Transkript
Schwerpunkt
Vergleich pädiatrischer Dosierungsempfehlungen aus verschiedenen Quellen
Mélanie Grafa, Stefan Krähenbühlb, Hans Stötterc
Dosierungsempfehlungen in der Pädiatrie sind weltweit unterschiedlich. Entsprechend finden sich je nach bevorzugter Quelle auch Unterschiede zwischen Schweizer Spitälern. Ein grosser Teil dieser Differenzen fand sich bei Arzneimitteln, zu denen in der behördlich genehmigten Arzneimittelinformation keine Angaben zu pädiatrischen Dosierungen vorlagen. Aber auch wenn Dosierungsempfehlungen in der Arzneimittelinformation vorhanden waren, fanden sich nicht selten Abweichungen in den Spitallisten sowie Abweichungen der Spitäler untereinander. Um diese Situation zu verbessern, wurde eine Arbeitsgruppe «Pädiatrie» der Gesellschaft Schweizerischer Amts- und Spitalapotheker GSASA gegründet, in der Unterschiede in der Dosierung von Antibiotika in einer Zusammenarbeit zwischen Bern und Zürich bearbeitet wurden. Ziel einer aktuellen Masterarbeit war es, die übrigen Fachbereiche und Spitäler mit zu erfassen.
N eben Dosierungsempfehlungen in der von der Behörde genehmigten Fachinformation (Arzneimittel-Kompendium) kann man Dosierungsempfehlungen für pädiatrische Indikationen in verschiedenen Nachschlagewerken finden, wie beispielsweise dem Berner Datenbuch der Pädiatrie (1), dem British National Formulary Drug Doses (UK) (2), Shann Drug Doses (Australien) (3), NeoFax (4), Harriet Lane Handbook (5) und Micromedex (6). Die Dosierungsempfeh-
aDepartement Pharmazeutische Wissenschaften, Universität Basel bKantonsspital Basel, Abt. für Klinische Pharmakologie cSchweizerisches Heilmittelinstitut, Bern
lungen dieser Quellen sind nicht behördlich überprüft. Sie sind zudem von unterschiedlicher Aktualität und weichen sowohl in den Angaben für verschiedene Altersgruppen als auch den unteren Altersgrenzen voneinander ab. Verschiedene Spitäler haben in den letzten Jahren eigene Dosierungslisten erstellt, die teilweise elektronisch verfügbar sind.
Methoden
In einer aktuellen Masterarbeit von 2009 (7) wurden die Dosierungsempfehlungen der Schweizer Fachinformation mit den Dosierungsempfehlungen der Schweizer Spitäler verglichen. Es wurde zunächst in den Spitälern telefonisch nachgefragt, ob
sie eigene pädiatrische Dosierungsempfehlungen führen. Insgesamt wurden acht Listen eingeschickt, die für einen Vergleich mit der Schweizer Fachinformation herangezogen werden konnten. Nach Angaben der übrigen Spitäler sind dort keine eigenen Listen vorhanden, viele orientieren sich nach dem Berner Datenbuch. Weiterhin wurde das Berner Datenbuch in der Arbeit zum Vergleich herangezogen. Die Daten sind somit weitgehend repräsentativ. Der Fokus wurde auf verschreibungspflichtige Arzneimittel gelegt. Der Vergleich erstreckte sich über folgende ATC-Gruppen: alimentäres System und Stoffwechsel (ATC-A), Blut und blutbildende Organe (ATC-B), kardiovaskuläres System (ATC-C), antineoplastische und immunmodulierende Mittel (ATC-L), Muskel- und Skelettsystem (ATC-M), Nervensystem (ATC-N), antiparasitäre Mittel, Insektizide und Repellenzien (ATC-P), Respirationstrakt (ATC-R) und Varia (ATC-V). Aus Tabelle 1 sind die gewählten Vergleichskriterien ersichtlich.
Ergebnisse
Die in den Spitälern vorhandenen Listen unterschieden sich hinsichtlich des Umfangs der Daten; nicht alle ATC-Gruppen waren gleichermassen repräsentiert. Erwartungsgemäss und notwendigerweise fanden sich in den Spitallisten Dosierungsempfehlungen für Altersgruppen, bei welchen in der behördlich genehmigten Fachinformation keine entsprechenden Hinweise enthalten waren (Abbildung). Dies betraf insbesondere die Altersgruppen Neugeborene und Kleinkinder. Andererseits fehlten in den Listen bereits für die pädiatrische Anwendung
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zugelassene Arzneimittel neueren Datums. Dies erklärt sich zum Teil daraus, dass die Listen unterschiedlichen Datums waren und die Information, dass ein Arzneimittel für eine pädiatrische Altersgruppe zugelassen ist, mit Verzögerung umgesetzt wird.
Insbesondere bei Anwendungen ausserhalb der in der Arzneimittelinformation empfohlenen Altersgruppen, aber auch bei Dosierungsempfehlungen in Anwendungen gemäss Fachinformation zeigten sich Unterschiede zur behördlich genehmigten Dosierungsempfehlung. Weiter-
Tabelle 1: Differenz 0 1 2 3 4 5 6 7 8
Bedeutung Kein Unterschied oder ohne klinische Relevanz Andere Altersgruppeneinteilung Anderes Dosierungsintervall Höhere Dosis im Kompendium Tiefere Dosis im Kompendium Dosis kann mit der galenischen Form nicht abgedeckt werden Keine pädiatrischen Angaben im Kompendium Für Kinder nicht zugelassen oder ab einem gewissen Alter zugelassen Nicht zugelassene Indikation
Tabelle 2:
Beispiele verschiedener Dosierungsempfehlungen
Präparat Amikin® Injektionslösung
Claforan® i.v Urodin® Tropfen
Dafalgan® Sirup Axotide® Dosieraerosol
Pulmicort® Dosieraerosol Sandimmun® Infusion
Wirkstoff
Dosierungsempfehlung
Amikacin
Cefotaxim Nitrofurantoin Paracetamol Fluticason-Propionat Budesonid Ciclosporin
FI: NG 7,5 mg/kg/12 h (15 mg/kg/Tag) SL 1: < 30 Wochen 7,5 mg/kg/24 h; > 30 Wochen 10 mg/kg/24 h; > 35 Wochen und < 7 Tage alt 15 mg/kg/24 h; >7 Tage 22,5 mg/kg/24 h SL 2: 15–22,5 mg/kg/Tag SL 4: 5–7,5 mg/kg/8 h SL 5: 15–22,5 mg/kg/Tag SL 6: 5–7 mg/kg/8 h SL 7: 20 mg/kg/Tag FI: NG < 7 Tage 50 mg/kg/24 h, > 7 Tage 75 mg/kg/24 h SL 1: NG < 7 Tage: 50 mg/kg/12 h, > 7 Tage 50 mg/kg/8 h SL 5: 100–200 mg/kg/Tag FI: 5 mg/kg/Tag SL 1: 5–7 mg/kg/Tag SL 3: 1–3 mg/kg/Tag SL 5: 5–7 mg/kg/Tag SL 6: 1–2 mg/kg/Tag FI: MTD 70 mg/kg/Tag SL: MTD 100 mg/kg/Tag FI: ab 1 Jahr 100 µg zweimal täglich SL 1: keine Altersangabe, 100 µg zweimal täglich SL 3: ab 1 Jahr 125 µg zweimal täglich SL 4: keine Altersangabe, 100–250 µg zweimal täglich SL 6: keine Altersangabe, 50–250 µg zweimal täglich FI: ab 2 Jahren 200 µg zweimal täglich SL 1: keine Altersangabe, 100–400 µg zweimal täglich SL 4: keine Altersangabe, 200–400 µg zweimal täglich FI: ab 1 Jahr 3–5 mg/kg/Tag SL 1: keine Altersangabe, 1–5 mg/kg/Tag SL 3: keine Altersangabe, 2,5 mg/kg/Tag SL 4: keine Altersangabe, 1–2 mg/kg/Tag
Legende: FI: Fachinformation; SL: Spitalliste
hin gab es Unterschiede in den Empfehlungen zwischen den einzelnen Spitälern. So fanden sich in der therapeutischen Gruppe Antiinfektiva verschiedentlich höhere Dosierungen als in der Fachinformation, manchmal wurden aber auch tiefere Dosierungen angegeben. Bei Antibiotika fanden sich häufig Dosierungsempfehlungen unterhalb der zugelassenen Altersgrenze von einem Monat. Unterschiede liessen sich in allen therapeutischen Gebieten feststellen, mit doppelt so hohen oder um die Hälfte niedrigeren Dosierungen. Unterschiedlich waren auch die Einnahmeempfehlungen pro Tag (BID oder TID); zudem fanden sich andere Maximaldosen, teilweise wurden auch die Altersgruppen unterschiedlich aufgeteilt, da vermutlich das Risiko unterschiedlich beurteilt wurde. Einzelne Beispiele sind in Tabelle 2 aufgelistet. Ob diese Unterschiede gravierend sind, müsste durch Experten des jeweiligen Fachgebiets beurteilt werden. Es herrscht jedoch allgemeiner Konsens, dass diese Situation verbessert werden sollte. Betrachtet man beispielsweise die Dosierungsempfehlung für Dafalgan Sirup, würde ein Jugendlicher oder ein Kind über 40 kg eine Tagesdosis von mehr als 4 g Paracetamol erhalten können. Derzeit besteht grosses Interesse, die Dosierungsempfehlungen zu vereinheitlichen. Als Ausdruck dieses Interesses kann gewertet werden, dass diese Dosierungslisten problemlos und in kurzer Frist von den Spitälern zur Verfügung gestellt wurden. Entsprechende Aktivitäten sind in der Schweiz schon gestartet. So wurde in der Diplomarbeit von Barbara Wohlwend, Bern (8), die Gruppe der Antibiotika analysiert und in Zusammenarbeit mit den Fachexperten der jeweiligen Kliniken eine gemeinsame pädiatrische Dosierungsliste für die Kinderspitäler von Bern und Zürich erarbeitet, wobei Dosierungen bei Neugeborenen noch ausgespart wurden (persönliche Mitteilung B. Wohlwend). Weiterhin wurde eine Arbeitsgruppe «Pädiatrie» der Gesellschaft Schweizerischer Amtsund Spitalapotheker (GSASA) gegründet, die sich speziell diesem Problem widmen will (P. Vonbach, persönliche Mitteilungen) (9).
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Abbildung: Dosierungsempfehlungen bei Arzneimitteln, die nur für Erwachsene zugelassen sind.
Es wäre wünschenswert, wenn das Beispiel der Antibiotika auch auf pädiatrische Dosierungsempfehlungen anderer therapeutischer ATC-Gruppen ausgedehnt werden könnte. Idealziel wäre eine schweizweite Harmonisierung der Dosie-
rungsempfehlungen der Spitäler und Abstimmung mit dem Berner Datenbuch sowie der behördlich genehmigten Fachinformation. Dies ist natürlich nicht leicht zu realisieren. Wie schon das Beispiel Antibiotika bei Neugeborenen zeigt, ist es kaum möglich, ohne klare Studiendaten einen Konsens zu erzielen. In anderen Bereichen kommen noch die im Vergleich zu Erwachsenen oft unterschiedlichen Krankheitsbilder dazu. Verlässliche Dosierungsempfehlungen sind daher prinzipiell nur durch eindeutige Daten aus klinischen Studien zur Sicherheit und Wirksamkeit des Arzneimittels bei Kindern der jeweiligen Altersgruppen zu erhalten.
Korrespondenzadresse: Dr. med. Hans Stötter, Swissmedic Schweizerisches Heilmittelinstitut Hallerstrasse 7, 3000 Bern 9 Tel. 031-322 02 11 E-Mail: hans.stoetter@swissmedic.ch
Literatur: 1. Kraemer R, Schöni MH. 2007. Berner Datenbuch Pädiatrie, 7. vollständig überarbeitete Auflage. Hans Huber Verlag, Bern. 2. Royal Pharmaceutical Society of Great Britain, 2008. British National Formulary. BMJ Groups, London. 3. Shann F. 2005. Drug doses, 13th Edition. Collective Pty Ldt, Melbourne. 4. Young TE, Mangum B. 2008. NeoFax, 21th Edition. Thomson Healthcare. 5. Custe JW, Rau R, Lee C. 2008. The Harriet Lane handbook: a manual for pediatric house officers. 18th Edition. Mosby. 6. www.micromedex.com/products/drugdex/ 7. Graf Mélanie. 2009. Masterarbeit: Arzneimittelsicherheit in der Pädiatrie. Swissmedic, Bern. 8. Wohlwend B. 2009. Diplomarbeit: Ist eine Harmonisierung von pädiatrischen Dosierungsempfehlungen in der Schweiz möglich? Inselspital, Bern. 9. www.swiss-chem-soc.ch/downloads/jb2008.pdf