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Schwerpunkt
Sportliche Möglichkeiten und Grenzen bei Asthma
Kinder und Jugendliche mit Asthma müssen nicht auf Sport verzichten. Für eine normale Lungenphysiologie ist sportliche Betätigung sogar wichtig. Es geht also nicht um das «Ob», sondern um das «Wie»: Entscheidend ist, eine passende Sportart zu wählen, sich gut vorzubereiten und für einen asthmatischen Notfall gerüstet zu sein sowie Lehrpersonen und Trainer über Asthma zu informieren.
von Dr. med. Christoph Stüssi
A sthma bronchiale ist die häufigste chronische «Krankheit» im Kindes- und Jugendalter mit einer Prävalenz von 8 bis 10 Prozent und steigender Tendenz bei den unter 18-Jährigen. Gleichzeitig treiben praktisch alle Kinder Sport – Schulsport ist Pflichtfach, und die Teilnahme an organisiertem und spontanem Freizeitsport nimmt zu. An jeder Turnstunde nehmen also durchschnittlich zwei bis drei Asthmatiker teil. Allein schon diese hohe Zahl der Betroffenen unterstreicht die Bedeutung der Problematik.
Anstrengungsasthma – auslösende Faktoren und ihre Kontrolle
Trotz guter Therapieeinstellung sind Symptome eines Anstrengungs-induzierten Asthma bronchiale (AIA) nicht selten. In verschiedenen Studien werden bei 60 bis 80 Prozent, in einer sogar bei 100 Prozent der jugendlichen Asthmatikern rezidivierende AIA-Symptome beschrieben. Sie treten am häufigsten bei hoher Belastungsintensität und bei einer Belastungsdauer von 6 bis 10 Minuten auf. AIA-Tests nützen genau das aus, indem sie während dieser Dauer mit möglichst hoher Intensität belasten (Herzfrequenz > 170/min bzw. > 85% der maximalen Herzfrequenz). Ob beim Sport asthmatische Symptome auftreten, bestimmen hauptsächlich die Faktoren:
bronchiale Hyperreagibilität mit Bronchokonstriktion Schleimhautschwellung Schleimproduktion. Von den multiplen Auslösern, welche zur bronchialen Hyperreagibilität führen
und/oder eine Bronchokonstriktion und damit ein AIA auslösen, spielen beim Sport vor allem die folgenden eine Rolle:
Entwässerung => Hyperosmolalität, evtl. auch Abkühlung => Wiedererwärmung der Bronchialschleimhaut – entscheidend für den Schweregrad sind Atemminutenvolumen und Umgebungsbedigungen exogene Faktoren (Allergene, Staub, kalte, trockene Luft, andere Provokatoren) endogene Faktoren (vegetatives Nervensystem, andere).
Voraussetzungen für symptomarmen Sport
Die sportlichen Möglichkeiten und Grenzen sind nun dadurch gegeben, wie gut die oben genannten, AIA-auslösenden Faktoren kontrolliert werden können. Dies gelingt vor allem durch
eine gute Basistherapie eine adäquate Vorbereitung auf die sportliche Belastung die Wahl von geeigneten Sportarten.
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Die richtige Asthmaeinstellung mit einer guten Basistherapie (inhalative Kortikosteroide und lang wirksame Beta-2-Mimetika, Leukotrien-Rezeptorantagonisten p.o.) spielt hier eine Schlüsselrolle, die neuesten Schweizer Richtlinien wurden im Frühjahr 2004 publiziert (www.kinderlunge.ch, www.swiss-paediatrics.org). Warnsignale, welche eine schlechte Asthmakontrolle anzeigen, sind nicht nur «Wheezing», Giemen, Husten und Thoraxschmerzen. Wenn Kinder und Jugendliche immer als Torhüter eingesetzt werden oder bei kühler Witterung auf der Ersatzbank sitzen müssen, kann auch dies ein indirekter Hinweis sein. Treten trotz Therapie Asthmasymptome bei Anstrengung auf oder bestehen trotz guter Compliance Zweifel an der Wirksamkeit der Behandlung, ist eine Bronchoprovokation mittels eines standardisierten AIA-Tests im Leistungsdiagnostik-Labor einer Asthma- und Allergiesprechstunde für Kinder und Jugendliche indiziert. Dabei soll eine möglichst sportartspezifische Belastungsform gewählt werden. Auch eine Provokation mit hyperosmolaren Lösungen (Mannitol, hyperosmolare NaCl) und/oder mit Kaltluft kann indiziert sein – die AIA-Pathophysiologie erklärt deren Wirksamkeit. Die immer wieder praktizierte Methode des Treppenlaufens ist jedoch obsolet, weil sie eine Intervallbelastung und damit keine adäquate Bronchoprovokation darstellt. Auch die Provokation mit Methacholin oder Histamin ist unspezifisch, zeigt in grösseren Studien keine akzeptable Korrelation mit AIA-Symptomen und ist daher für diese Fragestellung nicht geeignet. Zur adäquaten Sportvorbereitung gehören eine geeignete Ausrüstung, eine gute mentale Vorbereitung, welche Versagensangst vorbeugt und den Umgang mit psychischem Druck lehrt, richtiges Aufwärmen und Einlaufen sowie bei Bedarf die Inhalation von kurz wirksamen Beta2-Mimetika zirka 15 Minuten vor Beginn der Belastung. Rhiner et al. konnten zeigen, dass ein zehnminütiges Einlaufen mit einer Serie von zehn kurzen Sprints mit Pausen besser vor nachfolgendem AIA schützt als das Einlaufen im Dauerlauf mit niedriger Intensität und gleicher
Dauer. Beide Formen schützen jedoch signifikant besser als kein Einlaufen. Ausserdem kann durch eine intensivere Belastung ein bis zwei Stunden vor einer weiteren sportlichen Leistung eine Refraktärphase induziert und so ein gewisser Schutz vor Bronchokonstriktion erreicht werden. Der Schutz ist aber nicht besser als bei präventiver Inhalation von Beta-2-Mimetika vor Sport. Daher dürfte diese Möglichkeit im Alltag kaum eine Rolle spielen. Bei der Wahl einer geeigneten Sportart sollten möglichst viele der Faktoren berücksichtigt werden, die vor Anstrengungsasthma schützen (vgl. Tabelle). Weit wichtiger ist jedoch, dass die gewählte Sportart den Kindern und Jugendlichen Spass macht, in der Nähe des Wohnorts ausgeübt werden kann und den Kontakt mit Alterskollegen («Peers») ermöglicht. Damit besteht eine viel höhere Chance zum Langzeitsport. In einer bereits 1985 publizierten Studie wurden Jugendliche nach den Zielen ihrer Asthmatherapie befragt. Über 50 Prozent nannten dabei zuerst «Sport treiben wie die Kollegen» und nur 25 Prozent «symptomfrei sein». Diese Zahlen haben nach wie vor Gültigkeit.
Welche Sportarten sind geeignet, welche nicht?
Geeignet sind grundsätzlich alle Sportarten, welche den Kindern und Jugendlichen Spass machen, bei denen sie symptomarm bleiben und gleichzeitig besonders ihre Leistungsfähigkeit und ihre koordinativen Fähigkeiten verbessern. Entscheidend ist dabei insbesondere, dass auf die individuellen Voraussetzungen Rücksicht genommen wird. Vor- und Nachteile einiger ausgewählter Sportarten:
Kunstturnen, Sportgymnastik, Rückschlag- oder Ballsportarten mit kurzen, intervallartigen Einsätzen (z.B. Tennis, Badminton, Squash, Volleyball) oder Judo sind für viele Asthmatiker geeignet. In Sporthallen mit Granulat- oder Sandbelag wurden jedoch hohe Staubbelastungen nachgewiesen. Schwimmen gilt seit langem als sehr
Tabelle:
Faktoren, die vor Anstrengungsasthma schützen
längere Belastungen mit mittlerer Intensität
kurze, intensive Belastungen mit Pausen
allergen- und staubfreie Umgebung
warme, feuchte Luft («lauer Sommerabend»)
guter Trainingzustand, hohe Leistungsfähigkeit
gute medikamentöse Asthmaeinstellung
geeigneter Sport für Asthmatiker. Allerdings sollten Chlor und Ozon bei den Betroffenen nicht Auslöser einer Bronchokonstriktion sein. Zudem sind die meisten Kinder und Jugendlichen erst nach längerem technischem Training in der Lage, konditionswirksam zu schwimmen und sich nicht zu hoch zu belasten. Beim Sport mit Tieren ist auf eine allfällige Atopie auf Tierhaare/Tierepithelien und eine mit dem Sport verknüpfte Verpflichtung, beispielsweise für Stallarbeit (Heu), zu achten. Ausdauerbelastungen eignen sich ausgezeichnet für Asthmatiker. Die anaerobe Schwelle zu überschreiten, ist dabei weder notwendig noch sinnvoll. Vielen jüngeren Kindern macht jedoch Radfahren und Joggen über 30 Minuten und mehr noch keinen Spass. Abwechslung bieten jedoch verschiedene Leichtathletik-Disziplinen. Die Ausnahme bilden hier Mittelstreckenläufe, die mit sehr hoher Intensität und einer Dauer von 5 bis 10 Minuten wiederum Asthma-provozierend sind. Für den Sport im Freien bildet zudem die kalte Jahreszeit ein Problem, das mit sorgfältiger Sportvorbereitung gemeistert werden muss. Ein gut eingestelltes Asthma bronchiale stellt eine relative, eine deutliche bronchiale Hyperreagibilität eine absolute Kontraindikation für Sporttauchen mit Pressluft dar.
Vom Sport dispensieren?
Keinesfalls sollten Kinder und Jugendliche mit Asthma vom Sport dispensiert
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werden! Sportliche Belastung ist neben einer guten Inhalationsbehandlung einer der wichtigsten Faktoren, um eine normale Lungenphysiologie zu erhalten. Neben einer ausgezeichneten Sekretmobilisation und einer vollständigen Belüftung aller Lungenabschnitte führt Sport zu einer besseren körperlichen Leistungsfähigkeit. Dies bewirkt, dass der Grenzbereich der körperlichen Leistungsfähigkeit sowohl im Alltag als auch bei sportlichen Belastungen weniger oft und weniger lang erreicht wird, was vor Asthmasymptomen schützt. Akute Luftwegsinfekte, Asthmaanfälle und eine deutliche Einschränkung der Lungenfunktion in den Tagen nach einem Asthmaanfall sind jedoch relative oder absolute Kontraindikationen für Sport. Sinnvoll ist, wenn die Eltern Lehrpersonen und Trainer ihrer Kinder und Jugendlichen über die Asthmaerkrankung informieren und dabei insbesondere die geplanten Massnahmen bei Exazerbationen besprechen. Wir haben sehr gute
Erfahrungen damit gemacht, dass diese Informationen im Beisein beziehungsweise gemeinsam mit den Kindern und Jugendlichen erfolgen. Dies schafft gegenseitiges Vertrauen. Jede Lehrperson wird danach einer Asthmatikerin ohne Vorbehalt eine Pause beim Auftreten von Symptomen gewähren, und fast jeder Asthmatiker wird sich danach trauen, seiner Trainerin das Auftreten von Atembeschwerden und die Notwendigkeit einer Inhalation zu melden.
Fazit: wenig Einschränkungen
Für Asthmatiker im Kindes- und Jugendalter mit guter Therapieeinstellung und damit normaler Lungenfunktion unter Belastung gibt es praktisch keine Einschränkungen im Sport. Eine weitere Voraussetzung ist, dass die individuellen Asthmaauslöser wie Pollen, Staub oder Kaltluft auf dem Sportplatz oder in der Turnhalle vermieden werden und die sportliche Tätigkeit mit Einlaufen und
allenfalls Inhalation gut vorbereitet wird. Zudem müssen alle Asthmatiker jederzeit über ihre Notfallmedikamente (Beta-2Mimetika) verfügen und geeignete Atemtechniken für Notfallsituationen anwenden können. Auch die Information und Instruktion von Trainern und Lehrpersonen ist wichtig, damit Kinder und Jugendliche gefahrlos ihr sportliches Potenzial ausleben und daran Spass haben können.
Literatur beim Verfasser.
Korrespondenzadresse: Dr. med. Christoph Stüssi
Chefarzt Klinik für Kinder und Jugendliche Asthma- und Allergiesprechstunde
Kantonsspital 8596 Münsterlingen Tel. 071-686 21 65 Fax 071-686 21 66 E-Mail: christoph.stuessi@stgag.ch
Pharma News
Allergien im Säuglingsalter vermeiden
Eine gesunde Darmflora und entsprechende Ernährung können einen wichtigen Beitrag leisten
Atopische Erkrankungen sind die am häufigsten vorkommenden Krankheiten in den westlichen Industrienationen. Je nach Altersgruppe, Region und Definition der Atopie sind zwischen 20 bis 30 Prozent der kindlichen Bevölkerung in Europa davon betroffen. Die Prävalenz atopischer Erkrankungen hat während der letzten zehn Jahre drastisch zugenommen. Seit einiger Zeit wird die Bedeutung der intestinalen Mikroflora für die Entwicklung von Allergien beim Säugling diskutiert. Studienergebnisse zeigen einen Unterschied bezüglich der Zusammensetzung der Darmflora atopischer im Vergleich zu derjenigen nichtatopischer Kinder und deuten auf einen Einfluss auf die optimale Entwicklung der Immunabwehr im Säuglingsalter hin. In Populationen mit hoher Atopieinzidenz wurde in verschiedenen Studien eine grössere Anzahl potenziell pathogener Keime in der Darmflora entdeckt, während eine
niedrige Atopieinzidenz mit dem Überwiegen von Bifidobakterien im Stuhl assoziiert ist. Diese Beobachtung hat in den letzten Jahren Anlass zur Überlegung gegeben, durch den Einsatz von präbiotischen Nahrungsfasern das Wachstum von natürlich vorkommenden Mikroorganismen selektiv zu stimulieren.
Zukünftige Allergieprävention Präbiotische Nahrungsfasern sind Kohlenhydrate, die darauf abzielen, die Zusammensetzung der Mikroflora durch selektive Stimulierung des Wachstums gesundheitsfördernder Mikroorganismen (Bifidobakterien, Laktobazillen, Eubakterien) zu modifizieren. Durch ihre Fähigkeit, die Zusammensetzung der intestinalen kurzkettigen Fettsäuren derjenigen gestillter Säuglinge anzupassen, unterstützen sie die Entwicklung einer schützenden Darmmukosa gegenüber unerwünschten Keimen und Allergenen.
Es gibt immer mehr Beweise dafür, dass die von diesen präbiotischen Bestandteilen angeregten Bakterien sowie deren Stoffwechselprodukte eine wichtige Rolle in der postnatalen Entwicklung des Immunsystems spielen. Da eine ausgeglichene Anregung des Immunsystems in den ersten Lebensmonaten einen hohen Einfluss auf das spätere Vorkommen allergischer Krankheiten hat, kann stark vermutet werden, dass präbiotische Nahrungsfasern ein neues Konzept für die Allergieprävention sein könnten. Dieser Aspekt bedarf jedoch weiterer Studien.
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