Transkript
AUS DER FORSCHUNG
Pfizer Forschungspreis: Die Krebsforschung
Wie Tumorzellen zu neuem Leben erweckt werden
Tumoorrzellllen sindd nicht nnur in der LLaage, ddemm AAlltterungsprozess zu entgehen, sie kköönnnenn als MM etastasen aauch llaannge Zeit in besttimmmtten OOrrganen in einemm «Dornröschenschlaf»» überdauern,, uumm ddaannn wieder «aufgeweckt» zu werden. Junge FFoorschende aaus der SSchweiz lliefern bei dder AAufklläärruung ssoollcher uunndd weitterrer ersttaauunllicher MM echanismm en einen wertvolllen Beitragg.. Sie wurden ddafürr mm it ddemm diesjährrigen Pfizer FFoorschungsprreis aauusgezeichnet.
Metastasen bleiben auch bei relativ gut
behandelbaren primären Prostatakarzi-
nomen eine sehr ernste therapeutische
Herausforderung. In engem Zusammen-
hang mit der Bildung von metastasieren-
den Zellen steht das Schicksal alternder
Tumorzellen. Eigentlich verhindert die
«vorzeitige Alterung» gestresster oder
geschädigter Zellen in einem Frühsta-
dium die maligne Transformation und
Ausbreitung – eine Tatsache, die man
sich therapeutisch zunutze macht, indem
mit Medikamenten eine solche Senes-
zenz induziert wird. Unter bestimmten
Bedingungen werden alternde Tumor-
zellen jedoch nicht schwächer, sondern
paradoxerweise sogar noch aggressiver
und gleichzeitig resistenter gegen Che-
motherapien, ein Phänomen, das vielen
Krebsforschern über Jahre hinweg Kopf-
zerbrechen bereitete. Ilaria Guccini und
Ajinkya Revandkar
vom IOR Bellinzona
und von der ETH Zü-
rich fanden heraus,
dass der sogenannte
Metalloproteinases-1
Inhibitor TIMP-1 bei
der Alterung der Krebszellen eine ent-
Ajinkya Revandkar
scheidende Rolle
spielt (1). Wenn näm-
lich das TIMP-1-Gen
seine Funktion verliert
und gleichzeitig De-
fekte am PTEN-En-
zym auftreten, wer- Ilaria Guccini
den die alternden Tumorzellen genetisch neu programmiert. Diese «Verjüngungskur» fördert die unkontrollierte Zellvermehrung und die Bildung von Metastasen. Ausgelöst wird dieser Prozess durch den Tumor selbst. Einfach ausgedrückt: Wird das TIMP-1-Gen ruhiggestellt, können vergreiste Krebszellen nochmal loslegen. Die Ergebnisse helfen dabei, bislang unverstandene Prozesse der Tumorzell-Seneszenz bei Prostatakrebs zu verstehen.
Warum erwachen «schlafende» Tumorzellen?
Bei den Forschungen von Ana Luisa Correia von der Universität Basel/Friedrich Mischer Institut Basel standen nicht alternde, sondern schlafende Tumorzellen im Vordergrund. Bekannt ist, dass die vom Primärtumor abgeschilferten Tumorzellen in weiter entfernten Geweben nach der Ankunft in einen «schlafenden» Zustand übergehen und dort Jahre oder sogar Jahrzehnte überdauern, um dann irgendwann «aufgeweckt» zu werden. Was die Zellen jedoch letztlich dazu bringt, aus ihrem Tiefschlaf zu erwachen und dann ungebremst zu wachsen, ist eine der fundamentalsten ungelösten Fragen der onkologischen Forschung. Mit einem speziell entwickelten Werkzeug konnte die Baselerin herausfinden, Ana Luisa Correia
dass sich die schlafenden Tumorzellen von Mäusen mit Brustkrebs besonders häufig in der Leber sammeln (2). Dieser Ruhezustand wird von den körpereigenen natürlichen Killerzellen kontrolliert. Dabei ist für die Frage, ob Tumorzellen aktiv werden oder nicht, die Grösse des Killerzellenpools am «Ruheplatz» entscheidend. Erst wenn es zu einer Reduktion der eigenen Abwehrzellen kommt, erwachen die Krebszellen zu neuem Leben. Gleichzeitig ist unter dem Einfluss des chemischen Botenstoffs CXCL12 eine Zusammenballung von aktivierten hepatischen Sternzellen (HSCs) zu beobachten. Solche Sternzellen sind eigentlich für die Regeneration beschädigter Leberzellen zuständig, scheinen aber auch bei der Aktivierung der Metastasen eine zentrale Rolle zu spielen. Würde man einen möglichst grossen Bestand der natürlichen Killerzellen erhalten, so die Hypothese, könnte möglicherweise das «Aufwachen» der Tumorzellen verhindert werden.
Mit «bewaffneten Fähren» gegen den Hirntumor
Aggressive Glioblastome sprechen kaum auf Immuntherapien an, weil die Umgebung des Karzinoms immunologisch «kalt» ist und Immunzellen unterdrückt. Wie kann man dieses Hindernis überwinden und wirkungsvolle Medikamente an die Tumoren bringen? Tobias Weiss und Emanuele Puca vom Universitätsspital/Universität Zürich und von der ETH Zürich wussten, dass L19-Antikörper an spezifische Tumorproteine binden, die nicht in gesunden Geweben vorkommen. Allerdings reicht ein solcher Antikörper alleine nicht aus, um ein Glioblastom wirkungsvoll zu bekämpfen. Also fusionierten sie für ihre Studie den L19Antikörper mit einem inflammatorischen Zytokin zu einem aggressiven Immunzy-
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AUS DER FORSCHUNG
tokin (L19-TNF) (3). Diese «bewaffnete
Fähre» schickten sie intravenös zum Tu-
mor, um dort lokal eine Immunantwort
auszulösen. So konnten sie in Mäusen mit
Glioblastom eine Anreicherung von L19-
Fusionsproteinen im Hirntumor nachwei-
sen und erfolgversprechende langfris-
tige Tumorzerstörungen erzielen.
Überdies stellten die beiden Zürcher
Forschenden fest, dass durch diese Stra-
tegie weitere Immun-
zellen im Körper sti-
muliert werden, die
ebenfalls gegen den
Tumor vorgehen.
Aber nicht nur im
Tiermodell, auch bei
mehreren Patienten und Patientinnen mit
Emanuele Puca
rezidivierendem
Grad-III/IV-Gliom
kam es durch L19-TNF
zu einer lokalen Im-
munantwort und ei-
nem begrenzten Ab-
sterben des Tumors.
Tobias Weiss
Epigenetische Mechanismen bei pädiatrischen Tumoren
Im Gegensatz zu Tumoren bei Erwachsenen sind pädiatrische Tumoren häufig eng mit epigenetischen Störungen verbunden. Dabei ist im Zellkern nicht die DNA-Sequenz selbst von Veränderungen betroffen, sondern die dreidimensionale Struktur der Chromosomen. Dies wirkt sich wiederum auf die Aktivität der Gene aus. Deshalb wurden in den vergangenen Jahren epigenetische Faktoren immer mehr zum Ziel für vielversprechende neue therapeutische Optionen. Joana Marques Joana Marques
vom Universitätskinderspital Zürich stellte in diesem Zusammenhang das Protein CHD4 in den Fokus ihrer Forschungen (4). CHD4 ist an der epigenetischen Regulation der Genaktivität, der DNA-Reparatur und der Kontrolle der Zellteilung des Tumors beteiligt. Konkret: Es ist mitverantwortlich für die Entstehung des Rhabdomyosarkoms, einer seltenen, aber gefährlichen pädiatrischen Krebserkrankung. Marques konnte mithilfe einer Serie von Genom-Sequenzierungstechniken erstmals zeigen, dass CHD4 den eigentlichen Tumortreiber bei dieser Krebserkrankung unterstützt (den «Fusionstranskriptionsfaktor» PAX3FOXO1) und dadurch essenziell für das Überleben der Zellen dieses Tumors ist. Die Ergebnisse dieser Arbeit erweitern die Kenntnis um die Rolle epigenetischer Kontrolle von Tumoren erheblich und könnten dabei helfen, neue Therapieoptionen für pädiatrische Krebsformen zu erforschen – und zu finden.
Herpesviren gegen Hautlymphome
«Onkolytische Viren» sind in der Lage, in Tumorzellen einzudringen und sie zu zerstören. Als besonders geeignet im Kampf gegen bösartige Krebszellen haben sich dabei gentechnisch veränderte Herpesviren erwiesen. Allerdings sind viele Fragen zum Mechanismus dieser Strategie noch unbeantwortet. Egle Ramelyte, Aizhan Tastanova und Zsolt Balazs von der Universität und dem Universitätsspital Zürich injizierten gentechnisch veränderte onkolytische Herpes-Viren (T-VEC) in die Haut von Patienten mit lokal fortgeschrittenem B-Zell-Lymphom (5). Anschliessend nahmen sie über eine extrem feine Nadel zu unterschiedlichen Zeitpunkten von denselben Tumorläsionen immer wieder Proben. Dadurch konnte
erstmals mit einer grossen Zahl von Ein-
zelzell-RNA-Analysen der Effekt der Vi-
rusbehandlung auf Zellebene fortlaufend
beobachtet werden.
Es zeigte sich, dass
sowohl die Tumorzel-
len als auch benach-
barte Zellen um die
Einstichstelle mit den
Viren infiziert waren.
Diese Infektion löste
eine gegen den Tu- Aizhan Tastanova
mor gerichtete Im-
munreaktion aus, die
noch weit über den
eigentlichen «Infekti-
onsherd» nachweis-
bar war. Durch diese
Probeentnahme mit nachfolgender Einzel-
Egle Ramelyte
zellanalyse ist ein
deutlich besseres
Verständnis für die
biologischen Mecha-
nismen von onkolyti-
schen Virustherapien
möglich.
Zsolt Balazs
Klaus Duffner
Quelle: Pfizer Forschungspreis
Referenzen: 1. Guccini I et al.: Senescence reprogramming by
TIMP1 deficiency promotes prostate cancer metastasis. Cancer Cell. 2021; 39(1):68-82. 2. Correia AL et al.: Hepatic stellate cells suppress NK cell sustained breast cancer dormancy. Nature 2021; 594: 566–571. 3. Weiss T et al.: Immunocytokines are a promising immunotherapeutic approach against glioblastoma. Sci Transl Med. 2020; 12(564):eabb2311. 4. Marques JG et al.: NuRD subunit CHD4 regulates super-enhancer accessibility in fusion-positive Rhabdomyosarcoma and represents a general tumor dependency. eLife 2020; 9:e54993. 5. Ramelyte E et al.: Oncolytic virotherapy-mediated anti-tumor response: a single-cell perspective. Cancer Cell 2021; 39(3): 394-406.e4.
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Fotos: zVg