Transkript
Schwerpunkt
Die Osteoporose beginnt im Kindesalter!
Mit Sport und Bewegung der Knochenbrüchigkeit entgegenwirken
Die Prävention der Volkskrank- von Dr. med. Richard Eyermann
heit Osteoporose ist im Kindesalter am wirksamsten. Wer sich als Kind viel bewegt und häufig Sport treibt und sich zudem kalziumreich ernährt, kann Skelettarchitektur und Knochendichte positiv beeinflussen – mit Auswirkungen bis ins Erwachsenenalter. Wer allerdings erst als erwachsene Person mit präventiven Massnahmen beginnt, hat nicht mehr dieselben Aussichten auf den schützenden Effekt von körperlicher Aktivität auf die Knochen.
D ie Osteoporose ist definiert als eine systemische Skeletterkrankung, charakterisiert durch eine niedrige Knochenmasse und eine Verschlechterung der Mikroarchitektur des Knochengewebes mit entsprechend erhöhter Knochenbrüchigkeit und Frakturbereitschaft. Sie gehört zu den Zivilisationskrankheiten moderner Industrienationen und ist von grosser gesundheitspolitischer Bedeutung: Anzahl und Kosten von Schenkelhalsfrakturen beispielsweise werden nach Schätzungen innerhalb von 35 Jahren (1995– 2030) um jeweils 40 Prozent steigen. Im Kindesalter ist unser Wissen über die Langzeiteffekte von physischer Aktivität auf den Zuwachs der Knochendichte (Bone Mass Densitiy, BMD) unvollständig. Studien in pädiatrischen Populationen sind erst jüngst unternommen worden.
Einfluss körperlicher Aktivität
Die Ergebnisse von prospektiven Studien sagen aus, dass die körperliche Aktivität ausgeprägt sein muss, wenn sich die BMD von jungen Menschen erhöhen soll. Studien, in denen die Probanden nach körperlichen Aktivitätsgraden klassifiziert wurden, haben zumeist eine signifikante, aber mässige Korrelation zwischen der Aktivität als Jugendlicher und der BMD von bestimmten Skelettregionen ergeben. Kindliche Aktivitäten sind auf der einen Seite ein wesentlicher Reiz für eine gesunde körperliche Entwicklung und verdeutlichen auf der anderen Seite, dass physische Aktivität die BMD während der Wachstumsphase gegenüber negativen genetischen Faktoren günstig zu beeinflussen vermag.
Darüber hinaus hat sich gezeigt, dass der Benefit von körperlicher Aktivität für die Knochen, bei Beginn der Muskelarbeit vor der Skelettausreifung, während des Erwachsenenlebens weiter besteht. Die Ergebnisse dieser Studien verdeutlichen, dass eine bedeutsame Zunahme der Skelettmasse durch eine gesteigerte physische Aktivität während der Wachstumsphase des Kindes ermöglicht wird. Jeder Zugewinn von BMD bis zur Reifung persistiert in der Regel während des erwachsenen Lebens und vermag protektiv gegenüber einer gesteigerten Knochenbrüchigkeit in den späteren Jahren zu wirken. Der grösste Zuwachs an Knochenmasse erfolgt während der Pubertät.
«Weight Bearing» Von wesentlichem weiteren Interesse ist der Einfluss der differenten mechanischen Beanspruchung während der physischen Aktivität, das so genannte «Weight-Bearing» (Stauch- und Biegebeanspruchung des Knochens) versus «Non-Weight Bearing». Kinder, die in ihre körperlichen Aktivitäten diesen wichtigen Effekt des Weight-Bearing nicht einbeziehen, entwickeln keine höheren Bone-DensitySpiegel. Es zeigt sich, dass beispielsweise aufgrund des tragenden, Auftrieb erzeugenden Elementes Wasser Schwimmtraining im Pool einen Dumping-Effekt auf den BMD-Zuwachs der «Weight-Bearing»-beanspruchbaren Knochen hervorruft, der vergleichbar mit den Problemen der Null-Gravitation von Astronauten ist. Zudem konnte eine signifikant geringere BMD in der Lendenwirbelsäule und im Calcaneus von Schwimmerinnen im Studentenalter im Vergleich zu Volleyballund Basketballspielerinnen nachgewiesen
Pädiatrie 4/04 • 10
Schwerpunkt
Knochenmasse (g)
Optimierung bei chronischen Krankheiten
Pubertät
Ernährung
Peak Bone Mass
Sport
? Fraktur-
bereich
20 Kinder- und Jugendarzt
30
Alter (Jahre)
Abbildung 1: Altersabhängige Veränderungen der Knochenmasse (Peak Bone Mass) sowie Interventionsmöglichkeiten zur Optimierung der Skelettentwicklung im Kindes- und Jugendalter.
Muskelkraft konstant. Ebenso konnten keine Veränderungen der CorticalisDichte festgestellt werden. Die Muskulatur stellt den ersten Schritt der Aktivierung des Skelettsystems dar. Auch Ernährung und Hormone haben einen modellierenden Einfluss auf die Aktivierungs- und Regulationsprozesse des Skelettsystems. In der Pubertät führt ein Anstieg der Muskelkraft zu einer fast doppelt so hohen Zunahme der Knochenfestigkeit als in der Zeit vor der Pubertät. Eine hohe Peak Bone Mass (maximale Knochenmasse, PBM) kann nur im Kindes- und Jugendalter erreicht werden, später ist nur noch Halten beziehungsweise Vermeiden rascher Verluste möglich.
Primärpräventive Aufgaben
werden. In einer Studie mit 11 Gymnastiksportlern im Alter von 10 bis 16 Jahren zeigten diese, verglichen mit Schwimmern, eine ebenfalls signifikant grössere BMD der Lendenwirbelsäule und des Femurhalses. Ein ähnlicher Trend wurde in der calcanealen BMD von 68 13- bis 17-jährigen Schwimmern und Fussballern beiderlei Geschlechts gefunden. Es ist notwendig, verschiedene Formen der körperlichen Aktivität und ihre Effekte auf den Knochen zu differenzieren. Aerobe Belastung und Schwimmen vermögen die Knochenmasse nicht in dem gleichen Ausmass zu steigern wie Training mit Gewichten oder mit Kompression einhergehende Belastungen. Eine Anzahl von Studien an jungen Erwachsenen haben positive Auswirkungen von Gewichtstraining oder spezifischen Belastungsprogrammen auf die BMD nachweisen können, aber es existieren darüber noch keine Studien im Kindesalter.
gen, dass die wichtigste Stimulation des Skelettsystems die Muskelaktivität und nicht das Körpergewicht darstellt. Durch den noch nicht vollständig charakterisierten Mechanostat erfolgt die Detektion der Knochenverformung und die daraus resultierende Aktivierung der Knochenzellen (Osteoblasten, Osteoklasten), die für die Adaption des Skelettsystems verantwortlich sind. Die wichtigsten Adaptionsmechanismen sind die Veränderungen der Knochengeometrie. Die Strukturdichte der Spongiosa am distalen Radius bleibt im Kindes- und Jugendalter unabhängig von Alter und
I: Kindheit bis ca. 25. Lebensjahr
Ziel: Erreichen eines hohen PBM*
Kalziumreiche Diät Körperliche Aktivität Vermeidung skelettaler Noxen
Die Primärprävention der Volkskrankheit Osteoporose muss bereits im Kindesalter beginnen und ist somit auch eine kinderärztliche Aufgabe. Eine erste Säule der Prävention ist die gesteigerte und ausgeprägte physische Aktivität während der Wachstumsphase, mit der eine bedeutsame Zunahme der Skelettmasse und Knochendichte erreicht werden. Der Benefit für die Knochen besteht lebenslang, bei regelmässiger körperlicher Aktivität. Die zweite Säule der Prävention ist die Notwendigkeit des Vorhandenseins von ausreichendem Substrat, das in den Kno-
III: 50. bis ca. 75. Altersjahr
Ziel: Vermeidung der raschen postmenopausalen Verluste
Kalziumsupplemente, Gymnastik Langzeitige sequenzielle ÖstrogenGestagen-Substitution
Entwicklung von Muskulatur und Skelettsystem
Der optimale Aufbau des Skelettsystems im Kindes- und Jugendalter ist eine der wichtigsten primärpräventiven Massnahmen zur Verhinderung der Osteoporose im späten Erwachsenenalter. Viele biomechanische Studien des Skelettsystems und klinische Beobachtungen zei-
II: 25. bis 50. Lebensjahr
Ziel: Halten der PBM, Verzögerung altersabhängiger Verluste
Diät, Kalziumsupplemente Regelmässige Gymnastik Vermeiden von Risikofaktoren Behandlung potenziell sekundärer Osteoporosen
IV: Älter als 75 Jahre
Ziel: Verzögerung der senilen Skelettinvolution
Aktivität, Gymnastik, Sonnenexposition Kalziumreiche Diät Ca- und Vitamin-D-Supplemente
*PBM = Peak Bone Mass
Abbildung 2: Präventionsmöglichkeiten der Typ-II-Osteoporose in verschiedenen Lebensphasen.
11 • Pädiatrie 4/04
Schwerpunkt
Tabelle:
Optimale tägliche Kalziumzufuhr
Altersgruppe
Säuglinge Kinder 1–10 Jahre Jugendliche 11–18 Jahre Erwachsene (prämenopausale Frauen und Männer) Schwangere/Stillende Postmenopausale Frauen Männer > 60. Lebensjahr
mg Ca/Tag
350–550 800 1200 800 1200–1600 1500 1000
Quelle: NIH, Consensus Development Conference Statement, 1994
intensivierte, gesundheitsorientierte Sportprogramme mit gemischten Sportarten, ohne einseitige Belastung. Unnötige körperliche Inaktivität wie TV-Konsum-Zeiten reduzieren. Bisherige Ernährungsgewohnheiten ändern: mehr Kalzium, weniger Phosphat und Protein. Vor allem schädlich, aber beliebt sind Cola als Phosphatfänger sowie Fastfood als Verdränger der gesunden Ernährung mit Milch und Milchprodukten als Kalziumlieferanten.
Literatur beim Verfasser.
chen eingebaut werden kann. Dies muss durch eine optimale Versorgung mit den Nährstoffen Kalzium, Vitamin D und Phosphat realisiert werden. Für die gesamte Prävention der Osteoporose sind Lebensstiländerungen nötig:
Ausreichende und geeignete körperliche Aktivität (mit vorwiegend Stauchund Biegebeanspruchung der Knochen sowie Beurteilung durch Messung der Muskelkraft und körperlichen Belastbarkeit). Anzuraten sind altersgerechte,
Korrespondenzadresse: Dr. med. Richard Eyermann Kinder- und Jugendmedizin Kardiologie/Angiologie/Kinderkardiologie Sportmedizin, Allgemeinmedizin
Therese-Giehse-Allee 57 D-81739 München