Transkript
Schwerpunkt
Insulinpumpentherapie bei Kindern und Jugendlichen
Erwartungen und Realität, Facts und Fiction
Die ärztliche Betreuung einer ständig wachsenden Zahl von Kindern und Jugendlichen mit Typ-1-Diabetes beinhaltet ganz besondere Herausforderungen: Jugendliche unterscheiden sich von Erwachsenen durch einen oft sehr unregelmässigen Tagesablauf, eine sehr variable Mahlzeitengestaltung sowie eine in der Tageszeit unterschiedliche Insulinresistenz mit teilweise sehr hohem Insulinbedarf. Zudem wird besonders die nächtliche Blutzuckerkontrolle durch den ausgeprägten Blutzuckeranstieg in den frühen Morgenstunden (Dawn-Phänomen) erschwert.
Von PD Dr. med. Urs Zumsteg, Dr. med. Sara Bachmann
A uch bei Kleinkindern ist die Nahrungsaufnahme oft unberechenbar, und die meist nicht vorhersehbare körperliche Aktivität variiert von Tag zu Tag. Die Insulinempfindlichkeit ist in dieser Altersgruppe ausgesprochen hoch und damit auch die Gefahr von Hypoglykämien; diese werden aber nur sehr selten zuverlässig wahrgenommen beziehungsweise können durch die Kinder oft nicht adäquat kommuniziert werden. Gerade diese Altersgruppe ist aber besonders vulnerabel hinsichtlich Hypoglykämie-bedingter, kognitiver Schäden. In grossen internationalen Studien – inklusive der oft zitierten DCCT-Studie (Diabetes Control and Complication Trial [1, 2]) – schneiden Adoleszente im Vergleich zu Erwachsenen im Hinblick auf die Stoffwechselkontrolle gemessen am HbA1c deutlich schlechter ab; darüber hinaus findet sich eine um etwa 50 Prozent höhere Inzidenz von schweren Hypoglykämien trotz eines insgesamt höheren Betreuungsaufwands in dieser Altersgruppe. Gleichzeitig haben aber DCCT sowie die Nachfolgestudie EDIC (Epidemiology of Diabetes Interventions and Complications [3]) klar gezeigt, dass das Erreichen einer Normoglykämie zur Vermeidung von Langzeitkomplikationen von zentraler Bedeutung ist. Es ist heute sowohl in der pädiatrischen wie in der adulten Diabetologie unbestritten, dass eine intensivierte Insulintherapie mit ganz gezielter Abdeckung der Mahlzeiten einer konventionellen Therapie mit zweimal täglicher Verabreichung eines Mischinsulins überlegen ist. Als Konsequenz aus diesen Studien wurde auch bei Kindern und Jugend-
lichen eine nahezu normoglykäme Blutzuckereinstellung angestrebt und damit die intensivierte Therapie auch in der Pädiatrie favorisiert. Trotz strengerer metabolischer Kontrolle konnte aber das Ziel einer Reduktion des HbA1c auf < 7,5 Prozent nicht erreicht werden, und die Zahl der Hypoglykämien nahm markant zu. Das Ziel der Insulintherapie bei Kindern und Jugendlichen mit Typ-1Diabetes mellitus muss daher nach wie vor eine nahezu normoglykämische Blutzuckereinstellung sein, wobei gleichzeitig starke Blutzuckerschwankungen und Hypoglykämien zu vermeiden sind. Eine gewisse Verbesserung der Stoffwechselkontrolle hat man auch in der Pädiatrie durch den Einsatz von Insulinanaloga erreicht. Die kurz wirksamen Analogpräparate ermöglichen eine flexi- 25 • Pädiatrie 1/08 Schwerpunkt Abbildung: Muster einer Basalratenprogrammierung blere Mahlzeitengestaltung sowie eine etwas bessere postprandiale Blutzuckerkontrolle bei gleichzeitig nicht vermehrt auftretenden Hypoglykämien. Dank der langwirksamen Analoginsuline sind im Weiteren eine gleichmässigere Basalabdeckung und eine Reduktion nächtlicher Hypoglykämien möglich. Trotz dieser Modernisierung in der Insulintherapie sind wir heute, fast 15 Jahre nach Veröffentlichung der DCCT-Resultate, immer noch nicht wirklich am Ziel; der mittlere HbA1c-Wert bei Kindern und Jugendlichen mit Typ-1-Diabetes liegt in den meisten Zentren über 8 Prozent. Eine Weiterentwicklung der intensivierten oder auch funktionellen Insulintherapie besteht in der kontinuierlichen subkutanen Insulininfusionstherapie (Insulinpumpe). Diese kann auch in der Pädiatrie und über alle Altersstufen von Vorteil sein gegenüber einer Therapie mit multiplen Injektionen. Durch eine stündlich programmierbare kontinuierliche Basalrate und die einfache zusätzliche Gabe von Bolusinsulin auf Knopfdruck kann der nahrungsabhängige Prandialinsulinbedarf und der nahrungsunabhängige Basalinsulinbedarf zeitgerecht substituiert werden (Abbildung). Physiologischer Insulinersatz durch die Insulinpumpe Eine optimierte Insulintherapie wird sich an der physiologischen Insulinsekretion orientieren, das heisst, sie sollte eine ganz individuelle, auf den jeweiligen Bedarf angepasste Basalrate beinhalten sowie zu den Mahlzeiten die jeweils adä- quaten Essensboli abgeben. Diese flexible, in basal und prandial unterteilte Insulindosierung ermöglicht eine erhöhte Flexibilität im Alltag, die Insulingabe erfolgt präziser und kann auf die Nahrungsaufnahme beziehungsweise die jeweilige Kohlenhydratmenge besser abgestimmt werden. Die Basalratenprogrammierung in der Pumpe kann ganz individuell und wenn nötig stündlich unterschiedlich erfolgen. Da zudem kontinuierlich kleinste Dosen mit nur schnell wirkenden Insulinen laufen, ist auch die Variabilität in der Insulinresorption im subkutanen Fettgewebe deutlich geringer. Aus diesem Grund resultierten die ersten Erfahrungen mit der Insulinpumpentherapie bei Kindern und Jugendlichen in einer Reduktion der nächtlichen Hypoglykämien und einem im Allgemeinen gut kontrollierten Nüchternblutzucker. Der besonders in der Pubertät recht ausgeprägte frühmorgendliche Blutzuckeranstieg, das Dawn-Phänomen, kann durch gezielte Programmierung einer erhöhten Insulinbasalrate in den frühen Morgenstunden antagonisiert werden. Trotzdem lässt sich jedoch die Stoffwechselkontrolle gemessen am HbA1c unter der Insulinpumpentherapie nicht immer nachhaltig verbessern, und die Indikation zu dieser doch aufwändigen Pumpentherapie muss sorgfältig gestellt sein. Eine Auswahl möglicher Kriterien für die Pumpenindikation ist in der Tabelle zusammengefasst, international besteht diesbezüglich aber kein eigentlicher Konsens. Die Kontraindikationen für die Insulinpumpe sind bei Kindern und Jugend- lichen dieselben wie bei Erwachsenen: Unzuverlässigkeit und fehlende Motivation, mangelhafte mentale Befähigung, depressive Verhaltensweisen und ungünstiges soziales Milieu sind schlechte Voraussetzungen. Der Entscheid für eine Insulinpumpe beruht auf individueller Basis, die Akzeptanz durch das Kind und ein gewisses technisches Geschick sind Voraussetzung. Im Weiteren müssen Patienten oder Eltern zu jedem Zeitpunkt in der Lage sein, Insulin auch konventionell zu spritzen, da auch die Technik einer Insulinpumpe einmal versagen kann. In der Praxis der Insulinpumpentherapie hat sich eine Verteilung der Insulintagesdosis in 40 bis 50 Prozent Basalrate und 50 bis 60 Prozent Essensboli bewährt; im Allgemeinen werden ausschliesslich schnell wirkende Analoginsuline in der Therapie eingesetzt. Die Abdeckung der Kohlenhydrate basiert auf ganz individueller Verordnung von Anzahl Einheiten pro 10 Gramm Kohlenhydrate, sodass eine maximale Flexibilität der Nahrungsmenge inklusive Auslassen von Mahlzeiten möglich ist. Das richtige Einschätzen der eingenommenen Kohlenhydratmenge («carb counting») ist dabei jedoch eine Voraussetzung und wird natürlich häufig zum eigentlichen Knackpunkt der Therapie. Das Verhältnis Insulinbedarf pro Kohlenhydratmenge variiert natürlich mit dem Alter und dem Gewicht der Patienten und ist auch wegen der im Tagesverlauf unterschiedlichen Insulinresistenz nicht zu allen Tageszeiten gleich hoch. Im Allgemeinen werden 0,5 bis 2 Einheiten schnell wirkendes Insulin pro 10 Gramm Kohlenhydrate eingesetzt. Stoffwechselkontrolle mit der Insulinpumpe Die ersten kontrollierten Studien zeigten meist nur eine vorübergehende Verbesserung des HbA1c-Wertes; die initial sehr hohen Erwartungen an diese doch so physiologische Insulinersatztherapie wurden nicht nachhaltig erfüllt. Die Findung der richtigen Basalrate schien oft schwieriger als erwartet. Eine Unterbrechung der Infusion – zum Beispiel während sportlichen Aktivitäten, im Pädiatrie 1/08 • 26 Schwerpunkt Tabelle: Indikationen für die Insulinpumpentherapie in der Pädiatrie • Rezidivierende Hypoglykämien • Flexibilität/Lebensqualität • Dawn-Phänomen • Nicht befriedigende Stoffwechselkontrolle (?) • Geringste Insulindosen bei Säuglingen/ Kleinkindern • Ernährungsprobleme und Ess-Störungen Schwimmbad oder im nächtlichen Ausgang – führte zu raschem Blutzuckeranstieg; andererseits war aber auch die Pumpe einem allzu liberalen Lebensstil nicht immer gewachsen. Im Weiteren deutete die IT-unterstützte Analyse der Pumpenspeicher auf oft ungenügende oder inadäquate Bolusverabreichung hin. Gerade Jugendliche neigen dazu, die Mahlzeiten nicht immer abzudecken. Oft finden sich in der Analyse nur 1 bis 2 Bolusverabreichungen pro Tag, oder die Auslösung des Insulinbolus erfolgt erst postprandial, nämlich dann, wenn man weiss, wie viel ungefähr gegessen wurde. Die richtige Dosierung pro Kohlenhydratwert, aber auch die richtige Abschätzung der eingenommenen Kohlenhydratmenge sind für die Patienten oft schwierig, und ausgeprägte postprandiale Blutzuckerspitzen sind die unmittelbare Folge. Die primär so einfach scheinende, im Detail aber doch komplexe Therapieform kann manchen jugendlichen Patienten auch überfordern, und der HbA1c-Wert kann sich nicht eigentlich verbessern. Trotzdem zeigte eine im Jahr 2006 am Amerikanischen Diabeteskongress (ADA) präsentierte erste Langzeitstudie bei jugendlichen Pumpenträgern bei 51 Prozent der Patienten über 5,8 Jahre eine HbA1c-Verbesserung von > 0,5 Prozent; bei knapp 20 Prozent der Patienten in dieser Untersuchung wurde jedoch eine Verschlechterung der HbA1cWerte beobachtet (4). Eine weitere Multizenterstudie hat eine klare Korrelation der HbA1c-Werte mit der Anzahl täglich verabreichter Boli ergeben und damit die Bedeutung des adäquat verabreichten Essensinsulins unterstrichen. Gleichzeitig fanden sich bei diesen über 1000 kontrollierten Patienten mit Insulinpumpe eine insgesamt tiefe Hypoglykämierate und wenig Akutkomplikationen wie beispielsweise Ketoazidosen (5). Positiv ist, dass die durch die Insulinpumpe erreichte Liberalisierung des Alltags auch zu einem Motivationsschub und besserer Integration der Diabetestherapie im Alltag führen kann. Individuell zugeschnittene Schulungskonzepte, die den Entwicklungsstand, die Aufnahmefähigkeit, aber auch Umfeld und Lebensstil des Patienten berücksichtigen, sind aber immer noch Voraussetzung für ein gutes Management. Sicher sollte die Insulinpumpentherapie bei Kindern und Jugendlichen nicht mehr als «Ausnahmetherapie» angesehen werden – die meisten pädiatrischen Diabeteszentren in der Schweiz dürften zwischen 10 und 20 Prozent ihrer insulinpflichtigen Patienten mit dieser Therapievariante einstellen. Bei entsprechender Indikation sind die Mehrkosten für die Insulinpumpe sicher
gerechtfertigt, und die Kostenübernahme durch die Kassen ist auf ein spezielles Gesuch hin gewährleistet.
Korrespondenzadresse: PD Dr. med. Urs Zumsteg Pädiatrische Endokrinologie/Diabetologie Universitäts-Kinderspital beider Basel (UKBB) 4005 Basel
Literatur 1. DCCT Research Group. The effect of intensive treatment of diabetes on the development and progression of long-term complications in insulin-dependent diabetes mellitus. The Diabetes Control Complications Trial. N Eng J Med 1993; 329: 977–986. 2. The DCCT Research Group. The effect of intensive diabetes treatment on the development and progression of long-term complications in adolescents with insulin-dependent diabetes mellitus: the Diabetes Control and Complications Trial. J Pediatr 1994; 123: 177–188. 3. DCCT/EDIC Research Group. Beneficial effects of intensive therapy of diabetes during adolescence: outcomes after the conclusion of the Diabetes Control and Complications Trial. J Pediatr 2001; 139: 804–812. 4. Scrimgeour L, Cobry E, McFann K et al. Improved glycemic control after long-term insulin pump use in pediatric patients with type 1 diabetes. Diabetes Technology & Therapeutics 2007; 9 (5): 421–428. 5. Danne T, Batelino T, Jarosz-Chobot P et al. and the PedPump Study Group. The PedPump Study: a low percentage of basal insulin and more than five daily boluses are associated with better-centralized HbA1c in 1041 children on CSII from 17 countries. Diabetes 2005; 54 (Suppl. 1): A 453.
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