Transkript
Im Fokus: Gastroenterologische Tumoren
Das Rektumkarzinom – hilft mehr auch mehr?
Die Behandlung des Rektumkarzinoms war über lange Zeit von Standardvorgehen geprägt. Seit Kurzem wird die Behandlung durch intensivierte Konzepte insbesondere bei lokal fortgeschrittenen Karzinomen neu definiert. Dieser Bericht gibt einen Überblick über Bewährtes und Neues bei der Behandlung der Rektumkarzinome.
SARA BASTIAN
SZO 2021; 5: 6–11.
Sara Bastian
Bis in die 90er Jahre bestand die Behandlung des Rektumkarzinoms in der radikalen Resektion und Anlage eines definitiven Stomas. Die Entwicklung neuer chirurgischer Techniken, insbesondere der totalen mesorektalen Exzision (TME), führte zu besserer lokaler Kontrolle und besseren Chancen auf einen Sphinktererhalt. Die zusätzliche präoperative Radiochemotherapie bei lokal fortgeschrittenen Tumoren konnte die lokale Kontrolle nochmals verbessern. Bei lokal fortgeschrittenen Tumoren wird seit Kurzem die neue Strategie der totalen neoadjuvanten Therapie (TNT) in vielen Zentren angewandt. Die sorgfältige Auswahl geeigneter Patientinnen und Patienten ist dafür essenziell. Das prätherapeutische Staging wird dadurch äusserst wichtig bei der Planung des Behandlungskonzepts.
Tabelle 1:
Einteilung nach Lokalisation
UICC (23) ESMO (16)
Tief1 mittel 0–6 6–12 0–5 5–10
1In cm ab Anokutanlinie ermittelt mit starrer Rektoskopie (16)
hoch > 12 > 10–15
ABSTRACT
In the treatment of localized rectal cancer, several studies have recently been published which allow a more efficient and differentiated treatment. On the one hand, the locally ad vanced stages can be treated more intensively with total neoadjuvant therapy (TNT). At the same time, treatment concepts for organ preservation such as the watch and wait strategy are being developed. Sufficient data for adjuvant therapy after neoadjuvant radiochemo therapy (CRT) are still not available. In any case, treatment should be interdisciplinary at a center with sufficient expertise.
Keywords: localized rectal cancer, total neoadjuvant therapy, watch and wait strategy
Diagnostik
Die häufigsten Symptome des Rektumkarzinoms sind Blutabgang ab ano und im fortgeschrittenen Stadium obstruktive Verdauungsbeschwerden. Leider erleben wir im Alltag häufig, dass diese Beschwerden über längere Zeit als Hämorrhoidalleiden behandelt und nicht adäquat abgeklärt werden. Dies führt dazu, dass das Rektumkarzinom oft im lokal fortgeschrittenen oder gar metastasierten Stadium diagnostiziert wird. Die primäre Diagnostik erfolgt mittels Endoskopie und Histologiegewinnung. Die Invasivität muss histologisch bewiesen sein. Mit der starren Rektoskopie wird der Abstand zum Analrand gemessen und die Einteilung in oberes, mittleres und unteres Rektum vorgenommen (Tabelle 1). Diese Untersuchung wird idealerweise vom behandelnden Chirurgen durchgeführt. Eine Markierung des Tumorunterrandes kann intraoperativ eine Hilfe sein, um festzulegen wie weit reseziert werden muss. Zum Staging sollte minimal ein CT Thorax bis Becken erfolgen. An vielen Zentren wird mittlerweile das akkuratere PET-CT als Standard durchgeführt. Das PET-CT gewinnt an Bedeutung bei lokal fortgeschrittenen Tumoren mit hohem Risiko für eine Fernmetastasierung. Für die Behandlungsplanung ist das lokoregionäre Staging essenziell. Der Goldstandard ist ein hochauflösendes MRT des Rektums. Damit werden die Tumorausdehnung (T) und der lokoregionäre Lymphknotenbefall (N) festgelegt (Tabelle 2). Ferner können der Befall der Zirkumferenz (CRM) und die lokoregionäre extramurale Gefässinvasion (EMVI) erhoben werden (1). Das MRT-Staging hat Limitationen bei der Beurteilung der Infiltration des Spinkterapparates, aber auch des lokoregionären Lymphknotenbefalls. Die Endosonographie ist bei Frühstadien (T1–T3) sehr akkurat, vor allem bei der Beurteilung der Sphink-
6 SCHWEIZER ZEITSCHRIFT FÜR ONKOLOGIE 5/2021
Im Fokus: Gastroenterologische Tumoren
terinfitraltion und der tumornahen Lymphknoten. Die lateralen Lymphknoten sind aber nicht zuverlässig einsehbar. Trotz aller diagnostischer Verfahren kommt es in ca. 1/5 der Fälle zu einem «Under staging», wobei nicht befallene Lymphknoten sich am Operationspräparat als befallen herausstellen. Ein noch grösseres Problem stellt aber das «Overstaging» der lokoregionären Lymphknoten im MRT dar. Suspekte Lymphknoten werden anhand von Grösse, Morphologie und Kontrastmittelverhalten identifiziert und als suspekt eingestuft. Mittels MRT kann aber nicht differenziert werden, ob es sich tatsächlich um Lymphknotenmetastasen oder reaktive Veränderungen handelt. Häufig finden sich am Operationspräparat keinerlei regressive Veränderungen mehr. Spätestens zu diesem Zeitpunkt kann nicht mehr unterschieden werden, ob auch initial ein N0-Stadium vorlag oder ob die präoperative Therapie effizient war. Diese Unsicherheiten erschweren die Einschätzung des Risikos und stellen hohe Ansprüche an alle Beteiligten für die Behandlungsplanung.
Behandlung lokalisierter Stadien
Die Behandlung des lokalisierten Rektumkarzinoms erfolgt multidisziplinär. Es handelt sich um komplexe Behandlungskonzepte mit hoher Morbidität, die nur an Zentren mit ausreichender Expertise umgesetzt werden sollten. Eine interdisziplinäre Behandlungsplanung im Rahmen eines Tumorboards ist für jeden Fall Pflicht. Tumore des oberen Rektums, insbesondere oberhalb der peritonealen Umschlagsfalte, werden in der Regel wie Kolonkarzinome direkt operiert (low anterior resection, LAR). Eine neoadjuvante Therapie kann bei grossen und/oder wandüberschreitenden Tumoren diskutiert werden. Die erhöhte Darmtoxizität durch eine Radiotherapie ist bei hoch gelegenen Tumoren zu berücksichtigen. Tabelle 3 gibt eine Übersicht analog den ESMOund NCCN-Guidelines über das Vorgehen bei Tumoren des mittleren und oberen Rektums ohne Risikofaktoren.
Operation
Trotz Bestrebungen, mittels intensiver Vorbehandlung eine Operation zu vermeiden (watch and wait), ist die chirurgische Resektion weiterhin der international empfohlene Standard. Folgende Techniken werden angewandt:
Tabelle 2:
TNM UICC 8th Edition (adaptiert nach ESMO) (16)
T1 T2 T3
a b c d T4 a b N1 a b c N2 a b M0 M1 a
b c
Infiltration Submukosa Infiltration Muskularis propria Infiltration Subserosa < 1 mm 1–5 mm 6–15 mm > 15 mm Perforation Peritoneum Infiltration benachbarte Organe Befall 1 lokoregionärer Lymphknoten Befall 2–3 lokoregionäre Lymphknoten Tumor Deposits im perirektalen Gewebe ohne Lymphknotenbefall Befall 4–6 lokoregionäre Lymphknoten Befall 7 oder mehr lokoregionäre Lymphknoten Keine Fernmetastasen Fermetastasen Befall 1 Organ oder nicht regionale Lympknoten ohne Peritonealbefall Befall mehr als 1 Organ Nur peritonealer Befall
Tabelle 3:
Behandlungsschema nach Stadien (stark vereinfacht)
Keine Vorbehandlung
Neoadjuvante LC-CRT oder SC-RT TNT
ESMO (16)
T1–3 N0 hoch und mittel
T3 N0 tief T3 N1–2 mittel und hoch T3 mit Risikofaktoren CRM+, T4b
NCCN (15)
T1–T2, N0 T1–2 N+ T3 N0-2 CRMT3 CRM+, T4
kleine Becken. Ein grosser Vorteil ist die nervenschonende Technik, womit postoperative Schäden wie Sphinkter- und Blasendysfunktion sowie sexuelle Dysfunktion reduziert werden können. Eine Weiterentwicklung ist die transanale Mobilisation des Mesorektums (ta TME). Diese hat den Vorteil, dass eine Staplernaht gesetzt werden kann, mit besserem Heilungsverlauf. Die Anastomose kann als Direktnaht (End-zu-End), Seit-zuEnd oder mit einem Colonpouch gemacht werden. Eine doppelläufige Ileo- oder Kolostomie wird bei tiefer Anastomose (ab 10 cm ab ano) angelegt.
Totale mesorektale Exzision (TME): Seit Mitte der 90er Jahre der Goldstandard, mittlerweile häufig laparoskopisch durchgeführt. Das Organ wird entlang der Mesorektalfaszie freipräpariert und reseziert. Dies erlaubt eine zuverlässige pathologische Beurteilung und verhindert eine Tumoraussaat ins
Abdominoperineale Resektion (APR): Bei Tumoren mit Infiltration in den Sphinkter ist oft keine kolo anale Anastomose mit Erhalt der Sphinkterfunktion möglich. Das gesamte Rektum inklusive Spinkterapparat wird reseziert und ein endständiges definitives Stoma angelegt. Hierbei gibt es
SCHWEIZER ZEITSCHRIFT FÜR ONKOLOGIE 5/2021
7
Im Fokus: Gastroenterologische Tumoren
Tabelle 4:
Risikofaktoren lokal fortgeschrittene Rektumkarzinome
ESMO (16) RAPIDO (12)
CRM+ T4b EMVI+ Levator/Sphinkterinfiltration Lateraler Lymphknotenbefall
CRM+ T4 a/b EMVI+ N2 Lateraler Lymphknotenbefall
zwei Techniken, die extralevatorische und die klassische Resektion.
Die transanale endoskopische Resektion (TEM) wird nur bei gut differenzierten T1-Tumoren angewandt, bei denen eine vollständige Resektion (Vollwand) möglich ist. Dies bedingt natürlich, dass keine Infiltration der Muskulatur oder kein Lymphknotenbefall vorliegt.
Für die Wahl des chirurgischen Vorgehens spielen auch andere Kriterien eine Rolle, wie Alter und Komorbiditäten. Wichtig sind vor allem Faktoren, welche die Sphinkterfunktion und die Beckenmuskulatur beinträchtigen.
Neoadjuvante Therapie
Eine neoadjuvante Langzeit-Radiochemotherapie (LC-CRT) wird vor allem bei lokal fortgeschrittenen Tumoren appliziert, bei denen von chirurgischer Seite eine Tumorregression erwünscht ist. Karzinome des unteren Rektums werden in der Regel vorbehandelt, um die Chancen eines Organerhalts zu verbessern. Die Risikofaktoren bei lokal fortgeschrittenen Stadien sind in Tabelle 4 aufgelistet. Mittels neoadjuvanter CRT können die Lokalrezidivrate und das stomafreie Überleben verbessert werden. Im Vergleich zur adjuvanten CRT treten weniger Strikturen auf. Die deutsche CAO/ARO/AIO94-Studie hat für T3und T4-Karzinome lange Zeit den internationalen Standard mit neoadjuvanter LC-CRT gesetzt (2). Vor allem bei Tumoren im unteren Rektum kann die LCCRT die Notwendigkeit eines definitiven Stomas halbieren. Es wurden verschiedene Verabreichungsformen für 5-FU untersucht, wobei das Bolusschema dem kontinuierlichen hinsichtlich Toxizität, PFS und OS unterlegen war (3). Capecitabin ist dem infusionalen 5-FU nicht unterlegen und hat sich in der Schweiz als Standard durchgesetzt (4). In den skandinavischen Ländern wird häufig eine verkürzte Bestrahlung (SC-RT) mit 5 Fraktionen à 5
Gray (5x5) verabreicht. Der Swedish-Rectal-Trial zeigte sich gegenüber dem klassischen LC-CRT über fünfeinhalb Wochen hinsichtlich Lokal- und Fernrezidiven ebenbürtig (5). Im klinischen Alltag wird die 5x5-Bestrahlung vor allem bei Patientinnen und Patienten mit Tumoren ohne Organüberschreitung eingesetzt, welche aufgrund von Komorbiditäten eine LC-CRT nicht tolerieren würden. In den letzten 1,5 Jahren kam an vielen Zentren aufgrund der COVID-19-Pandemie das 5x5-Schema zum Einsatz, um Konsultationen im Spital möglichst gering zu halten. Es gab verschiedene Versuche, die neoadjvante LC-CRT mit Oxaliplatin zu ergänzen. Ausser mehr Toxizität wurden keine reproduzierbaren Verbesserungen bezüglich der Effizienz (pathologische Komplettremissionen pCR, R0-Resektionen, PFS und OS) beobachtet (6–10). Auch die Konsolidierung nach SC-RT mit 5-FU und Oxaliplatin in der Polish-II-Studie zeigte keine Verbesserung (11). Mit Skepsis wurden daher die Resultate der Studien mit totaler neoadjuvanter Therapie (TNT) erwartet.
Totale neoadjuvante Therapie (TNT)
Die RAPIDO-Studie konnte eine signifikante Verbesserung der pCR-Raten und des PFS mittels Konsolidierung mit 6 x CAPOX oder 9 x FOLFOX nach SC-RT gegenüber alleiniger LC-CRT zeigen (12). Das OS war jedoch nicht besser, eine längere Verlaufsbeobachtung bleibt aber abzuwarten. Eine zweite TNT-Studie (PRODIGE 23) prüfte eine zusätzliche intensive Dreierkombination mit FOLFIRINOX zur LC-CRT gegenüber alleiniger LC-CRT. Die pCR-Raten wurden verdoppelt und das PFS signifikant verbessert. Die OS-Daten stehen noch aus (13). Die chinesische STELLAR-Studie, präsentiert am diesjährigen ASCO, bestätigt die Ergebnisse hinsichtlich PFS und PFS der RAPIDO- und PRODIGE-23-Studien, das OS war numerisch besser bei einem Nichtunterlegenheitsdesign (14). Das bessere Resultat der TNT-Studien im Vergleich zur Polish-II-Studie ist zum Teil mit der längeren Latenz von der Radiotherapie bis zur Operation (6 vs. 18 Wochen) erklärt, zumindest was die pCRRaten betrifft. Das NCCN und die ESMO haben ihre Empfehlungen kürzlich angepasst, auch die AIO hat mit einer Stellungnahme reagiert (15–17). Bei allen TNT-Studien ist die Toxizität erstaunlich tief, die perioperativen Komplikationen nicht erhöht. Ob diese Daten im klinischen Alltag auf die Patientinnen und Patienten, häufig im fortgeschrittenen Alter und mit Komorbiditäten, übertragbar sind, bleibt abzuwarten. Eine TNT sollte nur bei Karzinomen mit hohem Risiko verabreicht werden. Die Gefahr einer Überbehandlung mit entsprechenden Langzeittoxizitäten bei niedrigem und moderatem Risiko sollte bedacht wer-
8 SCHWEIZER ZEITSCHRIFT FÜR ONKOLOGIE 5/2021
Im Fokus: Gastroenterologische Tumoren
den. Hier sei nochmals auf das Risiko des Overstagings hingewiesen. Bei Hochrisiko-Karzinomen kann aktuell eine TNT mit SC-RT gefolgt von 6 Zyklen CAPOX (oder 9 Zyklen FOLFOX) für fitte Patienten empfohlen werden. Bei welchen Patienten FOLRIRINOX im Rahmen der TNT gegeben werden soll, wird aktuell noch debattiert. Lediglich die NCCN-Guideline empfiehlt, dieses Schema zu evaluieren, sofern eine Höchstrisikosituation vorliegt (T3 CRM+, T4) (15). Einige Experten sehen den Einsatz von Irinotecan im kurativen Setting kritisch. Eine 3er-Kombination ist bei älteren und komorbiden Patientinnen und Patienten im klinischen Alltag zudem selten möglich. Ob die TNT eine LC-CRT beinhalten soll oder ob eine SC-RT ausreicht, ist noch nicht geklärt. Hier wird die AIO18.1-Studie bald Resultate zeigen (18). Tabelle 4 gibt eine Übersicht über die aktuellen Definitionen von Hochrisikopatienten.
Watch and wait
Je nach Tumorstadium kann mit einer neoadjuvanten LC-CRT in 15 bis 25% eine pCR des Tumors erreicht werden. Mit einer TNT sind diese konstant bei ca. 28% (12–14). Hier stellt sich die Frage, ob anstelle einer Resektion engmaschige Verlaufskontrollen durchgeführt werden können. Die brasilianischen Kollegen waren Pioniere dieser Watch-andwait-Strategie (19). Eine holländische Studiengruppe hat diese Strategie perfektioniert, indem sie zum Festlegen der CR Endoskopie mit Biopsien sowie MRT angewandt hat (20). Patienten mit kleinem Restbefund (nearCR) wurden zudem mittels TEM (transanal endoskopic microsurgery) behandelt. Mittlerweile liegen auch erste Daten der OPRA-Studie vor, bei welcher eine Oxaliplatin-basierte Chemotherapie mit einer LC-CRT kombiniert wurde und bei klinischer Komplettremission eine Watchand-wait-Strategie mit Salvage-Operation bei Tumorpersistenz oder Lokalrezidiv folgt. Bei den Patienten mit LC-CRT-Behandlung gefolgt von Chemotherapie konnte bei 50% eine Operation vermieden werden. Eine Watch-and-wait-Strategie bedingt eine gute Compliance seitens der Patienten mit 3- bis 4-monatlicher Bildgebung mittels MRT und Endoskopie. Es muss jedoch das erhöhte
Merkpunkte
■ Das Rektumkarzinom bedarf intensiver interdisziplinärer Zusammenarbeit vor dem ersten Therapieschritt. Eine gemeinsame Behandlungsplanung im Rahmen eines Tumorboards ist obligat.
■ Bei Hochrisikokarzinomen kann eine TNT für fitte Patienten empfohlen werden. ■ Die Watch-and-wait-Strategie bedingt eine sorgfältige Auswahl geeigneter Patienten. ■ Trotz der hohen Inzidenz sind die Daten für eine adjuvante Behandlung nach neoad
juvanter Radiochemotherapie ungenügend und der Entscheid muss weiterhin indivi duell gefällt werden.
Risiko von Wundheilungsstörungen nach längerer Latenz zur CRT berücksichtigt werden.
Adjuvante Therapie
Falls keine neoadjuvante CRT verabreicht wurde, wird bei positivem CRM (≤ 1mm), Perforation im Tumorbereich, inkompletter TME, pN2 mit extranodalem Wachstum oder pN2 bei sehr tief gelegenen Karzinomen, pN1c oder EMVI nahe der CRM eine adjuvante CRT empfohlen (16). Die Behandlung im adjuvanten Setting nach neoadjuvanter CRT ist weiterhin schlecht untersucht und wird oft notgedrungen analog einem Kolonkarzinom Hochrisikostadium II und Stadium III gehandhabt. Die Faustregel, dass das präope rative Stadium über die adjuvante Therapie bestimmt, wird zunehmend in Frage gestellt. Die Datenlage für die Zugabe von Oxaliplatin ist ebenfalls dünn, es wird aber bei Stadium III häufig verabreicht. Bei vielen Studien mit lokal fortgeschrit tenen Rektumkarzinomen war eine adjuvante Oxaliplatin-basierte Behandlung über 3 bis 6 Monate vorgesehen (8, 13, 21). Im Alltag wird häufig bei Nodalbefall analog zur IDEA-Studie 3 Monate Oxaliplatin in Kombination mit Capecitabin verabreicht (22). Ob bei gutem Ansprechen auf die neoadjuvante CRT (ypT1/2 ypN0) eine adjuvante Therapie erfolgen soll, wird kontrovers diskutiert und die Daten sind widersprüchlich. Nach wie vor muss im Einzelfall unter Berücksichtigung des Sicherheitsbedürfnisses und der Toleranz der Therapie abgewogen werden, ob und wie eine adjuvante Chemotherapie erfolgen soll.
Metastasiertes Setting
Falls Fernmetastasen vorliegen, wird das Vorgehen wie beim Kolonkarzinom unter Berücksichtigung prädiktiver Marker (mindestens RAS, BRAF, MSI) empfohlen. Rektumkarzinome sind im Vergleich zum Kolonkarzinom seltener BRAF-mutiert und häufiger HER2-mutiert. In der speziellen Situation mit einzelnen Metastasen (oligometastatic) kann in ausgewählten Fällen ein potenziell kurativer Ansatz mit Resektion der Metastasen und des Primärtumors angestrebt werden. Hier kann je nach Fitness des Patienten und Resektabilität der Metastasen eine Kombination mit präoperativer Chemotherapie mit SC-RT oder LC-CRT erfolgen. Die NCCN-Guidelines geben hier eine gute Hilfestellung (15).
Ausblick
Seit Kurzem findet eine rege Studientätigkeit zu Therapie-Deeskalationen statt, um die Funktionalität zu erhöhen und auch die Langzeittoxizitäten zu reduzieren. Ein Ansatz ist das Weglassen der Radiotherapie, sofern bei Karzinomen ohne Hoch-
10 SCHWEIZER ZEITSCHRIFT FÜR ONKOLOGIE 5/2021
Im Fokus: Gastroenterologische Tumoren
risikofaktoren mit einer Chemotherapie neoadjuvant behandelt wird. Hier sei speziell auf die PROSPECT-Alliance-Studie (NCT01515787) und die am diesjährigen ESMO präsentierte chinesische CONVERT-Studie hingewiesen (NCT02288195). Einen anderen Ansatz verfolgt die Studie SAKK 41/16 (NCT02910843). Darin wird die neoadjuvante CRT mit Regorafenib intensiviert und untersucht, ob die pCR-Raten verbessert werden können. Weitere Studien prüfen die Zugabe eines PDL-1-Inhibitors ebenfalls im neoadjuvanten Setting (REGINA NCT04503694 und R-IMMUNE NCT03127007).
Dr. med. Sara Bastian Kantonsspital Graubünden Onkologie/Hämatologie Loestrasse 170 7000 Chur E-Mail: sara.bastian@ksgr.ch
Interessenkonflikt: Die Autorin ist Coordinating Investigator der SAKK 41/16-Studie, welche von Bayer International unterstützt wird.
Referenzen: 1. Beets-Tan RGH et al.: Magnetic resonance imaging for clinical management of
rectal cancer: Updated recommendations from the 2016 European Society of Gastrointestinal and Abdominal Radiology (ESGAR) consensus meeting. Eur Radiol. 2018;28(4):1465-1475. 2. Sauer R et al.: Preoperative versus postoperative chemoradiotherapy for rectal cancer. N Engl J Med. 2004;351(17):1731-1740. 3. O’Connell MJ et al.: Improving adjuvant therapy for rectal cancer by combining protracted-infusion fluorouracil with radiation therapy after curative surgery. N Engl J Med. 1994;331(8):502-507. 4. Hofheinz RD et al.: Chemoradiotherapy with capecitabine versus fluorouracil for locally advanced rectal cancer: a randomised, multicentre, non-inferiority, phase 3 trial. Lancet Oncol. 2012;13(6):579-588. 5. Swedish Rectal Cancer Trial et al.: Improved survival with preoperative radiotherapy in resectable rectal cancer [published correction appears in N Engl J Med 1997 May 22;336(21):1539]. N Engl J Med. 1997;336(14):980-987. 6. Aschele C et al.: Primary tumor response to preoperative chemoradiation with or without oxaliplatin in locally advanced rectal cancer: pathologic results of the STAR-01 randomized phase III trial. J Clin Oncol. 2011;29(20):2773-2780. 7. Rödel C et al.: Preoperative chemoradiotherapy and postoperative chemotherapy with fluorouracil and oxaliplatin versus fluorouracil alone in locally ad vanced rectal cancer: initial results of the German CAO/ARO/AIO-04 randomised phase 3 trial. Lancet Oncol. 2012;13(7):679-687.
8. Schmoll HJ et al.: Pre- and Postoperative Capecitabine Without or With Oxaliplatin in Locally Advanced Rectal Cancer: PETACC 6 Trial by EORTC GITCG and ROG, AIO, AGITG, BGDO, and FFCD. J Clin Oncol. 2021;39(1):17-29.
9. Gérard JP et al.: Clinical outcome of the ACCORD 12/0405 PRODIGE 2 randomized trial in rectal cancer. J Clin Oncol. 2012;30(36):4558-4565.
10. Allegra CJ et al.: Neoadjuvant 5-FU or Capecitabine Plus Radiation With or Without Oxaliplatin in Rectal Cancer Patients: A Phase III Randomized Clinical Trial. J Natl Cancer Inst. 2015;107(11):djv248.
11. Ciseł B et al.: Long-course preoperative chemoradiation versus 5 × 5 Gy and consolidation chemotherapy for clinical T4 and fixed clinical T3 rectal cancer: long-term results of the randomized Polish II study. Ann Oncol. 2019;30(8):12981303.
12. Bahadoer RR et al.: Short-course radiotherapy followed by chemotherapy before total mesorectal excision (TME) versus preoperative chemoradiotherapy, TME, and optional adjuvant chemotherapy in locally advanced rectal cancer (RAPIDO): a randomised, open-label, phase 3 trial. Lancet Oncol. 2021;22(1):2942.
13. Conroy T et al.: Neoadjuvant chemotherapy with FOLFIRINOX and preoperative chemoradiotherapy for patients with locally advanced rectal cancer (UNICANCER-PRODIGE 23): a multicentre, randomised, open-label, phase 3 trial. Lancet Oncol. 2021;22(5):702-715.
14. Jin J et al.: A multicenter, randomized, phase III trial of short-term radiotherapy plus chemotherapy versus long-term chemoradiotherapy in locally advanced rectal cancer (STELLAR): The final reports. Journal of Clinical Oncology. 2021: 39(15_suppl):3510-3510.
15. Oncology, N.C.P.G.i., NCCN Clinical Practice Guidelines in Oncology Rectal Cancer Version 2.2021 — September 10, 2021.
16. Glynne-Jones R: Rectal cancer, ESMO Clinical Practice Guidelines for diagnosis, treatment and follow-up. esmo.org/Guidelines/Gastrointestinal-Cancers/ Rectal-Cancer. 2021.
17. Konsentierte Stellungnahme der AIO, der ACO und der ARO zur neoadjuvanten Therapie beim Rektumkarzinom; https://www.aio-portal.de/tl_files/aio/ stellungnahmen/Stellungnahme%20AIO_ACO_ARO%20Rektumkarzinom%20 _%2007_2020.pdf. 2020.
18. Rödel C: Short-course Radiotherapy Versus Chemoradiotherapy, Followed by Consolidation Chemotherapy, and Selective Organ Preservation for MRI- defined Intermediate and High-risk Rectal Cancer Patients. ClinicalTrials.gov. NCT04246684.
19. Habr-Gama A et al.: Operative versus nonoperative treatment for stage 0 distal rectal cancer following chemoradiation therapy: long-term results. Ann Surg. 2004;240(4):711-718.
20. Martens MH et al.: Long-term Outcome of an Organ Preservation Program After Neoadjuvant Treatment for Rectal Cancer. J Natl Cancer Inst. 2016;108(12):djw171.
21. Rödel C et al.: Oxaliplatin added to fluorouracil-based preoperative chemoradiotherapy and postoperative chemotherapy of locally advanced rectal cancer (the German CAO/ARO/AIO-04 study): final results of the multicentre, open-label, randomised, phase 3 trial. Lancet Oncol. 2015;16(8):979-989.
22. André T et al.: Effect of duration of adjuvant chemotherapy for patients with stage III colon cancer (IDEA collaboration): final results from a prospective, pooled analysis of six randomised, phase 3 trials. Lancet Oncol. 2020;21(12):1620-1629.
23. Wittekind, LHSaC, Cancer IUa (2002) TNM classification of malignant tumours. Wiley-Liss, New York, NY, USA, 2002.
SCHWEIZER ZEITSCHRIFT FÜR ONKOLOGIE 5/2021
11