Transkript
SCHWERPUNKT
Atemwegserkrankungen
Guideline zu obstruktiven Atemwegserkrankungen im Kindesalter
Die Empfehlungen zur Behandlung der obstruktiven Atemwegserkrankungen im Kindesalter wurden 2009 von der Schweizerischen Gesellschaft für Pädiatrische Pneumologie (SGPP) und der Gruppe der pädiatrischen Immunologen und Allergologen der Schweiz (PIA-CH) erstellt. Im Folgenden werden die Empfehlungen kurz zusammengefasst und von Pädiatern aus der Praxis kommentiert.
Zusammenfassung der Empfehlungen von SGPP und PIA-CH
D ie Schlüsselsymptome der obstruktiven Atemwegserkrankungen sind in Tabelle 1 aufgelistet, wichtige Differenzialdiagnosen in Tabelle 2. Nach der Anamnese, welche im Zentrum der Diagnostik obstruktiver Atemwegserkrankungen steht, stellt sich die Frage, welche Untersuchungen und Tests als Nächstes durchgeführt beziehungsweise durch den Pädiater veranlasst werden sollten: • Ein Allergietest ist jederzeit und frühzeitig sinnvoll, sofern die Symptome durch eine Allergie ausgelöst sein könnten. In erster Linie empfiehlt man die Hauttestung und die Bestimmung spezifischer IgEAntikörper im Blut. • Ebenfalls sinnvoll ist ein Lungenfunktionstest; dieser ist je nach Kooperation des Kindes ab einem Alter von etwa 5 Jahren möglich. • Die Messung des fraktionierten Stickoxidgehalts der Ausatemluft (FeNO) ist ein neueres Verfahren und liefert zusätzliche Informationen, zum Beispiel, ob es sich eher um eine eosinophile Atemwegsentzündung handeln könnte oder nicht. Die Befunde dieser Messung müssen immer im Zusammenhang mit dem klinischen Beschwerdebild gesehen werden, das heisst: Keine Therapie nur aufgrund erhöhter FeNO-Messungen, falls keine klinischen Symptome oder Auffälligkeiten in der Lungenfunktion vorliegen. • Der Provokationstest zur Messung der Hyperreagilibität spielt im Kindesalter eine geringere Rolle. • Das Röntgenbild ist primär für den Ausschluss anderer pulmonaler Störungen wichtig und in unklaren oder schweren Fällen sinnvoll. • Weitere Tests, wie zum Beispiel der Schweisstest zum Ausschluss einer zystischen Fibrose, kommen bei entsprechendem Verdacht aufgrund klinischer Symptome infrage.
Wann zum Spezialisten?
Man empfiehlt eine grosszügige Überweisung an den pädiatrischen Subspezialisten (z.B. Allergologe) insbesondere, wenn eines oder mehrere der folgenden Kriterien zutreffen: • unklare Diagnose und/oder fehlendes therapeuti-
sches Ansprechen • seit Geburt bestehende Atemprobleme • massive begleitende gastroösophageale Reflux-
erkrankung • schwere begleitende obere Atemwegserkrankung • Husten mit Auswurf • positive Familienanamnese für schwere Lungen-
erkrankungen • Gedeihstörungen • begleitende Polyposis nasi • unerklärte Symptome • hohe Steroiddosis (> 400 μg/Tag) • ausgeprägte elterliche Angst • begleitende allergische Erkrankung.
Therapieziel
Ziel jeglicher Therapie ist die Asthmakontrolle durch eine stufenweise Steigerung der Massnahmen. Bei stabiler Kontrolle über mehr als 3 Monate hinweg, sollte man über eine Dosisreduktion beziehungsweise das Absetzen einer Dauertherapie nachdenken. Die Kriterien für eine gute Asthmakontrolle sind in Tabelle 3 zusammengefasst. Im Fall akuter Exazerbationen ist die Therapie zu überdenken; dies muss aber nicht notwendigerweise die nächste Stufe der Asthmatherapie bedeuten, sofern die Asthmakontrolle zuvor gut war und der Trigger für die Exazerbation bekannt ist.
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SCHWERPUNKT
Tabelle 1:
Schlüsselsymptome bei obstruktiven Atemwegserkrankungen
• Husten am Tag und/oder in der Nacht • Atemnot • pfeifende Atemung (expiratorisch, hoch-
frequent, kontinuierlich, «wheezing») • Tachypnoe • Einziehungen, Nasenflügeln, Einsatz der
Atemhilfsmuskulatur • Schlafstörungen • Anstrengungsintoleranz
Tabelle 2: Wichtige Differenzialdiagnosen
• akuter respiratorischer Infekt • Aspiration • Bronchiektasen • Entwicklungsstörungen der Lunge • Fremdkörperaspiration • gastroösophageale Refluxerkrankung • Immundefekte • kardiale Ursachen • laryngeale oder Stimmbandproblematik • Laryngo- oder Tracheomalazie • neuromuskuläre Erkrankung • primäre ziliäre Dyskinesie • Status nach Frühgeburtlichkeit • Zystische Fibrose
Therapie nach Phänotyp
Die Therapie richtet sich, insbesondere im Vorschulalter (unter 5 Jahren), nach dem klinischen Phänotyp, es geht also darum, ob die Kinder obstruktive Atemprobleme nur während viraler Infekte haben (Phänotyp A) oder auch sonst, auch aufgrund anderer Trigger (Phänotyp B). Der Phänotyp A liegt vor allem bei Kleinkindern mit obstruktiven Atemproblemen vor. Meistens entwickelt sich daraus kein chronisches Asthma bronchiale. Man spricht dann von einer episodischen, viral induzierten obstruktiven Bronchitis. Wenn keine viralen Infekte der Atemwege vorhanden sind, haben diese Kinder keine Symptome, keine Einschränkungen der körperlichen Leistungsfähigkeit und auch keine Anzeichen bronchialer Übererregbarkeit oder entzündlicher Veränderungen der Atemwege. Beim Phänotyp B spricht man von (frühkindlichem) Asthma bronchiale oder «multiple-trigger wheeze», weil neben viralen Infekten auch andere Trigger obstruktive Atemprobleme auslösen können, zum Beispiel Anstrengung, Weinen, Lachen, feuchte oder kalte Luft, Passivrauchexposition, Allergenexposition oder Luftverschmutzung. Bei diesen Kindern besteht ein erhöhtes Risiko, dass die Symptome persistieren, besonders bei einer Veranlagung für Allergien. Die Zuordnung eines Kindes zum einen oder anderen Phänotyp ist mitunter schwierig und sollte je nach Verlauf
Tabelle 3: Kriterien für die Asthmakontrolle
kontrolliert (alle müssen
zutreffen)
teilweise kontrolliert (wenn eines der Kriterien zutrifft)
unkontrolliert
Symptome am Tag
keine oder weniger als 2 x/Woche
mehr als 2 x/Woche
wenn mehr als
3 Kriterien des partiell
kontrollierten Asthmas vorliegen
körperliche Aktivität eingeschränkt
nein
ja
Symptome in der Nacht, Erwachen in der Nacht
nein
ja
SABA nötig
keine mehr als 2 x/Woche bis max. 2 x/Woche
Lungenfunktion
normal
weniger als 80% des Sollwertes (bzw. persönlichen Bestwertes)
Exazerbationen
keine eine oder mehrere pro Jahr eine pro Woche
SABA: kurz wirksame Beta-2-Mimetika
der Symptomatik überprüft werden. Insbesondere im Vorschulalter wechseln Kinder auch von einem Phänotyp zum anderen, sodass eine Langzeitprognose bei Kindern unter 5 Jahren nicht sinnvoll ist. Nicht zuletzt aus diesem Grund wird in den Empfehlungen ausdrücklich darauf hingewiesen, den Begriff «Asthma bronchiale» im Vorschulalter zu vermeiden, um den Eltern keine Angst zu machen. Vielmehr solle man immer bedenken, dass obstruktive Atemwegsprobleme im Vorschulalter nicht unbedingt persistieren werden.
Kinder unter 5 Jahren
Kinder vom Phänotyp A erhalten nur eine akute Therapie während der episodischen obstruktiven Atemwegserkrankungen infolge viraler Infektionen. Das klinische Ansprechen ist individuell sehr unterschiedlich. Inhalative SABA (kurz wirksame Beta-2Mimetika) nach Bedarf sind hier die erste Wahl. Orale und intravenös SABA kommen nur in Ausnahmefällen infrage. Bei schweren Episoden kann Ipratropiumbromid zusätzlich gegeben werden. LTRA (Leukotrienantagonisten) kommen bei Beginn der Symptome eventuell in Betracht. Systemische Kortikosteroide (CS) werden für die Praxis nicht empfohlen; sie sind Reservemedikation bei schweren Fällen (Einweisung ins Spital). Auch hoch dosierte inhalative Kortikosteroide (ICS) werden nicht empfohlen, da diese hier nur eine schwache Wirksamkeit haben. Für LABA (lang wirksame Beta-2-Mimetika) gibt es keine Daten in dieser Indikation, und sie sind für Kinder unter 4 Jahren auch nicht zugelassen. Wenn Kleinkinder sehr oft obstruktive Atemwegserkrankungen infolge viraler Infektionen haben und ein hoher Leidensdruck besteht, können vorbeugende Therapien erwogen werden. Die Optionen sind: LTRA für 4 bis 8 Wochen (Montelukast 4 mg/Tag) oder, falls zusätzlich atopieassoziierte Faktoren bestehen, inhalative Steroide (100–200 μg/Tag). Spätestens nach 3 Monaten ist die Notwendigkeit der Prophylaxe zu überprüfen, die Dosis zu reduzieren oder das Medikament abzusetzen. Vorschulkinder vom Phänotyp B werden wie Schulkinder behandelt (s. unten und Tabelle 4), aber ohne die allfällige Verwendung von LABA als Zusatztherapie.
Kinder über 5 Jahre
Die Basistherapie für Schulkinder ist in Tabelle 4 dargestellt. SABA sind auf allen Stufen die begleitende Medikation zur schnellen Symptomlinderung. Eine Alternative zu den inhalativen Steroiden (ICS) sind die LTRA (2. Wahl). LTRA haben gegenüber ICS ein deutlich vermindertes Wirkungsspektrum, und sie erwiesen sich im direkten Vergleich als weniger wirksam. Es gibt hier jedoch grosse individuelle Unterschiede. Bei Kindern unter 10 Jahren mit kürzerer Anamnese ist eher ein gutes Ansprechen auf LTRA zu erwarten. LTRA können als orale Medikamente bei Inhalationsproblemen oder bei schwerer Steroidangst in Ausnahmefällen auch als Basistherapie in Erwägung gezogen werden. Bei über 12-Jährigen mit schweren Symptomen, welche auch mit einer optimalen Therapie nicht in den Griff
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zu bekommen sind, kommt eine Anti-IgE-Therapie infrage, aber nur nach fachärztlicher Beurteilung. Bei der Akuttherapie mit Hypoxämie ist die Gabe von Sauerstoff immer sinnvoll. SABA sollten früh und vor allem hoch genug dosiert und wiederholt zum Einsatz kommen (Salbutamol-Dosieraerosol [DA] à 100 μg: bis 6 Hübe unter 6 Jahren; bis 12 Hübe über 6 Jahre; bei Bedarf oder nach 20 Minuten wiederholen). Systemische Steroide (Prednison 1–2 mg/kg KG) sind gut wirksam. Falls dies nicht reicht, kann zusätzlich Ipratopriumbromid inhaliert werden (Ipratropiumbromid DA à 20 μg: bis 4 Hübe unter 6 Jahren; bis 8 Hübe über 6 Jahre).
Inhalationsmethode
Die Inhalation hat den Vorteil eines rascheren Wirkungseintrittes bei weniger systemischen Nebenwirkungen. Dosieraerosole mit einer passenden und altersgerechten Vorschaltkammer sind die Therapie der Wahl. Der Vorteil der Kompressionsvernebler besteht in der grossen verfügbaren Medikamentenpalette und der Möglichkeit relativ hohes Aerosolkonzentrationen über längere Zeit; Nachteile sind die Grösse, die Abhängigkeit von einer Stromquelle, der grosse Medikamentenverlust und die lange Dauer der Inhalation. Pulverinhalatoren setzen einen minimalen inspiratorischen Flow und eine gute Kooperation voraus. Sie werden vorwiegend bei der Langzeittherapie ab dem Schulalter eingesetzt. Für die Notfalltherapie eignen sie sich nicht, da bei Vorliegen einer akuten Obstruktion meist kein genügender Flow mehr erreicht werden kann.
Weitere Massnahmen
Bei Sensibilisierung auf eines oder wenige Allergene, die für die Asthmasymptome nachweislich relevant sind, kann eine spezifische Immuntherapie in Betracht gezogen werden, sofern eine Allergenvermeidung oder die Asthmatherapie nicht durchführbar sind oder nicht den gewünschten Erfolg haben. Auch bei hohem Atopierisiko besteht kein Grund, auf die empfohlenen Impfungen zu verzichten, da Impfungen das Asthmarisiko nicht steigern.
Die Zusammenfassung der SGPP/PIA-CH-Guideline erfolgte durch die Redaktion der Zeitschrift PÄDIATRIE.
Quelle und Downloadlinks: Roth S et al.: Empfehlungen zur Behandlung der obstruktiven Atemwegserkrankungen im Kindesalter (SGPP/PIA-CH 2009). Paediatrica 2009; 20 (3): 44–51. Download: http://www.swiss-paediatrics.org/sites/default/files/44–51.pdf
+ inhalative SABA nach Bedarf + inhalative SABA nach Bedarf
Tabelle 4: Stufentherapie bei Asthma bronchiale
Stufe 1 Stufe 2 Stufe 3
Stufe 4 Stufe 5
Schulkinder
inhalative SABA nach Bedarf
vorbeugend niedrig dosierte ICS (100–200 μg/Tag) oder LTRA (2. Wahl)
1. Wahl: vorbeugend niedrig dosierte ICS (100–200 μg/Tag) + LABA 2. Wahl: mittel oder hoch dosierte ICS 3. Wahl: niedrig dosierte ICS + LTRA
1. Wahl: vorbeugend hoch dosierte ICS (400–800 μg/Tag) + LABA 2. Wahl: LTRA
Stufe 4 + systemische Steroide Überweisung an pädiatrischen Pneumologen, evtl. Anti-IgE-Therapie
Kinder unter 5 Jahren inhalative SABA nach Bedarf vorbeugend niedrig dosierte ICS (100–200 μg/Tag) oder LTRA (2. Wahl) Überweisung an pädiatrischen Pneumologen hoch dosierte ICS (max. 400–800 μg/Tag) als Prophylaxe (Indikation zurückhaltend stellen!)
Stufe 3 plus systemische Steroide, Überweisung an pädiatrischen Pneumologen
Bei einer Dauerinhalationstherapie mit Kortikosteroiden muss das Wachstum regelmässig kontrolliert werden. SABA: kurz wirksame Beta-2-Mimetika; LABA: lang wirksame Beta-2-Mimetika; ICS: inhalative Kortikosteroide; LTRA: Leukotrienantagonisten
Tabelle 5: Medikamentenübersicht
SABA LABA ICS
LABA+ICS Parasympatholytika LTRA anti-IgE
Salbutamol Terbutalin Formoterol Salmeterol Budesonid Fluticason Ciclosonid Formoterol/Budesonid Salmeterol/Fluticason Ipratropiumbromid Montelukast Omalizumab
Ecovent®, Salamol®, Ventolin®, Bricanyl® Foradil®, Oxis® Serevent® Pulmicort® Axotide® Alvesco® Symbicort®, Vannair® Seretide® Atrovent® Singulair® Xolair®
SABA: kurz wirksame Beta-2-Mimetika; LABA: lang wirksame Beta-2-Mimetika; ICS: inhalative Kortikosteroide; LTRA: Leukotrienantagonisten. Die genannten Medikamente sind ab unterschiedlichen Altersstufen zugelassen (s. www.compendium.ch)
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SCHWERPUNKT
Nachgefragt
«Eine der wichtigsten Richtlinien für die Praxis!»
Wie Praktiker die aktuellen Guidelines zu obstruktiven Atemwegserkrankungen im Kindesalter anwenden, war Thema eines Gesprächs, das wir mit Dr. med. Katharina Wyss-Senn, Dr. med. Mercedes Ogal, Dr. med. Kilian Imahorn und Dr. med. Stephan Rupp am Rande der Jahrestagung der Kinderärzte Schweiz im September 2012 geführt haben.
Dr. med. Katharina Wyss-Senn, Goldau
Dr. med. Mercedes Ogal, Brunnen
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Was sind aus Ihrer Sicht die Schlüsselsymptome für eine obstruktive Atemwegserkrankung? Katharina Wyss-Senn: Sicher sind die in der Richtlinie aufgeführten Symptome wichtig. Aber das wichtigste Zeichen für eine akute Erkrankung bei einem Säugling wird nicht erwähnt: die Trinkschwäche. Diese ist natürlich ein unspezifisches Symptom, in der Praxis jedoch sehr wichtig … Kilian Imahorn: … ja, genau. Die erste Frage ist immer: Trinkt das Kind? Stephan Rupp: Bei Säuglingen ja, bei allen anderen ist meine erste Frage: Spielt das Kind noch? Ein Asthmakind spielt nämlich nicht mehr. Katharina Wyss-Senn: Bei der Frage nach den Schlüsselsymptomen kommt es darauf an, um was es genau geht: Ist es ein akutes oder ein exazerbiertes Asthma? Zum Beispiel könnten Kinder, die beim Herumturnen und Lachen husten müssen, ein verstecktes Asthma haben. Diejenigen mit einer akuten Erkrankung verpassen wir nicht: Das sind die, die nicht mehr trinken, nicht mehr spielen und nicht mehr reden. Aber bei denjenigen mit einem versteckten Asthma oder bei Asthmakindern, die zur Kontrolle kommen, ist die Diagnose schwieriger.
Bleiben wir beim Stichwort Asthmakontrolle: Wie läuft das in der Praxis? Katharina Wyss-Senn: Früher haben wir häufig mit Peak-Flow-Messungen gearbeitet, jetzt arbeiten wir mit dem Asthmakontrollschema viel stärker anamnestisch. Stephan Rupp: Die Beurteilung der Asthmakontrolle ist auch stark von den Eltern abhängig. Aus meiner Sicht ist bei der Asthmakontrolle vieles nicht so objektiv fassbar. Ich würde mir wünschen, dass in den Richtlinien klarer gesagt würde, wonach ich mich nun konkret richten könnte. Wann muss ich zum Beispiel eine Dauertherapie beginnen und wann nicht? Katharina Wyss-Senn: Die Kriterien zur Asthmakontrolle, wie sie hier in der Zusammenfassung in der Tabelle 3 aufgeführt werden, sind eigentlich ganz klar. Ich finde, die aktuellen Guidelines sind sehr symptom-
orientiert. Damit behandeln wir die Kinder gemäss ihren Symptomen, was doch recht objektiv ist, oder? Stephan Rupp: Ja, schon, aber das Gefühl der Eltern spielt für meinen Therapieentscheid auch eine Rolle. Wie gravierend das Asthma ist, wird von den Eltern sehr unterschiedlich empfunden. Katharina Wyss-Senn: Ich finde aber schon, dass mit den neuen Guidelines das Vorgehen bei Asthmakindern in der Praxis einfacher geworden ist … Kilian Imahorn: … ja, das sehe ich auch so. Mercedes Ogal: Die aktuelle Guideline ist patientenbezogener als früher. Sie ist wirklich am Kind orientiert, und sie ist einfacher. Ich war sehr froh, als diese Richtlinien vor drei Jahren publiziert wurden. Ehrlich gesagt, hatte ich es schon zuvor genau so gemacht und mich nicht nach dem früheren Wochenschema gerichtet. Katharina Wyss-Senn: Für mich ist das die wichtigste Guideline für die Praxis. Ich finde auch sehr gut, dass man die kleinen Kinder, die im Rahmen von Infekten immer wieder pfeifen, gut unterscheidet von denjenigen, die dann wirklich ein Asthma entwickeln. Dieser Unterschied war früher nicht so deutlich. Man muss den Eltern aber gut erklären, dass sich die Beschwerden zwar ähnlich zeigen, es aber kein Asthma ist. Stephan Rupp: Stimmt, denn wenn man hier das bekannte Betamimetikum verordnet, kennen das die Eltern als «Asthmamedikament».
Die aktuellen Guidelines zu den obstruktiven Atembeschwerden scheinen also bei Ihnen in der Praxis recht gut akzeptiert. Aber nun einmal konkret: Wie machen Sie es nun bei episodischen Beschwerden? Wo setzen Sie die Grenze, ab wann eine vorbeugende Therapie gemacht werden muss? Ab wie vielen Episoden? Mercedes Ogal: Es kommt im konkreten Fall auf das Kind und die Eltern an. Die Anzahl der Episoden ist nicht unbedingt die entscheidende Frage. Es könnten zum Beispiel vier, fünf Episoden sein, die aber nur kurz sind und die man innerhalb von zwei, drei Tagen in den Griff bekommt. Dann brauche ich keine prä-
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ventive Therapie. Auf der anderen Seite könnten es aber auch nur drei Episoden sein, und ich erwäge trotzdem eine präventive Therapie, weil sich diese Episoden über zwei Wochen hinziehen und schlecht zu kontrollieren sind. Wenn die Episoden also kurz sind, und Kind und Eltern kommen gut damit zurecht, dann denke ich erst ab sechs Episoden an eine Langzeittherapie. Kilian Imahorn: Es ist eine entscheidende Frage, ob die Episode so schwer ist, dass das Kind hospitalisationsbedürftig ist. Dann wird man anders reagieren, als wenn es pfeift und hustet, aber eigentlich noch relativ fit ist. Katharina Wyss-Senn: Ja, das sehe ich auch so. Bei Kindern mit kurzen Episoden, denen es dabei eigentlich recht gut geht, gibt es keinen Grund, nach der dritten Episode zwingend eine prophylaktische Therapie zu beginnen. Es kommt übrigens auch auf die Jahreszeit an. Wenn die dritte, vierte Episode in den April fällt, muss man keine Langzeittherapie machen, denn die Exazerbationen hören mit dem Sommer sowieso auf. Wenn ein Kind aber schon im November die dritte Episode erlebt, dann arbeite ich eher prophylaktisch. Stephan Rupp: Schwieriger scheint mir der Entscheid bei den Kindern, die spielen, essen, gedeihen und immer wieder ein bisschen pfeifen. Soll ich bei diesen nun wirklich eine Dauertherapie anfangen oder nicht? Definitionsgemäss wäre das chronisches Asthma, aber es geht ihnen sonst gut. Hier geben die Richtlinien keine Hilfestellung. Ich bin ausserdem davon überzeugt, dass die Compliance der Eltern katastrophal ist, wenn das Kind sozusagen fröhlich vor sich hinpfeift. Richtliniengemäss müssten wir in diesen Fällen eine Prophylaxe beginnen, aber die meisten Eltern machen da nicht mit. Mercedes Ogal: Für mich ist bei diesen Kindern die Familienanamnese wichtig. Falls sich Allergien und Asthma finden, probiere ich es mit einer Langzeittherapie. Ein zweiter Grund ist der Leidensdruck der Eltern. Wenn dieser hoch ist, versuche ich es für vier, sechs Wochen mit einem Leukotrienantagonisten.
Eigentlich sind aber inhalative Steroide die erste Wahl für die Langzeittherapie bei Asthma … Mercedes Ogal: Die Kortisonangst ist bei den Eltern weitverbreitet, sodass der Leukotrienantagonist oft doch zuerst versucht wird. Katharina Wyss-Senn: Ich arbeite häufig zuerst mit dem Leukotrienantagonisten und nicht mit dem Steroid, weil das von den Eltern besser akzeptiert wird, gerade bei den kleinen Kindern. Nur wenn es mit dem Leukotrienantagonisten nicht klappt, nehmen wir das Steroid.
Und wie setzen Sie nun Kortison beziehungsweise Betamimetika ein? Kilian Imahorn: Ich setze das Kortison sogar viel häufiger systemisch ein, als es in den Guidelines steht, nämlich bei den akuten Episoden. Wenn es nicht klappt mit dem Leukotrienantagonisten und wenn es kurze Episoden sind, habe ich keine Bedenken, kurzfristig Kortison zu verordnen. Stephan Rupp: Bei den Betamimetika funktioniert auch recht gut der Ventolin®-Sirup, der in den Richt-
linien nicht speziell erwähnt wird. Ich habe den Eindruck, dass hier die Compliance besser ist. Den Sirup verordne ich für maximal eine Woche, wenn es den Kindern schlecht geht und sie nicht inhalieren können oder wollen. Kilian Imahorn: Stimmt, die Compliance ist mit dem Sirup recht gut, nicht nur, weil dieser leichter zu geben ist als eine Inhalation, sondern vielleicht auch, weil viele Eltern bei Husten gleich an Hustensirup als Medikament denken; jedenfalls gebe ich in dieser Situation das Beta-2-Mimetikum lieber als Sirup als über einen Vernebler.
Noch einmal zum Kortison: In den Richtlinien steht, dass systemisches Kortison für die Praxis nicht empfohlen wird, sondern eine Reservemedikation für schwere Fälle mit Spitaleinweisung sei. Wie sehen Sie das? Katharina Wyss-Senn: Die Empfehlung, dass man systemische Kortikosteroide nicht geben soll, ist für die meisten Praktiker nicht relevant. Zum einen ist es gerade auf dem Land, mit weiten Wegen zum Spital, so, dass wir sofort systemisches Kortison geben, wenn die Sauerstoffstättigung kritisch ist – auch in der Hoffnung, dass sich der kleine Patient bis zum Abend wieder fängt und nicht ins Spital muss. Zum anderen ist die erste Frage im Spital häufig: «Habt ihr das Kortison schon gegeben?» Dieser Punkt wird in der Praxis also sicher anders gehandhabt, als es in den Richtlinien steht.
Kommen wir nun noch zu der Frage, wann Sie ein Asthmakind zum Spezialisten schicken. Hier wird in den Richtlinien eine «grosszügige Überweisung» empfohlen mit vielerlei Kriterien. Wie sehen Sie das? Kilian Imahorn: Der hier genannte «Husten mit Auswurf» ist für mich sicher kein Kriterium, um ein Kind zum Spezialisten zu schicken. Des Weiteren wird hier eine «begleitende Polyposis nasi», genannt – das ist selten, für den Praktiker kaum zu diagnostizieren und in der Regel eine Vermutungsdiagnose. Mercedes Ogal: Ich möchte ausdrücklich betonen, dass die Zusammenarbeit mit den Spezialisten in der Schweiz gut läuft und man gemeinsam den besten Weg sucht. Hier werden aber zu viele Kriterien für eine Zuweisung an den Spezialisten genannt, wie zum Beispiel die «begleitende allergische Erkrankung» – da könnten wir 80 Prozent unserer Asthmakinder schicken, und das machen wir nicht. Wir können in der Praxis sehr viele Patienten gut einstellen. Zum Spezialisten schicke ich ein Kind, wenn ich nicht mehr weiterkomme oder die Therapie es erfordert. Auch schwere Complianceprobleme können ein Grund sein, damit Kind und Eltern auch einmal von einem anderen Arzt hören, dass die Therapie wirklich notwendig ist. Der Elternwunsch wäre allenfalls auch noch ein Grund für die Zuweisung an den Spezialisten, aber das habe ich in drei Jahren vielleicht einmal erlebt. Stephan Rupp: Es gibt natürlich schon Gründe für eine Überweisung, zum Beispiel Kinder, die immer wieder schnell wirkende Beta-2-Mimetika inhalieren, bei denen ich aber nicht ganz sicher bin, ob sie wirk-
Dr. med. Kilian Imahorn, Wil Dr. med. Stephan Rupp, Einsiedeln
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lich Asthma haben. Da braucht es eine Lungenfunktionsmessung. Kilian Imahorn: Ich überweise vor allem die Kinder mit chronischem Asthma, auch um eine zweite Meinung zu hören. Katharina Wyss-Senn: Die chronischen und die schwierigen Patienten schicke ich zum Spezialisten, auch diejenigen, die eine Desensibilisierung brauchen. Aber was da sonst noch so alles auf der Liste steht, scheint mir doch eher fraglich, wie zum Beispiel «schwere begleitende obere Atemwegserkrankung» – das sind Dinge, die wir wirklich selbst behandeln. Allenfalls schickt man ein Kind, das immer wieder Infekte hat, einmal zum HNO-Arzt – sofern man das Gefühl hat, es würde immer schlimmer. Stephan Rupp: Man muss auch sehen, dass die Fachärzte gar nicht so viele zugewiesene Patienten behandeln könnten, wie es diese Liste erfordern würde. Schon jetzt haben wir Wartezeiten von sechs bis acht
Wochen! Ich finde, dass man in den Richtlinien auch die zur Verfügung stehenden Ressourcen beachten muss.
Zu guter Letzt gefragt: Haben Sie noch einen praktischen Tipp für Ihre Kollegen? Mercedes Ogal: Sobald die Kinder alt genug dafür sind, lasse ich sie beim Auskultieren ein Lämpchen ausblasen, damit ich die forcierte Exspiration hören kann. Seifenblasen oder Windrad funktionieren auch. Kilian Imahorn: Ich lasse sie dafür die Treppe hochund runterrennen, das klappt auch ganz gut … Katharina Wyss-Senn: … und wir haben einen langen Gang, den sie 20-mal hinauf- und hinunterrennen müssen.
Wir danken Ihnen allen für das Gespräch.
Das Gespräch führte Dr. Renate Bonifer.
BUCHTIPPS
Ketogene Diät
P harmakoresistente Epilepsien im Kindesalter sind eine grosse Herausforderung. Wenn Medikamente nicht helfen und eine Operation nicht möglich ist, kann die ketogene Diät eine wirksame Therapiealternative sein, so der Autor Prof. Dr. med. Friedrich Baumeister, Neuropädiater, Neonatologe und Facharzt für Kinderheilkunde und Diabetologie. In diesem Buch ist zusammengestellt, was bei der ketogenen Diät als Therapie zu beachten ist. Dabei geht es um alle Aspekte rund um die ketogene Diät. Neben Grundsätzlichem zu Keton-
körpern, ihrem Stoffwechsel sowie ihren Eigenschaften geht es auch um die Klärung alltäglicher Fragen und Probleme. Indikationen, Kontrakindikationen, die Durchführung der Diät und die Evaluation des Erfolgs werden detailliert geschildert.
Ketogene Diät. Von Friedrich A.M. Baumeister. Schattauer Verlag Stuttgart 2012. 286 Seiten, 85 Abbildungen, 38 Tabellen, kartoniert. Fr. 53.90. ISBN: 978-3-7945-2904-9.
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