Transkript
EHA 2021 VIRTUAL
EHA 2021 Virtual Congress / 9. – 17. Juni
Chronische lymphatische Leukämie
Zeitlich begrenzte Therapieregime erweisen sich in der ersten Linie als erfolgreich
Auf dem Gebiet der chronischen lymphatischen Leukämie (CLL) wurden am virtuellen EHA-Kongress positive Resultate zweier Arbeiten zum zeitlich begrenzten Einsatz von Kombinationstherapien bei bisher unbehandelten, zum Teil auch komorbiden Patienten präsentiert. In der Rezidivsituation zeigten Vergleichsstudien mit BTK-Inhibitoren der nächsten Generation eine mit Ibrutinib vergleichbare Wirksamkeit bei einem günstigeren Nebenwirkungsprofil.
Die CLL14-Studie schloss 432 unbehandelte CLL-Patienten mit Komorbiditäten (erhöhter Cumulative Illness Rating Scale [CIRS]-Score oder reduzierte KreatininClearance) mit einem medianen Alter von 72 Jahren ein. Die Patienten erhielten randomisiert eine zeitlich begrenzte Therapie mit entweder 12 Zyklen Venetoclax (Venclyxto®) und 6 Zyklen Obinutuzumab (Gazyvaro®) (Ven-Obi) bzw. 12 Zyklen Chlorambucil und 6 Zyklen Obinutuzumab (Clb-Obi). Dr. med. Othman Al-Sawaf, Köln (D), präsentierte ein Update zur Wirksamkeit und Sicherheit mit einem medianen Follow-up von 52,4 Monaten (1). Alle ins Update eingeschlossenen Patienten hatten seit nunmehr mindestens 3 Jahren keine Studienmedikation mehr erhalten.
Venetoclax-Obinutuzumab weiterhin überlegen
Wie die neuste Analyse zeigte, erwies sich Ven-Obi im Vergleich zu Clb-Obi hinsichtlich des progressionsfreien Überlebens (PFS) weiterhin als überlegen (Median nicht erreicht vs. 36,4 Monate; Hazard Ratio [HR]: 0,33; 95%-Konfidenzintervall [KI]: 0,25–0,45; p < 0,0001). Die geschätzte PFS-Rate vier Jahre nach Randomisierung betrug im Ven-Obi-Arm 74% und im ClbObi-Arm 35,4%. Dieser Vorteil wurde in allen klinischen und biologischen Risikogruppen gesehen, einschliesslich der Patienten mit einer TP53-Mutation/Deletion (4-Jahres-PFS: 53,0 vs. 20,8%) und einem unmutierten IGHV-Status (4-Jahres-PFS: 68, vs. 19,8%). Auch die Zeit bis zur nächsten Behandlung (TTNT) war bei den mit Ven-Obi behandelten Patienten signifikant länger als im Vergleichsarm (4-Jahres-TTNT: 81,1 vs. 59,9%; HR: 0,46; 95%-
KI: 0,32–0,65; p < 0,0001). Lediglich bei 35 der mit Ven-Obi behandelten Patienten kam es bisher zu einer Krankheitsprogression, 17 von ihnen benötigten eine Zweitlinientherapie. Im Vergleichsarm erwiesen sich 122 Patienten als progredient, von ihnen benötigten 70 eine Zweitlinientherapie. Dazu wurde überwiegend eine Monotherapie mit einem Bruton-Tyrosinkinase(BTK)-Inhibitor eingesetzt, auf welche die meisten der Patienten auch ansprachen. Die Ermittlung der minimalen Resterkrankung (MRD) im peripheren Blut 30 Monate nach Abschluss der Studienbehandlung zeigte, dass 26,9% der Patienten der VenObi-Gruppe weiterhin eine nicht mehr nachweisbare MRD (uMRD, < 10-4) aufwiesen im Vergleich zu 3,2% unter ClbObi. Insgesamt 21,8% der Patienten zeigten eine tiefe MRD (L-MRD, >10-4 und < 10-2) und 13,4% eine hohe MRD (HMRD, > 10-2) unter Ven-Obi im Vergleich zu 8,8% L-MRD und 28,2% H-MRD unter Clb-Obi. Hinsichtlich des Gesamtüberlebens (Over all Survival; OS) liess sich kein signifikanter Unterschied feststellen. Es lag nach 4 Jahren unter Ven-Obi bei 85,4% und unter Clb-Obi bei 83,1% (HR: 0,85; p = 0,49). Die Todesfälle in beiden Behandlungsgruppen standen überwiegend nicht im Zusammenhang mit der CLL, sondern waren durch die Komorbiditäten der Patienten bedingt. Die Studie zeigte auch in diesem längeren Follow-up keine neuen Sicherheitssignale. Zweitmalignome wurden mit 40 betroffenen Patienten (18,9%) unter VenObi und 30 (14%) unter Clb-Obi vergleichbar selten beobachtet.
Vorteil für zeitlich begrenzte Therapie mit Ibrutinib und Venetoclax
Unter den Late-Breaking-Abstracts des Kongresses befanden sich in diesem Jahr gleich zwei Arbeiten aus dem Bereich der CLL. Prof. Dr. med. Arnon Kater, Amsterdam (NL), präsentierte die primäre Analyse der Phase-III-Studie GLOW (2). Sie untersuchte zum ersten Mal den zeitlich begrenzten Erstlinieneinsatz der rein oralen Kombination Ibrutinib (Imbruvica®) und Venetoclax (I+V) im Vergleich zu Chlorambucil und Obinutuzumab (Clb+O). Die Rationale für diese Kombination liegt gemäss Kater in den sich ergänzenden Wirkmechanismen von Ibrutinib und Venetoclax. Denn während Ibrutinib zu einer Mobilisation der CLLZellen aus den schützenden Lymphknoten-Nischen ins periphere Blut führt und die Tumorzellproliferation hemmt, tötet Venetoclax alle zirkulierenden Tumorzellen. Insgesamt wurden 211 Patienten im Alter von mindestens 65 Jahren beziehungsweise im Alter von 18 bis 64 und mit einem CIRS-Score über 6 oder einer KreatininClearance von < 70 ml/L rekrutiert. Sie wurden entweder zu 3 Zyklen Ibrutinib 420 mg/d randomisiert, worauf 12 Zyklen
Auf einen Blick
n Bei neudiagnostizierten CLL-Patienten führte sowohl die zeitlich begrenzte Behandlung mit Venetoclax und Obinutuzumab (CLL14Studie) als auch mit Ibrutinib und Venetoclax (GLOW-Studie) zu deutlich besseren Resul taten als eine Therapie mit Chlorambucil und Obinutuzumab (1, 2).
n BTK-Inhibitoren der nächsten Generation wie Acalabrutinib und auch Zanubrutinib haben sich bei vorbehandelten CLL-Patienten als gleich gut oder gar besser wirksam als Ibrutinib erwiesen (3, 4). Zudem zeigten sie ein verbessertes Nebenwirkungsprofil, insbesondere in Bezug auf das Auftreten von Vorhofflimmern/-flattern.
26 SCHWEIZER ZEITSCHRIFT FÜR ONKOLOGIE 3 – KONGRESSAUSGABE 2021
EHA 2021 VIRTUAL
EHA 2021 Virtual Congress / 9. – 17. Juni
I+V (mit einem Venetoclax-Ramp-up bis auf 400 mg/d) folgten, oder zu 6 28-tägigen Zyklen Clb+O in Standarddosierung. Bei einem medianen Follow-up von 27,7 Monaten zeigte sich ein signifikant besseres PFS für die mit I+V behandelten Patienten im Vergleich zu Clb+O (HR: 0,216; 95%-KI: 0,131–0,357; p < 0,0001). Das mediane PFS war in der I+V-Gruppe noch nicht erreicht (vs. 21 Monate für Clb+O). Der Vorteil für die Behandlung mit I+V zeigte sich in allen vordefinierten Subgruppen, einschliesslich der Gruppe mit einem CIRS-Score > 6 (HR: 0,248) und einem Alter > 65 (HR: 0,234). Die Kombination I+V führte auch zu signifikant höheren Raten eines kompletten Ansprechens und verlängerte die Zeit bis zur nächsten Therapie. Drei Monate nach Abschluss der Studien therapie lag die Rate an Patienten mit einer uMRD in Knochenmark und peripherem Blut im I+V-Studienarm signifikant höher als im Vergleichsarm. Insgesamt 84,5% dieser Patienten zeigten auch 12 Monate nach Therapieabschluss noch eine uMRD im peripheren Blut. Als häufige therapiebezogene Nebenwirkungen ≥ Grad 3 wurden unter I+V eine Neutropenie (34,9 vs. 49,5% unter Clb+O), Infektionen (17 vs. 11,4%), Durchfall (10,4 vs. 1%) und Hypertonie (7,5 vs. 1,9%) beobachtet. Kater abschliessend: «Diese Resultate unterstützen das positive klinische Profil von Ibrutinib plus Veneto clax als eine rein orale, einmal tägliche und zeitlich begrenzte Behandlungs option für neudiagnostizierte ältere CLLPatienten.»
ELEVATE-RR-Studie: Acalabrutinib mit geringerer Kardiotoxizität
Prof. Dr. med. Peter Hillmen, Leeds (UK), präsentierte die Resultate der ersten direkten Vergleichsstudie zu Acalabrutinib (Calquence®) und Ibrutinib bei vorbehandelten CLL-Patienten mit del(17p) oder del(11q) (3). Im Gegensatz zu Ibrutinib weist Acalabrutinib als BTK-Inhibitor der nächsten Generation weniger OffTarget-Effekte auf, was zu einer verbesserten Verträglichkeit beitragen soll. Die Teilnehmer der ELEVATE-RR-Studie erhielten randomisiert entweder zweimal täglich 100 mg Acalabrutinib (n = 268) oder einmal täglich 420 mg Ibrutinib (n =
265). Der primäre Endpunkt war eine Nicht-Unterlegenheit in dem durch ein IRC (Independent Review Committee) erhobenen PFS. Zu den sekundären Endpunkten gehörte die Rate an Vorhofflimmern/-flattern, Infektionen > Grad 3, Richter-Transformationen und das OS. Die eingeschlossenen Patienten waren im Median 66 Jahre alt und hatten bisher 2 Vortherapien erhalten. Nach einem medianen Follow-up von 40,9 M onaten erwies sich Acalabrutinib in Bezug auf das PFS als nicht unterlegen gegenüber Ibrutinib (medianes PFS von 38,4 in beiden Armen [HR 1,00; 95% CI 0,79-1,27]. Hinsichtlich der Rate an Vorhofflimmern/-flattern (alle Grade) erwies sich Acalabrutinib als überlegen (9,4 vs. 16%; p = 0,02). Bei Patienten ohne Vorhofflimmern/-flattern in der Vorgeschichte kam es selten zu einem Neuauftreten eines solchen Ereignisses (15 von 243 unter Acalabrutinib [6,2%] und 37 von 249 unter Ibrutinib [14,9%]). Auch eine Hypertonie trat unter Acalabrutinib seltener auf als unter Ibrutinib. Die Rate an Infektionen > Grad 3 und RichterTransformationen war in beiden Behandlungsarmen vergleichbar. Das mediane OS wurde mit 63 Todesfällen (23,5%) unter Acalabrutinib und 73 (27,5%) unter Ibrutinib in keinem Arm erreicht.
Interims-Resultate der ALPINE-Studie
Im zweiten CLL-Late-Breaker ging es ebenfalls um den Vergleich zweier BTKInhibitoren. So stellte Hillmen erste Resultate der ALPINE-Studie vor (4). Es handelte sich hier um die Ergebnisse einer vorgeplanten Zwischenanalyse, durchgeführt etwa 12 Monate nach der Aufnahme der ersten 415 von 652 Patienten. ALPINE untersucht die Wirksamkeit und Sicherheit von Zanubrutinib (unter dem Namen Brukinsa® von der FDA zugelassen) (160 mg, zweimal täglich) im Vergleich zu Ibrutinib (420 mg täglich) bei Patienten mit einer rezidivierten/refraktären CLL. Zanubrutinib ist ein irreversibler, potenter BTK-Inhibitor der nächsten Generation, dessen Design es ermög lichen soll, die BTK-Besetzung zu maximieren und die Off-Target-Hemmung von Kinasen der TEC- und EGFR-Familie zu minimieren (5).
Nach einem medianen Follow-up von 15 Monaten ergab sich für den Zanubrutinib-Arm eine signifikant höhere Gesamtansprechrate (komplettes plus partielles Ansprechen, primärer Endpunkt) im Vergleich zum Ibrutinib-Arm mit 78,3 vs. 62,5% (p = 0,0006). Die 12-Monate-PFSRate (keine vordefinierte Analyse) betrug 94,9% für Zanubrutinib vs. 84,0% für Ibrutinib (HR: 0,40; 95%-KI: 0,23–0,69; p = 0,0007). Das OS unterschied sich nicht signifikant. Zanubrutinib erwies sich auch in Bezug auf verschiedene Sicherheitsendpunkte gegenüber Ibrutinib als überlegen, einschliesslich der Rate an Vorhofflimmern/ -flattern (2,5 vs. 10,1%, p =0,0014) sowie schweren Blutungen und Infektionen > Grad 3. Allerdings traten Neutropenien (inkl. reduzierte Neutrophilenzahl und febrile Neutropenien) unter Zanubrutinib häufiger auf als unter Ibrutinib (28,4 vs. 21,7%). Diese Daten sprechen dafür, dass die selektivere BTK-Hemmung durch Zanubrutinib, mit einer kompletteren und anhaltenderen BTK-Besetzung, zu einer verbesserten Wirkung und einem günstigeren Sicherheitsprofil führt. n
Therese Schwender
Referenzen: 1. Al-Sawaf O et al.: Venetoclax-Obinutuzumab for previ-
ously untreated chronic lymphocytic leukemia: 4 year follow up analysis of the randomized CLL14 study. EHA 2021, Abstract #S146. 2. Kater A et al.: Fixed-duration Ibrutinib and Venetoclax versus Chlorambucil plus Obinutuzumab for first-line chronic lymphocytic leukemia (CLL): primary analysis of the phase 3 GLOW study. EHA 2021, Abstract #LB1902. 3. Hillmen P et al.: First results of a head-to-head trial of Acalabrutinib versus Ibrutinib in previously treated chronic lymphocytic leukemia. EHA 2021, Abstract #S145. 4. Hillmen P et al.: First interim analysis of the ALPINE study: results of a phase 3 randomized study of Zanubrutinib vs Ibrutinib in patients with relapsed/refractory chronic lymphocytic leukemia / small lymphocytic lymphoma. EHA 2021, Abstract # LB1900. 5. Tam CS et al.: Phase 1 study of the selective BTK inhibitor zanubrutinib in B-cell malignancies and safety and efficacy evaluation in CLL. Blood. 2019;134:851-859.
SCHWEIZER ZEITSCHRIFT FÜR ONKOLOGIE 3 – KONGRESSAUSGABE 2021
27