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KONGRESSBERICHT
World Congress on Gastrointestinal Cancer (WCGC), 30. Juni – 3. Juli 2021
Gastrointestinale Tumoren
Neue Fortschritte auch für die «Sorgenkinder» der Onkologie
Viele der gastrointestinalen Entitäten sind seit langem «Sorgenkinder» der Onkologie. Beim World Congress on Gastrointestinal Cancer (WCGC) konnten in diesem Jahr einige Erfolgsmeldungen präsentiert werden. So wurde mit einer adjuvanten Therapie beim Pankreaskarzinom das Gesamtüberleben verlängert. Viele Fortschritte werden mit der Weiterentwicklung der immuntherapeutischen Checkpoint-Inhibitoren erreicht.
Während die meisten Entitäten von der Immuntherapie profitieren, konnte beim Pankreaskarzinom nun die Überlebensverlängerung durch eine optimierte Chemotherapie erreicht werden – in einer negativen Studie, die vom WCGC-Auswahlkomitee mit der Abstract-Nummer LBA1 gewürdigt wurde. Die multizentrische, offene, randomisierte Phase-III-Studie APACT untersuchte die adjuvante Gabe von nabPaclitaxel plus Gemcitabin gegenüber alleinigem Gemcitabin bei insgesamt 866 Patienten mit resezierbarem Pankreaskarzinom. Die Studie erreichte den primären Endpunkt nicht: Der Unterschied bezüglich des unabhängig geprüften krankheitsfreien Überlebens (DFS) erreichte die statistische Signifikanz nicht (Hazard Ratio [HR]: 0,88; 95%-Konfidenzintervall [KI]: 0,729– 1,063). Es wurde aber ein Vorteil für die Kombinationstherapie in der DFS-Auswertung der Prüfärzte beobachtet (HR: 0,82; 95%-KI: 0,694–0,965). Auch bezüglich des Gesamtüberlebens (OS) gab es Hinweise auf einen Vorteil durch die zusätzliche nab-Paclitaxel-Gabe (HR: 0,82; 95%-KI: 0,680–0,996), die nun beim WCGC mit den 5-Jahres-OS-Daten bestätigt wurden (1). Die mediane Nachbeobachtungszeit für die aktuelle OS-Analyse betrug 63,2 Monate und es waren insgesamt 555 Ereignisse eingetreten. Mit einem Median von 41,8 Monaten für die Behandlung mit nab-Paclitaxel plus Gemcitabin versus 37,7 Monaten für die alleinige Gemcitabin-Therapie zeigte sich durch nab-Paclitaxel eine 20%ige Reduktion des Risikos zu versterben (HR: 0,80; 95%-KI: 0,678– 0,947; p=0,0091). Nach 62 Monaten waren 38 versus 31% der Patienten noch am Leben.
Kombinationstherapie mit Trastuzumab und Pembrolizumab beim Magenkarzinom
Für die Behandlung von Patienten mit HER2-positivem, metastasiertem Adenokarzinom von Magen oder gastroösophagealem Übergang wurde in der Phase-IIIStudie KEYNOTE-811 der Einsatz von Pembrolizumab in Kombination mit Trastuzumab und Chemotherapie untersucht. 692 Patienten erhielten Trastuzumab und Chemotherapie (5-Fluorouracil plus Cisplatin oder CAPOX) mit Pembrolizumab oder Plazebo. Der duale primäre Endpunkt war eine Verlängerung von OS und progressionsfreiem Überleben (PFS). Beim WCGC wurde die erste geplante Interimsanalyse für die ersten 264 Studienteilnehmer mit einer Nachbeobachtungszeit von ≥ 8,5 Monaten präsentiert (2). Die Sicherheitspopulation (≥ 1 Dosis der Studienmedikation) bestand zu dem Zeitpunkt aus 433 Patienten. Im Median betrug die Nachbeobachtungszeit für die Wirksamkeitspopulation 12,0 Monate und für die Sicherheitspopulation 9,9 Monate. Die Patienten waren median 61 bis 63 Jahre alt. Etwa 85% der Patienten in beiden Studienarmen zeigten einen PD-L1-CPS ≥ 1 und etwa 80% eine hohe HER2-Expression (IHC 3+). Zwischen 86 und 88% der Patienten erhielten in den beiden Studienarmen als Chemotherapie der Wahl das CAPOX-Regime. Im Pembrolizumab-Arm kam es bei 97% der Patienten zu einer Tumorschrumpfung jedweden Ausmasses und bei 32% zu einer Tumorschrumpfung ≥ 80%. Im Plazebo-Arm wurde Entsprechendes bei 90 bzw. 15% der Patienten beobachtet. Die Ansprechrate (ORR) betrug im experimentellen beziehungsweise im Kontrollarm 74,4 versus 51,9% (p < 0,0001). Eine komplette Remission wurde bei 11% der
Patienten im Pembrolizumab-haltigen Arm und bei 3% im Kontrollarm erreicht. Der ORR-Vorteil für die Pembrolizumabhaltige Therapie zeigte sich für alle untersuchten Subgruppen. Die Dauer des Ansprechens betrug median 10,6 versus 9,5 Monate. Das Sicherheitsprofil war in beiden Studienarmen vergleichbar.
Tislelizumab zur Behandlung des fortgeschrittenen Ösophaguskarzinoms
Tislelizumab ist ein neuer PD-1-Checkpoint-Inhibitor, der eine hohe Affinität und Spezifität zum PD-1-Rezeptor der TZellen hat, aber nur minimal am FcyR-Rezeptor auf Makrophagen bindet und damit die Antikörper-abhängige Phagozytose verhindert. Letzteres ist ein Mechanismus der T-Zell-Clearance und ein potenzieller Resistenzmechanismus gegenüber der PD-1-Therapie. Mit dem neuen PD-1-Inhibitor wurde in der PhaseIII-Studie RATIONALE 302 eine OS-Verlängerung beim fortgeschrittenen oder metastasierten squamösen Ösophaguskarzinom erreicht. 512 Patienten mit Progress während oder nach der Erstlinientherapie erhielten Tislelizumab (200 mg, q3w) oder eine Chemotherapie nach Wahl des Prüfarztes (Paclitaxel, Docetaxel oder Irinotecan). 108 Patienten waren in Europa oder Nordamerika rekrutiert worden. Beim WCGC wurden die Ergebnisse dieser geografischen Subgruppe präsentiert (3). Zur Erinnerung: Innerhalb der gesamten Studienpopulation wurde das OS (primärer Endpunkt) von median 6,3 unter Chemotherapie auf 8,6 Monate unter Tislelizumab signifikant verlängert (HR: 0,70; 95%-KI: 0,57–0,85; p = 0,0001). Die 6-Monats-OS-Rate betrug 62,3 versus 51,8% und die 12-Monats-OS-Rate 37,4 versus 23,7%. Für Studienteilnehmer aus Europa oder Nordamerika wurde das Risiko zu versterben laut der beim WCGC präsentierten Auswertung um 45% reduziert (HR: 0,55; 95%-KI: 0,35– 0,87) und das OS im Median von 6,3 auf 11,2 Monate verlängert. Nach 6 Mona-
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ten lebten 63,6 versus 52,7% und nach 12 Monaten 42,7 versus 17,6% der europäischen und nordamerikanischen Patienten. Bezüglich des PFS wurde in der europäisch-nordamerikanischen Population kein Unterschied zwischen den Studienarmen gesehen (HR: 0,97; 95%KI: 0,64–1,47). Es sprachen 20,0% der europäischen und nordamerikanischen Patienten auf die Therapie mit Tislelizumab versus 11,3% auf die Chemotherapie an. Die mediane Dauer des Ansprechens betrug 5,1 versus 2,1 Monate. Nach 6 Monaten waren noch 42,4 versus 20,0% und nach 12 Monaten 28,3 versus 0% der ansprechenden Patienten in Remission. Eine stabile Erkrankung zeigten 30,9 versus 37,7% der Patienten. Die häufigsten Nebenwirkungen waren Anämie (11,0 vs. 34,6%), verringerter Appetit (6,3 vs. 31,3%), Diarrhoe (5,5 vs. 27,5%) und Übelkeit (2,7 vs. 27,5%). 19,2% versus 26,7% der Patienten in den beiden Studienarmen brachen die Therapie aufgrund von Nebenwirkungen ab.
Vielversprechende Phase-IIErgebnisse beim vorbehandelten Leberzellkarzinom
Ergebnisse einer globalen Phase-II-Studie zeigen für Tislelizumab bei Patienten mit vorbehandeltem fortgeschrittenen Leberzellkarzinom eine vielversprechende und anhaltende klinische Aktivität (4). Insgesamt wurden 249 Patienten in die einarmige Studie eingeschlossen, von denen 138 Patienten eine vorhergehende Therapie und 111 Patienten ≥ 2 Therapielinien erhalten hatten. Das mediane Alter der Patienten betrug 62 Jahre mit einer Spanne von 28 bis 90 Jahren. Bei 6,0% der Patienten wurde ein positiver PD-L1-Status festgestellt, 57,4% der Patienten wiesen keine PD-L1-Expression auf und bei 36,5% war der PD-L1-Status unbekannt. 80,3% der Patienten hatten extrahepatische Läsionen. Ein Ansprechen zeigten insgesamt 13,3% der Patienten, bei vergleichbaren 13,8% in der zweiten Therapielinie und 12,6% bei ≥ 2 vorangegangenen Therapielinien.
Auf einen Blick
■ Ergebnisse der Phase-III-Studie APACT deuten darauf hin, dass Patienten mit resezierbarem Pan kreaskarzinom möglicherweise von der zusätzlichen adjuvanten nab-Paclitaxel-Gabe zu Gemcitabin profitieren. Die Studie erreichte zwar ihren primären Endpunkt nicht, punktete aber bei den Wirksamkeitsendpunkten krankheitsfreies Überleben (Prüfarztbericht) und Gesamtüberleben.
■ Pembrolizumab plus Trastuzumab und Chemotherapie sind laut Ergebnissen der KEYNOTE-811- Studie ein potenzielles Erstlinienregime für Patienten mit lokal fortgeschrittenem, nicht resezierbarem oder metastasiertem HER2-positivem Adenokarzinom des Magens oder des gastroösophagealen Übergangs.
■ Auf Basis der Ergebnisse der RATIONALE-302-Studie stellt Tislelizumab eine potenzielle Zweitlinientherapie für Patienten mit fortgeschrittenem oder metastasiertem squamösem Ösophaguskarzinom dar. In einer Phase-II-Studie wurden mit dem neuen PD-1-gerichteten Antikörper auch vielversprechende Ergebnisse beim vorbehandelten Leberkarzinom gezeigt.
Zudem wurde bei 39% der Patienten eine
stabile Erkrankung beobachtet. 79,2%
der ansprechenden Patienten zeigten an-
haltende Remissionen über eine Dauer
von ≥ 12 Monate. Im Median lebten die
Patienten 13,2 Monate (95%-KI: 10,8–
15,0). Die 6-Monats-OS-Rate lag bei
77,2%, die 12-Monats-OS-Rate bei 54,3%.
Das mediane PFS betrug 2,7 Monate. Bei
48,6% der Patienten wurden Nebenwir-
kungen Grad ≥ 3 und bei 14,5% therapie-
assoziierte Nebenwirkungen Grad ≥ 3
berichtet. 10,4% der Patienten brachen
die Therapie aufgrund von Nebenwirkun-
gen und 4,8% aufgrund von therapieas-
soziierten Nebenwirkungen ab. Die häu-
figsten Nebenwirkungen waren AST- und
ALT-Anstiege (12,9 bzw. 9,2%), Asthenie
(7,6%), Hypothyreoidismus (7,6%), erhöh-
tes Blut-Bilirubin (6,8%) und Pruritus
(6,8%).
n
Ine Schmale
Referenzen: 1. Tempero MA et al.: Phase 3 APACT trial of adjuvant
nab-paclitaxel plus gemcitabine vs gemcitabine alone in patients with resected pancreatic cancer: Updated 5-year overall survival. WCGC 2021, Abstr. #LBA-1. 2. Janjigian YY et al.: Pembrolizumab plus trastuzumab and chemotherapy for HER2+ metastatic gastric or gastroesophageal junction cancer: Initial findings of the global phase 3 KEYNOTE-811 study. WCGC 2021, Abstr. #LBA-4. 3. Ajani J et al.: Randomized, phase 3 study of secondline tislelizumab vs chemotherapy in advanced or metastatic esophageal squamous cell carcinoma (RATIONALE 302) in the overall population and the Europe/North America subgroup. WCGC 2021, Abstr. #O-15. 4. Ducreux M et al.: Results from a global phase 2 study of tislelizumab, an investigational PD-1 antibody, in patients with previously treated advanced hepatocellular carcinoma. WCGC 2021, Abstr. #O-1.
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