutung dieser Diagnosegruppe in ein rein psychiatrisches Krankheitsbild an der klinischen Realität vorbei. Wirklich bedauernswert ist aber vor allem die Tatsache, dass diese Störungsbilder in den gängigen Lehrbüchern der Fachgebiete der Grundversorger nahezu vollständig fehlen, obwohl sich gerade diese Ärztegruppen täglich mit diesen Patienten konfrontiert sehen. Das gilt ganz wesentlich auch für Patienten mit chronischen Schmerzzuständen, die mit der Diagnose anhaltende somatoforme Schmerzstörung (F45.4) bedacht werden.
Schwierigkeiten im Klinikalltag macht die allgemein gefasste Definition der somatoformen Störungen gemäss ICD-10 insbesondere aber auch dadurch, dass sie keine klare Antwort auf die Frage gibt, ob so unterschiedliche Krankheitsbilder wie zum Beispiel das Reizdarmsyndrom und das Hyperventilisationssyndrom unter einem einheitlichen Störungsmuster eingeordnet werden können oder ob sich umgrenzte Krankheitsentitäten definieren lassen (2).
Viele Organsysteme können betroffen sein
Aus der Gruppe der somatoformen Störungen (Tabelle 1) möchte ich nun die im Praxisalltag häufig präsenten, somatoformen autonomen Funktionsstörungen näher beleuchten. Diese Störungsbilder sind geprägt durch eine autonom vermittelte Funktionsstörung. Entsprechend den hauptsächlich betroffenen Organsystemen werden sie unterteilt: • Störungen des kardiovaskulären Systems • Störungen des oberen Gastrointestinaltraktes • Störungen des unteren Gastrointestinaltraktes • Störungen des respiratorischen Systems • Störungen des urogenitalen Systems. Sie sind somit in diversen medizinischen Fachrichtungen anzutreffen. Die Somatisierungsstörung im engeren Sinn (F45.0) entspricht der Maximalvariante der somatoformen Störungen und lässt sich dann diagnostizieren, wenn somatoforme Störungen den Patienten in seinem Alltag seitens des Beschwerdebildes und der konsekutiven Verhaltensmuster stark beeinträchtigen oder gar invalidisieren. All diesen Störungsbildern ist gemeinsam, dass sie häufig mit Angststörungen und depressiven Störungen assoziiert sind (3). Anhand der funktionellen chronischen Bauchbeschwerden im Kindes- und Jugendalter wird im Fol-
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genden ein somatoformes Störungsbild näher besprochen.
Funktionelle chronische Bauchbeschwerden im Kindesund Jugendalter
2006 wurden die 1999 erstellten diagnostischen Kriterien für funktionelle gastrointestinale Krankheitsbilder im Kindes- und Jugendalter modifiziert und als pädiatrische Rom-III-Kriterien publiziert (4). Sie werden als Schmerzen definiert, die • länger als zwei Monate bestehen • häufiger als einmal pro Woche auftreten und • nicht durch strukturelle oder biochemische Erkran-
kungen erklärt werden können. Früher waren funktionelle gastrointestinale Beschwerden meistens eine reine Ausschlussdiagnose. Heute können sie gemäss diesen Rom-III-Kriterien klassifiziert und in vier Krankheitsentitäten eingeordnet werden: • funktionelle Oberbauchbeschwerden (Dyspepsie) • Reizdarmsyndrom • abdominale Migräne • funktionelle Bauchbeschwerden im Kindesalter. Bauchbeschwerden gehören im Kindes- und Jugendalter zu den häufigsten Symptomen (5). Ein gutes Bild gibt uns die Querschnittserhebung bei > 14 000 Kindern innerhalb des Kinder- und Jugendgesundheitssurveys (KiGGS). In einer Dreimonatsprävalenz wurden Schmerzen bei Kindern und Jugendlichen im Alter von 3 bis 17 Jahren in Deutschland erhoben. Dabei klagten 20 Prozent dieser Kinder über zwei oder mehr Schmerzepisoden innerhalb von drei Monaten. Bei den jüngeren Kindern sind Bauchbeschwerden die häufigste, bei älteren Kindern und Jugendlichen nach Kopfschmerzen die zweithäufigste Ursache von Schmerzen (6).
Diagnose mit Augenmass
Die Diskrepanz zwischen Bauchbeschwerden mit akutem Handlungsbedarf, zum Beispiel in lebensbedrohlichen Situationen, und harmlosen Beschwerden ist bezüglich Intensität und Invasivität der Diagnostik sowie konsekutiver therapeutischer Intervention gross. Eine umfassende Erstanamnese (Tabelle 2) bildet dabei die unabdingbare Basis für das weitere Prozedere, das unser ärztliches Tun massgebend und wegweisend bestimmen sollte. Eine gut erhobene Anamnese gibt entscheidende Hinweise für das Vorliegen sogenannter «red flag signs» (Tabelle 3), die im Idealfall eine weiterführende und patientengerechte Abklärung implizieren. Nach den ersten differenzialdiagnostischen Überlegungen und Eingrenzungen gilt es in der Folge, eine Vielzahl von zum Teil schwerwiegenden organischen Ursachen (Tabelle 4) für akute und chronische Bauchbeschwerden durch zielführende Untersuchungen auszuschliessen. Bei dieser komplexen Ausgangslage gilt es insbesondere, das richtige Augenmass für die folgenden diagnostischen Schritte zu bewahren. Es ist sicherlich eine der schwierigsten ärztlichen Aufgaben, trotz Unsicherheit und der Angst etwas zu verpassen, auf eine Unmenge an Überdiagnostik zu verzichten. Der Arzt
ist gut beraten, wenn er gleichzeitig auch die Möglichkeit funktioneller Beschwerden in Betracht zieht und umfassend nach psychosozialen Faktoren exploriert. Dies mit dem Ziel, unnötige, psychisch und physisch belastende sowie aus gesundheitsökonomischer Sicht teure und invasive Untersuchungen zu vermeiden.
Therapiekonzept klar und transparent kommunizieren
Das gleiche Prinzip gilt auch für die nach abgeschlossener Primärdiagnostik folgenden Therapiemassnahmen. Dazu braucht es ein klares und transparent kommuniziertes Therapiekonzept, beginnend mit einer umfassenden Information zum Abklärungsgang und zu den Resultaten. Ziel ist es, ein gemeinsames Krankheitskonzept und Krankheitsverständnis zu entwickeln. Das soll langwierige und erfolglose Therapieversuche verhindern, die meistens zu grosser Verunsicherung der betroffenen Kinder und Jugendlichen sowie deren Umfeld führen können und konsekutiv eine deutlich eingeschränkte Lebensqualität und Belastungsstörungen im familiären Kontext nach sich ziehen. Das gilt insbesondere auch für die negativen Konsequenzen für die Schule und die Lehre respektive den Arbeitsplatz bei Adoleszenten. Am Beispiel des Reizdarmsyndroms sollen diese Aspekte vertieft erläutert und dargestellt werden.
Beispiel Reizdarmsyndrom
Das Reizdarmsyndrom ist sicherlich das am besten untersuchte Beschwerdebild aus dem Bereich der funktionellen respektive somatoformen Störungen. Es ist die häufigste Ursache gastrointestinaler Beschwerden beim Erwachsenen. Wir gehen von einer Prävalenz von 5 bis 15 Prozent in den westlichen Industrienationen aus (7). Im Kindes- und Jugendalter wird das
Die Vernetzung aller therapeutischen Akteure wie Hausarzt, Gastroenterologe, Ernährungsberater oder Psychotherapeut ist sehr wichtig.
Tabelle 1: Definition der somatoformen Störungen nach ICD-10
• Das Charakteristikum somatoformer Störungen ist die wiederholte Darbietung körperlicher Symptome in Verbindung mit hartnäckigen Forderungen nach medizinischen Untersuchungen trotz wiederholter negativer Ergebnisse und Versicherung der Ärzte, dass die Symptome nicht körperlich begründbar sind.
• Sind aber irgendwelche körperlichen Symptome vorhanden, dann erklären sie nicht die Art und das Ausmass der Symptome oder das Leiden und die innerliche Beteiligung des Patienten.
• Das zu erreichende Verständnis für die körperliche oder psychische Verursachung der Symptome ist häufig für Patienten und Arzt enttäuschend.
Die Gruppe der somatoformen Störungen (F.45) umfasst: F45.0 Somatisierungsstörung F45.1 Undifferenzierte Somatisierungsstörung F45.2 Hypochondrische Störungen F45.3 Somatoforme autonome Funktionsstörung F45.4 Anhaltende somatoforme Schmerzstörung F45.8 Sonstige somatoforme Störungen F45.9 Somatoforme Störungen nicht näher bezeichnet
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Auch während einer Psychotherapie muss die somatische Behandlung weitergehen.
Reizdarmsyndrom bei 22 bis 45 Prozent der Patienten mit funktionellen Bauchschmerzen diagnostiziert (5). Pathophysiologisch kann das Reizdarmsyndrom noch immer nicht umfassend erklärt werden, obwohl in den letzten Jahren deutlich mehr dieses multifaktoriellen Geschehens verstanden wird. Die Fachwelt geht von einer viszeralen Hypersensitivität, einer abnormen gastrointestinalen Motilität, einer Dysfunktion des autonomen Nervensystems, einer Aktivierung des mukosalen Immunsystems sowie psychologischen und (epi-)genetischen Faktoren aus (8). Ein weiteres Forschungsfeld betrifft die komplexe Interaktion zwischen Darm und ZNS.
Tabelle 2: Strukturierte Anamnese bei chronischen Bauchbeschwerden im Kindesund Jugendalter
• Vorliegen von Warnsymptomen? • Lokalisation der Bauchbeschwerden: periumbilikal, epigastrisch …? • Übelkeit, Erbrechen? • Häufigkeit der Beschwerden? • Stuhlgewohnheiten: Neigung zur Obstipation oder Durchfall? • Ernährungsgewohnheiten: übermässiger Genuss von Milchprodukten, Früchten
oder Fruchtsäften, süssstoffhaltige Nahrungsmittel oder Getränke? • Andere funktionelle Störungen? • Positive Familienanamnese bezüglich funktioneller Erkrankung? • Psychosoziale Anamnese?
nach Bufler et al. 2011 (5)
Tabelle 3: Anamnestische und klinische Hinweise für organische Ursachen bei chronischen Bauchbeschwerden im Kindes- und Jugendalter (red flag signs)
• Anhaltende Beschwerden im oberen und unteren rechten Quadranten • Schluckbeschwerden, Sodbrennen • Unbeabsichtigter Gewichtsverlust > 10% • Eingeschränktes Körperwachstum • Rezidivierendes Erbrechen • Chronischer oder vor allem nächtlicher Durchfall • Hinweise für gastrointestinalen Blutverlust • Unklares Fieber • Auffälliger Untersuchungsbefund (z.B. pathologische Resistenz, Hepatomegalie,
Splenomegalie, Abwehrspannung) • Positive Familienanamnese, unter anderem bezüglich chronisch-entzündlicher
Darmerkrankung, Zöliakie, peptischen Magengeschwüres • Arthritis • Auffälligkeiten beim Wasserlassen • Verzögerte Pubertät • Gynäkologische Auffälligkeiten (Dysmenorrhö, ausbleibende Menstruation) • nächtliche Schmerzen, die den Patienten wecken
nach Bufler et al. 2011 (5)
Das Reizdarmsyndrom muss in einem ersten Schritt nach wie vor über die klinischen Symptome definiert werden: • Änderung der Stuhlfrequenz mit ≥ 4 Stühlen pro
Tag oder ≤ 2 Stühlen pro Woche • harter oder wässriger Stuhlgang • gesteigerter Stuhlgang oder das Gefühl der inkom-
pletten Entleerung • Schleimauflagerung auf dem Stuhl • Völlegefühl oder geblähtes Abdomen. Das Reizdarmsyndrom ist aber keine Ausschlussdiagnose. Es entspricht einer klinischen Diagnose gemäss den Rom-III-Kriterien. Basis der Diagnostik bilden wie oben beschrieben eine ausführliche Anamnese (somatisch, psychologisch, sozial) und die entsprechende Symptomatologie. Danach erfolgt die Klassifikation nach den Rom-III-Kriterien (Tabelle 5). Der weitere Abklärungsgang und die Sicherung der Diagnose richtet sich wie oben beschrieben im Umfang und in Invasivität nach allfällig vorliegenden Warnsymptomen (red flag signs). So sollte zum Beispiel eine endoskopische Untersuchung des MagenDarm-Trakts nicht in jedem Fall erfolgen, sondern nur bei positiven Biomarkern, wie einem erhöhten Calprotectin respektive bei Vorliegen von Warnsymptomen.
Therapiekonzept entwickeln
Nach erfolgter massgerechter Diagnostik und dem Ausschluss relevanter organischer Ursachen folgt im Idealfall eine offene Kommunikation über die Abklärungsergebnisse. Ziel ist es, wie oben bereits skizziert, ein gemeinsames Krankheitsverständnis zu entwickeln, welches in ein gemeinsam erarbeitetes Therapiekonzept münden sollte. Aufwändig gestaltet sich erfahrungsgemäss die Ausgestaltung eines schrittweise zu etablierenden Behandlungsprozesses. Dabei spielt der multidisziplinäre Therapieansatz die zentrale Rolle (bio-psycho-soziales Behandlungsmodell). Der Behandlungsprozess umfasst bei voller Ausprägung des Krankheitsbildes eines Reizdarmsyndroms im Wesentlichen: • aufklärendes Gespräch zum Krankheitsbild und Ver-
handlung des Therapiekonzeptes durch den Grundversorger • einfache Ernährungsmodifikation, spezifische diätetische Massnahmen • symptomorientierte medikamentöse Therapie, allenfalls in Zusammenarbeit mit den Spezialärzten • psychosomatische Behandlung und eventuell weiterführende Psychotherapie • Einbindung komplementärer Therapieformen im Sinne der integrativen Medizin.
Vernetzung der therapeutischen Akteure ist wichtig
Zentral in diesem Prozess ist dabei die Vernetzung aller therapeutischen Akteure wie Hausarzt, Gastroenterologe, Ernährungsberater oder Psychotherapeut. Die «Drehscheibenfunktion» und das Case-Management obliegt meistens dem Grundversorger, der auch die entsprechende Zuweisung zu den involvierten Fachstellen veranlasst. Das ist für die Zuweisung zum Gastroenterologen oder zum Ernährungsberater
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meistens relativ einfach, da häufig eine klare Fragestellung formuliert werden kann. Schwieriger gestaltet sich die Zuweisung zu einer allenfalls notwendigen Psychotherapie. Dafür muss der Grundversorger umfassende Kenntnisse dieses Fachgebiets haben. Er muss wissen, welche psychotherapeutischen Verfahren überhaupt zur Verfügung stehen und welche den individuellen Bedürfnissen respektive Neigungen des Patienten entsprechen könnten. Beim Reizdarmsyndrom kommen vor allem die kognitive Verhaltenstherapie, die Entspannungsverfahren, die Hypnosetherapie und die psychodynamisch orientierte Therapieform zum Einsatz. Der Grundversorger muss seine «Drehscheibenfunktion» im Langzeitverlauf behalten, auch wenn in einer bestimmten Behandlungsphase, zum Beispiel während einer vorübergehend intensivierten Psychotherapie, der Kontakt des Patienten mit anderen Therapeuten mehr Raum einnimmt. Gerade in einer solchen Phase ist es weiterhin unabdingbar, dass die somatische Behandlung für die wahrscheinlich immer noch persistierenden körperlich erlebten Symptome weitergeht. Umgekehrt ist es zentral, dass der Psychotherapeut das Krankheitsbild des Reizdarmsyndroms aus somatischer Sicht gut kennt und sich darüber informiert, welche somatische Therapiekonzepte bestehen und welche aktuell zur Anwendung kommen.
folgter Aufklärung und Information zum Krankheitsbild, ein multiprofessionelles Therapieverfahren (biopsycho-soziales Modell) einzuleiten, in welchem alle Akteure vernetzt und im Idealfall durch den Grundversorger im Langzeitverlauf koordiniert werden. Wenn wir so handeln, ist die Wahrscheinlichkeit hoch, dass wir eine angemessene Patientenzufriedenheit, inklusive einer Zufriedenheit im Umfeld des Patienten, erreichen können. Wir können uns so aber auch vor eigener Frustration und unnötigem Stress schützen, wenn trotz des subjektiv gefühlten hohen Engagements der Behandlungserfolg ausbleibt.
Korrespondenzadresse: Dr. med. Josef Laimbacher Chefarzt Jugendmedizin Ostschweizer Kinderspital St. Gallen E-Mail: josef.laimbacher@kispisg.ch
Literatur: 1. Langewitz W. Funktionelle Störungen – somatoforme Störungen. In: Adler HR et al. (Hrsg.): Psychosomatische Medizin. Urban und Fischer Verlag, München, 2011;
Der Hausarzt sollte die psychotherapeutischen und der Psychotherapeut die somatischen Behandlungsoptionen kennen.
Tabelle 4: Beispiele für organische Ursachen chronischer Bauchbeschwerden im Kindes- und Jugendalter
Einbezug der Eltern
Bei Kindern mit somatoformen Störbildern ist der systemische Ansatz im therapeutischen Prozess mit Einbezug der Eltern beziehungsweise der Erziehungsberechtigten und allenfalls dem erweiterten sozialen Umfeld von zentraler Bedeutung. Bei Jugendlichen, die noch zu Hause leben, müssen Aspekte der systemischen Betreuung, trotz zunehmender Selbstständigkeit und Ablösung, ebenfalls weiter berücksichtigt werden. Bei Adoleszenten, die schon eine hohe Selbstständigkeit erreicht haben oder sogar extern wohnen, gleicht sich die Vorgehensweise jener der Erwachsenen an. Trotzdem ist es aber häufig notwendig, situationsadaptiert Angehörige oder weitere Bezugspersonen aus dem sozialen Nahraum der Adoleszenten mit in die Betreuung einzubeziehen.
• Nahrungsmittelunverträglichkeiten, z.B. Laktosemaldigestion • Zöliakie • Gastroösophageale Refluxerkrankung/Ösophagitis • Dysmenorrhö • Harnwegserkrankung • Chronisch entzündliche Darmerkrankungen, z.B. Morbus Crohn, Colitis ulcerosa
peptische Ulzera (bei Helicobacter-pylori-Infektion) • Yersinieninfektion (Y. enterocolitica und pseudotuberculosis) • Pankreatitis • Hepatobiliäre Erkrankungen • Anatomische Malformationen (z.B. Meckel-Divertikel oder Malrotation) • Tumorerkrankungen
nach Bufler et al. 2011 (5)
Zusammenfassung
Obwohl die Klassifizierung der somatoformen Störungen, wie eingangs beschrieben, mit Schwierigkeiten verbunden ist, erachte ich diese trotzdem als hilfreich, da sich so entsprechende Krankheitsbilder definieren lassen. Mit einer Übersicht zu den chronischen Bauchbeschwerden im Allgemeinen und zum Störungsbild des Reizdarmsyndromes im Speziellen habe ich versucht, durch eine strukturierte Vorgehensweise über • eine umfassende Primäranamnese • das Erkennen der Alarmzeichen (red flag signs) • weiterführende differenzialdiagnostische Überle-
gungen und • zielführende Untersuchungen zum Ausschluss
einer organisch bedingten Ursache zur Diagnose und Klassifizierung des Störungsbildes zu gelangen, um in einem nächsten Schritt, nach er-
Tabelle 5: Rom-III-Kriterien (1) des Reizdarmsyndroms
Wiederkehrende Bauchschmerzen (2) plus mindestens 2 der folgenden Symptome: • Verbesserung mit/nach der Defäkation • Beginn assoziiert mit einer Änderung der Stuhlfrequenz • Beginn assoziiert mit einer Änderung der Stuhlform
RDS-D (mit Diarrhö) RDS-O (mit Obstipation) RDS-M (Mischtyp)
≤ 25% harte/geformte Stühle ≥ 25% breiige/wässrige Stühle ≤ 25% breiige/wässrige Stühle ≥ 25% harte/ geformte Stühle ≥ 25% harte/geformte Stühle ≥ 25% breiige/wässrige Stühle
1. Kriterien werden in den letzten 3 Monaten erfüllt mit Beginn der Symptomatik mindestens 6 Monate vor der Diagnosestellung
2. an mindestens 3 Tagen pro Monat während der letzten 3 Monate
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739–774. 2. Wessely S et al. Functional somatic syndromes: one or many? Lancet 1999; 354: 936–939. 3. Henningsen P et al. Management of functional somatic syndromes. Lancet 2007; 369: 946–955. 4. Rasquin A et al. Childhood functional gastrointestinal disorders: child/adolescent. Gastroenterology 2006; 130: 1527–1537. 5. Bufler P et al. Chronische Bauchbeschwerden bei Kindern und Jugendlichen. Deutsches Aerzteblatt 2011; 108 (17): 295–304. 6. Du Y et al. Pain perceived in a national community sample of German children and adolescents. Eur J Pain 2011; 15 (6): 649–657. 7. Schaub N et al. Reizdarmsyndrom: Einblicke und Ausblicke 2012. Schweiz Med Forum 2012; 12 (25): 505–513. 8. Kellow JE et al. Applied principles of neurogastroenterologiy: physiology/motility sensation. Gastroenterology 2005; 130 (5): 1412–1420.
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