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Rezepturherstellungen für die pädiatrische Anwendung
Arzneimittel für Erwachsene sind meistens aufgrund ihres hohen Wirkstoffgehalts und der Arzneiform nicht für Kinder geeignet. Rezepturherstellungen sind daher in der pädiatrischen Behandlung unentbehrlich. Auch in der Schweiz werden in den Spitälern viele Rezepturherstellungen abgegeben. Die Anzahl von Rezepturen, die dazu verwendet werden, ist gross. Die Entwicklung und internationale gegenseitige Anerkennung von Präparatemonografien der wichtigsten Arzneimittel für Kinder wäre daher von grossem Nutzen. Aufnahmekriterium für die Pharmakopöe ist aber etablierte Sicherheit und Wirksamkeit.
aPharmacie HNVB, Yverdon-les-Bains bKantonsspital Basel, Abteilung für Klinische Pharmakologie cSchweizerisches Heilmittelinstitut, Bern
Bettina Gassera, Stefan Krähenbühlb, Jutta Riedlc, Hans Stötterc
Gegenwärtige Situation in der Pädiatrie
Sichere und wirksame Pharmakotherapie in der Pädiatrie erfordert die Verfügbarkeit adäquat geprüfter Arzneimittel für verschiedene Altersgruppen. Aufgrund fehlender klinischer Studien bei Kindern werden aber viele Arzneimittel in der Pädiatrie ausserhalb der zugelassenen Dosierungsempfehlung oder Indikationen eingesetzt (Off-Label-Anwendung). Folge der Off-Label-Anwendung von Arzneimitteln ist, dass adäquate galenische Formen für Kinder nicht entwickelt werden. Gerade kleine Kinder haben Mühe die gängigen Arzneimittel für Erwachsene wie Tabletten und Kapseln zu schlucken. Wie gefährlich die Abgabe einer ungeeigneten Darreichungsform in der Pädiatrie ist, zeigt das Beispiel der Behandlung von Kindern in Äthiopien mit dem Anthelminthikum Albendazol®. Beim Schlucken von Albendazol erstickten vier Kinder unter drei Jahren an der für sie zu grossen Albendazol®-Tablette (1).
Pädiatrische Rezepturen
Die rezepturmässige Herstellung für Kinder ist in vielen Fällen unvermeidlich. Häufig werden Tabletten pulverisiert und in Kapseln mit der gewünschten Dosisstärke abgefüllt oder es werden aus Kapseln für Erwachsene entsprechende Kinderdosisstärken hergestellt. Durch Zusatz geeigneter Hilfsstoffe können auch perorale flüssige Formulierungen angefertigt werden. Die Manipulation von Arzneimitteln beinhaltet ein gewisses Risiko. Oftmals
sind die Stabilitäten von Rezepturen nicht überprüft und die Bioverfügbarkeit nicht untersucht worden. Dosierungsschwankungen, bedingt durch eine nicht sachgerechte Manipulation fester Arzneiformen oder Inkompatibilität der verwendeten Hilfsstoffe, können zu einer unwirksamen Behandlung infolge Unterdosierung oder zu unerwünschten Arzneimittelwirkungen infolge Überdosierung führen (2).
Rezepturherstellungen für Kinder in der Schweiz
Stichprobenartig wurde in einer im Jahr 2008 durchgeführten Masterarbeit (3) der Bedarf an pädiatrischen Rezepturherstellungen in Schweizer Spitälern erfasst. In Zusammenarbeit mit dem europaweiten Projekt «Extemporaneous Preparations in Hospital Pharmacy across Europe» der Universität London (4) wurden Fragebögen an die Spitalapotheken verschickt, um die im Jahr 2006 hergestellten peroralen Zubereitungen für Kinder und die Mengen der jeweiligen Wirkstoffe, Dosisstärken, galenischen Formen sowie verwendeten Rezepturen zu ermitteln.
Hoher Bedarf an Rezepturherstellungen
Die Umfrage zeigte, dass in grossem Masse Rezepturherstellungen für altersentsprechende Dosisstärken und galenische Formen durchgeführt werden. Der grösste Bedarf an Rezepturherstellungen findet sich in der therapeutischen Gruppe C: kardiovaskuläres System. 4 der 10 Wirkstoffe, aus denen häufig Zubereitungen angefertigt werden, sind Antihypertensiva (Tabelle 1). Wenn auch die Um-
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Tabelle 1:
Die 10 häufigsten Rezepturherstellungen
Wirkstoff
Galenische Form
Captopril
Kapsel
Lösung
Hydrochlorothiazid Kapsel
Suspension
Hydrocortison
Kapsel
Midazolam Lösung/Sirup/Tropfen
Morphin
Lösung/Tropfen
Omeprazol
Lösung/Suspension
Phenobarbital
Kapsel
Lösung/Sirup/Suspension
Propranolol
Kapsel
Sildenafil
Kapsel
Spironolacton
Kapsel
Lösung/Suspension
Dosierungsstärke (Anzahl)
0,1–7,5 mg (mind. 8) 1 mg/ml (1)
1–8 mg (mind. 5) 5 mg/ml (1)
0,3–5 mg (mind. 8) 2/5 mg/ml (2) 0,01–4% (6) 2 mg/ml (1)
0,05–30 mg (mind. 11) 0,1/2/10 mg/ml (3) 1–8 mg (mind. 7) 0,5–20 mg (mind. 7)
0,25–7,25 mg (mind. 7) 5 mg/ml (1)
Hergestellte Menge/Jahr 37085 Stk.
8,48 l 9530 Stk.
11,4 l 10 820 Stk.
17,58 l 85,59 l 91,69 l 3985 Stk. 5,92 l 9040 Stk. 6560 Stk. 2410 Stk. 12,65 l
Anzahl Apotheken
6 2 6 4 7 4 6 4 8 4 6 7 7 5
Tabelle 2:
Verwendete Rezepturen
Wirkstoff
Captopril
Hydrochlorothiazid
Hydrocortison Midazolam Morphin Omeprazol Phenobarbital
Propranolol Sildenafil Spironolacton
Galenische Form
Kapsel Lösung Kapsel Suspension Kapsel Lösung/Sirup/Tropfen Lösung/Tropfen Lösung/Suspension Kapsel Lösung/Sirup/ Suspension Kapsel Kapsel Kapsel Lösung/Suspension
Verwendete Rezepturen Neues RezepturFormularium
– – – –
1 – – –
– – – –
Formularium Helveticum
– – – –
– 4 – –
– – – –
eigene
7 2 5 4 6 5 2 4 8 4
5 6 4 5
Kapseln angefertigt, während in der französischsprachigen Schweiz flüssige Formulierungen die häufigste Arzneiform darstellen. Die Anzahl von den in Apotheken zubereiteten Kapselstärken ist gross. Dies liegt daran, dass vielfach eine Dosisstärke allein nicht zur Behandlung aller Altersgruppen geeignet ist. Bei flüssigen Formulierungen besteht dieses Problem nicht. Probleme sind hier schlechter Geschmack und geringe Haltbarkeit. Stabile flüssige Formulierungen benötigen, verglichen mit festen Arzneiformen, oft mehr Hilfsstoffe (2). Die Wahl geeigneter Hilfsstoffe muss bei der Anfertigung pädiatrischer Zubereitungen besonders beachtet werden, denn Hilfsstoffe, die für Erwachsene problemlos geeignet sind, können für Kinder teilweise nur eingeschränkt verwendet werden. Dieser Tatsache müssen die Apotheker unter anderem bei der Herstellung flüssiger Formulierungen von Morphin hinsichtlich der Zugabe der Konservierungsstoffe Rechnung tragen. Benzylalkohol beispielsweise kann bei Neugeborenen aufgrund des unreifen Metabolismus toxisch wirken (7). In den Apotheken werden oftmals die Produkte Ora-Sweet® und Ora-Plus® eingesetzt. Diese aus mehreren Hilfsstoffen bestehenden, kommerziell erhältlichen Suspensionsvehikel vereinfachen die Herstellung einer Suspension. Aufgrund der Inhaltsstoffe, wie Methylparaben, das allergische Reaktionen auslösen, und Sorbitol, das zu osmotischer Diarrhö führen kann, ist eine unkontrollierte Verwendung jedoch bedenklich (8).
Verwendete Rezepturen
frage hier nicht differenzierte, kann doch davon ausgegangen werden, dass ein Grossteil der Rezepturherstellungen für die pädiatrische Anwendung verwendet wurde. Für Erwachsene stehen ja adäquate Dosisstärken zur Verfügung. Für die Behandlung der arteriellen Hypertonie in der Pädiatrie existiert nur eine limitierte Anzahl entsprechender Studien (5); insgesamt sind für die Anwendung in der Pädiatrie Daten zu Sicherheit und Wirksamkeit von Medikamenten für kardiovaskuläre Erkrankungen begrenzt vorhanden.
Die rezepturmässige Herstellung für Kinder beschränkt sich nicht auf die Schweiz, sondern ist in ganz Europa verbreitet. 8 der 10 Wirkstoffe, die in Schweizer Spitalapotheken besonders häufig für kindgerechte Arzneiformulierungen verwendet werden, finden sich auch unter den 20 Wirkstoffen, aus denen europaweit am häufigsten Produkte als Rezepturen hergestellt werden (6). Je nach Land werden unterschiedliche Darreichungsformen bevorzugt zubereitet (7). In der Schweiz werden im deutschsprachigen Raum überwiegend
Die Anzahl etablierter Rezepturen für viel verwendete Herstellungen ist gering (Tabelle 2). Vorwiegend werden publizierte Informationen zur Herstellung zusammengetragen und eigene Rezepturen entwickelt. Verständlicherweise ist daher die Vielfalt an Rezepturen in der Schweiz, aber auch in ganz Europa gross (5, 9). Es ist zu betonen, dass in der Schweiz Rezepturen den GMP-Richtlinien für Arzneimittel in kleinen Mengen unterliegen und sie somit definierten Qualitätsanforderungen genügen müssen (10).
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Es wäre wünschenswert, wenn die Herstellung in den Spitalapotheken einheitlich erfolgen würde. Die Eintragung von Präparatemonografien in das Schweizer Arzneibuch, zumindest für die am häufigsten angefertigten Formulierungen, könnte hier Verbesserungen bringen. Hier besteht das Problem, dass Präparate ohne Sicherheits- und Wirksamkeitsnachweis den Aufnahmekriterien in die Pharmakopöe nicht entsprechen. Somit ist auch hier ein Nachweis der Wirksamkeit und Sicherheit (durch klinische Studien) erforderlich.
Korrespondenzadresse: Dr. med. Hans Stötter, Swissmedic Schweizerisches Heilmittelinstitut Hallerstrasse 7, 3000 Bern 9 Tel. 031-322 02 11 E-Mail: hans.stoetter@swissmedic.ch
Literatur: 1. World Health Organization, 2007. Promoting safety of medicines for children. 2. Standing, J F, Tuleu, C; Paediatric Formulations – Getting to the heart of the problem. International Journal of Pharmaceutics 2005; 300: 56–66. 3. Gasser, B, 2008. Masterarbeit: Arzneimittelsicherheit in der Pädiatrie. Swissmedic, Bern. 4. Carvalho, M, Tuleu, C, Taylor, KMG; Current compounding practice in Europe. Int. J. Pharm. Compound 2008; 12 (2): 8–13. 5. Cachat, F, Di Paolo, E, Sekarski, N; Behandlung der arteriellen Hypertonie im Kindesalter: Aktuelle Empfehlungen. Paediatrica 2004; 15: 35–43. 6. Brion, F, Nunn, AJ, Rieutord, A; Extemporaneous (magistral) preparation of oral medicines for children in European hospitals. Acta Paediatr 2003; 92: 486–490. 7. Reflection Paper: Formulations of choice for the paediatric population (EMEA/CHMP/PEG/194810/ 2005) 8. Barnscheid, L, 2007. Doktorarbeit: Kindgerechte Arzneizubereitungen mit diuretischen Wirkstoffen. Institut für Pharmazeutische Technologie und Biopharmazie der Heinrich-Heine-Universität Düsseldorf. 9. Fontan, J E, Combeau, D, Brion, F et le Groupe pédiatrique de la Société française de pharmacie clinique. Les préparations pédiatriques dans les hôpitaux français. Arch Pédiatr 2000; 7: 825–832. 10. Swissmedic, 2006. Pharmacopoea Helvetica, zehnte Ausgabe. Kapitel 20.1 und 21.1
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