Transkript
SCHWERPUNKT
Selbstmanagement und Compliance fördern
Aufbau einer therapeutischen Allianz in der Adoleszentensprechstunde
Die Kernaufgabe eines jeden Arztes ist die bestmögliche Behandlung seiner Patienten. Voraussetzung dafür ist eine wirksame Therapie, die korrekt umgesetzt wird. Dafür braucht es in der Adoleszentensprechstunde die Zusammenarbeit zwischen dem Arzt, dem jugendlichen Patienten und dessen Eltern. Dieser Artikel zeigt auf, weshalb entwicklungspsychologische Aspekte in der jugendmedizinischen Arbeit berücksichtigt werden müssen, um eine therapeutische Allianz zwischen dem jugendlichen Patienten und dem Arzt aufzubauen. Die unterstützende Rolle der Eltern sowie compliancefördernde Massnahmen werden anhand konkreter Fallbeispiele beleuchtet. Ziel ist es, die Eigenverantwortung des jugendlichen Patienten zu fördern und damit die Wirksamkeit der Therapie zu erhöhen.
Christoph Rutishauser
Jugendliche Patienten sind eine Bereicherung in der ärztlichen Praxis, lösen jedoch immer wieder Unsicherheit und Unbehagen aus (1, 2). Der Jugendliche steht in der Transition zwischen Kindheit und Erwachsenenalter. Diese Transition und damit die Entwicklungsaspekte in der Adoleszenz müssen in der ärztlichen Arbeit mit dem jugendlichen Patienten und seinen Eltern berücksichtigt werden, um eine vertrauensvolle Arzt-PatientenBeziehung als Basis für eine gute therapeutische Allianz aufzubauen. Diese therapeutische Allianz mit dem jugendlichen Patienten ist die Voraussetzung für eine gute Compliance und somit Wirksamkeit der Therapie. Bei chronischen Krankheiten ohne kurative Therapie muss diesen Aspekten besondere Aufmerksamkeit beigemessen werden, um die Motivation für eine bestmögliche Therapie aufrechtzuerhalten.
Biopsychosoziale Entwicklung und Krankheitsverständnis
Die Adoleszenz ist durch grosse Veränderungen des Körpers geprägt, die zu Verunsicherung führen können. Vor allem in der frühen Adoleszenz steht die Frage «Bin ich normal?» im Vordergrund. Der Jugendliche vergleicht sich mit Gleichaltrigen, und besonders Jugendliche mit chronischer Krankheit missachten teilweise ihre notwendige Therapie, weil sie nicht so sehr auf die Krankhaftigkeit ihres Körpers fokussieren, sondern bei ihnen, wie bei gesunden Jugendlichen auch, die Frage der Normalität im Vordergrund steht. Die Adoleszenz geht jedoch weit über die körperlichen Veränderungen hinaus. Auch die kognitive, die emotionale und die soziale Entwicklung können über ein verändertes Krankheitsverständnis mit der notwendi-
gen medizinischen Behandlung interferieren (3). Die kognitive Entwicklung in Richtung Fähigkeit zu abstraktem Denken führt zu einer veränderten Erfassung zeitlicher Dimensionen. Der 13-jährige Jugendliche mit Diabetes mellitus Typ 1 realisiert zunehmend mit den damit verbundenen Konsequenzen, dass er lebenslang auf eine Insulintherapie angewiesen ist. In Kombination mit emotionalen Schwankungen als normale Erscheinung in der Adoleszenz sowie dem Wunsch nach zunehmender Autonomie führt die Abhängigkeit von einer Krankheit beziehungsweise deren Therapie häufig zur vorübergehenden Ablehnung der Behandlung. Diese Rebellion kann sich durch offensichtliche Therapieverweigerung manifestieren oder auch versteckt, zum Beispiel durch lediglich fiktive Protokollierung der Blutzuckerwerte zur Beruhigung der Eltern und des Arztes. Typisch für die mittlere Adoleszenz ist zudem die Frage «Wer bin ich?». Damit verbunden ist in der Regel exploratives Verhalten in unterschiedlichem Ausmass bis hin zu risikoreichem Verhalten. Jugendliche mit chronischen Krankheiten sind von dieser Entwicklung nicht ausgenommen (4). Der 14-jährige Asthmatiker experimentiert genauso mit Zigarettenkonsum wie der gleichaltrige gesunde Jugendliche (5). Er will so normal sein wie die gesunden Jugendlichen, aber auch ausprobieren, ob die Ermahnungen des Arztes über die Gefahr des Zigarettenkonsums für einen Asthmatiker wirklich so ernst zu nehmen sind. Zum explorativen Verhalten dazu kommen häufig vorübergehend Gefühle der Omnipotenz und der Immortalität. Das kann sich in waghalsigen Mutproben äussern, aber auch in der vorübergehenden Ablehnung der Abhängigkeit von einer Therapie, wie beim 15-jährigen Jugendlichen nach Nierentransplantation, der
2/13
Jugendliche wollen «normal» sein und vernachlässigen darum zuweilen ihre Therapie.
Der Arzt muss auch mit dem Jugendlichen allein sprechen.
11
SCHWERPUNKT
Abbildung: Die (un-)balancierte Entscheidungsfindung in der Adoleszenz: Die neurohormonellen Veränderungen im Jugendalter laufen früher ab als der anatomische Umbau derjenigen Hirnzentren, welche für die Impulskontrolle verantwortlich sind. Diese chronologische Dysbalance zwischen emotionaler Erregung und Impulskontrolle fördert in Kombination mit einer veränderten Erregbarkeit der Belohnungszentren das explorative Verhalten und kann zu Risikoverhalten und Stimmungsschwankungen führen.
Je konkreter, kurzfristiger der Anreiz für eine Therapie, umso höher die Motivation.
die Medikamente zur Verhinderung einer Abstossungsreaktion des transplantierten Organs nicht mehr einnahm.
Neurobiologische Erkenntnisse
Mit den neueren wissenschaftlichen Erkenntnissen der Neurobiologie (6) des Adoleszentenalters wissen wir heute, dass das für Erwachsene häufig unvernünftige und unverständliche Verhalten der Jugendlichen zumindest partiell auf neurobiologische Veränderungen in der Adoleszenz zurückzuführen ist: Die neurohormonellen Veränderungen im Jugendalter, welche zusammen mit dem limbischen System vereinfacht dargestellt für Emotionen und Erregbarkeit verantwortlich sind, laufen früher ab als der anatomische Umbau der Hirnzentren (wie des präfrontalen Cortex), welche für die Impulskontrolle verantwortlich sind (Abbildung). Die resultierende Dysbalance zwischen Emotionen und Erregung einerseits sowie Impulskontrolle andererseits fördert exploratives bis risikoreiches Verhalten wie auch verstärkte emotionale Erregung mit häufigen Stimmungsschwankungen. All diese neurobiologischen Veränderungen können Einfluss nehmen auf das Gesundheitsverhalten des Jugendlichen. Das Wissen um diese Entwicklungsaspekte und die zugrunde liegenden neurobiologischen Korrelate ist hilfreich für das Verständnis des Arztes gegenüber dem jugendlichen Patienten und dient als Basis für eine individuell auf den Patienten angepasste ärztliche Betreuung.
Psychosoziale Anamnese als Pforte zur Therapiewirksamkeit
Die Erhebung einer altersangemessenen psychosozialen Anamnese gibt einen Hinweis auf den psychosozialen Entwicklungsstand des Jugendlichen und dient darüber hinaus zur Erfassung von Risikofaktoren und Ressourcen für das Gesundheitsverhal-
ten des jugendlichen Patienten. Diese patientenbezogenen Kenntnisse zusammen mit dem Aufbau einer vertrauensvollen Arzt-Patienten-Beziehung bilden den Grundstein für eine gute Therapiewirksamkeit beziehungsweise Compliance bei der Behandlung des jugendlichen Patienten. Compliance, häufig auch als Adhärenz bezeichnet, wird nach heutigem Verständnis nicht mehr einfach als das Befolgen ärztlicher Anweisungen betrachtet, sondern ist ein Mass des Verhaltens eines Patienten, therapeutische Massnahmen so durchzuführen, wie sie gemeinsam zwischen ihm und dem Arzt vereinbart wurden (7, 8). Das Gespräch mit dem Jugendlichen allein für mindestens einen Teil der Konsultation sowie die Zusicherung der eingeschränkten ärztlichen Schweigepflicht (eingeschränkt bei Selbst-/Fremdgefährdung bzw. Urteilsunfähigkeit) sind Voraussetzung für eine gute Anamneseerhebung wie auch den Aufbau einer therapeutischen Allianz zwischen dem jugendlichen Patienten und dem Arzt. Die psychosoziale Anamnese kann je nach Fachkompetenz in unterschiedlicher Form erhoben werden. Die sogenannte HEADS-Anamnese (9) ist als semistrukturiertes Instrument hilfreich für die Erhebung einer zeitlich und inhaltlich effizienten psychosozialen Anamnese bei Jugendlichen (Tabelle 1).
Patientenschulung
Gute Compliance im Sinne einer therapeutischen Allianz erfordert genügendes Krankheits- und Behandlungsverständnis des Patienten. Im Jugendalter reicht genügendes Krankheitsverständnis der Eltern nicht mehr, sondern der jugendliche Patient wird zunehmend die primäre Ansprechperson für krankheitsspezifische Informationen und Patientenschulung (10). Je nach Alter des Patienten wird die einfache Wortwahl noch wichtiger als im Erwachsenenalter. Wo verfügbar, kann das Internet als gezielte Informations- und Schulungsplattform genützt werden. Die Jugendlichen können auf die ungenügende Korrektheit oder auf Verallgemeinerungen des Internets zu medizinischen Fragen aufmerksam gemacht werden, und Empfehlungen für geeignete Websites mit guter Informations- beziehungsweise Schulungsqualität können abgegeben werden. Die Abgabe von Informationsblättern mit krankheitsspezifischen Informationen und therapeutischen Richtlinien ist trotz Internet weiterhin empfehlenswert, wobei diese Informationen auch in elektronischer Version zur Verfügung stehen sollten, damit die Patienten dieses Informationsmaterial jederzeit auf mobilen elektronischen Datenträgern wie zum Beispiel Smartphones verfügbar haben und das Material auch zu Hause auf dem Computer abspeichern können. Der jugendliche Patient wird mit Vorteil gebeten, wichtige Informationen von therapeutischer Relevanz in eigenen Worten direkt in der Sprechstunde handschriftlich oder am bereitstehenden Computer zusammenzufassen. Selbstverständlich sollen auch die Eltern zur Unterstützung ihres jugendlichen Kindes weiterhin alle wichtigen Informationen erhalten und ihre Fragen mit dem Arzt besprechen können.
12 2/13
SCHWERPUNKT
Vorübergehender Misserfolg ist Teil des normalen Lernprozesses.
Tabelle 1: HEADS-Screening*
Übernahme von Eigenverantwortung als therapeutische Herausforderung
Die Unterstützung in der schrittweisen Übertragung der Therapieverantwortung von den Eltern auf den jugendlichen Patienten ist eine zentrale Aufgabe des Kinderund Jugendarztes (10). Ohne Eigenverantwortung des Jugendlichen wird auf Dauer keine Therapie erfolgreich verlaufen. Nebst krankheitsspezifischer Information und Patientenschulung ist der Motivationsförderung besondere Aufmerksamkeit zu schenken (11). Dabei ist zu beachten, dass Jugendliche sich in der Regel weniger durch langfristige Ziele motivieren lassen, sondern mehr durch kurz- und mittelfristige Motivationsanreize. Je konkreter der Anreiz für eine Behandlung oder Therapie, umso grösser der Effekt auf die Motivationsförderung.
So wird sich der 14-jährige Jugendliche mit Asthma und regelmässigem Zigarettenkonsum kaum von langfristigen Gesundheitsargumenten beeindrucken lassen, sondern vielmehr von kurzfristig erreichbaren Vorteilen des Rauchstopps, wie zum Beispiel verbesserte körperliche Leistungsfähigkeit durch verbesserte Lungenfunktion, das unmittelbare Einsparen von Kosten mit Verfügbarkeit des eingesparten Geldes für erstrebenswerte Aktivitäten oder Anschaffungen. Stellt der Jugendliche sogar ein Sparschwein im Zimmer auf und wirft täglich den Betrag für sonst gekaufte Zigaretten ins Sparschwein, so führt er sich selbst den unmittelbaren Benefit noch konkreter vor Augen. Auch die 16-jährige Patientin mit zystischer Fibrose interessierte sich in der Sprechstunde mit dem Adoleszentenmediziner weniger für langfristige Folgen der von ihr ungenügend durchgeführten Therapie, sondern sehr viel mehr für die Frage, welche Folgen ihre deswegen noch mehr reduzierte Lungenfunktion auf ihr sexuelles Liebesleben haben könnte, nachdem sie sich gerade erstmals richtig verliebt hatte.
Zu Hause Bildung Essverhalten Aktivitäten und Peergroup Drogen
Sexualität
Suizidrisiko und Depression
Wer lebt mit wem zusammen? Beziehungsverhältnisse? Konflikte innerhalb der Familie? Konfliktlösungsfähigkeiten? Kürzliche Veränderungen (z.B. Umzug, Todesfall)? Einstellung zur Schule/zu Schulfächern? Schulleistungen? Beziehung zu den Lehrern und Lehrerinnen? Integration in der Schulklasse? Regelmässige Mahlzeiten? Gemeinsame Familienmahlzeiten? Diätversuche? Unkontrolliertes Essverhalten? Freizeitgestaltung nach der Schule/an den Wochenenden/in den Ferien? Hobbys? Sport? TV-Konsum, Computerspiele, Internetaktivitäten? Art und Qualität der Beziehungen zu Gleichaltrigen? Ein Teil der Jugendlichen hat schon einmal eine Zigarette probiert oder raucht regelmässig: Wie ist das bei deinen Kollegen und Kolleginnen? Wie ist das bei dir selber? Andere psychoaktive Substanzen (Alkohol, Cannabis, psychoaktive Medikamente etc.)? Rauchstopp/Abstinenzversuche versucht beziehungsweise geplant? Verliebtheit/Liebesbeziehungen aktuell beziehungsweise in der Vergangenheit? Je nach Patient/Alter: sexuelle Aktivität? Kontrazeptionsmethoden? Unerwünschte Erlebnisse/Übergriffe? Gefühlswelt in den letzten Wochen? Zeichen depressiver Stimmung? Selbstverletzendes Verhalten? Suizidale Gedanken oder Handlungen in der Vergangenheit/ aktuell? Mitteilungsfähigkeit/Vertrauenspersonen bei Selbstgefährdung?
*gekürzte Fassung, adaptiert nach JM Goldenring and E Cohen (9); HEADS: Home, Education/Eating, Activities and Peers, Drugs, Sexuality/Suicide Risk and Depression
Einigung auf gemeinsame Therapieziele
Zur Förderung und Aufrechterhaltung der Eigenverantwortung sollen die therapeutischen Ziele sowie die Massnahmen mit dem jugendlichen Patienten und seinen Eltern abgesprochen werden. Das erfordert manchmal den Mut des Arztes, sich auf therapeutische Kompromisse einzulassen. Auch wenn beim 14-jährigen Patienten mit Asthma die Indikation für eine prophylaktische Dauertherapie gegeben ist, so ist bei fehlender Motivation die intermittierend vorbeugende Asthmamedikation bei Bedarf (z.B. vor dem Fussballtraining) als Zwischenschritt immer noch besser als eine Dauertherapie, welche vom Patienten nicht durchgeführt wird. Auch das Erleben der Wirksamkeit der Asthmamedikation bei auftretenden Symptomen kann motivationsfördernd sein und die Akzeptanz für eine angemessene Therapie fördern, sodass je nach Patient nur schon das Mitführen der Medikation einen ersten therapeutischen Fortschritt darstellen kann. Es gibt wenige Krankheiten, bei welchen das Nichtbefolgen einer genau vorgegebenen und kontinuierlichen Therapie zu unmittelbar lebensbedrohlichen Folgen führt, sodass kein Spielraum für das vorübergehende Abweichen von der Standardtherapie besteht (z.B. Transplantationsmedizin). Selbst dort kann jedoch dem Patienten vermittelt werden, dass seine Haltung wichtig ist und er mitreden kann, auch wenn es dann nicht so sehr um die Art und Dosierung der Therapie geht, sondern eher um die Umsetzung im Alltag, zum Beispiel die Frage des Zeitpunkts der Medikamenteneinnahme im Tagesablauf, der Wahl des Getränks für die Medikamenteneinnahme oder der Lokalisation der subkutanen Injektion von Medikamenten. Diese sehr beschränkte Mitsprache ist für den Patienten bei geschickter Gesprächsführung durch den Arzt dennoch psychologisch wertvoll und immer noch besser als das Gefühl der Ohnmacht, überhaupt nicht mitreden zu können.
14 2/13
SCHWERPUNKT
Haben sich der Arzt und der Jugendliche auf das therapeutische Vorgehen geeinigt und sind allfällige Fragen des Jugendlichen wie auch seiner Eltern geklärt, so sollen die wichtigen Behandlungsschritte oder Änderungen der bisherigen Therapie vom Patienten selbst direkt in der Sprechstunde schriftlich festgehalten werden. Kontrollfragen des Arztes zu wichtigen Punkten können dem Auftreten von Missverständnissen vorbeugen.
Die Rolle der Eltern
Die schrittweise Übertragung von Therapieverantwortung auf den jugendlichen Patienten erfordert eine gute Unterstützung der Eltern in ihrer sich verändernden Rolle. Auch wenn der jugendliche Patient zunehmend zur primären Ansprechperson des Kinder- und Jugendarztes wird, so soll den Eltern klar vermittelt werden, dass ihre Unterstützung in der Therapie des jugendlichen Kindes weiterhin wichtig ist. Entsprechend sollen die Eltern in Absprache mit dem jugendlichen Patienten weiterhin angemessen über die Behandlungsschritte informiert und ihre Sorgen und Anliegen ernst genommen werden. Damit wird der übermässigen elterlichen Sorge und Überprotektion durch Nichtwissen präventiv entgegengewirkt, sodass der Jugendliche auch weiterhin ein optimales Umfeld für die Ausübung seiner erlernten Therapieverantwortung vorfindet. Die Umsetzung von Eigenverantwortung im therapeutischen Alltag gelingt nicht immer auf Anhieb. Die Folge ist oft eine Überreaktion der Eltern und nicht selten auch der Ärzte, indem die Verantwortung für die Therapie wieder den Eltern übertragen wird. Dies ist jedoch häufig der falsche Ansatz. Vorübergehender Misserfolg ist Teil des normalen Lernprozesses. Die sorgfältige Analyse des Misserfolgs in der Umsetzung der eigenverantwortlichen Therapie führt meist zu konstruktiven Lösungsansätzen wie zum Beispiel beim 16-jährigen Patienten mit Hämophilie, welcher es nicht schaffte, mit Beginn der Berufslehre und früherem Aufstehen schon morgens um 5.30 Uhr seine Medikamente zu spritzen, sodass sich der Krankheitsverlauf verschlechterte. Die sorgfältige Evaluation seines Tagesablaufs ergab die Möglichkeit, dass der Patient – obwohl therapeutisch gesehen ein Kompromiss – die Injektionen der Medikamente in die länger als sonst üblich dauernde Mittagspause verlegte, womit sich der Krankheitsverlauf deutlich besserte.
sätze finden, zum Beispiel beim jugendlichen Patienten, der die Medikamente morgens immer zuverlässig einnahm, diese abends wegen Sporttrainings und anderer Freizeitaktivitäten jedoch häufig einzunehmen vergass. Bei diesem Patienten führte eine Platzierung der am Abend einzunehmenden Medikamente neu auf seinem Nachttisch statt in der Küche zu einer deutlichen Compliancesteigerung. Jugendliche sind zudem besonders empfänglich für den Einsatz elektronischer Medien zur Complianceförderung (Tabelle 3). So wurde in einer Studie eines adoleszentenmedizinischen Zentrums gezeigt, dass die Einführung eines SMS-Reminderservices für bevorstehende Arztkonsultationen zu einer deutlichen Steigerung des Einhaltens von Arztterminen führte. Auch die zuverlässige Medikamenteneinnahme kann mittels Zeitprogrammierung des Mobiltelefons oder bei Intervalltherapie als SMS-Reminderservice verbessert werden. Für die therapeutische Allianz förderlich ist zudem nach Möglichkeit ein direkter Draht zum behandelnden Arzt, zum Beispiel durch Abgabe der direkten Telefonnummer oder der E-Mail-Adresse an den Patienten selbst für Verständnisfragen. Dabei sollen allgemeine Regeln der Kommunikation wie die zeitliche Erreichbarkeit inklusive Vorgehen bei Abwesenheit des Arztes sowie Massnahmen zur Wahrung der Privatsphäre des Arztes vorgängig besprochen werden.
Ein «direkter Draht» zum Arzt ist für den Jugendlichen von Vorteil.
Tabelle 2: Complianceförderung
• altersangemessener Konsultationsstil • möglichst gemeinsame Entscheidungen über therapeutisches Vorgehen • einfache Dosierungs-/Instruktionsanweisungen • Anzahl der Medikamente/Therapiemassnahmen gering halten • Abgabe schriftlicher Informationen/Anweisungen • Anweisungen vom Patienten mit eigenen Worten schriftlich notieren lassen • regelmässige Arztkontrollen (white coat-adherence) • regelmässige, nicht konfrontierende Rückfragen
Festigung der Compliance
Der Aufbau einer therapeutischen Allianz mit dem jugendlichen Patienten sowie die Übernahme von Eigenverantwortung sind Basisvoraussetzungen für eine gute Compliance. Zusätzlich sind Techniken zur Förderung der Compliance einzusetzen, welche auch für das Erwachsenenalter empfohlen werden (7) (Tabelle 2). Das Ansprechen der Compliance sollte generell enttabuisiert werden durch nicht wertende Wortwahl und Aufzeigen, dass ein gewisses Ausmass an Noncompliance bei vielen Patienten vorkommt. Nur durch konkretes Ansprechen von compliancebezogenen Schwierigkeiten lassen sich gemeinsam Lösungsan-
Tabelle 3: Einsatz elektronischer Medien
• Abgabe der direkten Telefonnummer/E-Mail-Adresse für Rückfragen • SMS-/E-Mail-Reminder 1–2 Tage vor Konsultationstermin • SMS-/E-Mail-Reminder am Tag der Dosierungsänderung von Medikamenten • Alarmfunktionen des Patientenhandys zur Erinnerung der Therapiedurchführung
nutzen • Abgabe von elektronischem Informations-/Dosierungs-/Instruktionsmaterial für
PC/Handy • Patientenschulung am PC (Software, Videos) • Information über edukative Websites
2/13 15
SCHWERPUNKT
Ärztliche Verantwortung
Zusammenfassend kann festgehalten werden, dass eine gute Wirksamkeit therapeutischer Massnahmen nicht nur eine Herausforderung für den jugendlichen Patienten darstellt, sondern auch eine Verantwortung des behandelnden Arztes umfasst. Bei jugendlichen Patienten gehört ein altersangemessener Konsultationsstil unter Berücksichtigung der biopsychosozialen Entwicklung zu den wesentlichen Voraussetzungen für den Aufbau einer guten therapeutischen Allianz, ergänzt durch gezielte Massnahmen der Complianceförderung, wie sie auch in der Erwachsenenmedizin empfohlen werden.
Korrespondenzadresse: Dr. med. Christoph Rutishauser Leitender Arzt Adoleszentenmedizin Universitäts-Kinderspital Zürich Steinwiesstrasse 75, 8032 Zürich Tel. 044-266 78 13, Fax 044-266 71 71 E-Mail: christoph.rutishauser@kispi.uzh.ch
Literatur: 1. Sanci LA, Coffey CMM, Veit FCM, Carr-Gregg M, Patton GC, Day N et al. Evaluation of the effectiveness of an educational intervention for general practitioners in adolescent health care: randomised controlled trial. BMJ 2000; 320: 224–230. 2. Stronski S, Bühlmann U, Rutishauser C, Michaud PA, Caflisch M. Adoleszentenmedizin in der pädiatrischen Praxis - erste Resultate einer gesamtschweizerischen Umfrage. Swiss Med Weekly 1999; 129(Suppl 108): 10 S. 3. Suris J-C, Michaud PA, Viner R. The adolescent with a chronic condition. Part I: developmental issues. Arch Dis Child 2004; 89: 938–942. 4. Suris JC, Michaud PA, Akre C, Sawyer SM. Health risk behaviors in adolescents with chronic conditions. Pediatrics 2008; 122: e1113–e1118. 5. Forero R, Bauman A, Young L, Larkin P. Asthma prevalence and management in Australian adolescents: results from three community surveys. J Adolesc Health 1992; 13: 707–712. 6. Casey BJ, Jones RM, Hare TA. The adolescent brain. Ann NY Acad Sci 2008; 1124: 111–126. 7. Osterberg L, Blaschke T. Adherence to medication. N Engl J Med 2005; 353: 487–497. 8. Sawyer SM, Aroni RA. Sticky issue of adherence. J Paediatr Child Health 2003; 39: 2–5. 9. Goldenring JM, Cohen E. Getting into adolescent heads. Contemp Pediatr 1988; 5: 75–90. 10. Michaud PA, Suris JC, Viner R. The adolescent with a chronic condition. Part II: healthcare provision. Arch Dis Child 2004; 89: 943–949. 11. Fredericks EM, Dore-Stites D. Adherence to immunosuppressants: How can it be improved in adolescent organ transplant recipients? Curr Opin Organ Transplant 2010; 15: 614–620.
VERANSTALTUNGSHINWEIS
Refresher-Kurs
Adoleszentenmedizin, Kinder- und Jugendgynäkologie III
Donnerstag 27. Juni 2013 ZKSK (Zentrum für Körper- und Sinnesbehinderte Kinder), Werkhofstr. 17, 4500 Solothurn
Kursinhalte: • Die Teilnehmer lernen, sich in den Jugendlichen mit einer chronischen Krankheit oder einem Handicap zu versetzen. Die Auswirkungen der
speziellen Situation des Jugendlichen auf die Entwicklungsschritte in der Adoleszenz werden erarbeitet. • Darstellung und Diskussion verschiedener Modelle zur Therapie der Adipositas im Jugendalter. • Die spezielle klinische Präsentation des ADHD in der Jugend, vor allem auch bei Mädchen. Diagnose und Therapie werden diskutiert. • Zusätzliche Workshops zu den Themen. Fälle aus der Praxis der Teilnehmer und der Kursleiterinnen werden besprochen.
Kursleitung: Prof. Dr. med. Franziska Baltzer, Director Division of Adolescent Medicine, Department of Pediatrics, McGill University, Montreal, Quebec, Canada Dr. med. Marianne Caflisch, Consultation pour Adolescents, Département de Pédiatrie, Hôpitaux Universitaires de Genève Dr. med. Vera E. Schlumbom, Fachärztin FMH Pädiatrie, speziell Adoleszentenmedizin, Kinder- und Jugendgynäkologie, Zürich
Anmeldefrist: 1. Juni 2013, Teilnehmerzahl beschränkt!
Der Kurs ist von der SGP mit 6,5 Credits anerkannt.
Informationen und Anmeldung: Dr. med. Thomas Baumann, ZKSK, Tel. 032-622 86 03, Fax 032-621 75 68, E-Mail: info2@zksk-so.ch www.zksk-so.ch
16 2/13