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Titel
Funktionelle Obstipation bei Kindern
Untertitel
Behandlungsstrategien in der Praxis
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Eine Obstipation sollte so früh wie möglich erkannt und behandelt werden. Nicht selten führt eine akute Obstipation zu einer Analfissur mit nachfolgenden Schmerzen bei jedem weiteren Stuhlgang, wodurch Stuhlretention und eine Chronifizierung der Obstipation vorprogrammiert sind. Zum Zeitpunkt der ersten Konsultation befinden sich viele Kinder bereits in diesem Teufelskreis.
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SCHWERPUNKT
Funktionelle Obstipation bei Kindern
Behandlungsstrategien in der Praxis
Eine Obstipation sollte so früh wie möglich erkannt und behandelt werden. Nicht selten führt eine akute Obstipation zu einer Analfissur mit nachfolgenden Schmerzen bei jedem weiteren Stuhlgang, wodurch Stuhlretention und eine Chronifizierung der Obstipation vorprogrammiert sind. Zum Zeitpunkt der ersten Konsultation befinden sich viele Kinder bereits in diesem Teufelskreis.
Zusammenfassung der aktuellen Empfehlungen des NICE

Je nach Definition schätzt man die Prävalenz der Obstipation unter Kindern auf 5 bis 30 Prozent, und bei einem guten Drittel der Betroffenen chronifizieren die Beschwerden. Man kennt die Ursachen für eine Obstipation nicht genau, wohl aber Faktoren, die dazu beitragen können: Schmerz, Fieber, Dehydratation, Ernährung, psychische Faktoren, Toilettentraining, Medikamente sowie Obstipation bei Familienmitgliedern. Sofern keine physiologischen oder anatomischen Auffälligkeiten bestehen, spricht man von funktioneller Obstipation. Schmerzen beim Stuhlgang sind ein wichtiger Faktor für die Entwicklung einer Obstipation, doch werden diese nicht immer erkannt, zumal die Anspannung bei der Stuhlverhaltung mitunter als Pressen verkannt wird.
Tabelle 1: Warnsignale, die gegen eine funktionelle Obstipation sprechen
• Obstipation seit Geburt oder seit den ersten Lebenswochen • fehlende/verzögerte (> 48 Stunden) Mekoniumpassage • bandförmiger Stuhl • aufgeblähtes Abdomen mit Erbrechen • stark aufgeblähtes, hartes Abdomen • Anus nicht normal (z.B. Fistel, Erguss, multiple Fissuren, verschlossen/geweitet,
fehlender Analreflex) • abnormes Aussehen der Lumbosakral-/Glutealregion (z.B. asymmetrischer oder
flacher Glutealmuskel, sakrale Agenesie, verfärbte Haut, Naevi, Lipome, Skoliose, extreme zentrale Vertiefung) • neu diagnostizierte Schwäche in den Beinen, lokomotorische Entwicklungsverzögerung, abnorme Reflexe • Gedeihstörungen

Anamnese und Untersuchung
Die Symptome einer funktionellen Obstipation bei Kindern sind mehr oder minder spezifisch. Dazu gehören niedrige Stuhlfrequenz, faulig riechender Stuhl/Flatulenz, exzessive Blähungen/Flatulenz, irreguläre Stuhlform, gelegentlicher Abgang sehr grosser Stuhlmengen oder häufiger kleiner Stuhlpellets, Stuhlretention, Stuhlschmieren/-inkontinenz, Bauchschmerzen oder ein aufgeblähtes Abdomen, aber auch Abgeschlagenheit, mangelnder Appetit, Reizbarkeit oder generelles Unwohlsein können Zeichen einer Obstipation sein. Für das Vorliegen einer funktionellen Obstipation spricht ein Beginn nach den ersten Lebenswochen in Verbindung mit neu auftretenden Faktoren wie Fissuren, Ernährungsumstellungen, Infektionen und Medikamenten. Bei den über Einjährigen sind auch psychische Faktoren zu bedenken (z.B. Phobien, Veränderungen im familiären Umfeld, Beginn von Kindergarten oder Schule, Missbrauch). Falls Anzeichen für eine Gedeihstörung vorliegen, sollte man die Obstipation behandeln (s.u.) und auf Zöliakie und Schilddrüsenunterfunktion testen. Die körperliche Untersuchung liefert keine pathologischen Befunde, und das Abdomen ist weich. Warnsignale (red flags), die gegen eine funktionelle Obstipation sprechen, sind in Tabelle 1 aufgelistet. In diesen Fällen sollte das Kind sofort an einen Spezialisten überwiesen werden; auch eine allfällige digitale rektale Untersuchung ist dem Spezialisten vorbehalten. Es ist wichtig, Eltern und Kind insofern zu beruhigen, dass eine funktionelle Obstipation zwar unangenehm, aber nicht bedrohlich ist und gut therapiert werden kann. Gleichzeitig muss klargemacht werden, dass es mitunter Monate dauern kann, bis sich wieder ein normaler Stuhlgang einstellt. Ein Sonderfall sind Kinder unter 1 Jahr: Wenn diese

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nicht innert 4 Wochen auf die Obstipationstherapie ansprechen, müssen sie an einen Spezialisten überwiesen werden.
Initiales Abführen
Oft steht am Beginn der Therapie das initiale Abführen (Desimpaktion) mittels oraler Laxanzien. Die Eltern und das Kind müssen darauf hingewiesen werden, dass dies die Beschwerden vorübergehend steigern kann; ein erneuter Praxistermin innert einer Woche sollte vereinbart werden. Erste Wahl ist aromafreies Polyethylenglykol 3350 mit Elektrolyten (Macrogol, z.B. Movicol® Junior aromafrei; Tabelle 2). Sollte dies nach 2 Wochen nicht gewirkt haben, sollte ein stimulierendes Laxans hinzugefügt werden; hierzu zählen Natriumpicosulfat (Dulcolax® Picosulfat, Fructines®, Laxasan®, Laxoberon®), Bisacodyl (Dulcolax® Bisacodyl und Generika), Senna oder Natriumdocusat (für Letztere sind in der Schweiz keine oralen Präparate für Kinder verfügbar). Wenn Macrogol nicht vertragen wird, kann ein stimulierendes Laxans alleine oder in Kombination mit einem osmotischen Laxans verabreicht werden. Klysmen und Zäpfchen sollten nur verwendet werden, wenn sämtliche oralen Möglichkeiten erfolglos blieben.
Erhaltungstherapie
Sämtliche der oben genannten Laxanzien sind auch für eine Erhaltungstherapie geeignet, welche unmittelbar nach der Desimpaktion begonnen wird. Macrogol 3550 wird als erste Wahl empfohlen, gegebenfalls zusammen mit einem stimulierenden Laxans, falls Macrogol nicht ausreicht. Falls Macrogol nicht vertragen wird, wird ein stimulierendes Laxans, gegebenfalls zusammen mit Laktulose, empfohlen. Die Erhaltungstherapie sollte über einige Wochen erfolgen, bis sich ein normaler, weicher Stuhlgang eingestellt hat. Kinder, die noch im Toilettentraining sind, sollten so lange bei den Laxanzien bleiben, bis sie ihren Stuhlgang sicher kontrollieren können. Die Medikation sollte nicht abrupt beendet, sondern allmählich ausgeschlichen werden. Besonders zu Beginn sind regelmässige, auf die individuellen Verhältnisse zugeschnittene Konsultationsintervalle sinnvoll, um den Erfolg der Therapie zu überprüfen und diese gegebenenfalls anzupassen. Es kommt vor, dass Kinder über Jahre eine Laxanzientherapie benötigen.

Ernährung, Lebensstil und weitere Massnahmen
Ernährungsmassnahmen alleine sind als FirstLine-Therapie bei funktioneller Obstipation nicht sinnvoll. Vielmehr sollten Ernährung und Lebensstil parallel zur Laxanziengabe verbessert werden. Auf eine ausreichende Trinkmenge (Tabelle 3) ist ebenso zu achten wie auf eine ballaststoffreiche, ausgewogene Ernährung und ausreichend Bewegung. Auch ein Toilettentraining mit festen Zeiten für den Stuhlgang kann hilfreich sein. Psychologische Interventionen gehören nicht zum routinemässigen Vorgehen bei funktioneller Obstipation.
Quelle: Constipation in children and young people. Diagnosis and management of idiopathic childhood constipation in primary and secondary care. NICE clinical guideline 99. Issued May 2010. Online: www.nice.org.uk/guidance/CG99.
Die Zusammenfassung der für die Behandlung von Kindern in der Grundversorgung relevanten Empfehlungen erfolgte durch die Redaktion der PÄDIATRIE.

Tabelle 2: Macrogol zur Desimpaktion bei funktioneller Obstipation
< 1 Jahr: ½–1 Beutel pro Tag 1–5 Jahre: Tag 1: 2 Beutel Tag 2+3: 4 Beutel tgl. Tag 4+5: 6 Beutel tgl. danach: 8 Beutel tgl. 5–12 Jahre: Tag 1: 4 Beutel tgl. Tag 2: 6 Beutel tgl. Tag 3: 8 Beutel tgl. Tag 4: 10 Beutel tgl. danach: 12 Beutel tgl. Abbruch der Behandlung, sobald die Obstruktion gelöst ist. Movicol® Junior aromafrei entspricht in der Zusammensetzung den Empfehlungen des NICE; weitere Macrogolpräparate sind in der Schweiz verfügbar. Die hier angegebenen Dosierungen sind Empfehlungen des NICE; die jeweiligen Dosierungsangaben der Schweizer Fachinformationen sind zu beachten (Anm. d. Red.). Tabelle 3: Täglicher Wasserbedarf Alter 0–6 Monate 7–12 Monate 1–3 Jahre 4–8 Jahre 9–13 Jahre* 14–18 Jahre* Gesamtmenge inkl. Nahrung 700 ml 800 ml 1300 ml 1700 ml 2100–2400 ml 2300–3300 ml davon in Getränken – 600 ml 900 ml 1200 ml 1600–1800 ml 1800–2600 ml *höherer Wert für Knaben/junge Männer Die angegebenen Werte gelten als im Allgemeinen adäquat und nicht als Richtwerte; eine höhere Wasserzufuhr ist beispielsweise bei Sport oder Hitze nötig (US-amerikanische Empfehlungen von 2005, zitiert in den NICE-Guidelines). 1/13 21 SCHWERPUNKT Kommentare zur Guideline Obstipation bei Kindern Was hilft dem Kind? Unsere Kommentatoren aus der Praxis betonen zwei Aspekte für die Behandlung bei obstipierten (Klein-)Kindern. Peter Reinhard erinnert an die subjektiven Erwartungen von Eltern, Kindern und behandelnden Ärzten, und Hannes Geiges rät zu einem rigorosen Vorgehen beim initialen Abführen. Entscheidend ist das echte Leiden des Kindes und nicht dasjenige der Eltern. Klysmen und Zäpfchen sollte man gleich für das initiale Abführen einsetzen. 22 Dr. med. Peter Reinhard, Kloten Das Paradebeispiel für unsere Erwartungen an die sehr unspezifischen Symptome der Obstipation ist die Frage «Was heisst niedrige Stuhlfrequenz?». Die Anwort darauf ist vor allem von unseren Erwartungen abhängig, und zwar von denjenigen der Eltern und uns Ärzten: Falls jeden zweiten Tag «harter» Stuhl nicht unseren Erwartungen entspricht, verdoppelt sich die Häufigkeit der Obstipation. Auch die Beschreibung der Stuhlkonsistenz ist abhängig von der Erwartung: Wenn ich ins mitgebrachte «Kegeli» gut mit meinem behandschuhten Finger drücken kann, ist der Stuhl eben nicht hart, sondern von fester Konsistenz (cave: Erwartungen!). Der Schmerz ist hier quasi «noch subjektiver» als sonst, da vor allem Kinder im Autonomiealter (Sauberkeitsentwicklung) sehr empfindlich auf die neu gewonnene Selbstbestimmung des Windel/Häfi-Geschäfts reagieren können (cave: brüllendes Kind mit seinem ersten warmen Bisi am Bein herunter, als sei es eine kleine Verbrühung, oder etwa die maximal verschiedenen Schmerzreaktionen nach Impfungen). Die Obstipation ist in meiner Klientel am häufigsten während der Autonomiephase der Sauberkeitsentwicklung zu beobachten. Des Weiteren finden sich vielfältigste «sonderliche», vorübergehende Reaktionsweisen, wie zum Beispiel folgende: Das Kind macht ausschliesslich in die Windel, schreit aber sofort, wenn das Geschäft in der Windel angekommen ist, und muss notfallmässig gewickelt werden. Hinkauern und stundenlanges Herumdrücken mit Quengeln ist wohl eher als Pathologie zu werten denn als Mödeli – entscheidend ist auch hier wieder das echte Leiden des Kindes und nicht dasjenige der Eltern. Auch die Erwartungen an natürliche Gase (Blähungen, Flatulenz, Verdauungsgeräusche und Geruch etc.) beeinflussen unser elterliches Wohlbefinden wohl noch mehr als das der Kinder … Der Gebrauch von Stuhlzäpfli und Fiebermessern vor allem zur Säuglingszeit ist wahrscheinlich weitverbreitet, und warum das entlastende Glycerinsuppositorium hier nicht als First-line angewendet werden sollte, bleibt mir unklar, sofern das Kind nicht wegen des Zäpflis «mehr ausflippt als wegen des Kegelis». Auch hier gilt wieder: Wie kann ich die Empfindungen des Kindes (z.B. Schmerzen bei Rhagaden) am besten positiv beeinflussen? Dr. med. Hannes Geiges, Rüti Es mag im Einzelfall schwierig sein, die Ursache der Obstipation zu finden. Doch es ist unklug, wenn man den Eltern sagt, man wisse nicht, woher sie kommt. Sie glauben dann, nichts dagegen tun zu können. Dieser Meinung bin ich gar nicht. Die Diät, insbesondere ein absolutes Verbot von Weissbrot und Weissmehlgebäck, ist entscheidend. Im Gegensatz zu den Empfehlungen des NICE und vieler Gastroenterologen beginne ich, seit Jahren mit Erfolg, neben der oralen gleichzeitig mit der rektalen Therapie. Eine perorale Therapie macht Bauchschmerzen, wenn vor dem Darmausgang ein fast neugeborenenkopfgrosser harter Klumpen steckt. Das Kind kennt bereits Schmerzen beim Stuhlgang und fürchtet sich davor. Darum muss man dem Kind das erste Mal helfen und es anschliessend während mehrerer Tage mit artifiziellem Durchfall davon überzeugen, dass das Stuhlen nicht mehr schmerzt. Ich gebe Zäpfchen, Microklist® oder ab 6 Jahren einen halben bis einen ganzen Clyssie®. Die Kinder müssen 5 bis 10 Minuten im Sprechzimmer warten, bis sie aufs WC gehen dürfen. Wenn nichts «passiert», helfe ich (im WC) nach mit Bauchmassage und zum Teil mit externer Bauchpresse. Danach entleert sich sehr häufig massenhaft Stuhl. Die Kinder, die während des Stuhlens weinten, waren mir anschliessend regelmässig dankbar. Danach müssen die Eltern mit entsprechender Diät, Movicol®, Magnesium nüchtern und einem Glas lauwarmem Wasser darauf achten, dass das Kind täglich einmal stuhlen kann. Es muss nach dem Morgenessen (Reaktivierung des ösophageal-analen Reflexes) auf das WC und während 2 bis 3 Minuten unter Bauchmassage zu stuhlen versuchen; bei Misserfolg noch einmal nach dem Mittag- und dem Nachtessen. Klappt es nicht, erhält es entweder ein Zäpfchen Lecicarbon® (ein CO2-Laxans) oder 1 bis 2 Microklist®. Bleibt auch dies erfolglos, am gleichen Abend eine doppelte Dosis Movicol®. Bleibt der Stuhlgang bis zum nächsten Morgen aus, muss es noch einmal in die Praxis kommen, wo ich erneut die oben genannte Anwendung durchführe. Nach der zweiten oder spätestens dritten solchen Konsultation war bis jetzt die Obstipation immer vorbei. Eine Ausnahme war ein Fall von sexuellem Missbrauch, weil dank Stuhlschmieren bei Obstipation der Vergewaltiger fernblieb. 1/13