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SCHWERPUNKT
Anaphylaxie
Therapie auf der Notfallstation bei systemischer allergischer Reaktion
Die Anaphylaxie ist eine schwerwiegende, potenziell tödlich verlaufende systemische allergische Reaktion. Sie tritt innert Minuten bis wenige Stunden nach Exposition mit dem Allergen auf. Die Anaphylaxie entwickelt sich in der Regel sehr schnell, wenn die ersten allergischen Symptome aufgetreten sind.
Von Daniel Garcia und Alice Köhli
Adrenalin i.m. ist das wichtigste Medikament bei Anaphylaxie
Die Diagnose einer Anaphylaxie erfolgt nach den folgenden klinischen Diagnosekriterien (adaptiert nach Sampson et al. [1]), wobei – in der Regel rasch nach dem Kontakt mit dem Allergen – immer zwei oder mehr Organsysteme betroffen sind: • Haut und/oder Schleimhaut: Urtikaria, Pruritus gene-
ralisiert, Flush, Quincke-Ödem • Atemwege: Stridor, Heiserkeit, Dyspnoe, bellender
Husten, Bronchospasmus oder Hypoxie • Herz-Kreislauf: Hypotonie, Bewusstlosigkeit • Magen-Darm: persistierende kolikartige Bauch-
schmerzen, rezidivierendes Erbrechen. Auch hinter einer plötzlichen Hypotonie rasch nach Exposition mit dem Allergen kann ein anaphylaktischer Schock stecken (1–12 Monate: < 70 mmHg; 1–10 Jahre: < 70 mmHg + 2 x Alter in Jahren; ab 11 Jahre: < 90 mmHg).
Adrenalin
Eine rasche Behandlung ist für den therapeutischen Erfolg entscheidend. Adrenalin ist das Mittel der Wahl. Die weitere Therapiestrategie richtet sich danach, welche Organsysteme in welchem Masse betroffen sind. Andere Medikamente sind zweitrangig beziehungsweise kommen allenfalls für die Behandlung bei nicht gravierenden allergischen Reaktionen infrage. Das Adrenalin wird in der Regel intramuskulär in einer Dosis von 0,01 mg/kg Körpergewicht verabreicht. Diese Dosis kann bei ungenügendem Ansprechen nach 5 bis 10 Minuten wiederholt werden (Abbildung). Auf der Notfallstation sollte das Adrenalin in der Verdünnung 1:10 000 (1 ml = 1 mg Adrenalin, Ampulle mit 9 ml NaCl 0,9%) aufgezogen und verabreicht werden, da der Autoinjektor wesentlich teurer und weniger genau dosierbar ist (nur in 2 Konzentrationen erhältlich: 0,15 mg und 0,3 mg). Die intravenöse Gabe von 0,01 mg/kg Körpergewicht ist bei einem anaphylaktischen Schock angebracht,
das heisst bei persistierender, volumenrefraktärer, symptomatischer arterieller Hypotonie. Falls die oberen Atemwege betroffen sind (inklusive Schwellung intraoral, Stridor, Heiserkeit), kann zusätzlich (nach der i.m.-Gabe) mit vernebeltem Adrenalin (5 mg) behandelt werden.
Steroide und Antihistaminika
Sie dienen bei der Anaphylaxie nur der Symptombehandlung (Pruritus, Urtikaria) und sind keine Notfalltherapie. Nach dem heutigen Wissensstand können diese Substanzen eine Anaphylaxie weder unterbrechen noch verhindern. Steroide scheinen Spätreaktionen zwar vorbeugen zu können, eine Sicherheit besteht hierfür jedoch nicht (s. unten) (3). Allergische Reaktionen (Urtikaria/Angioödem) können nur mit Antihistaminika und eventuell Steroiden behandelt werden: Clemastin (Tavegyl®) i.v. 0,05 mg/kg Körpergewicht, max. 1 Ampulle à 2 mg, Prednisolon (Prednisolut®) i.v. 2 mg/kg Körpergewicht (max. 100 mg).
Bronchodilatatoren
Falls die unteren Atemwege betroffen sind (Bronchospasmus), kann zusätzlich (nach Adrenalin i.m.) mit dem Beta-2-Agonisten Salbutamol (Ventolin®) behandelt werden: 6 Hübe über Vorschaltkammer (nicht bei Hypoxie) oder 20 Tropfen in 2 ml NaCl 0,9 Prozent mit Kompressionsvernebler. Bei fehlendem Ansprechen kann das Salbutamol pur inhaliert werden, das heisst, das Reservoir im Kompressionsvernebler wird vollständig mit Salbutamol (ohne NaCl 0,9%) gefüllt.
Weitere Betreuung
In der Regel werden Patienten nach einer anaphylaktischen Reaktion stationär aufgenommen. Die Gründe hierfür sind der Reboundeffekt nach Adrenalingabe (nach ca. 4 h) und die möglichen biphasischen Reaktionen. Biphasische Reaktionen sind ein erneutes Auf-
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Abbildung: Behandlung bei Anaphylaxie gemäss Schweregrad (vereinfacht nach Muraro A et al. [2])
flammen derselben anaphylaktischen Reaktion. Sie treten zeitlich unabhängig von einer Adrenalingabe auf. Da die biphasischen Reaktionen noch bis 2 bis 3 Tage (!) nach dem Erstereignis auftreten können, bietet eine Hospitalisation aber keine absolute Sicherheit. Vor Entlassung sollten der Patient und die Familie über Anaphylaxie informiert und in der Therapie mit dem Autoinjektor (Epipen®, Jext®, Anapen®) instruiert werden. Mindestens ein Autoinjektor sollte abgegeben beziehungsweise rezeptiert, die zuständigen Betreuer und Lehrer ebenfalls informiert und das Angebot zur Instruktion gemacht werden. Jedes Kind mit einer Anaphylaxie sollte durch einen Spezialisten (Allergologie) beurteilt werden, um den Auslöser zu eruieren und das Risiko einer erneuten allergischen Reaktion zu minimieren. Das Aufgebot zum Spezialisten sollte spätestens mit der Entlassung aus dem Spital eingeleitet werden.
Korrespondenzadresse: Dr. med. Daniel Garcia Notfallstation Dr. med. Alice Köhli Allergologie Universitätskinderspital Zürich Steinwiesstr. 75, 8032 Zürich E-Mail: daniel.garcia@kispi.uzh.ch, alice.koehli@kispi.uzh.ch
Referenzen: 1. Sampson HA, Munoz-Furlong A, Campbell RL, Ad¬kinson NF, Jr., Bock SA, Branum A et al.: Second symposium on the definition and management of anaphylaxis: summary report – Second National Institute of Allergy and Infectious Disease/Food Allergy and Anaphylaxis Network symposium. J Allergy Clin Immunol 2006; 117(2): 391–397. 2. Muraro A, Roberts G, Clark A, Eigenmann PA, Halken S, Lack G et al.: The management of anaphylaxis in childhood: position paper of the European academy of allergology and clinical immunology. Allergy 2007; 62(8): 857–871. 3. Lieberman P et al.: The diagnosis and management of anaphylaxis practice parameter: 2010 Update. J Allergy Clin Immunol 2010; 126: 477-480.
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