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Pneumologie
Kardiopulmonale Reanimation – Update 2008
Neue Empfehlungen nach aktuellen Guidelines
Die meisten Menschen, die
Von Dr. med. Richard Eyermann
einen plötzlichen Herzstillstand erleiden, überstehen dieses oft rhythmologisch bedingte akute Ereignis nicht. Es sei denn, es werden umgehend Rettungsmassnahmen ergriffen, wie die Herz-Lungen-Massage und/oder der Einsatz eines externen Defibrillators. Allerdings ist den meisten Menschen die korrekte Durchführung der kardiopulmonalen Reanimation nicht vertraut. Ziel der aktuellen, überarbeiteten Leitlinien zur kardiopulmonalen Reanimation ist es, deutlich mehr Menschenleben durch effektivere Erste Hilfe zu retten. Dazu muss das Vorgehen im Erwachsenen- und im Kindesalter so weit wie möglich vereinheitlicht und vereinfacht werden. Komplizierte und damit schwer vermittelbare Empfehlungen beeinträchtigen nachweislich den Erfolg der Reanimationsmassnahmen.
D ie aktuell gültigen Guidelines wurden zeitgleich am 28. November 2005 in Europa und in den USA veröffentlicht. Die in «Resuscitation» und «Circulation» publizierten Dokumente enthalten wichtige und teilweise massive Änderungen für die Reanimation sowohl durch medizinische Laien als auch durch professionelle Helfer (Tabelle 1 und 2).
Reanimation im Kindesalter (gilt bis zur Pubertät)
Das International Liaison Committee On Resuscitation (ILCOR) hat im November 2005 den «2005 International Consensus on Cardiopulmonary Resuscitation and Emergency Cardiovascular Care Science with Treatment Recommendations» (CoSTR) veröffentlicht. Diese international bewerteten und konsentierten wissenschaftlichen Daten und Erkenntnisse zur Reanimation dienen als Grundlage für nationale Leitlinien und Empfehlungen. Die Leitlinien der American Heart Association (AHA) und des European Resuscitation Council (ERC) weichen nur unwesentlich voneinander ab. Im Kindesalter werden grob unterschieden: Neugeborene, Säuglinge und Kinder. Der Nothilfe leistende Helfer soll sich dabei auf seine Einschätzung des jeweiligen Alters verlassen. Die Empfehlungen für die Reanimationsmassnahmen bei Kindern sind bis auf einige Ausnahmen mit denen bei Erwachsenen identisch. Dabei gilt der empfohlene Universalalgorithmus der kardiopulmonalen Reanimation für Erwachsene, der Adult Basic Life Support und der Adult Advanced Cardiac Life Support, neu jetzt ab dem Pubertätsalter, das heisst, das Kin-
Abbildung: Erste Hilfe geht jeden an und sollte und kann von klein auf erlernt werden. Dabei sind Kinder oft eifriger und couragierter als viele Erwachsene.
desalter endet nach den neuen Reanimationsempfehlungen mit der Pubertät. Aufgrund respiratorischer Störungen muss bei Kindern häufiger eine Reanimation erfolgen – Ausgangslage und Prognose können dabei oft schlechter sein als bei Erwachsenen.
Regeln für lebensrettende Basismassnahmen:
Bei Patienten bis zur Pubertät soll zuerst über zwei Minuten reanimiert werden und dann erst Hilfe geholt werden (Call late), bei älteren Patienten wird dagegen sofort Hilfe geholt (Call fast). Die Reanimation durch Herzdruckmassage (HDM) muss auf fester Unterlage erfolgen. Die Beatmung ist nur effektiv, wenn sich der Thorax hebt. Bei der Palpation des Pulses darf nicht viel Zeit verloren gehen (Regel: < 10 s). Bei blockierten Atemwegen gelten
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Tabelle 1: Paediatric Basic Life Support
• 5 initiale Beatmungen bei kindlichem Kreislaufstillstand oder bewusstlosem Kind nach Fremdkörperaspiration; danach sofort Thoraxkompression und Beatmung ohne Pulskontrolle.
• Thoraxkompression: Säuglinge «2-FingerTechnik» (Einzelhelfer von der Seite) oder umgreifende «2-Daumen-Technik» (bei zwei oder mehr Helfern). Kinder > 1 Jahr nach Bedarf «1- oder 2-Hände-Technik»
• Kompressions-Beatmungs-Verhältnis: Laienhelfer 30:2 Professionelle Helfer 15:2
• Kompressionsfrequenz 100/min • Ausnahme: Neugeborenes 3:1
spezifische Massnahmen, die nachfolgend zusammengefasst sind.
Massnahmen bei blockierten Atemwegen 1. Inspektion des Mundraumes, sichtbare
Fremdkörper entfernen 2. Überstreckung überprüfen, Unterkie-
fer vorschieben 3. Fünf Schläge mit dem Handballen auf
den Rücken (möglichst in Kopftieflage, Gesicht nach unten) 4. Fünf abrupte Thoraxkompressionen oder fünf Druckstösse auf das Epigastrium bei Patienten > 1 Jahr (sog. Heimlich-Handgriff nicht unumstritten, da mit Verletzungsrisiko assoziiert; Anwendung nur bei Erfolglosigkeit der übrigen Massnahmen, nicht aber im 1. Lebensjahr) 5. Nach Massnahmen 3. und 4. jeweils Mundraum kontrollieren, sichtbare Fremdkörper entfernen.
Regeln für die erweiterten lebensrettenden Massnahmen:
Eine gute Beatmung mit Beutel und Maske kann sinnvoller sein als eine langwierige, fehlerhafte Intubation. Unterbrechung der HDM für Intubation nicht länger als 30 Sekunden. Wenn ein venöser Zugang nicht in 2 bis 3 Minuten erzielt werden kann, ist ein intraossärer Zugang indiziert. Die Flüssigkeitszufuhr sollte in der Regel mit isotoner Kochsalzlösung oder Ringer-Laktat durchgeführt werden. 5prozentige Glukoselösungen haben keinen ausreichenden volumenexpan-
dierenden Effekt, können ein Hirnödem verursachen und zu einer Hyperglykämie führen, die die Prognose des Patienten verschlechtern. Nur eine nachgewiesene Hypoglykämie sollte mit 2 bis 4 ml/kg 20-prozentige Glukoselösung therapiert werden.
Wesentliche Änderungen beim Paediatric Life Support (Paediatric Basic Life Support, Paediatric Advanced Life Support, Neonatal Life Support)
Lebensrettende Basismassnahmen (Paediatric Basic Life Support) Laienhelfer oder ein einzelner professioneller Helfer, die einen kindlichen Kreislaufstillstand beobachten oder zu diesem hinzukommen, sollen die Basisreanimation mit Thoraxkompressionen und Beatmungen in einem Verhältnis von 30:2 (wie bei Erwachsenen) durchführen. Sind zwei oder mehr professionelle Helfer zur Stelle, können Thoraxkompressionen und Beatmungen in einem anderen Verhältnis, nämlich von 15:2, durchgeführt werden. Die Reanimation sollte jeweils mit fünf Beatmungen begonnen werden, dann fährt man mit der Basisreanimation im jeweiligen Verhältnis Kompression zu Beatmung von 30:2 oder 15:2 fort (siehe oben). Bei Säuglingen unter 1 Jahr soll die Technik der Thoraxkompression wie bis anhin beibehalten werden, das heisst also die «2-Finger-Technik» für einen einzelnen Helfer von der Seite beziehungsweise die umgreifende «2-DaumenTechnik» mit Umfassen des Thorax, wenn zwei oder mehr Helfer verfügbar sind. Erst bei älteren Kindern (> 1 Jahr) ist je nach Gegebenheit die «1- oder 2-Hände-Technik» anzuwenden. Automatische externe Defibrillatoren (AED) können erst bei Kindern ab einem Alter von über 1 Jahr eingesetzt werden. Gemäss neuer Empfehlung sollte auch beim bewusstlosen Kind nach Fremdkörperaspiration ein Versuch mit fünf Beatmungen erfolgen. Bleibt dies ohne Reaktion, soll danach sofort, also ohne Überprüfung des Kreislaufs durch Pulskontrolle, mit der Basisreanimation (Kompression zu Beatmung 15:2 beziehungsweise 30:2) begonnen werden.
Erweiterte lebensrettende Massnahmen (Paediatric Advanced Life Support)
In bestimmten klinischen Situationen kann für das Airway Management ein Endotrachealtubus mit Cuff sinnvoll sein. Eine akzeptable Alternative und einen guten initialen Atemweg für Reanimationen stellt für den erfahrenen Anwender die Larynxmaske dar. Das ideale Beatmungsvolumen/Tidalvolumen sollte zu einer mässigen Hebung des Thorax führen. Hyperventilationen während des Kreislaufstillstandes sind gefährlich. Der Einsatz von Adrenalin ist bei Asystolie und pulsloser elektrischer Aktivität (PEA) sinnvoll. Adrenalin sollte dabei intravenös oder intraossär in einer Dosis von 10 μg/kg Körpergewicht (KG) gegeben und dies, wenn indiziert, alle 3 bis 5 Minuten wiederholt werden. Sollte zunächst kein geeigneter Zugang vorhanden sein, kann beim intubierten Kind im Notfall auch über den Tubus Adrenalin verabreicht werden, dann jedoch in 10fach höherer Dosierung (100 μg/kg KG), so lange, bis ein suffizienter intravenöser oder intraossärer Zugang gelegt werden konnte. Bei Einsatz eines manuellen Defibrillators sollte die Energie 4 J/kg KG biphasisch und monophasisch für die erste und alle weiteren Schockabgaben betragen. Kammerflimmern (VF) und pulslose Kammertachykardie (VT) sollen zunächst mit nur einem einzigen Schock angegangen werden. Sofort danach sind die Basisreanimationsmassnahmen (d.h. Kompressionen zu Beatmungen im Ver-
Tabelle 2:
Paediatric Advanced Life Support
• Larynxmaske guter initialer Atemweg für erfahrene Anwender
• Gecuffte Tuben auch < 8 Jahre (Cuffdruck < 20 cm H2O)
• Ideales Tidalvolumen = mässige Thoraxexkursion. Cave Hyperventilation!
• Intubiertes Kind: 10 bis 12 Beatmungen/min ohne Unterbrechung der Thoraxkompressionen
• Adrenalin i.v. oder i.o. 10 µg/kg KG; nur im Notfall endobronchial via Tubus, dann aber 10-fache Dosis (100 µg/kg KG)
• AED einsetzbar erst ab > 1 Jahr • Single-Shock-Strategy von 4 J/kg KG
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Tabelle 3: Newborn Life Support
• Initiale Beatmungen: 2 bis 3 s Inspirationszeit
• 30 bis 60 Beatmungen/min • Ambu-Beutel, Anästhesie-Beutel, T-Piece • Tracheale Route nicht mehr empfohlen • Wenn Adrenalin IT, dann 100 µg/kg • Vermeide Hyperthermie • Vermeide Hyper-/Hypoglykämie • Vermeide Hyperventilation • Kein intrapartales Absaugen bei Mekonium-
Aspirations-Syndrom • Sauerstoff: weiter Reanimation mit 100%
Sauerstoff empfohlen, niedrigere Konzentrationen sind allerdings akzeptabel
hältnis 15:2) ohne zwischenzeitlichen Rhythmus- oder Pulscheck für 2 Minuten fortzuführen. Erst nach dieser 2 Minuten dauernden Basisreanimation sollte eine Rhythmuskontrolle erfolgen. Falls indiziert, wird dann ein weiterer Schock abgegeben. Falls VF/VT nach dem zweiten Schock noch fortbestehen, sollen 10 μg/kg KG Adrenalin intravenös (i.v.) oder gegebenenfalls intraossär (i.o.) gegeben werden. Bei weiterer Persistenz von VF/VT sollte die Adrenalingabe alle 3 bis 5 Minuten i.v. oder i.o. wiederholt werden. Bei der Temperaturkontrolle in der Postreanimationsphase ist zu beachten, dass auftretendes Fieber nach einem Kreislaufstillstand aggressiv behandelt werden sollte. Kinder, die nach einem Kreislaufstillstand einen spontanen Kreislauf wiedererlangen, aber dennoch komatös bleiben, können möglicherweise sogar von einer milden Hypothermie (Kühlung der Körperkerntemperatur auf 32 bis 34° C über 12 bis 24 h) profitieren. Die Wiedererwärmung sollte dabei schonend und langsam, um 0,25 bis 0,5° C/h, erfolgen.
Reanimation des Neugeborenen (Neonatal Life Support)
Neugeborene müssen unbedingt vor Wärmeverlusten geschützt werden. Früh- und Neugeborene sind, ohne vorher abgetrocknet zu werden, mit Kopf und Körper – mit Ausnahme des Gesichts – in Plastikfolie einzuwickeln und sollten anschliessend unter einen Heizstrahler gelegt werden. Damit die Lunge optimal gebläht wird, sollen die ersten Beatmungen 2 bis 3 Sekunden dauern. Die Standardreanimation im Kreisssaal soll mit einer 100prozentigen Sauerstoffkonzentration erfolgen – es werden jedoch auch geringere Konzentrationen akzeptiert. Das intrapartale Absaugen von Mekonium über Nase und Mund, noch vor der Entwicklung des kindlichen Thorax, wird als nicht sinnvoll bewertet und nicht mehr empfohlen. Eine Adrenalingabe über den Tubus wird nicht mehr empfohlen. Muss jedoch der endotracheale Weg benutzt werden, sollte eine höhere Adrenalindosis (100 μg/kg KG) eingesetzt werden.
Zusammenfassung
Die Reanimation eines Kindes ist ein emotionsbehaftetes und für viele angstbeladenes Ereignis. Die wichtigste Massnahme ist nach wie vor eine schnelle und suffiziente Herzdruckmassage, ohne lange Verzögerungen durch Kreislaufkontrollen oder Suchen nach Zugangswegen. Die aktuellen Guidelines zur Reanimation von Kindern sind einfacher, besser vermittelbar und auch besser memorierbar geworden. Dadurch sollen Laienhelfer zur Durchführung der ErsteHilfe- beziehungsweise Basismassnah-
men (Paediatric Basic Life Support) ermutigt werden. Ziel ist ausserdem, die Qualität der Reanimation – nicht nur das reine Überleben, sondern eines mit gutem neurologischem Outcome – durch medizinisches Personal (Paediatric Advanced Life Support) zu verbessern.
Korrespondenzadresse: Dr. med. Richard Eyermann Facharzt für Kinder- und Jugendmedizin Kinderkardiologie Sportmedizin und Allgemeinarzt Therese-Giehse-Allee 57 D-81739 München
Literatur: 1. Eyermann, R.: Pädiatrische Notfallmedizin: Leitlinien des European Resuscitation Council (ERC) für erweiterte lebensrettende Massnahmen bei Kindern – Wesentliche Änderungen und Ablauf der Massnahmen. Pädiatrie 2005; 11 (1): 6–9. 2. International Liaison Commitee on Resuscitation: 2005 International Consensus on Cardiopulmonary Resuscitation and Emergency Cardiovascular Care Science with Treatment Recommendations, Resuscitation 2005; 67: 157–341. 3. 2005 American Heart Association Guidelines for Cardiopulmonary Resuscitation (CPR) and Emergency Cardiovascular Care (ECC). Circulation 2005; 112 (Suppl.): IV 1–IV 211. 4. European Resuscitation Council Guidelines for Resuscitation 2005. Resuscitation 2005; 67 (Suppl): S1–S189. 5. Kardiopulmonale Reanimation – Aktuelle Leitlinien des European Resuscitation Council. Notfallund Rettungsmedizin 2006; 9: 4–170.
Weitere Literatur beim Verfasser.
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