Transkript
ASH 2021
63rd ASH Annual Meeting and Exposition, 11.–14. Dezember 2021, Atlanta, virtuell
Chronische myeloische Leukämie
Aktuelle Daten im Überblick
Auf dem Gebiet der chronischen myeloischen Leukämie (CML) wurden am ASH 2021 mehrere Arbeiten zum Thema der behandlungsfreien Remission vorgestellt, so auch die abschliessende Analyse der EURO-SKI-Studie. Im Weiteren wurden Untersuchungen zu spezifischen Tyrosinkinasehemmer-Nebenwirkungen sowie ein Update der ASCEMBL-Studie präsentiert.
Mehrere am Kongress der American Society of Hematology (ASH) präsentierte Arbeiten befassten sich mit dem Thema der behandlungsfreien Remission (Treatment Free Remission, TFR). So wurde unter anderem die abschliessende Analyse der EURO-SKI-Studie mit einem Follow-up von nun 3 Jahren vorgestellt (1). Für die Studie konnten zwischen Mai 2012 und Dezember 2014 insgesamt 728 Patienten rekrutiert werden. Das mediane Alter der Teilnehmenden betrug zum Zeitpunkt der CML-Diagnose 52 Jahre, die mediane Dauer der Behandlung mit einem Tyrosinkinasehemmer (TKI) lag bei 7,5 Jahren. Vor dem Stopp der TKI-Therapie befanden sich die Patienten im Median für 4,7 Jahre in einem tiefen molekularen Ansprechen (MR4). Wie die finale Analyse der Studie zeigte, lag das therapiefreie Überleben ohne molekulares Rezidiv nach 6 Monaten bei 62% und nach 36 Monaten bei 46%. Diese Daten bestätigten die Resultate der ersten Analyse. Die Dauer der TKITherapie vor dem Behandlungsstopp und die Dauer des tiefen molekularen Ansprechens erwiesen sich als die wichtigsten prognostischen Faktoren für den Verlust des tiefen Ansprechens nach 6 Monaten. Für Spätrezidive (bei 57 Patienten zwischen Monat 6 und 36) war gemäss einer vorläufigen Analyse die Dauer der TKI-Behandlung vor dem Stopp der Therapie mit Imatinib als einziger Faktor von prognostischer Bedeutung.
Behandlungsfreie Remission nach Umstellen auf Nilotinib
In der Studie ENESTcmr wurde gezeigt, dass Patienten, die unter Imatinib lediglich ein vollständiges zytogenetisches Ansprechen mit persistierender minimaler Residualerkrankung erreich-
ten, hinsichtlich der Tiefe des Ansprechens von einer Umstellung auf Nilotinib (2x 400 mg pro Tag) profitieren konnten (2). Die Studie ENESTpath sollte nun klären, wie lange diese Nilotinib-Therapie im Idealfall dauern sollte, um die Chance auf eine TFR zu erhöhen (3). In die prospektive, randomisierte, offene, zweiarmige Phase-III-Studie wurden CML-Patienten aufgenommen, die nach einer Imatinib-Behandlung von ≥ 24 Monaten zwar ein vollständiges zytogenetisches Ansprechen, aber keine MR4 erreicht hatten. Sie erhielten für 12 Monate eine Induktionstherapie mit Nilotinib (2x 300 mg pro Tag), es folgte eine 12-monatige Konsolidierungsphase. Danach wurde bei den Patienten mit einer stabilen MR4 über mindestens die letzten 12 Monate entweder die TKI-Therapie gestoppt (Arm 1) oder weitere 12 Monate einer Nilotinib-Konsolidierung angeschlossen (Arm 2). Die Studie zeigte schliesslich, dass das zusätzliche Konsolidierungsjahr mit Nilotinib im Arm 2 zu keinem signifikanten Benefit in Bezug auf den Erfolg einer TFR geführt hatte. Sie bestätigte jedoch, dass Nilotinib in einer Dosierung von zweimal 300 mg pro Tag in der Lage war, auch bei solchen Patienten eine ≥ MR4 zu erreichen, die unter der Vortherapie mit Imatinib kein stabiles tiefes molekulares Ansprechen erzielt hatten.
Management von TKI-Nebenwirkungen
Die DASISON-Studie hatte gezeigt, dass Dasatinib für neudiagnostizierte CML-Patienten eine wirksame Langzeittherapie-Option darstellt (4). Dieser Tyrosinkinase-Inhibitor wurde aber auch mit der Entwicklung von Pleura-Ergüssen in Verbindung gebracht. Zu deren Management werden häufig Strategien
wie Dosisreduktionen, Unterbrechen der Therapie oder Umstellen auf einen anderen TKI eingesetzt. Die SIMPLICITY-Studie hat nun gezeigt, dass Patienten, bei denen die Erstlinientherapie beibehalten wird, bessere klinische Ergebnisse erreichen können als Patienten, welche die Therapie wechseln (5). Brokars et al. schlossen in ihre am ASH präsentierte Arbeit 123 CML-Patienten mit Pleura-Erguss unter Dasatinib ein und analysierten, welche Therapiestrategie für diese Patienten gewählt wurde (6). Es zeigte sich, dass die DasatinibDosis nach dem Auftreten eines PleuraErgusses bei 38,2% der Patienten modifiziert wurde (d.h. Dosisreduktion oder Therapieunterbruch von 15 bis 59 Tagen Dauer). Das 1-Jahres-Follow-up ergab, dass die meisten dieser Patienten (72,3%) nicht auf einen anderen TKI umgestellt wurden und dass mehr als zwei Drittel (70,6%) die Behandlung mit Dasatinib schliesslich auch weiterführten. Im Gegensatz dazu wurden 57,9% der Patienten ohne Dosismodifikation auf einen anderen TKI umgestellt. Diese Daten sprechen nach Meinung der Studienautoren dafür, dass ein Absetzen von Dasatinib bei Auftreten eines Pleura-Ergusses möglicherweise nicht erforderlich ist. Eine Modifikation der Dosis bzw. ein kurzer Unterbruch der Therapie könnte es ermöglichen, die Behandlung mit Dasatinib weiterzuführen und so den Erfolg der Behandlung beizubehalten. Bosutinib wird als Erstlinientherapie in einer Dosis von 400 mg pro Tag und in späteren Therapielinien in einer Dosierung von 500 mg pro Tag eingesetzt (7). Unter Therapie können bei bis zu 90% der Patienten gastrointestinale Nebenwirkungen (v.a. Diarrhöe) auftreten (8). In der Studie BODO (Bosutinib Dose Optimization) wurde bei CML-Patienten mit Versagen oder Unverträglichkeit eines TKI der zweiten Generation untersucht, ob durch eine stufenweise Erhöhung der Dosis die Häufigkeit gastrointestinaler Nebenwirkungen redu-
SCHWEIZER ZEITSCHRIFT FÜR ONKOLOGIE 1/2022
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ASH 2021
63rd ASH Annual Meeting and Exposition, 11.–14. Dezember 2021, Atlanta, virtuell
Tabelle
Zusammenstellung einiger Resultate der ASCEMBL-Studie (48-Wochen-Update) (11)
Fortführen der Behandlung
Asciminib (n = 157) 89 (56,7%)
Bosutinib (n = 76) 17 (22,4%)
Abbruch der Behandlung • Mangelnde Wirksamkeit • Nebenwirkungen
Mediane Expositionsdauer (in Wochen)
Ansprechraten in Woche 48 • MMR • MR4 • MR4,5
67 (42,7%) 37 (23,6%) 9 (5,7%) 67,1
29,3% 10,8% 7,6%
59 (77,6%) 27 (35,5%) 18 (23,7%) 29,7
13,2% 3,9% 1,3%
Nebenwirkungen • ≥1 alle Grade • ≥1 Grad 3 • N ebenwirkungen, die zum
Therapieabbruch führten
91,0% 54,5% 7,1%
97,4% 67,1% 25,0%
MMR: BCR-ABL1IS ≤ 0,1%; MR4: BCR-ABL1IS ≤ 0,01%; MR4,5: BCR-ABL1IS ≤ 0,0032%
ziert, dabei aber gleichzeitig die optimale Wirksamkeit der Therapie erhalten werden kann (9). Die Startdosis von Bosutinib betrug 300 mg pro Tag. Traten keine Toxizitäten > Grad 1 auf, wurde die Dosis alle 14 Tage um 100 mg bis auf eine maximale Dosis von 500 mg pro Tag erhöht. Die multizentrische, offene, einarmige Studie sollte 127 Patienten umfassen, wurde aber nach 57 Patienten aufgrund einer langsamen Rekrutierung abgebrochen. Diese bisher trotzdem grösste Kohorte zur Wirksamkeit und Sicherheit von Bosutinib nach Unverträglichkeit/Versagen einer Erstlinientherapie mit einem Zweitgenerationen-TKI konnte schliesslich keinen Vorteil für das gewählte Dosierungskonzept in Bezug auf die Häufigkeit gastrointestinaler Toxizitäten der Grade 2 bis 4 nachweisen. Innerhalb der ersten 6 Monate kam es bei 60% der Patienten zu einer solchen Nebenwirkung. Lediglich ein Patient
brach die Therapie aufgrund einer gastrointestinalen Nebenwirkung ab. Dagegen konnte mit dem gewählten Dosierungsschema bei fast zwei Dritteln der Patienten ein optimales Ansprechen erreicht werden.
Update zu STAMP-Inhibitor Asciminib
Schliesslich wurden auch einige Daten zu neuen Therapieansätzen vorgestellt. So präsentierten Mauro et al. das 48-Wochen-Update zur Wirksamkeit und Sicherheit des STAMP(Specifically Targeting the ABL Myristoyl Pocket)Inhibitors Asciminib (n = 157, 40 mg 2x täglich) im Vergleich zu Bosutinib (n = 76, 500 mg pro Tag) aus der multizentrischen, offenen Phase-III-Studie ASCEMBL (11). Die primäre Analyse der Studie hatte für Asciminib eine bessere Wirksamkeit und Sicherheit bei den eingeschlossenen Patienten mit ≥ 2 TKI-Vortherapien gezeigt. Die
Auf einen Blick
■ Gemäss der abschliessenden Auswertung der EURO-SKI-Studie lag das therapiefreie Überleben ohne molekulares Rezidiv 36 Monate nach Therapiestopp bei 46% (1). Für Rezidive zwischen Monat 6 und 36 war gemäss einer vorläufigen Analyse die Dauer der TKI-Behandlung vor Therapiestopp als einziger Faktor von prognostischer Bedeutung.
■ Brokars et al. analysierten 123 CML-Patienten mit Pleura-Erguss unter Dasatinib und zeigten, dass eine Dosismodifikation oder ein kurzer Therapieunterbruch es oft ermöglichten, die Therapie weiterzuführen (6).
■ Ein aktuelles Update der ASCEMBL-Studie, nach einem medianen Follow-up von 19,2 Monaten, bestätigte die überlegene Wirksamkeit und Verträglichkeit des STAMP-Inhibitors Asciminib im Vergleich zu Bosutinib bei CML-Patienten mit mindestens 2 TKI-Vortherapien (10).
nun vorgestellten Daten umfassten ein
medianes Follow-up von 19,2 Monaten
– zusätzliche 7,5 Monate seit der pri-
mären Analyse. Sie bestätigten die
überlegene Wirksamkeit von Ascimi-
nib im Vergleich zu Bosutinib mit ho-
hen Ansprechraten und einem günsti-
gen Nebenwirkungsprofil (Tab.). Die
Autoren kommen denn auch zu dem
Schluss, dass das positive Nutzen-Ri-
siko-Profil von Asciminib weiterhin für
seinen Einsatz als neue Therapieop-
tion für solch stark vorbehandelte Pa-
tienten spricht.
n
Therese Schwender
Referenzen: 1. Mahon F et al: Final analysis of a pan European stop
tyrosine kinase inhibitor trial in chronic myeloid leukemia: the EURO-SKI study. Blood. 2021;138(Suppl 1): Abstract 633. 2. Hughes TP et al.: Sustained deep molecular re sponses in patients switched to nilotinib due to persistent BCR-ABL1 on imatinib: final ENESTcmr randomized trial results. Leukemia. 2017;31(11): 25292531. 3. Réa D et al.: Treatment-free remission after two different durations of nilotinib consolidation in patients with chronic myeloid leukemia previously treated with imatinib: Enestpath Study Results. Blood. 2021;138(Suppl 1): Abstract 635. 4. Cortes JE et al.: Final 5-year study results of DASISION: the dasatinib versus imatinib study in treatment-naïve chronic myeloid leukemia patients trial. J Clin Oncol. 2016;34:2333-2340. 5. Gambacorti Passerini C et al.: Treatment patterns and clinical outcomes of tyrosine kinase inhibitors in chronic-phase CML in clinical practice: 3-year European SIMPLICITY data. Eur J Haematol. 2021;106(1):82-89. 6. Brokars J et al.: Dasatinib treatment patterns after pleural effusion among patients with chronic myeloid leukemia. Blood. 2021;138(Suppl 1): Abstract 3607. 7. Fachinformation Bosulif® (Bosutinib), www.swissmedicinfo.ch. Stand Mai 2021. 8. Hochhaus A et al.: Bosutinib for pretreated patients with chronic phase chronic myeloid leukemia: primary results of the phase 4 BYOND study. Leukemia. 2020;34:2125-2137. 9. Isfort S et al.: Step-in dosing in the bosutinib dose optimization study (BODO) failed to reduce gastrointestinal toxicity in patients failing second generation TKI in chronic phase chronic myeloid leukemia but suggests promising molecular response. Blood. 2021;138(Suppl 1): Abstract 3608. 10. Mauro M et al.: Efficacy and safety results from ASCEMBL, a multicenter, open-label, phase 3 study of asciminib, a first-in-class STAMP inhibitor, vs bosutinib in patients with chronic myeloid leukemia in chronic phase after ≥2 prior tyrosine kinase inhibitors: update after 48 weeks. Blood 2021;138(Suppl 1): Abstract 310. 11. Hochhaus A et al.: Efficacy and safety results from ASCEMBL, a multicenter, open-label, phase 3 study of asciminib, a first-in-class STAMP inhibitor, vs bosutinib in patients with chronic myeloid leukemia in chronic phase previously treated with ≥2 tyrosine kinase inhibitors. Blood. 2020;136(Suppl 2): Abstract LBA-4.
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