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Pneumologie
Asthma bei Kindern und Jugendlichen
Asthma bronchiale ist die am weitesten verbreitete und wichtigste Erkrankung im Kindesund Jugendalter. Dabei handelt es sich um eine chronische Entzündung sämtlicher Wandschichten der Atemwege, die mit anfallsartigen reversiblen Obstruktionen auf die geringsten
Krankheitsbilder – je nach Subtyp kann die Prognose für jeden Asthmatiker etwas unterschiedlich ausfallen. Grundsätzlich zeigt die Erfahrung jedoch, dass das im Kindesalter häufig auftretende Allergie-assoziierte Asthma oft auch im Erwachsenenalter persistiert. Hat ein Kind dagegen ein rein infektinduziertes Asthma, das beispielsweise durch virale Infektionen der Atemwege mit Respiratory-Syncytial-Virus sowie Rhino- oder Grippeviren ausgelöst werden kann, so ist die Chance relativ gross, dass es sich mit der Zeit verliert.
Reize einhergeht (Überempfindlichkeit). Über Ätiologie, Pathogenese und Therapie dieses multifaktoriell bedingten, ausgesprochen heterogenen Krankheitsbildes sprachen wir mit dem Chefarzt der Alpinen Kinderklinik Davos, Dr. Bruno Knöpfli.
Dr. med. Bruno Knöpfli
P ädiatrie: Herr Dr. Knöpfli, wie hoch ist derzeit die Prävalenz asthmatischer Erkrankungen bei Kindern und Jugendlichen in der Schweiz? Dr. med. Bruno Knöpfli (BK): In den letzten zwanzig Jahren ist die Prävalenz des Asthma bronchiale bei Kindern und Jugendlichen in der Schweiz deutlich gestiegen: Während sie vor zwanzig Jahren noch bei 5 Prozent lag, beträgt sie heute nach neuesten Erkenntnissen etwa 15 Prozent. Glücklicherweise hat sich eine Stabilisierung bei den Neuerkrankungen ergeben, sodass wir davon ausgehen, dass die Prävalenz nicht weiter zunehmen wird.
Wie ist die Prognose beim kindlichen Asthma? Handelt es sich mehrheitlich um eine vorübergehende Erscheinung oder entsteht daraus häufiger eine lebenslange chronische Erkrankung? BK: In den Topf der allergischen Erkrankungen und insbesondere des Asthmas gelangen oft unterschiedliche
Weiss man heute etwas mehr über die Ursachen des deutlichen Anstiegs allergisch-asthmatischerErkrankungen der letzten Jahre? Welchen Einfluss haben hier beispielsweise Umwelt und Lebensumstände des Kindes als Auslöser? BK: Welche Ursachen für den Anstieg allergisch-asthmatischer Erkrankungen verantwortlich sind, ist noch immer nicht geklärt. In den letzten Jahren kam die so genannte Hygiene-Hypothese auf, nach der die geringe Stimulanz des Immunsystems durch den Rückgang natürlicher Keime den Ausbruch allergisch bedingter asthmatischer Erkrankungen fördern soll. Als günstig wird heute demnach ein Umfeld erachtet, das «natürlich verschmutzt», also mit den üblichen Umweltkeimen angereichert ist. Ist die Abwehr gegen fremde Keime gut ausgebildet, wird dies eher als Schutz für Asthmatiker oder Allergiker erachtet; sind die Abwehrmechanismen dagegen unterfordert, scheint dies allergische Überreaktionen und asthmatische Erkrankungen zu begünstigen. Offenbar müssen sich der Organismus und sein Immunsystem mit dem natürlichen Umfeld auseinandersetzen können, damit ein Schutzeffekt entsteht. Wer die natürlichen Abwehr-
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mechanismen des Immunsystems unterstützen will, sollte also beispielsweise den Hausputz nicht bis zur «Sterilität» übertreiben oder mit Kleinkindern häufiger in den Kuhstall gehen, wie die Bauernhof-Studien gezeigt haben. Kinder im ersten Lebensjahr, die regelmässigen Kontakt mit dem Stallvieh haben, sind demnach deutlich besser vor Allergien und Asthma geschützt als Kinder ohne Tierstallkontakt. Als Erweiterung dieser Hypothese versucht man heute auch bei der frühkindlichen Ernährung wieder mehr Keime einzubringen, um so ein natürlicheres, immunologisch anregendes Umfeld zu haben. Es gibt aber auch andere auslösende Faktoren, wie Haustiere (allerdings kann man auch ohne Haustiere allergisch werden), Hausstaubmilben oder die Passivrauchexposition, die sich therapeutisch beeinflussen lassen. Zahlreiche andere Auslöser lassen sich dagegen weniger beeinflussen; dazu gehören beispielsweise auch genetische Faktoren, die eine entsprechende Disposition für allergische und/oder asthmatische Erkrankungen begünstigen und sich insbesondere dann auswirken, wenn beide Elternteile betroffen sind.
In jüngster Zeit wird auch über eine Assoziation zwischen Adipositas und Asthma diskutiert. Sind hier die kausalen Zusammenhänge bekannt und was sind hier Ihre Erfahrungen? BK: Die Umstände sind hier natürlich völlig andere. Bei diesen Kindern stehen nicht die Allergien im Vordergrund, sie vertragen in der Regel alles. Allerdings essen sie meist nicht ausgewogen, und bei ihren Mahlzeiten stehen oft energiereiche Nahrungsmittel an erster Stelle. Ausserdem haben diese Kinder ausgesprochen ungünstige Essgewohnheiten: Sie sind sehr schnelle Esser, nehmen ihre Mahlzeiten nicht in einem sozialen Rahmen zu sich wie beispielsweise einem gemeinsamen Mittagstisch, sie essen oft vor dem Fernseher oder gar im Stehen. Verheerend wirkt sich auch die meist vorhandene Inaktivität aus. Es gibt jetzt in der Tat diesen interessanten Brückenschlag zwischen den übergewichtigen und den allergiebelasteten AsthmaPatienten. Es hat sich gezeigt, dass etwa dreissig Prozent der übergewichtigen
Hochgebirgsklima wirkt regulierend auf das Immunsystem
Aufenthalte im Hochgebirge werden Asthmatikern und Lungenkranken schon seit Jahrzehnten angeraten. «Das Reizklima im Hochgebirge kann als natürliches Therapeutikum betrachtet werden, das auf Herz und Gefässe sowie die Atmungs- und Lungenfunktion einen Trainingseffekt ausübt und zudem das Immunsystem zu regulieren vermag», erklärte der Chefarzt der Alpinen Kinderklinik Davos, Dr. med. Bruno Knöpfli. Die Allergenkarenz im Hochgebirge führt darüber hinaus zu einer verminderten Überempfindlichkeit der Atemwege, die mit einer Abnahme der chronischen Entzündung und einer deutlichen Besserung der Krankheitssymptomatik einhergeht. Oft lassen sich die Medikamente und/oder die Dosierungen entsprechend reduzieren. Unabhängig davon beeinflusst das Hochgebirgsklima aber auch das Immunsystem. Bei Patienten, die sich längere Zeit im Hochgebirge aufgehalten haben, konnten tiefgreifende Änderungen des Immunsystems mit einer Abnahme der B- und T-Zellaktivierung sowie einer signifikanten Reduktion der IgE-Antikörper nachgewiesen werden. Dies berichtet eine 2008 in der Zeitschrift «Pneumologie» veröffentlichte Untersuchung*. Die Arbeit analysierte verschiedene Studien mit insgesamt 428 erwachsenen und jugendlichen Asthmatikern, die sich aufgrund ihrer Beschwerden längere Zeit in Hochgebirgsregionen aufgehalten hatten. Bei allen Patienten kam es zu einer Besserung der Asthmasymptomatik und der Lungenfunktion; viele profitierten zudem von einer Reduktion der Steroidmedikation. Dass diese Effekte auch bei Patienten mit nichtallergischem Asthma zu beobachten waren, erachtete der Autor als Hinweis darauf, dass die besonderen klimatischen Bedingungen eigene, über die Allergenkarenz hinausgehende, gesundheitlich positive Wirkungen haben. Die relativ geringe Luftfeuchtigkeit sowie die hohe UV-Einstrahlung (die die Bildung von Vitamin D begünstigt) könnten weitere wichtige Faktoren sein, die möglicherweise mit dazu beitragen, den Schweregrad asthmatischer Erkrankungen zu bessern. Zur Überprüfung dieser besonderen physiologischen Effekte des Hochgebirgsklimas wären weitere gross angelegte kontrollierte Studien notwendig.
*Literatur: Schultze-Werninghaus G, Effects of high altitude on bronchial asthma; Pneumologie 2008; 62 (3): 170–176.
Kinder Asthma haben, umgekehrt sind 30 Prozent der Asthmakinder übergewichtig. Der kausale Zusammenhang zwischen Asthma und Adipositas ist allerdings noch nicht eindeutig geklärt. In der Literatur wird jedoch diskutiert, dass die eingeschränkte Lungenfunktion bei Übergewichtigen weniger auf asthmatypische Veränderungen als vielmehr auf
Adipositas-bedingte Veränderungen der Vitalkapazität zurückzuführen sei. Gewichtsreduktion und körperliches Training führen in solchen Fällen oft zum Erfolg.
Körperliches Training ist ein gutes Stichwort – welchen Einfluss haben regelmässige Bewegung und sportliche
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Aktivität auf den Verlauf asthmatischer Erkrankungen? BK: Bei den übergewichtigen Patienten spielt die sportliche Aktivität – wie eben erwähnt - sicherlich die Hauptrolle. Die Reduktion der körperlichen Inaktivität ist die einzige Intervention, die als alleinige Massnahme Wirkung zeigt. Kann man die «Screen-Time» (also Fernsehplus Computerzeit) von übergewichtigen Kindern reduzieren, hat man bessere Chancen, das Übergewicht zu behandeln. Je länger sie dagegen vor dem Fernseher sitzen, desto grösser ist die Prävalenz einer Adipositas. Bei den Asthmatikern ist die Situation mit der sportlichen Aktivität etwas komplexer. Asthma per se lässt sich nicht mit Sport behandeln. Hingegen können wir den Asthmatiker mit Sport behandeln, und Sport ist tatsächlich eine wesentliche Therapie für die Asthmatiker. Ein Asthmatiker, der Sport treibt, hat einen besseren Umgang mit dem Asthma und eine bessere Lebensqualität, er braucht weniger Medikamente und hat weniger Symptome. Sport ist also eine Art Therapeutikum, allerdings ein unspezifisches, da die eigentlichen Ursachen des Asthmas damit nicht behandelt werden können.
Wie sieht die Pharmakotherapie des kindlichen Asthmas aus? BK: Das grundsätzliche Ziel einer therapeutischen Intervention muss es sein, asthmaauslösende Faktoren zu vermeiden. An erster Stelle steht also eine Expositionsprophylaxe, insbesondere bei Kindern, bei denen dies möglich und
sinnvoll ist. Dies betrifft vor allem solche Allergene, denen das Kind im Haushalt ausgesetzt ist, wie Hausstaub oder Tierallergene. Bei bestehender Pollenallergie kann man natürlich nicht so vorgehen. Hier gibt es jedoch eine Immunotherapie, die zur Diskussion steht und die dazu beitragen kann, dass die immunologische Balance besser stimmt und die allergische Überreaktion vermindert wird. Allerdings gibt es hier auch Grenzen: Je mehr und umfassender jemand sensibilisiert ist, desto grösser die Gefahr, dass diese Behandlung nicht anschlägt. Die wichtigste Therapie ist und bleibt daher die medikamentöse Behandlung. Damit lassen sich Asthmatiker vollumfänglich behandeln. Dies ist auch Ziel der Richtlinien, und alle sind sich darin einig, dass versucht werden sollte, eine vollständige Symptomfreiheit zu erzielen, insbesondere unter körperlicher Belastung und nachts. Zudem sollte eine normale Lungenfunktion erreicht werden, damit sich die Verengung der Atemwege nicht chronifiziert. Sind all diese Vorraussetzungen erfüllt, sollte die tiefstmögliche Erhaltungsdosis angestrebt werden, obschon eine Inhalationstherapie kaum Nebenwirkungen verursacht. Zu den Standardtherapeutika gehören insbesondere Inhalationsbehandlungen mit Bronchodilatatoren (kurz- und langwirksame Betamimetika) und Steroiden. Es gibt darüber hinaus noch weitere Therapeutika wie Mastzellinhibitoren (die zur antiinflammatorischen Langzeitprophylaxe bei Pollenasthma eingesetzt werden können) und Leukotrienantago-
nisten (bei leichteren Formen des allergischen Asthmas) sowie Immunsuppressiva, die bei schwer zu behandelnden Asthmaformen eingesetzt werden. Man muss sich jedoch darüber im Klaren sein, dass es nicht das eine Asthma-Medikament gibt. Oft entscheidet langjährige Erfahrung und Kenntnis im Umgang mit den Patienten über das individuelle therapeutische Vorgehen.
Ziel der Therapie ist die vollständige Symptomfreiheit, sagten Sie. Die Compliance der Patienten ist ja bei chronischen Erkrankungen in der Regel selten optimal. Wie hoch ist denn die tatsächliche Erfolgsquote? BK: Die Medizin wäre heute in der Lage, Asthmatiker so gut wie 100 Prozent perfekt zu behandeln. Die Erfolgsquote entspricht dem jedoch nicht. Einer der wichtigsten Gründe, warum diese therapeutischen Möglichkeiten nicht greifen, ist der Patient selber. Oft fehlt die Bereitschaft, die Therapie mitzumachen. Die Realität sieht so aus, dass ein Drittel der Patienten zu den Musterpatienten gehören, die sich perfekt behandeln lassen; ein anderes Drittel versteht nicht, was der Arzt eigentlich will, und macht es falsch, und ein weiteres Drittel verweigert die Therapien einfach oder lässt sie nicht an sich herankommen.
Wir danken Ihnen für das Gespräch.
Das Interview führte Claudia Reinke.
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