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SCHWERPUNKT
Dermatologie in der Kindergynäkologie
Vulväre Hautveränderungen beim kleinen Mädchen
Hautveränderungen in der Genitalregion kleiner Mädchen geben Anlass, mit der kleinen Patientin sowohl in die pädiatrische und kindergynäkologische als auch in die dermatologische Sprechstunde zu kommen. Die angegebenen Hauptbeschwerden sind häufig unspezifisch und reichen von Farbveränderungen der Haut über Juckreiz, Brennen bis zu Schwellung oder Ulkus. Die häufigsten assoziierten Erkrankungen sind entzündliche Dermatosen, infektiöse Ursachen sowie, seltener, angeborene oder erworbene Farbveränderungen oder Tumoren.
Von Irène Dingeldein und Kristin Kernland Lang
Abbildung 1: Ekzem
In dieser Arbeit werden die häufigsten in der Praxis anzutreffenden Hautveränderungen der Vulva und deren Behandlung vorgestellt, basierend auf der Erfahrung der interdisziplinären kindergynäkologisch-dermatologischen Sprechstunde am Inselspital.
Ekzem
Ekzematöse Hautveränderungen der Vulva sind ein häufiger Grund für die Vorstellung in der Sprechstunde. Subjektiv im Vordergrund stehen der vulväre Juckreiz sowie der chronisch-rezidivierende Verlauf eines erythematösen Hautausschlags (Abbildung 1). In der klinischen Untersuchung finden sich unscharf begrenzte, erythematöse papulös-konfluierende Hautveränderungen, ekzematösen Hautveränderungen entsprechend, bis zu vergröberter Hautfältelung (Lichenifikation). Sowohl eine positive Familienanamnese für Atopie als auch der Beginn nach Absetzen der Windeln (Grund: Gute Hydrierung der Haut im Windelmilieu schützt vor atopischer Dermatitis) weisen auf ein atopisches Ekzem hin. Die bakterielle Superinfektion mit Staphylococcus au-
reus ist häufig und für den Verlauf relevant. Ein irritativ-toxisches Ekzem wiederum wird getriggert durch Hautmilieuschädigung aufgrund schlechter Hygiene oder auch Überbehandlung mit irritativen Produkten. Das allergische Kontaktekzem ist in dieser Altersgruppe selten, bei chronischem und therapieresistentem Verlauf sind im Einzelfall weiterführende Abklärungen mittels Epikutantestung sinnvoll. Die Behandlung zielt in erster Linie auf die Wiederherstellung der Hautbarrierefunktion durch regelmässige Ölbäder, den gezielten und limitierten Einsatz nicht okkludierend wirkender Hautpflegeprodukte vom Cremetyp sowie Zinkoxid-haltiger Produkte. Eine Überbehandlung (siehe oben) ist zu vermeiden. Für die topische antimikrobielle Behandlung haben sich Syndets mit antiseptischer Wirkung bewährt, antiseptische Sitzbäder sowie das Tragen von DermaSilk®-Unterwäsche (1). Der zeitlich limitierte Einsatz topischer Kortikosteroide oder topischer CalcineurinInhibitoren (Tacrolimus, Pimecrolimus) als Massnahme gegen Entzündung und Juckreiz sowie systemische Antihistaminika sind sinnvoll. Darunter soll innert zwei bis drei Wochen eine Abheilung erreicht werden.
Psoriasis
Die Erstmanifestation einer Psoriasis im Genitalbereich ist in jedem Alter möglich. Juckreiz oder Brennen stehen dabei oft weniger im Vordergrund. In der klinischen Untersuchung sind symmetrische, scharf begrenzte, erythematöse Plaques an der Vulva und am Perineum typisch, oft begleitet von einem strichförmigen Erythem in der Gesässfalte ohne Beteiligung der Vagina (Abbildung 2). In der dermatologischen Ganzkörperuntersuchung finden sich spätestens im Verlauf mögliche zusätzliche Hinweise auf die Diagnose.
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Abbildung 2: Psoriasis
Abbildung 3: Lichen
Die antientzündliche Behandlung in dieser Altersgruppe erfolgt primär mit topischen Kortikosteroiden. Wichtig ist das Vermeiden mechanischer Irritation (Köbner-Effekt). Die adjuvante Therapie mit Ölbädern ist hilfreich. Die Differenzialdiagnose vor allem im ersten Lebensjahr ist eine Zinkmangel-Dermatitis.
Lichen sclerosus
Es handelt sich um eine entzündliche Dermatose unklarer Ätiologie. Leitsymptome sind oft starker Juckreiz und vulväre Schmerzen. Sekundäre Obstipation oder Beschwerden beim Wasserlösen können assoziiert sein sowie oberflächliche Hautblutungen. Letztere führen nicht selten zum Verdacht auf sexuellen Missbrauch. Im Gegensatz zur Situation bei der erwachsenen Frau wird die Diagnose in den meisten Fällen klinisch gestellt. Scharf begrenzte, symmetrische, weisse, porzellanartige Haut mit vereinzelten Teleangiektasien und periklitoral betonter Fissurenbildung sind hierfür typisch. Die Ausdehnung kann dabei von einer Manifestation an den Labien bis über das Perineum und perianal reichen (Abbildung 3). Die Vagina ist nicht betroffen, und die extragenitale Manifestation im Kindesalter ist sehr selten. Ziel der Behandlung ist die rasche Beschwerdefreiheit und danach die Abheilung des unterliegenden entzündlichen Prozesses, um sekundäre narbige Veränderungen zu vermeiden. Die Rolle der mechanischen Triggerung (z.B. enge Kleidung) wird immer wieder diskutiert. Folgendes Behandlungskonzept hat sich bewährt: Beginn mit topischen Kortikosteroiden bis zur Besserung des Juckreizes, dann folgt eine Behandlung (off label) mit topischen Calcineurin-Inhibitoren (Tacrolimus, Pimecrolimus) bis zur vollständigen Abheilung, was zwei bis drei Monate dauern kann. Eine passagere postläsionale Hypopigmentierung ist insbesondere bei dunklerem Hauttyp möglich, was nicht mit einer andauernden Krankheitsaktivität verwechselt werden sollte. Sowohl das Tragen von DermaSilk®-Unterwäsche (2) als auch regelmässige Ölbä-
der sind hilfreiche adjuvante Therapiemassnahmen. Langfristige Nachkontrollen sind wichtig, um bei Rezidiven rechtzeitig zu behandeln. Übergänge in adulte Formen sind im Verlauf möglich (3).
Molluscum contagiosum
Ein umschriebenes Auftreten von Mollusca contagiosa, beschränkt auf die Genitalregion, kann die Abgrenzung gegenüber Condylomata accuminata ohne Zuhilfenahme einer Lupe erschweren. Kinder mit atopischer Diathese neigen zu disseminierter Aussaat von Mollusca. Die erste therapeutische Massnahme ist die Wiederherstellung der Barrierefunktion der Haut, zum Beispiel mithilfe von Ölbädern oder Körperlotionen. Bei Information der Eltern über den zu erwartenden mehrwöchigen Verlauf mit perientzündlicher Hautreaktion vor der spontanen Abheilung sind zusätzliche Massnahmen, wie mechanische Entfernung oder medikamentöse Behandlung (Kalilauge, Antisepsis lokal, Imiquimod), in dieser Körperregion und Altersgruppe meist nicht notwendig.
Vulvovaginitis
Entscheidend in der klinischen Untersuchung ist die Abgrenzung der Vulvitis von der Vulvovaginitis (Tabelle). Akute symptomatische Vulvovaginitiden sind in der Regel selbstlimitierend und bedürfen weder einer Abklärung noch einer spezifischen Therapie. Ölbäder als alleinige Massnahme führen in kurzer Zeit zum Abklingen der Symptomatik. In diese Gruppe der Vulvovaginitiden gehören unter anderem die parainfektiöse Vulvovaginitis oder die Schmierinfektion (E. coli) oder miktionstechnisch (z.B. bei einem Hymen altus) sowie mechanisch bedingte Vulvovaginititen beispielsweise durch Manipulation, Reizung (z.B. enge Kleidung) oder Masturbation. Bei chronisch-rezidivierendem Verlauf empfehlen wir als Erstes eine grosszügige Oxyurentherapie (Cobantril®, Vermox®) ohne vorgängige Parasitensuche (nebenwirkungsarm und kostengünstig).
Tabelle: Klinische Abgrenzung Vulvitis/Vulvovaginitis
Juckreiz und Rötung genital Vulvitis • kein Fluor vaginalis • oft Smegma • reizlose Vagina
Vulvovaginitis • Fluor vaginalis • Vulva, Vestibulum, Hymen
und Vagina gerötet • Dysurie, Brennen nach Mik-
tion («heisses Bisi»), deshalb oft als Zystitis behandelt
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Bei ausgeprägter Symptomatik hingegen ist die Suche nach dem spezifischen Erreger indiziert. Dabei ist die Entnahmetechnik für die Aussagekraft des entnommenen Materials entscheidend: Sekretentnahme mittels Neugeborenen-Absauge-Katheters direkt aus der Vagina.
Bakterien, Viren, Pilze
Folgende Bakterien sind bei dermatologischen Erkrankungen der Vulva von Bedeutung (die Therapie erfolgt systemisch und entsprechend Antibiogramm): • beta-hämolysierende Streptokokken der Gruppe A
(Frage nach Infekt der oberen Luftwege!) • Haemophilus influenzae B • Shigellen, Yersinien • STD: Chlamydien, Gonokokken, Trichomonaden:
praktisch immer durch Sexualkontakt übertragen • Staphylococcus aureus (4). Bei den Viren ist neben den oben genannten Molluscum contagiosum an Herpesviren (Autoinokulation?) und HPV Condylomata accuminata zu denken (Frage nach perinataler Übertragung, HPV in der Familie). Der Hefepilz Candida albicans kann dermatologische Probleme bereiten, doch tritt eine chronische Candidose/Soor bei immunkompetenten Kindern nach der Windelperiode in der Regel nicht auf (5).
Farbveränderungen
Vitiligo Eine erworbene, scharf begrenzte, symmetrische Hypopigmentierung ohne vorangehende entzündliche Hautveränderung perianal und/oder vulvär kann eine genitale Vitiligo sein. Diese kann weiteren, am übrigen Integument auftretenden Vitiligoarealen vorangehen. Differenzialdiagnose: postläsionale (passagere) Hypopigmentierung nach entzündlicher Hautveränderung.
Melanozytäre Nävi Melanozytäre Nävi können kongenital sichtbar sein oder in den ersten Lebensjahren sichtbar werden. Melanome sind bei Kindern nach wie vor sehr selten. Einzelfälle vulvärer Melanome bei Mädchen sind jedoch publiziert (6). Regelmässige dermatologische Kontrollen von mittelgrossen bis grossen kongenitalen melanozytären Nävi sind sinnvoll.
Naevus flammeus Kapilläre Malformationen können auch die Vulva betreffen, sind dann jedoch häufiger Bestandteil eines ausgedehnteren segmentalen Naevus flammeus oder einer komplexeren unterliegenden vaskulären Malformation.
eine bis zu Jahre dauernde Regressionsphase folgt. Hämangiome bluten nicht, ausser bei Ulzeration. Die allermeisten Hämangiome in dieser Lokalisation bedürfen keiner Therapie, und der Spontanverlauf kann abgewartet werden. Bei sehr grossen und rasch wachsenden Hämangiomen sowie bei Gefährdung von unterliegenden anatomischen Strukturen und insbesondere bei Ulzeration, auch bei kleinen Hämangiomen, ist die Indikation für die Behandlung gegeben. Propanolol stellt hierfür das Mittel der ersten Wahl dar in Form einer mehrmonatigen systemischen Behandlung (Dosis 2 mg/kg Körpergewicht/Tag). Die Erstverabreichung erfolgt unter tagesklinischer Überwachung. Andere Tumoren der Haut an der Vulva sind selten.
Weitere Abklärungen?
Weiterführende diagnostische Abklärungen sind indiziert bei Blasen und Erosionen an der Vulva: • Mikrobiologie (Ausschluss Infektion mit Staphylo-
coccus aureus, Herpes simplex) • Hautbiopsie (autoimmunbullöse Dermatose: bullö-
ses Pemphigoid der Vulva).
Korrespondenzadressen: Dr. med. Irène Dingeldein Universitätsklinik für Frauenheilkunde Inselspital, 3010 Bern E-Mail: irene.dingeldein@insel.ch
Dr. med. Kristin Kernland Dermatologische Universitätsklinik Inselspital, 3010 Bern E-Mail: kristin.kernland@insel.ch
Literatur: 1. Patrizi A, Giavomini F, Gurioli C, Neri I. Clinical effectiveness of a Special Silk Textile in the Treatment of Recurrent Pediatric Inflammatory Vulvitis: an Open Label Pilot Study. G Ital Dermatol Venereol 2011; 146: 1–4. 2. D’Antuono A, Bellavista S, Negosanti F, Zauli S, Baldi E, Patrizi A. Dermasilk Briefs in Vulvar Lichen Sclerosus: An Adjuvant Tool. J Low Genit Tract Dis 2011; 15: 287–291. 3. Smith SD, Fischer G. Childhood Onset Vulvar Lichen Sclerosus Does Not Resolve at Puberty: A Prospective Case Series. Ped Dermatol 2009; 6: 725–729. 4. Curran J, Hayward J, Sellers E, Dean H. Severe Vulvovaginits as a Presenting Problem of Type 2 Diabetes in Adolescent Girls: A Case Series. Pediatrics 2011; 127 (4): e1081–1085. 5. Fischer GO. Vulval Disease in Pre-Pubertal Girls. Aus J Dermatol 2001; 42: 225–236. 6. Egan CA, Bradley RR, Logsdon VK, Summers BK, Hunter GO, Vanderhoof SL. Vulvar Melanoma in Childhood. Arch Dermatol 1997; 133: 345–348.
Hämangiome
Die Genitalregion ist eine der häufigeren Lokalisationen von Hämangiomen, den benignen vaskulären selbstlimitierenden Tumoren der frühen Kindheit. Sie bestehen aus proliferierenden Endothelzellen und müssen klinisch von vaskulären Malformationen abgegrenzt werden. Typisch für Hämangiome ist das Auftreten kurz nach der Geburt, mit einer raschen Wachstumsphase von sechs bis neun Monaten, der
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