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SCHWERPUNKT
Zerebrale Anfälle bei Kindern und Jugendlichen
Zerebrale Anfälle sind im Kindesalter häufig. Neben einer suffizienten Behandlung sind eine diagnostische Einordnung anhand der Anamnese und der Anfallssemiologie sowie der Ausschluss beziehungsweise das Erkennen von Differenzialdiagnosen elementar.
Von Annette M. Hackenberg und Gabriele C. Wohlrab
Die Ableitung eines EEG nach einem einfachen Fieberkrampf ist nicht indiziert.
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Z erebrale Anfälle sind Ausdruck einer akuten Funktionsstörung des Gehirns, die durch eine abnorme synchrone Tätigkeit mit paroxysmaler Depolarisation in kortikalen Neuronenverbänden gekennzeichnet ist. Etwa 5 Prozent der Konsultationen in einer Notfallambulanz erfolgen aufgrund zerebraler Anfälle, am häufigsten nach Fieberkrämpfen. In den meisten Fällen hat der Anfall bereits vor Eintreffen des Patienten sistiert. In der Regel sind Eltern und weitere Bezugspersonen stark verunsichert. Die Eltern sind eingehend zu informieren und zu instruieren, das Wiederholungsrisiko sollte eingeschätzt und mitgeteilt werden.
Epidemiologie
Zerebrale Anfälle sind ein häufig auftretendes Symptom, 2 bis 5 Prozent aller Kinder erleiden während der ersten 5 Lebensjahre einen Fieberkrampf, 1 Prozent aller Kinder und Jugendlichen einen afebrilen Anfall bis zum 14. Lebensjahr. Die Prävalenz einer aktiven Epilepsie, die durch das Auftreten von mehr als einem unprovozierten Anfall gekennzeichnet ist, liegt im Kindesalter bei 0,4 bis 0,9 Prozent. Die Inzidenz ist in den Industrienationen während der ersten Lebensmonate und im Senium am höchsten.
Fieberkrämpfe
Fieberkrämpfe treten bei Kindern in einem Alter zwischen 6 Monaten und 6 Jahren auf, definitionsgemäss bei einer Temperatur über 38 °C. Weitere Kriterien sind das Fehlen einer ZNS-Infektion, anderer definierter Anfallsursachen wie Elektrolytstörungen und Traumata sowie afebriler Anfälle in der Anamnese. Es werden einfache und komplizierte Fieberkrämpfe unterschieden (Tabelle 1). Bei den einfachen Fieberkrämpfen, die 70 Prozent der Kinder betreffen, han-
delt es sich in der Regel um generalisierte tonisch-klonische, tonische, seltener um atonische Anfälle. Die Unterscheidung von einfachen und komplizierten Fieberkrämpfen ist diagnostisch und prognostisch relevant. Bei 1 bis 2 Prozent der Kinder mit einfachen Fieberkrämpfen tritt im Verlauf eine Epilepsie auf, bei Kindern mit komplizierten Fieberkrämpfen sind es 4 bis 6 Prozent. Eine genetische Prädisposition ist bekannt, es sind Assoziationen mit verschiedenen Genloci beschrieben. Fieberkrämpfe werden sowohl bei viralen als auch bakteriellen Infektionen beobachtet. Ein diskret erhöhtes Risiko wurde binnen 24 Stunden nach einer DTP-Impfung und 8 bis 14 Tage nach einer MMR-Impfung gefunden. Von 100 000 geimpften Kindern werden 6 bis 9 Kinder nach einer DTP- und 25 bis 34 Kinder im Anschluss an eine MMR-Impfung einen Fieberkrampf entwickeln. Das Risiko für das Auftreten afebriler Anfälle, einer Epilepsie und einer Entwicklungsstörung nach Impfungen ist hingegen nicht erhöht (1).
Diagnostik bei Fieberkrämpfen
Die durchzuführende Diagnostik ist individuell, abhängig von Alter und klinischem Zustand des Kindes. Der Fieberfokus sollte gesucht werden, häufig ist hierzu auch eine Untersuchung des Urins notwendig. Die Bestimmung von Glukose, Elektrolyten sowie eine Blutgasanalyse sind im Falle eines anhaltenden Anfallgeschehens notwendig. Die Einführung der Haemophilus-influenzae- und der Pneumokokken-Impfung hat in vielen Ländern zu einem Rückgang der Inzidenz der durch diese Mikroorganismen verursachten Meningitiden geführt. Wenn eine ZNS-Infektion einem Anfallsgeschehen zugrunde liegt, haben die Patienten in der Regel weitere Symptome einer akuten Inflammation (2, 3).
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SCHWERPUNKT
Eine Lumbalpunktion ist zwingend bei weiteren klinischen Hinweisen auf eine Meningitis, sie wird empfohlen bei Säuglingen, weil diese nicht immer typische Symptome einer Meningitis oder Enzephalitis aufweisen, insbesondere bei lückenhafter Immunisierung. Sie ist zu erwägen bei komplizierten Fieberkrämpfen und einer Vorbehandlung mit Antibiotika (4). Bei Lumbalpunktionen sollte immer der Zucker im Liquor bestimmt und kurz zuvor eine Blutzuckerbestimmung durchgeführt werden. Der Glukosequotient kann Hinweise geben auf die Art des Erregers und das Vorliegen eines Glukosetransporterdefekts, der sich allerdings nicht typischerweise mit Fieberkrämpfen manifestiert. Bei häufig rezidivierenden und prolongierten Fieberkrämpfen sollte differenzialdiagnostisch eine Ionenkanalerkrankung erwogen werden wie das DravetSyndrom (s.u.) oder die generalisierte Epilepsie mit Fieberkrämpfen plus (GEFS+). Die Ableitung eines EEG nach einem einfachen Fieberkrampf ist nicht indiziert, ebensowenig eine zerebrale Bildgebung.
Klassifikation afebriler Anfälle
Eine möglichst exakte Anfallsbeschreibung ist die Grundlage der bei afebrilen Anfällen anzustrebenden Anfallsklassifikation (5) (Tabelle 2). Insbesondere bei einem ersten Anfall führen Sorge und Verunsicherung oft zu einer ungenauen Beobachtung durch Angehörige, dennoch ist es durch gezielte Fragen häufig möglich, Informationen bezüglich fokaler Zeichen, Bewusstseinslage, Anfallsbeginn und -dauer zu erhalten. Es sollte nicht versäumt werden, den Patienten auch selbst zu befragen. Bei rezidivierenden Ereignissen ist eine häusliche Videodokumentation häufig hilfreich. Es werden generalisierte und fokale Anfälle unterschieden. Generalisierte Anfälle: Generalisierte Anfälle zeichnen sich durch eine rasche Ausbreitung in bilateralen kortikalen und subkortikalen Netzwerken aus. Die ersten klinischen Zeichen zeigen in der Regel die Beteiligung beider Hemisphären an. Die bei Kindern ab dem Kleinkindalter am häufigsten auftretenden generalisierten Anfälle sind Absencen (Abbildung 1). Generalisierte tonisch-klonische Anfälle sind während der ersten zwei Lebensjahre selten. Die Anfallssemiologie ist häufig altersabhängig. So werden zum Beispiel bei Kindern mit einem Dravet-Syndrom, einem durch Mutationen im SCN1A-Gen verursachten Epilepsiesyndrom, im Säuglingsalter neben myoklonischen Anfällen oft hemiklonische Anfälle bei Fieber beobachtet, im späteren Verlauf treten dann häufig generalisierte tonisch-klonische Anfälle auf. Fokale Anfälle: Fokale Anfälle entstehen in Netzwerken, die auf eine Hemisphäre begrenzt sind. Der Anfallsbeginn ist in der Regel stereotyp, die ersten Symptome weisen oft auf die Lokalisation des Anfallursprungs hin. Die meisten Patienten haben nur einen Anfallstyp mit typischem Anfallsbeginn und häufig auch wenig variabler Ausbreitung. Bei Vorliegen mehrerer Anfallstypen weisen auch diese jeweils einen gleichbleibenden Beginn auf, sodass es Eltern und Betroffenen häufig möglich ist, die unterschiedlichen Anfallstypen zu unterscheiden.
Man unterscheidet zwischen einfach fokalen Anfällen, bei denen das Bewusstsein erhalten ist, und komplex fokalen Anfällen, bei denen es zu einer Einschränkung des Bewusstseins kommt. Die weiteren Symptome sind gezielt zu erfragen und zu dokumentieren. Hierzu gehören das Vorhandensein einer Aura sowie motorischer, sensorischer und autonomer Symptome, eines Spracharrests und affektiver Veränderungen. Im Rahmen der Anfallspropagation kann es zu einer Einbeziehung der kontralateralen Hemisphäre und damit zu einer sekundären Generalisierung kommen. Die im Kindesalter am häufigsten auftretende fokale Epilepsie ist die sogenannte Rolando- oder gutartige Epilepsie mit zentrotemporalen Spikes (Abbildung 2). Sie betrifft Kinder ab dem Vorschulalter und endet mit der Pubertät. Die Anfälle treten häufig nachts auf. Sie gehen mit sensorischen und motorischen Symptomen sowie einem Spracharrest einher. Die Patienten verspüren orale Parästhesien mit Beteiligung von Zunge, Lippen oder der Innenseite einer Wange, im Verlauf kommt es zu hemifazialen Kloni. Die Prognose ist in der Regel günstig.
Körperliche Untersuchung und Labor
Im Falle eines anhaltenden Anfalls sollte dieser beobachtet und möglichst klassifiziert werden. Bei stabilen Vitalparametern werden nach Beendigung des Anfalls zunächst weitere Anfallsursachen wie entzündliche Erkrankungen ausgeschlossen. Bei der körperlichen Untersuchung wird besonderes Augenmerk auf das Bewusstsein, fokale neurologische Zeichen, okuläre Befunde und Hautveränderungen gerichtet. Analog zum Vorgehen bei Fieberkrämpfen werden in der Regel Blutzucker und Elektrolyte bestimmt sowie eine Blutgasanalyse durchgeführt. Sollte der Patient bereits antikonvulsiv behandelt werden, ist eine Bestimmung des Plasmaspiegels des Präparates zu erwägen, insbesondere bei Verdacht auf mangelnde Compliance oder Intoxikation. Die Indikation zu weiteren Laboruntersuchungen ist abhängig vom Alter des Kindes und weiteren anamnestischen Faktoren wie zum Beispiel dem Vorliegen eines Entwicklungsrückstandes. Bei Säuglingen und Kleinkindern mit afebrilen Anfällen ist häufig ein metabolisches Screening sinnvoll. Vor der Durchführung aufwendiger metabolischer Diagnostik wird insbesondere bei fokalen Anfällen eine Magnetresonanztomografie (s. unten) durchgeführt, um unnötige Laboruntersuchungen zu vermeiden.
Nach einem Fieberkrampf wird keine prophylaktische antikonvulsive Behandlung empfohlen.
Tabelle 1:
Klassifikation der Fieberkrämpfe
Dauer Semiologie postiktale Lähmung Auftreten innert 24 Stunden
einfach < 15 Minuten generalisiert nein einmal kompliziert > 15 Minuten fokal möglich mehrfach
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SCHWERPUNKT
gaben oder Anfallsbeobachtung zu sichern, ist eine Langzeitableitung indiziert, möglichst mit simultaner Videoaufzeichnung.
Abbildung 1: 3/s Spike-wave-Komplexe bei Absencen
Zerebrale Bildgebung
Die Indikation zur Magnetresonanztomografie des Schädels ist nach einem unprovozierten fokalen Anfall gegeben. Ausnahmen sind Rolando-Anfälle mit typischer Anamnese und EEG-Veränderungen. Im Falle eines interiktal unauffälligen neurologischen Befundes ist die Indikation nicht dringlich, und die Untersuchung kann geplant werden, zumal bei jungen Kindern eine Sedation notwendig ist. Bei einer Absenceoder einer juvenilen myoklonischen Epilepsie ist keine routinemässige MRI-Untersuchung erforderlich. MRIAuffälligkeiten werden bei 16 Prozent der Kinder nach einem afebrilen Anfall gefunden, und sie sind mit einem höheren Risiko eines Anfallsrezidivs verbunden (7). Die Computertomografie bleibt in der Regel Notfallindikationen vorbehalten.
Abbildung 2: Zentrotemporale Spike waves bei Rolando-Epilepsie
Tabelle 2:
Anfallsklassifikation
Generalisierte Anfälle • tonisch-klonisch • Absence
– atypisch – typisch
– myoklonische Absence – Augenlidmyoklonien • myoklonisch – myoklonisch – myoklonisch atonisch – myoklonisch tonisch • klonisch – tonisch – atonisch
Fokale Anfälle
Unbekannt • epileptische Spasmen
Rolle des EEG
Nach einem ersten afebrilen Anfall wird in der Regel ein EEG empfohlen, nach einem zweiten unprovozierten Anfall, also bei der Diagnose einer Epilepsie, sollte es spätestens abgeleitet werden. Es ist ein Hilfsmittel bei der Klassifikation der Epilepsie und bei der Lokalisierung epileptogener Läsionen. Bedingt geeignet ist es zur Einschätzung des Risikos eines Anfallsrezidivs und der Prognose vor Beendigung einer antikonvulsiven Behandlung. Eine Ausnahme sind die AbsenceEpilepsien, bei denen eine recht gute Korrelation besteht. Die Minderzahl der Kinder, bei denen sich epilepsietypische Potenziale im EEG finden, entwickelt tatsächlich eine Epilepsie. So wurden epilepsietypische Potenziale in einer Untersuchung bei 53 von 1057 gesunden 6- bis 12-Jährigen gefunden; dabei handelte es sich überwiegend um zentrotemporale Spikes (6). Hingegen haben etwa 30 bis 50 Prozent der Kinder mit einer Epilepsie in der Anfangsphase ein unauffälliges EEG. Es sollte auch eine Ableitung mit Registrierung einer Schlafphase eingeschlossen werden, da interiktale epilepsietypische Potenziale in der Müdigkeits- und Einschlafphase gehäuft auftreten. Gelingt es bei Patienten mit unauffälligem EEG nicht, die Diagnose mittels eindeutiger anamnestischer An-
Differenzialdiagnose
Die Differenzialdiagnosen zerebraler Anfälle sind vielfältig. Die häufigsten sind im Säuglings- und Klein-kindalter der gastroösophageale Reflux, Schlafmyoklonien, «shuddering attacks», die mit einem schauerartigen Tremor von Kopf, Nacken und Schultern einhergehen, Affektkrämpfe und die Selbststimulation. Bei Schulkindern und Jugendlichen gilt es Synkopen, während deren es auch zu einer Tonuserhöhung und Kloni kommen kann (sog. konvulsive Synkopen), und dissoziative Anfälle abzugrenzen. Entscheidende Hinweise gibt häufig die Anamnese mit einer zeitlichen Bindung der Ereignisse an Nahrungsaufnahme, Schlaf oder bestimmte Situationen beziehungsweise Erregung. Bei den «shuddering attacks» und der Selbststimulation ist die Beschreibung der Ereignisse oder eine Videodokumentation richtungsweisend. Besteht der Verdacht auf kardiogene Ereignisse, sollte zum Ausschluss eines Long-QT-Syndroms ein EKG abgeleitet werden. Grössere differenzialdiagnostische Schwierigkeiten bereiten häufig die dissoziativen Anfälle. Etwa ein Drittel aller Patienten mit dissoziativen Anfällen hat eine vorbestehende Epilepsie. Die meisten Kinder sind älter als 9 Jahre, die Anfallsdauer ist häufig länger als 3 Minuten, meistens sind bei Anfallsbeginn Augenzeugen anwesend. In etwa einem Drittel der Fälle reagieren die Kinder nicht auf Ansprache oder Stimulation. Häufigstes motorisches Phänomen ist ein Tremor, der meistens die oberen Extremitäten betrifft. Zusätzlich werden in annähernd der Hälfte der Fälle emotionale Äusserungen wie Weinen oder Jammern beobachtet (8).
Therapie
Die meisten Anfälle sistieren innerhalb weniger Minuten, sodass eine akute Behandlung nicht notwendig ist. Eine medikamentöse Therapie mit dem Ziel einer Anfallsunterbrechung wird ab einer Anfallsdauer von
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5 Minuten empfohlen, bei generalisiert tonisch-klonischen Anfällen bereits nach 2 bis 3 Minuten. Dabei nimmt die Erfolgsrate mit zunehmender Anfallsdauer ab. Als Akutbehandlung haben sich Benzodiazepine bewährt. Eine gute Evidenz besteht für die intravenöse Verabreichung von Lorazepam, Midazolam und Diazepam sowie für die rektale Verabreichung von Diazepam und die intranasale und bukkale Gabe von Midazolam (9, 10). Die rektale Applikation von Diazepam wird auch im häuslichen Umfeld empfohlen. Die empfohlene Dosis beträgt 5 mg für Kinder mit einem Gewicht unter 15 kg und 10 mg für Kinder mit einem Gewicht über 15 kg. Da die rektale Verabreichung nicht immer gut praktikabel ist und in der Öffentlichkeit eine zusätzliche Stigmatisierung zur Folge haben kann, ist die Gabe von Midazolam via Nasen- oder Wangenschleimhaut eine gute Alternative. Die empfohlene Einzeldosis beträgt 0,2 mg/kg Körpergewicht, in einer Studie wurden bis zu 0,5 mg/kg Körpergewicht verabreicht (10). Eine Dosis von 10 mg sollte nicht überschritten werden. Bei Kindern unter 6 Monaten und bei repetitiver Verabreichung von Midazolam ist ein Monitoring von Atmung und Sauerstoffsättigung notwendig. Im vergangenen Jahr wurde von der EMA (European Medicines Agency) eine bukkale Verabreichungsform von Midazolam für Kinder und Jugendliche im Alter von 3 Monaten bis 18 Jahren zugelassen. Die Zulassung des Präparates in der Schweiz steht bevor. Weitere zur Anfallsunterbrechung geeignete Präparate sind Phenobarbital, Phenytoin, Levetiracetam und auch Valproat; sie kommen bei der Behandlung eines Status epilepticus zum Einsatz.
Prophylaxe
Nach einem Fieberkrampf wird keine prophylaktische antikonvulsive Behandlung empfohlen. Auch können Rezidive durch die Gabe von Antipyretika nicht zuverlässig verhindert werden. Nach einem ersten afebrilen Anfall werden die Eltern bezüglich allgemeiner Massnahmen wie der Vermeidung einer Anfallsprovokation, Umgang mit potenziell gefährdenden Situationen (Badewanne, Schwimmbadbesuch) und Verhalten im Falle eines Anfallsrezidivs beraten und in die Notfalltherapie instruiert. Eine antikonvulsive Dauertherapie wird in der Regel nicht eingeleitet. Sie führt zu einer Verminderung der Anfallsrezidive während der nächsten ein bis zwei Jahre, verbessert aber nicht die Langzeitremission (11). Da das Intervall bis zu einem möglichen Anfallsrezidiv nicht vorhersehbar ist und eine antikonvulsive Behandlung immer das Risiko unerwünschter Wirkungen birgt, ist die Indikation zu einer frühen Behandlung jeweils kritisch zu prüfen. Zirka 70 Prozent der Epilepsien sind gut behandelbar.
Prognose
Nach einem ersten Fieberkrampf beträgt das Risiko eines Rezidivs etwa 30 Prozent. Risikofaktoren sind
ein Alter unter 15 Monaten beim ersten Fieberkrampf, das Vorliegen einer Epilepsie oder Fieberkrämpfe bei einem Verwandten ersten Grades und komplizierte Fieberkrämpfe. Es hat sich bewährt und ist üblich, den Eltern auch schriftliches Informationsmaterial zur Verfügung zu stellen. Das Risiko eines Rezidivs nach einem ersten afebrilen Anfall bei einem Kind mit im Übrigen unauffälliger neurologischer Anamnese liegt kumulativ bei 26 Prozent nach einem, bei 36 Prozent nach zwei und bei 42 Prozent nach vier Jahren (12); somit nimmt das Wiederholungsrisiko mit zunehmendem Abstand zum ersten Anfall ab. Bei Kindern mit einer vorbestehenden neurologischen Erkrankung, wie beispielsweise einer Zerebralparese, beträgt das Risiko eines Anfallsrezidivs 37 Prozent nach einem Jahr. Es steigt auf 70 Prozent an bei Vorliegen von zwei Anfällen, die in einem Abstand von mindestens 24 Stunden aufgetreten sind. Eine ausgesprochen günstige Prognose haben afebrile Anfälle, die bei Kindern im Rahmen einer akuten Gastroenteritis auftreten. Die Altersverteilung entspricht derjenigen bei Fieberkrämpfen, die Anfälle sind häufig generalisiert tonisch-klonisch und können in Clustern auftreten. Eine Epilepsie entwickelt sich in der Regel nicht (13).
Korrespondenzadresse: Dr. med. Annette M. Hackenberg Neuropädiatrie Kinderspital Zürich Universitäts-Kinderkliniken Steinwiesstr. 75, 8032 Zürich E-Mail: annette.hackenberg@kispi.uzh.ch
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Eine antikonvulsive Dauertherapie wird in der Regel erst bei wiederholten afebrilen Anfällen eingeleitet; zirka 70 Prozent der Epilepsien sind gut behandelbar.
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