Transkript
Schwerpunkt
Prognose der Epilepsien im Kindesalter –
unter zeitgemässer Diagnostik und Therapie
Die Prognose der Epilepsien ist von Dr. med. Ritva A. Sälke-Kellermann
von vielen Faktoren abhängig und kann zu Beginn der Krankheit oft nicht verbindlich festgelegt werden. Sie lässt sich aber durch eine individuell angepasste therapeutische Unterstützung des Kindes und eine sachgerechte Beratung der Eltern oft günstig beeinflussen.
I m Vergleich zum Erwachsenen liegen Epilepsien im Kindesalter oft andere Ursachen zugrunde. Neben einer dieser Altersgruppe eigenen Bereitschaft zu epileptischen Anfällen dominieren ätiologisch prä- und perinatale Schädigungen des Gehirns, unterschiedliche Hirnmissbildungen und genetische Störungen. Das Gehirn des Neugeborenen ist unreif und durch äussere Reize vulnerabler als später. Äussere Provokationen, wie Temperaturerhöhung bei Allgemeinerkrankungen, Mangeldurchblutung oder Hypoxie führen in jungem Alter eher zu heftigen Reaktionen des Gehirns als bei Erwachsenen, zum Beispiel in Form von Krampfanfällen. Pathologische EEGPotenziale breiten sich schneller aus als später, die Synapsen funktionieren anders als im reifen Gehirn. Dies äussert sich unter anderem auch in den Anfallsformen, die sich von denen Erwachsener teilweise erheblich unterscheiden. Nicht selten finden wir bei einem Kind mehrere Anfallsformen und unterschiedliche Muster im EEG. Weiter zu berücksichtigen ist, dass Anfälle die normale anatomische wie funktionelle Reifung des Gehirns empfindlich stören können, sodass die psychomotorische Entwicklung des Kindes leidet, wenn Anfälle über eine längere Zeit unkontrolliert bleiben. Deswegen gehören zur Betreuung epilepsiekranker Kinder neben medizinischer Diagnostik und Therapie unerlässlich auch regelmässige Kontrollen des psychomotorischen Entwicklungsstandes.
Prognosekriterien Allgemeine Anhaltspunkte für die Prognose der Erkrankung geben das Alter
des Kindes, die Art und Manifestationsgeschwindigkeit seiner Epilepsie, EEGBefunde und -Verlauf und die Ätiologie. Je jünger das Kind, umso grösser das Risiko eines problematischen Krankheitsverlaufs mit oft nur teilweise erreichbarer Anfallsfreiheit und mit dem Risiko, dass sich die Entwicklung sekundär verzögert. Entscheidend ist vor allem aber die Ätiologie der Erkrankung: Symptomatische Epilepsien auf dem Boden morphologischer Veränderungen des Gehirns bilden in vielen Fällen wesentlich ungünstigere Voraussetzungen für die Therapie als idiopathische Epilepsieformen. Auch ein stürmischer Beginn der Epilepsie mit häufigen Anfällen unterschiedlicher Phänomenologie muss als Warnzeichen gewertet werden. Stets schwierig zu therapieren sind nächtliche tonische Anfälle mit Spikes-Serien im EEG. Eine auch bei Anfallsfreiheit konstante Verlangsamung der Grundaktivität im EEG ist Hinweis auf eine beginnende oder vorhandene Enzephalopathie. Insgesamt ist eine medikamentöse Therapie bei etwa 70 Prozent der Anfallskranken erfolgreich. Diese Patienten werden anfallsfrei und zeigen keine Nebenwirkungen der Medikamente. In kontrollierten Studien liess sich nachweisen, dass die Chancen für eine Anfallsfreiheit erheblich (auf etwa 5–15%) sinken, wenn mit drei Medikamenten der ersten Wahl keine gute Anfallskontrolle erreicht werden kann. Spezielle Kriterien zur Beurteilung der Prognose einer Epilepsie sind nur durch eine differenzierte diagnostische Abklärung des jeweiligen epileptischen Syndroms und seiner spezifischen Ätiologie
9 • Pädiatrie 3/04
Schwerpunkt
zu gewinnen. Bei jungen Kindern mit fokalen Anfällen ist eine sorgfältige MRIUntersuchung mit guter Technik und dem Alter angepassten technischen Parametern unerlässlich. Diese Untersuchung liefert entscheidende Hinweise auf Therapieoptionen und damit auch auf die Prognose, um Beispiel bei kortikalen Dysplasien, subkortikalen Heterotopien, mesialen temporalen Sklerosen (sog. Hippocampussklerosen), paraventrikulären subependymalen Heterotopien, tuberösen Sklerosen. Bei Versagen konservativer Massnahmen (Pharmakoresistenz) sind diese Epilepsien oft epilepsiechirurgischen Eingriffen zugänglich, wodurch sich ihre Prognose deutlich bessern liess. Dank verbesserter diagnostischer Methoden und dank weiterentwickelter Operationstechnik können Kinder schon ab den ersten Lebensmonaten einer derartigen Behandlung zugeführt werden. Die Ergebnisse sind abhängig von der Lokalisation der Läsion und vom Ausmass der Operation. Bei dualer Pathologie (z.B. Hippocampussklerose plus kortikale Dysplasie) wird volle Anfallsfreiheit seltener erreicht als zum Beispiel bei alleiniger Hippocampussklerose. Bei den so genannten extratemporalen Epilepsien reduziert sich die operative Behandelbarkeit, die Prognose verschlechtert sich deutlich. Pharmakoresistenz liegt vor, wenn Medikamente ausdosiert entweder in Monotherapie oder in Kombinationstherapie nicht optimal wirken. In solchen Fällen ist zunächst die Diagnose noch einmal zu überprüfen. Möglicherweise muss die Diagnostik erweitert werden. Ausführliche Gespräche mit den Eltern können eine Non-Compliance aufdecken, die mit dem Messen der Serumkonzentrationen der Medikamente überprüft wird. Medikamente können – und müssen – bei schweren Epilepsien ausreichend hoch dosiert werden. Die obere Grenze ist individuell sehr unterschiedlich und wird nicht als Obergrenze eines Spiegelwertes des Labors, sondern als die Dosis definiert, welche beim betreffenden Kind eindeutige Nebenwirkungen verursacht. Dabei kann es sich um körperliche Symptome handeln (Übelkeit, Ataxie, Erbrechen, Müdigkeit, Zittern der Hände) oder um kognitive Beeinträchti-
Grafik 1: Idiopathische Epilepsien und Syndrome mit (meist) guter Pmriotg(mnoesiset) guter Prognose
8 bis 10 Jahre: familiäre Temporallappen-Epilepsie 6 bis 15 Jahre: autos. domin. nächtl. front. Epilepsie 3 bis 12 Jahre: Absenzen-Epilepsien des Kindesalters 2 bis 13 Jahre: benigne fokale Epilepsien (Rolando u.a.) 3 Monate bis 4 Jahre: benigne myoklonische Epilepsie 1 bis 7 Tage: benigne idiopathische Neugeborenenkrämpfe 2 bis 4 Tage: benigne familiäre Neugeborenenkrämpfe
1–7 1–6 1 2 3 4 5 6 7 8 9 10 11 12 13 14 Tage Monate Jahre
Swiss Epilepsy Center (EPI)
Grafik 2: Symptomatische und kryptogene Epilepsien und Syndrome (Prognose variabel)
2 bis 8 (14) Jahre: Lennox-Gastaut-Syndrom 1 bis 5 Jahre: myoklonisch-astatische Epilepsie 1 Jahr: Dravet-Syndrom (schwere myoklonische Epilepsie) 3 bis 12 Monate: West-Syndrom 1 bis 12 Monate: frühinfantile myoklonische Enzephalopathie In jedem Alter symptomatische Epilepsien mit Hirnschädigung
1–7 1–6 1 2 3 4 5 6 7 8 9 10 11 12 13 14 Tage Monate Jahre
Swiss Epilepsy Center (EPI)
gungen (Verlangsamung, Wortfindungsstörungen, Sprachstörungen). Da Kinder ihr Unwohlsein oder ihre sonstigen Symptome nicht immer selbst mitteilen können, ist es äusserst wichtig, die Mitteilungen der Eltern ernst zu nehmen. Bringt eine Dosisreduktion keine Besserung, muss das Medikament bei bleibenden Nebenwirkungen abgesetzt werden. Wenn eine bis drei Monotherapien sich als unwirksam erweisen und wenn eine operative Therapie nicht in Frage kommt, kann eine Kombinationstherapie in Erwägung gezogen werden. Dabei ist darauf zu achten, solche Medikamente zu wählen, die nicht in unliebsamer Weise miteinander interagieren. Stimulation des Nervus vagus oder eine ketogene
Diät sind weitere therapeutische Optionen. In Einzelfällen können auch diese beiden Therapien noch zum gewünschten Erfolg führen.
Therapieresistente Epilepsien Trotz aller Fortschritte gibt es leider immer noch Epilepsien, die mit unseren heutigen Methoden nicht befriedigend behandelbar sind. Diese Kinder beanspruchen unsere besondere Aufmerksamkeit. Laufende Therapien sollen und können oft noch optimiert werden. Zum anderen sind die Kinder im Rahmen ihrer Möglichkeiten psychosozial zu fördern. Kinder im Vorschulalter profitieren von der Früherziehung. Wenn eine deutliche Entwicklungsverzögerung vor-
Pädiatrie 3/04 • 10
Schwerpunkt
liegt, braucht das Kind im Kindergarten und in der Schule heilpädagogische Unterstützung. Schulische Überforderung würde neue Problem auslösen. Die Kinder würden dann unruhig und aggressiv. Insgesamt sollten gerade Eltern von Kindern mit schweren Epilepsien kontinuierlich und zuverlässig medizinisch und pädagogisch geführt und unterstützt werden. Auf diese Weise lässt sich die solchen Epilepsien inhärente schlechte Prognose oft doch noch verbessern oder wenigstens relativieren.
Altersabhängige Epilepsie-Syndrome Zahlreiche Epilepsie-Syndrome sind an das Kindesalter gebunden. Kriterien für die Definition sind: Alter, Ätiologie, Anfallstyp, EEG-Merkmale und Prognose. In den Grafiken 1 und 2 sind die häufigsten Syndrome aufgelistet. Die Prognose der idiopathischen Epilepsien ist mit oder ohne Therapie, bis auf einige Ausnahmen, gut. Im Gegensatz dazu ist die Prognose der symptomatischen und kryptogenen Epilepsien sehr variabel. Anhand einiger paradigmatischer Beispiele soll gezeigt werden, von welchen Faktoren die Prognose dieser Epilepsien speziell abhängig ist und wie man die Prognose beeinflussen und verbessern kann. Es ist nicht immer sofort möglich, eine Epilepsie syndromologisch zuzuordnen. Am Beginn einer Epilepsie ist eine verbindliche Prognose daher oft noch nicht zu stellen. Selbst wenn das Syndrom identifiziert ist, kann nicht mit Bestimmtheit vorausgesagt werden, ob das Kind zum Beispiel zu der statistisch grossen Gruppe mit guter Prognose oder zu der kleineren Gruppe mit einer schlechten Prognose gehört.
«Benigne» fokale Epilepsien Bei einigen gutartigen, zum Beispiel idiopathischen Epilepsie-Syndromen ist die Prognose so günstig, dass auf die Einleitung einer Therapie gelegentlich ganz verzichtet werden kann. Ein Beispiel dafür ist die so genannte «benigne fokale Epilepsie mit zentro-temporalen Spikes», auch als «Rolandische Epilepsie» bekannt, mit den typischen Merkmalen im EEG. Dieses Syndrom ist eine der häufigsten Epilepsieformen im Kindesalter. Die Prognose sowohl der Anfälle als auch
der psychomotorischen Entwicklung ist sehr gut. Auch wenn sich die für dieses Syndrom charakteristischen EEG-Merkmale nachweisen lassen, treten Anfälle nur bei einem Teil der betroffenen Kinder auf. Anfälle und pathognomonische EEG-Merkmale sind bei diesem Syndrom altersabhängige Symptome, die in einem gewissen Stadium der Hirnentwicklung (im Alter von 4 bis 11 Jahren) erscheinen und spätestens in der Pubertät spontan verschwinden. Die Epilepsie sistiert mit dem Erreichen der Hirnreife. Die mentale Entwicklung dieser Kinder verläuft in der Regel normal. Leichte Teilleistungsstörungen sind aber nicht ausgeschlossen. Bei der sehr guten Prognose für die Anfälle wird eine Therapie nur dann empfohlen, wenn Anfälle häufig auftreten und diese das Kind und die Eltern ängstigen. Die «Rolandische Epilepsie» markiert ein Ende des Spektrums einer Gruppe von idiopathischen Epilepsien, von denen einige Syndrome mit einer deutlich schlechteren Prognose verbunden sind, wie Pseudo-Lennox-Syndrom, LandauKleffner-Syndrom und ESES (Electrical Status Epilepticus during Slow Sleep). Auch diese Epilepsien sind altersabhängig und korrespondieren mit einem bestimmten Stadium der Hirnreife. Bei allen Betroffenen sistieren die Anfälle mit Erreichen der Pubertät vollständig. Die gute Prognose betrifft jedoch leider nur die Anfälle und die typischen pathologischen Merkmale im EEG. Hingegen sind die Patienten in ihrer mentalen Entwicklung oft erheblich und bleibend retardiert. Besonders beim Syndrom des so genannten «Continuous Spikes and Waves during Slow Wave-Sleep» (CSWS) beziehungsweise «ESES»-Syndrom sind die Anfälle weniger problematisch als die massive Retardierung in der Akutphase, die bis zur Pflegebedürftigkeit der zuvor in etwa normal entwickelten Kinder führen kann. Obgleich medikamentöse Therapien meist nur teilweise wirksam sind, lassen die Kinder sich in der Schule reintegrieren. Dabei ist die Versetzung in eine Kleinklasse mit heilpädagogischer Unterstützung aber fast ausnahmslos unumgänglich. Auch bei diesen Kindern sistieren die Anfälle, und das EEG nor-
malisiert sich spontan in der Pubertät. Der bis dahin erlittene Entwicklungsrückstand kann jedoch nicht aufgeholt werden.
West-Syndrom Das West-Syndrom beginnt im ersten Lebensjahr mit so genannten «BlitzNick-Salaam-Anfällen», die seriell auftreten. Meistens liegt eine symptomatische Ätiologie vor. Eine häufige Ursache ist die tuberöse Sklerose (TS). Bei der Diagnosestellung muss die Therapie sofort eingeleitet werden. Nur bei wenigen Kindern wird Anfallsfreiheit erreicht. Spontanheilungen sind selten. Trotz aller therapeutischer Fortschritte ist die Prognose in aller Regel ungünstig.
Schwere myoklonische Epilepsie des frühen Kindesalters (Dravet-Syndrom) oder benigne myoklonische Epilepsie? Die Prognose dieser beiden Epilepsieformen des Kindesalters ist extrem unterschiedlich. Beide beginnen im ersten Lebensjahr, die eine mit einer Therapieresistenz und einer schweren Entwicklungsverzögerung (das DravetSyndrom), die andere mit Myoklonien als einziger Anfallsform, mit gutem Ansprechen auf Valproinsäure (VPA) und mit normaler psychomotorischer Entwicklung. Daher ist eine sorgfältige Differenzierung dieser Epilepsien notwendig, bevor auf die Prognose gerichtete Fragen der Eltern beantwortet werden können.
Myoklonisch-astatische Epilepsie Dieses Syndrom ist relativ selten. Der Beginn mit Myoklonien, Sturzanfällen, atypischen Absenzen und auch GrandMal-Anfällen kann sehr stürmisch sein. Bei diesen Kindern sollte möglichst unverzüglich mit der im Verlauf dann oft schwierigen und zeitraubenden Behandlung begonnen werden. Die Prognose ist eher ungünstig.
Lennox-Gastaut-Syndrom Die Ätiologie des Lennox-GastautSyndroms (LGS) reicht von symptomatischen bis zu kryptogenen Ursachen. Die Diagnose ergibt sich aus dem klinischen Verlauf und dem Auftreten mehrerer Anfallstypen. Charakteristisch sind nächt-
11 • Pädiatrie 3/04
Schwerpunkt
liche tonische Anfälle. Tagsüber leiden die Kinder an Sturzanfällen und an atypischen Absenzen, die oft auch über Stunden im Sinne eines non-konvulsiven Status epilepticus ablaufen können. Eine Entwicklungsretardierung ist unvermeidlich, wenn es nicht gelingt, die Anfälle unter Kontrolle zu bekommen. Die meistens verlangsamte Grundaktivität im EEG ist ein Hinweis auf eine begleitende Enzephalopathie. Die Anfälle trotzen sehr häufig auch intensivsten medikamentösen Therapien, sodass die Prognose trotz aller pharmazeutischer Fortschritte der letzten Jahre unverändert meist wenig günstig ist.
Absenzen-Epilepsien Die typische Absenzen-Epilepsie, die so genannte «Pyknolepsie» (Absenzen-Epilepsie des Schulalters mit unzähligen Absenzen pro Tag) ist sehr gut behandelbar. Etwa 90 Prozent der Kinder werden mit VPA, Lamictal oder Ethosuximid anfallsfrei. Ihre Entwicklung ist normal. Unter den Absenzen-Epilepsien gibt es jedoch leider auch Formen, die schwer behandelbar sind. Absenzen des Kleinkindesalters sind oft von myoklonischen Anfällen (z.B. Lidmyoklonien) begleitet, die therapieresistent sind. Dies bedeutet ein Risiko für die weitere mentale Entwicklung der betroffenen Kinder. Später beginnende Absenzen-Epilepsien können gelegentlich unvorhergesehen ebenfalls therapieschwierig werden. Auch bei den Absenzen-Epilepsien gilt das Prinzip, die Kinder möglichst schnell anfallsfrei zu bekommen. Bei täglich zahllosen Absenzen bestehen kaum Chancen, in der Schule Neues aufzunehmen. Dies fällt in den ersten Wochen der Erkrankung zunächst noch nicht besonders auf.
Symptomatische Epilepsien Symptomatische Epilepsien können in jedem Alter beginnen. Beim Vorliegen einer schweren Hirnmissbildung treten Anfälle schon in den ersten Lebenstagen auf. Wenn antiepileptische Medikamente nicht ausreichend wirksam sind, soll bereits im Säuglingsalter eine Operation in Erwägung gezogen werden. Eine ungestörte Entwicklung dieser jungen Kinder ist erst nach Erreichen einer Anfallsfreiheit oder nennenswerter Reduktion der
Anfallsfrequenz möglich, also oft erst nach einer epilepsiechirurgischen Massnahme. Seit Einführung operativer Massnahmen hat sich die Prognose der symptomatischen Epilepsien zum Teil dramatisch gebessert. Oft bestehen solchen Operationen gegenüber aber Vorurteile und Widerstände. Wir dürfen jedoch nicht vergessen, dass das unreife Hirn eine funktionelle Plastizität aufweist, sodass bestimmte Funktionen nur in bestimmten Phasen der ersten Lebensjahre von gesunden Hirnregionen übernommen werden können. Es gilt, die für spezifische Hirnleistungen oft engen Zeitfenster nicht zu verpassen. Temporallappen-Epilepsien können eine symptomatische oder eine idiopathische Ätiologie haben. Die mesiale temporale Sklerose, die so genannte Hippocampussklerose, gehört zu den häufigsten Epilepsie-Syndromen, insbesondere bei Erwachsenen, sie kommt aber auch schon im Kindesalter vor. Ein Teil der Patienten wird unter medikamentöser Therapie anfallsfrei. Andernfalls muss unverzüglich abgeklärt werden, ob das Kind Kandidat für eine operative Therapie sein könnte. Aus Erfahrung wissen wir, dass Verlängerungen der medikamentösen Behandlung mit ständigen Umstellungen der Therapie in der Regel erfolglos bleiben. Die Resultate nach einer Operation von mesialen temporalen Sklerosen sind bei Kindern und Erwachsenen gleich gut. Etwa 70 bis 80 Prozent der Operierten werden anfallsfrei. Operationen im Bereich des Temporallappens sind inzwischen Routine. Deutlich schwieriger ist die Situation bei Epilepsien mit extratemporalem Anfallsursprung. Lässt sich eine Läsion nicht lokalisieren, kommt eine Operation nicht in Frage. Ein Herd in den so genannten eloquenten Arealen ist meistens inoperabel. Eine Abklärung, zum Beispiel mit einer funktionellen MagnetresonanzTomografie (fMRI), ist in solchen Fällen unabdingbar. Wenn eine strukturelle und funktionelle Störung seit der Geburt besteht, können die Funktionen der pathologischen Hirnareale von der gesunden Hirnhälfte zum Teil übernommen werden. In solchen Fällen ist die Operationsindikation rechtzeitig zu prüfen.
Service
Schweizerische Epilepsie-Stiftung Bleulerstrasse 60, 8008 Zürich Tel. 01-387 62 02, Fax 01-387 62 49 E-Mail: info@swissepi.ch Internet: www.swissepi.ch
Schweizerische Liga gegen Epilepsie (SLgE) Seefeldstrasse 84, PF 1084, 8034 Zürich Tel. 043-488 67 77, Fax 043-488 67 78 E-Mail: spirig@epi.ch, Internet: www.epi.ch
ParEpi Seefeldstrasse 84, 8008 Zürich Tel. 043-488 65 60, Fax 043-488 68 81 E-Mail: parepi@bluewin.ch Internet: www.parepi.ch (Elternverein mit u.a. Regionalgruppen, Ferienlager für Kinder)
Fieberkrämpfe Die häufigsten Anfälle im Kindesalter sind die so genannten Fieberkrämpfe: Ein bis dahin völlig gesundes Kind bekommt bei hohem Fieber einen Krampfanfall. Gelegentlich ist der Anfall das erste Zeichen einer fieberhaften Erkrankung. Die Prognose der Fieberkrämpfe ist im Allgemeinen sehr gut. Die Anfälle sistieren spätestens mit fünf bis sechs Jahren spontan. Einige Kinder, die Fieberkrämpfe hatten, entwickeln jedoch eine Epilepsie. Das Risiko ist von mehreren Faktoren abhängig. Nach einem komplizierten Fieberkrampf (familiäre Belastung, Dauer über 15 Minuten, Anfälle mit fokalen Zeichen, vorbestehende neurologische Symptome) erhöht sich das Epilepsierisiko auf 4 bis 10 Prozent.
Literatur bei der Verfasserin.
Korrespondenzadresse:
Dr. med. Ritva A. Sälke-Kellermann Leitende Ärztin
Schweizerisches Epilepsie-Zentrum Bleulerstrasse 60 8008 Zürich
E-Mail: ritva.salke@swissepi.ch
Pädiatrie 3/04 • 12