Transkript
KONGRESSHEFT
Kampf dem Sonnenbrand
Exzessive UV-Exposition im Kindesalter ist besonders risikoreich
Unter dem Eindruck steigender Hautkrebsinzidenzen ist der Sonnenschutz bei Kindern ein immer drängenderes Thema. Dazu gehört die Auswahl altersgerechter Sonnenschutzmittel ebenso wie das Einhalten der bekannten Verhaltensregeln. Prof. Dr. Ulrike Blume-Peytavi gab am Kongress in Istanbul praktische Tipps.
Die Sonne ist immer da. Auch an bedeckten Tagen dringt 90 Prozent der UV-Strahlung durch die Wolken, und sogar im Schatten herrscht im Sommer immer noch eine 50-prozentige UV-Radiation. Schnee reflektiert die UV-Strahlung zu 80 Prozent. Auch unter Wasser ist man vor dem ultravioletten Licht nicht sicher, denn noch in einer Tiefe von einem Meter herrschen 50 Prozent UV-A- und 75 Prozent UV-B-Strahlung. «Man kann den Effekt der UV-Strahlung nur reduzieren, indem man sich in geschlossenen Räumen aufhält, weil dort nur noch 10 bis 20 Prozent der UV-Menge vorhanden ist», erklärte Prof. Dr. Ulrike Blume-Peytavi von der Charité in Berlin. Während der UV-B-Anteil eher die oberen Hautschichten in 20 bis 100 μm erreicht (Epidermis und Papillodermis), dringt der langwelligere UV-A-Anteil in die tieferen Regionen der Haut, bis zu 5 mm. Es sei keine Frage, dass UV-Licht notwendig für unseren Stoffwechsel ist, so die Berliner Dermatologin, aber 20 Minuten am Tag seien völlig ausreichend: «Die restliche Tagesdosis ist negativ.»
Melanozytische Naevi und maligne Melanome
Das durch zu viel UV-B-Strahlung angerichtete Unheil macht sich akut durch einen Sonnenbrand und längerfristig durch Kollagenschäden und Hautkrebs bemerkbar. Der UV-A-Anteil ist dagegen für Lichtschäden wie die «Mallorca-Akne», Hautalterung, Faltenbildung und Elastizitätsverlust zuständig – sowie für Hautkrebs, denn UV-Strahlung supprimiert die körpereigene Immunabwehr. Die Folgen sind melanozytische Naevi, die sich mit zunehmender UV-Exposition und zunehmendem Alter auch bei Kindern häufen. Aus den Naevi können sich bekanntermassen später maligne Melanome bilden. Besonders gefährdet sind Kinder mit heller Haut, blauen Augen sowie roten oder blonden Haaren. Auch eine genetische Prädisposition beziehungsweise gewisse familiäre dermatologische Voraussetzungen (z.B. Xeroderma pigmentosum) erhöhen das Melanomrisiko. Das Hauptrisiko bleiben jedoch exzessive UV-Expositionen und starke Sonnenbrände in der Kindheit.
Schutzfunktion der
Säuglingshaut ist noch
gering
Heute weiss man, dass vor allem bei
Säuglingen, aber auch bei Kleinkindern
zwischen dem 1. und 3. Lebensjahr
deutlich geringere Melaninmengen in
der Haut vorhanden sind als bei Er-
wachsenen und dass das immunolo-
gisch-dermatologische Abwehrsystem
noch wenig ausgeprägt ist. Auch das
Stratum corneum ist, vor allem im 1. Le-
bensjahr, noch sehr dünn und besitzt
damit eine nur geringe Schutzfunktion. Photosensitive Erkrankungen wie Lu-
Prof. Dr. Ulrike Blume-Peytavi, Charité Berlin
pus erythematodes, polymorphische Lichteruption,
Dermatomyositis, Pemphigus oder Herpes haben so
ein leichteres Spiel. Auch fototoxische Nebenwirkun-
gen, verursacht durch Medikamente, wie zum Beispiel
Doxycyclin oder NSAR, können schon wenige Stun-
den nach der Sonnenexposition auftreten. Vor allem
im ersten Lebenssommer, wenn die fakultative Pig-
mentierung noch schwach ausgeprägt ist, könne die
Sonne bei Kleinkindern persistierende Hautschäden
hervorrufen, so Blume-Peytavi. Sonnenexpositionen
noch vor der Ausbildung der physikalischen und im-
munologischen Schutzbarrieren zögen daher wesent-
lich tiefgreifendere Veränderungen nach sich als Son-
nenexpositionen im fortgeschrittenen Kindesalter.
Was muss eine gute Sonnenschutzcreme für Kinder leisten?
• hohe Sonnenschutzkapazität (sowohl UV-A- als auch UV-B-Schutz) • Wasserresistenz (nach 20 Minuten baden immer noch protektiv, noch besser:
nach viermaliger Wasserexposition immer noch protektiv) • hoher Anteil von Mikropigmenten • keine Haut- oder Augenirritationen • kein Sensitivierungspotenzial • Fotostabilität • leicht zu applizieren und ästhetische Qualitäten
1/12 11
KONGRESSHEFT
Physikalische Fotoprotektion bei den Kleinsten
Es sei zwar eine Binsenwahrheit, aber trotzdem müsse man die Eltern immer wieder darauf hinweisen, ihre Kinder nicht in die pralle Mittagssonne zu lassen, sagte Blume-Peytavi. Auch eine fotoprotektive Kleidung und der Gebrauch von Sonnenhüten und Sonnenbrillen gehören zu solchen Standardmassnahmen. Und natürlich die Sonnenschutzmittel, von denen sich heute unzählige auf dem Markt tummeln. Wichtiges Unterscheidungskriterium ist dabei der Sonnenschutzfaktor. Er ist der Quotient aus minimaler UVDosis, die bei geschützter Haut zu einem Erythem führt, und minimaler Erythemadosis bei ungeschützter Haut. Bei einem Wert von 30 ist also eine relativ hohe UV-Dosis notwendig, bis sich ein Erythem entwickelt. Wichtig bei der Verwendung solcher «Sunblocker» sei die wiederholte und vor allem korrekte Applikation, erklärte Blume-Peytavi. «Sonnenterrassen» wie Nase, Ohren oder Schultern sollten besonders sorgfältig eingecremt werden. Für Kinder unter 2 Jahren seien Produkte zu empfehlen, die auf mechanischer und physikalischer Fotoprotektion basieren. Sie enthalten anorganische Nanopartikel aus Zinkoxid (besserer UV-A-Schutz) oder Titaniumdioxid (besserer UV-B-Schutz), die entweder die Sonne absorbieren oder reflektieren, aber nicht als organische Substanzen in die Haut eindringen. Als Beispiele für
Verhaltenstipps zum Sonnenschutz für Kinder
• stärkste Mittagssonne vermeiden • fotoprotektive Kleidung tragen • Sonnencreme verwenden, unabhängig von Bewölkung und Hauttyp • mindestens Sonnenschutzfaktor 15 verwenden • erste 6 Lebensmonate: Sonnenexposition vermeiden • zwischen 6. und 24. Lebensmonat: physikalische Sonnenschutzcremes • älter als 2 Jahre: Substanzen mit organischen UV-Absorbern • Aufklärung von Eltern und Kindern
solche Produkte, zugelassen für Babys ab 6 Monaten, nannte Blume-Peytavi Contralum ultra®, Lotio cordes®, Lotio alba®, Microsun® oder Avène sun milk® 25. Für Kinder über 2 Jahre können hingegen Sonnenschutzcremes mit organischen UV-Absorbern verwendet werden. Das Beste seien jedoch Produkte, die sowohl physikalische als auch chemische Komponenten in sich vereinigten, so Blume-Peytavi. Da Kinder am Strand gern länger im Wasser bleiben, seien zudem wasserresistente Cremes empfehlenswert. Gleichzeitig sollten sie schnell und einfach zu applizieren sein. Produkte, die solche Eigenschaften vereinigen und für Kinder von über 2 Jahren in Deutschland zugelassen sind, seien zum Beispiel Avène Sun cream®, Roche Posay® Anthelios, Eucerin sunscreen®, Daylong® sowie weitere Präparate (in der Schweiz zum Beispiel Louis Widmer Kids Hautschutz Creme 25).
Immer noch zu viele Sonnenbrände
Trotz aller Tipps und Vorsichtsmassnahmen bleibt der Sonnenschutz für Kinder heute immer noch unzureichend, meinte Blume-Peytavi. Laut einer US-Studie liegt die jährliche Sonnenbrandinzidenz bei Kindern immer noch bei 29 bis 83 Prozent. So kommen an einem sonnigen Wochenende 7 bis 13 Prozent der Kinder mit einem Sonnenbrand nach Hause. Während der Sonnenschutz bei Kleinkindern durch die Wachsamkeit der Eltern oft noch gut funktioniere, nimmt die Sonnenbrandhäufigkeit bei älteren Kindern deutlich zu. Unter britischen Schülern wurde eine Sonnenbrandinzidenz von 40 Prozent festgestellt, weswegen auch Schulen und Lehrer mit in das Aufklärungsprogramm einbezogen werden sollten. In vielen Ländern der Erde (z.B. Australien) werden heute für alle Altersgruppen umfangreiche Sonnenschutzprogramme angeboten. Massnahmen, die im Angesicht der steigenden Hautkrebszahlen nicht übertrieben erscheinen.
Klaus Duffner
Quelle: Vortrag von Dr. Ulrike Blume-Peytavi am Kongress «Excellence in Paediatrics» in Istanbul, 30. November bis 3. Dezember 2011; Foto Klaus Duffner.
12 1/12