Transkript
Im Fokus: Gynäkologische Tumoren
Was ist neu in der WHO-Klassifikation 2020?
Veränderungen mit Relevanz für die onkologische Praxis
Die WHO-Klassifikation «Female Genital Tumours» von 2020 berücksichtigt wesentliche neue Erkenntnisse zur Molekularpathologie der gynäkologischen Tumoren. Dies hat unter anderem zu einer Weiterentwicklung der Klassifikation des Endometriumkarzinoms und zu einer einheitlichen Terminologie für HPVassoziierte Läsionen des unteren Genitaltrakts geführt.
JOACHIM DIEBOLD
SZO 2021; 2: 6–11.
Joachim Diebold
Die neue WHO-Klassifikation «Female Genital Tumours» von 2020 umfasst 630 Seiten. Damit ist sie doppelt so dick wie die Vorläuferversion von 2014. Dies legt nahe, dass sich relevante Veränderungen in der Klassifikation von gynäkologischen Tumoren ergeben haben. In der vorliegenden Übersicht sollen diejenigen Weiterentwicklungen vorgestellt werden, die für die tägliche Praxis in der Onkologie die grösste Relevanz besitzen.
Ovar
Im Kapitel Ovar haben sich relativ wenige Veränderungen ergeben. Es ist inzwischen fest etabliert, dass beim serösen Ovarialkarzinom Low-grade-Tumoren und High-grade-Tumoren unterschiedlichen Entitäten mit unterschiedlichem Entstehungsmechanismus entsprechen. High-grade-Tumoren leiten sich in den meisten Fällen von Vorläuferläsionen in den Tuben-Fimbrien ab, genannt STIC (seröses tubares intraepitheliales Karzinom). Für die low-grade serösen Karzinome gelten die serösen Borderline-Tumoren als Vorläuferläsionen. Seröse Borderline-Tumoren mit mikropapillärer Architektur werden neu als Subtyp aufgeführt. Die Bezeichnung «nicht invasives seröses Low-grade-Karzinom» soll hierfür nicht mehr verwendet werden.
ABSTRACT
WHO classification of female genital tumours 2020: what’s new?
The WHO classification 2020 of «Female Genital Tumours» incorporates significant new findings on the molecular pathology of gynecological tumors. In particular, this has led to a refinement of the classification of endometrial carcinomas and to a uniform terminology for HPV-associated lesions and tumours of the lower genital tract. This overview summarizes the aspects most relevant to daily routine in oncology.
Keywords: WHO classification, female genital tumours, gynecopathology, molecular pathology
Muzinöse Ovarialkarzinome sind vergleichsweise selten und entstehen meistens auf dem Boden eines muzinösen Borderline-Tumors. Die Diagnose eines primären muzinösen Ovarialkarzinoms ist häufig erst nach sicherem Ausschluss einer Ovarmetastase eines Primärtumors zum Beispiel im Gastrointestinaltrakt möglich. Die morphologische Unterscheidung der verschiedenen Typen des Ovarialkarzinoms zeigte in der Vergangenheit eine grosse Interobserver-Variabilität. Hier hat sich in den letzten Jahren durch den Einsatz von immunhistologischen Färbungen eine erhebliche Verbesserung ergeben. Seröse Karzinome zeigen in der Mehrzahl eine Positivität für WT1, wobei High-gradeTumoren zusätzlich eine aberrante p53-Expression (hinweisend auf eine TP53-Mutation) aufweisen, was bei Low-grade-Tumoren nicht der Fall ist. Endometrioide Ovarialkarzinome sind zumeist negativ für WT1, zeigen p53-Wildtyp Expression und in der Mehrzahl eine Positivität für Hormonrezeptoren. Für klarzellige Karzinome ist Napsin-A ein charakteristischer Marker. Bei den ovariellen Keimstrang-Stromatumoren wurden in den letzten Jahren molekulare Veränderungen beschrieben, welche die Differenzialdiagnose in dieser Gruppe von Tumoren erheblich erleichtern. Beim adulten Granulosazelltumor lassen sich in > 90% der Fälle somatische FOXL2-Mutationen finden, für mässig bis gering differenzierte Sertoli-Leydig-Zelltumoren sind DICER1-Mutationen (somatisch oder als Keimbahnmutation) charakteristisch.
Endometrium
Änderungen haben sich bei der Nomenklatur der Vorläuferläsionen des Endometriumkarzinoms vom endometrioiden Typ ergeben. «Endometriale Hyperplasie ohne Atypie» ist der neue Begriff der WHO für
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die bisherige «einfache endometriale Hyperplasie ohne Atypie». «Endometriale atypische Hyperplasie / endometrioide intraepitheliale Neoplasie (EIN)» ersetzt die Begriffe «einfache und komplexe atypische endometriale Hyperplasie».
Histologische Unterteilung Die histologische Unterteilung des Endometriumkarzinoms in die Hauptgruppen der endometrioiden, klarzelligen und serösen Karzinome ist nach wie vor gültig. Aufgrund des unterschiedlichen biologischen Verhaltens war in der Vergangenheit vorgeschlagen worden, von Typ-1- und Typ-2-Karzinomen zu sprechen, wobei unter den Typ-1-Karzinomen die häufigen endometrioiden G1- und G2-Karzinome verstanden wurden und unter den Typ-2-Karzinomen die aggressiveren Formen (serös, klarzellig, undifferenziert und endometrioid G3) zusammengefasst wurden. Dieses Konzept hat sich inzwischen überholt. In die neue WHO-Klassifikation sind die Erkenntnisse eingeflossen, welche sich seit der Veröffentlichung der molekularen Daten des TCGA (The Cancer Genome Atlas) ergeben haben.
Molekulare Klassifikation Die TCGA-Analysen zeigten, dass sich das Endometriumkarzinom auf molekularer Ebene in vier Gruppen unterteilen lässt. Besonders hervorzuheben ist die Entdeckung von Karzinomen, die morphologische Kriterien für aggressives Verhalten aufweisen, sich prognostisch jedoch überaus günstig verhalten. Für diese sind molekularpathologisch Mutationen im Gen der Polymerase epsilon (POLE) charakteristisch. Die Charakteristika der vier Gruppen sind in der Tabelle zusammengefasst. Die häufigen Low-grade-Karzinome vom endometrioiden Typ lassen sich fast alle den Gruppen NSMP und
MMR-defizient zuordnen. High-grade endometrioide Karzinome sind molekular heterogen und finden sich in allen vier Gruppen, jedoch am seltensten in der NSMP-Kategorie. Dasselbe gilt für klarzellige Endometriumkarzinome. Die serösen Endometriumkarzinome gehören praktisch alle zur Gruppe «p53-mutiert». Betrachtet man ausschliesslich G3-Endometriumkarzinome, so verteilen sich die vier Gruppen wie folgt: POLE-mutiert 12%, MMR-defizient 40%, p53-mutiert 18% und NSMP 30%.
Immunhistologische Diagnostik Diese neue Einteilung wurde in die ESGO/ESTRO/ ESP-Guidelines für das Endometriumkarzinom von 2020 eingearbeitet, in der sie direkt in die Definition der verschiedenen Risikogruppen eingeflossen ist. Die aktuelle klinische Studie PORTEC-4a (NCT03469674) prüft die Frage nach der Notwendigkeit einer adjuvanten Therapie unter Berücksichtigung der molekularen Klassifikation. Die Anwendung der molekularen Klassifikation in der Routine wird dadurch erleichtert, dass sie weitgehend auf immunhistologischer Diagnostik beruht. Der dafür verwendete ProMisE-Algorithmus (Proactive Molecular Risk Classifier for Endometrial Cancer) ist in Abbildung 1 dargestellt. Abbildung 2 illustriert die verschiedenen Aspekte des Algorithmus anhand von Beispielen. Die immunhistologischen Analysen lassen sich pro blemlos bei jedem Endometriumkarzinom schon an der Biopsie beziehungsweise Curettage routinemässig durchführen. Die Suche nach einer POLE-HotspotMutation muss ergänzt werden, wenn sich in der interdisziplinären Falldiskussion zeigt, dass sie für den Therapieentscheid relevant ist. Die Immunhistologie allein reicht nämlich für die Einteilung nicht aus, da zirka 5% der Endometriumkarzinome nicht nur p53-
Tabelle
Einteilung des Endometriumkarzinoms in 4 Gruppen
Molekulare Eigenschaften Histologie
Diagnostische Tests
Klinik Prognose
POLE-mutiert
> 100 Mutationen/Mb, SCNA sehr gering, MSS
MMR-defizient
10–100 Mutationen/Mb, SCNA gering, MSI
p53-mutiert
< 10 Mutationen/Mb, SCNA hoch, MSS
häufig high-grade, Tumorriesenzellen, reichlich TIL
NGS / Sanger-Sequenzierung zur POLE-Hotspot-Analyse: p.Pro286Arg, p.Val411Leu, p.Ser297Phe, p.Ala456Pro, p.Ser459Phe jüngere Patientinnen
exzellent
häufig high-grade, reichlich TIL, muzinöse Differenzierung, MELF-Typ Invasionsmuster MMR-Immunhistologie: MLH1, PMS, MSH2, MSH6; MSI-Analyse; NGS
evtl. mit Lynch-Syndrom assoziiert intermediär
meist high-grade mit diffusen Atypien, teils glanduläre, teils solide Architektur p53-Immunhistologie: aberrantes Färbemuster (Überexpression oder Nulltyp)
höheres Alter
ungünstig
NSMP
< 10 Mutationen/Mb, SCNA gering, 30–40% mit CTNNB1-Mutation meist low-grade, häufig mit squamöser Differenzierung oder Morula, keine TIL MMR-intakt, p53-WildtypImmunhistologie, keine POLEHotspot-Mutation
höherer BMI
intermediär bis exzellent
BMI: Body Mass Index; CTNNB1: Beta-Catenin-Gen, EC: Endometriumkarzinom; POLE: Polymerase epsilon-Gen; MMR: Mismatch-Reparatur; MELF: microcystic, elongated, and fragmented; MSI: Mikrosatelliteninstabilität; MSS: Mikrosatellitenstabilität; NSMP: No Specific Molecular Profile; SCNA: Somatic Copy Number Alteration; TIL: Tumor-infiltrierende Lymphozyten; NGS: Next-Generation Sequenzing
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Endometriumkarzinom (EC; alle histologischen Subtypen)
POLE-Status
POLE Hotspot-Mutation
POLE ohne pathogene Mutation
MMR-Status
MMR-defizient
MMR-intakt
p53-Status
p53-intakt
p53-aberrant
Integrative Diagnose
EC, Pole-mutiert EC, MMR-defizient
EC, NSMP
EC, p53-mutiert
Abbildung 1: Diagnostischer Algorithmus für die molekulare Klassifikation von Endometriumkarzinomen (nach WHO)
mutiert, sondern auch entweder POLE-mutiert oder MMR-defizient sind. Das tumorbiologische Verhalten dieser Fälle entspricht praktisch immer POLE-mutierten oder MMR-defizienten Tumoren ohne p53-Mutation. Wie in der Tabelle erwähnt, gibt es weitere Marker, die die Gruppe der NSMP-Endometriumkarzinome in prognostisch unterschiedliche Subgruppen stratifizieren lassen. Zu erwähnen sind eine prognostisch ungünstige, immunhistologisch nachweisbare L1-CAM-
Expression oder die prognostisch günstige Mutation im Beta-Catenin-Gen CTNNB1. Letztere lässt sich in 80% ebenfalls immunhistologisch erfassen, da sie mit einer abnormen nukleären Lokalisation des Proteins einhergeht (Abbildung 2). Eine Mikrosatelliteninstabilität mit MLH1-Expressionsverlust kann sowohl sporadisch als auch im Rahmen eines Lynch-Syndroms vorkommen. Dies lässt sich weiter mit einer MLH1-Methylierungsanalyse abklären. Endometriumkarzinome mit sporadischer Mikrosatelliteninstabilität weisen charakteristischerweise eine Promoter-Methylierung von MLH1 auf.
Karzinosarkom Weiterhin sei erwähnt, dass in der WHO-Klassifikation 2020 das Karzinosarkom des Endometriums aufgrund eindeutiger molekularpathologischer Ergebnisse als aggressive Variante des Endometriumkarzinoms aufgefasst wird. Tumorbiologisch besteht keine Ähnlichkeit zu den Sarkomen des Weichgewebes. Der Begriff «maligner Müllerscher Mischtumor» soll nicht mehr verwendet werden. Auf molekularer Ebene steht das Karzinosarkom dem serösen Endometriumkarzinom am nächsten. Die Tatsache, dass dieser Tumor in assoziierten Metastasen meist ausschliesslich die maligne epitheliale Differenzierung aufweist, zeigt ebenfalls, dass es sich um eine aggressive Form des Endometriumkarzinoms handelt.
Abbildung 2: Endometriumkarzinom, MMR-defizient (A: endometrioide G1-Morphologie; B: MLH1-Expressionsverlust). Endometriumkarzinom, p53-mutiert (C: G3-Morphologie; D: aberrante p53-Überexpression); Endo metriumkarzinom, NSMP (E: endometrioide G2-Morphologie; F: nukleäre beta-Catenin Expression)
Undifferenzierte/dedifferenzierte Endometriumkarzinome Die neue WHO-Klassifikation präzisiert zusätzlich die Kriterien für die Diagnose von undifferenzierten und dedifferenzierten Endometriumkarzinomen. Unter einem undifferenzierten Endometriumkarzinom wird ein malignes epitheliales Neoplasma des Endometriums verstanden, welches keine klare Differenzierungslinie aufweist; ein dedifferenziertes Endomet-
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riumkarzinom weist zusätzlich zur undifferenzierten Komponente einen differenzierten Anteil auf, meist im Sinne eines endometrioiden Karzinoms Grad 1 oder 2. Die undifferenzierten Tumorzellkomplexe sind typischerweise immunhistologisch negativ für den Genitaltraktmarker PAX8 und exprimieren nur fokal epitheliale Marker wie Pankeratin und EMA. Bis zu zwei Drittel der Fälle weisen Mikrosatelliteninstabilität auf. Die Prognose ist ungünstig, ausser bei den undifferenzierten/dedifferenzierten Endometriumkarzinomen mit POLE-Mutation.
Mesenchymale Tumoren des Uterus
Bezüglich der häufigen glattmuskulären Tumoren (Leiomyom, intravenöse Leiomyomatose, glattmuskulärer Tumor von unbekanntem malignem Potenzial [STUMP], metastasierendes Leiomyom, Leiomyosarkom) finden sich in der neuen WHO-Klassifikation keine wesentlichen Änderungen. Fortschritte haben sich bei der molekularen Charakterisierung der deutlich selteneren endometrialen Stromatumoren ergeben. Diese Tumoren weisen häufig Genfusionen auf, die zum Teil eher charakteristisch für Low-grade-Stromasarkome (zum Beispiel JAZF1SUZ12), zum Teil eher charakteristisch für High-gradeSarkome sind (zum Beispiel YWHAE-NUTM2A/B). Für die Diagnose eines undifferenzierten uterinen Sarkoms ist es erforderlich, dass diese Stromasarkomtypischen Fusionen ausgeschlossen sind. Aufgrund der Seltenheit dieser Fälle und der unklaren therapeutischen Relevanz werden derartige, aufwändige Analysen wohl nur in Ausnahmefällen notwendig sein.
Cervix uteri
Das Kapitel zur Cervix uteri wurde umfassend über arbeitet und neu strukturiert. Da der wesentlichste pathogenetische Faktor bei den Veränderungen in diesem Organ die Infektion mit HPV ist, werden nun generell HPV-assoziierte Läsionen und Tumoren von solchen unterschieden, die HPV-unabhängig entstehen. Ähnlich wie zum Beispiel im Oropharynx verhalten sich HPV-negative Karzinome der Cervix uteri eher aggressiver als die HPV-positiven. Diese Einteilung macht auch vor dem Hintergrund der zunehmenden Bedeutung von HPV-Tests und der HPV-Impfung Sinn. Epidemiologische Veränderungen in der Häufigkeit dieser Tumoren werden sich so besser verfolgen lassen. Weiterhin nimmt das neue Kapitel die Empfehlungen aus dem LAST-Projekt 2013 (Lower Anogenital Squamous Standardization Project for HPV-associated lesions) auf, die eine Harmonisierung der Terminologie der HPV-assoziierten Läsionen des unteren Anogenitaltrakts anstrebten. Insgesamt ist somit die Bestimmung des HPV-Status aller epithelialer Läsionen der Cervix uteri mittels des immunhistologischen Surrogatmarkers p16 oder durch HPV-Typisierung, zum Beispiel durch PCR, zwingend notwendig geworden.
LSIL und HSIL Eine Infektion des Plattenepithels der Portio mit HPV kann bekanntermassen zu Epitheldysplasie führen, die in der Vergangenheit morphologisch in niedrig-, mässig- und hochgradig eingeteilt wurde (CIN 1, CIN 2, CIN 3). Unter Berücksichtigung der Biologie der HPVInfektion ist jedoch eine 2-stufige Klassifikation in lowgrade und high-grade squamöse intraepitheliale Läsion (LSIL und HSIL) sinnvoller. Eine LSIL entsteht durch eine (meist transiente) HPV-Infektion von differenzierenden Plattenepithelzellen, eine HSIL resultiert aus einer dauerhaften virusinduzierten klonalen Expansion von Plattenepithelzellen, welche die gesamte Epithelbreite einnehmen. Die Expression der Virusproteine E6 und E7 erfolgt bei LSIL in Koordination mit der plattenepithelialen Differenzierung, bei HSIL im Sinne einer unkoordinierten Überexpression. Die Interaktion zwischen HPV E7 mit dem Zellzykluskon trollprotein RB1 induziert wiederum die Überexpression von p16, welches in der Immunhistologie zu der typischen, starken und «blockartigen» Anfärbung einer HSIL führt. Eine LSIL (Kondylom/CIN 1) ist nach WHO definiert als eine (meist koilozytäre) Epithelatypie mit Zellvergrösserungen in den beiden oberen Epitheldritteln, jedoch mit basaloiden Zellen und Mitosen ausschliesslich im unteren Epitheldrittel. Unter einer HSIL wird eine Epithelatypie verstanden, in der basaloide Zellen und Mitosen auch in der oberen Epithelhälfte nachweisbar sind. Eine HSIL im Sinne einer CIN 2 weist an der Oberfläche noch Koilozyten auf. In einer HSIL im Sinne einer CIN 3 ist kein morphologischer Unterschied zwischen basalen und oberflächlichen Epithelschichten mehr zu erkennen. Dies umfasst auch Fälle eines sogenannten Carcinoma in situ, wobei der Begriff nicht mehr verwendet werden soll.
p16-Immunhistologie Die p16-Immunhistologie hat die Unterscheidung zwischen Low-grade- und High-grade-Läsionen deutlich erleichtert. Die Diagnostik lässt sich jedoch nicht auf eine simple immunhistologische Färbung reduzieren, da wir es nicht mit einer Schwarz-Weiss-Situation zu tun haben. Zwar zeigen die meisten LSIL eine negative oder fleckförmige p16-Positivität und die meisten HSIL die charakteristische «blockartige» Positivität (Abbildung 3), jedoch ist Letztere auch bei einem signifikanten Anteil von LSIL nachweisbar. Die morphologischen Kriterien müssen also immer berücksichtigt werden und die alleinige p16-Positivität einer Biopsie reicht nicht für die Diagnose einer HSIL. Kommt aufgrund der Morphologie eine HSIL/CIN 2 in Betracht, die p16-Immunhistologie ist jedoch negativ, sollte der Fall als LSIL klassifiziert werden. Zur Abgrenzung einer LSIL gegenüber reaktiven Veränderungen ist die p16-Immunhistologie nicht geeignet. Hier muss im Zweifel eine HPV-Typisierung, zum Beispiel
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mittels PCR, herangezogen werden. Insgesamt warnt die WHO-Klassifikation 2020 ausdrücklich vor einer zu grosszügigen Anwendung der p16-Immunhistologie und betont den Stellenwert der Morphologie. Das invasive Plattenepithelkarzinom der Cervix uteri ist > 90–95% mit HPV assoziiert. Für diese Diagnose ist eine p16-Immunhistologie oder HPV-Typisierung notwendig. Die wenigen HPV-unabhängigen Karzi-
Abbildung 3: Plattenepitheliale intraepitheliale Läsionen der Cervix uteri, low-grade (A) und high-grade (C) mit fleckiger bzw. blockartiger p16-Expression (B und D)
Abbildung 4: HPV-assoziiertes Adenokarzinom der Cervix uteri mit nicht destruktivem Invasionsmuster. Die tumorartige Ausbreitung wird in der p16-Immunhistologie deutlich (A), wobei das histologische Bild der Tumorzellgruppen einem Adenocarcinoma in situ gleicht (B).
Merkpunkte
n Die molekulare Klassifikation des Endometriumkarzinoms der neuen WHO-Klassifi kation unterscheidet vier verschiedene Gruppen mit unterschiedlichem biologischem Verhalten.
n Endometriumkarzinome mit POLE-Mutation haben die günstigste Prognose und Endometriumkarzinome mit TP53-Mutation den ungünstigsten Verlauf.
n Der diagnostische Algorithmus zur molekularen Subklassifikation des Endometriumkarzinoms lässt sich mit vertretbarem Aufwand in die Routine integrieren.
n Die neue WHO-Klassifikation unterscheidet im unteren Genitaltrakt durchgehend HPV-assoziierte von HPV-unabhängigen Läsionen und Tumoren.
n Bei allen epithelialen Läsionen und Tumoren von Cervix uteri, Vagina und Vulva ist eine Bestimmung des HPV-Status durch p16-Immunhistologie und/oder HPVTypisierung mittels PCR für die korrekte Klassifikation notwendig.
nome werden häufiger in fortgeschrittenem Stadium diagnostiziert und haben eine höhere Rate an Lymphknotenmetastasen, welche mit einem verminderten krankheitsfreien Überleben und Gesamtüberleben einhergehen.
Adenokarzinom Auch beim Adenocarcinoma in situ und beim invasiven Adenokarzinom der Cervix uteri wird eine HPV-assoziierte und eine HPV-unabhängige Form unterschieden. Das konventionelle HPV-assoziierte Adenokarzinom weist typischerweise zahlreiche Mitosen und Apoptosen sowie vergrösserte und hyperchroma tische Zellkerne auf. Es wird ein nicht destruktives Infiltrationsmuster von einer destruktiven Invasion unterschieden, wobei Letztere mit ungünstiger Pro gnose einhergeht. In Biopsien und Kürettagen kann die differenzialdiagnostische Unterscheidung zwischen einem invasiven Adenokarzinom mit nicht destruktiver Invasion und einem Adenocarcinoma in situ schwierig sein, sodass in manchen Fällen nur ein Verdacht auf invasives Wachstum geäussert werden kann (Abbildung 4). Das seltene villo-glanduläre Karzinom ist eine Variante des konventionellen endozervikalen Adenokarzinoms, die sich in der rein exophytischen Form prognostisch günstig verhält. Zirka 10% der endozervikalen Adenokarzinome weisen eine muzinöse Differenzierung auf, die endozervikal, intestinal, siegelringzellig oder in Form stratifizierter atypischer Epithelien auftreten kann. Beim HPV-unabhängigen Adenokarzinom der Endozervix werden 3 Typen, nämlich der gastrische, der klarzellige und der mesonephrische Typ unterschieden. Diese Typen weisen keine auffällig erhöhte mitotische und apoptotische Aktivität auf, sind naturgemäss p16-negativ oder nur fleckig p16-positiv und weiterhin auch negativ für Östrogenrezeptor und Progesteronrezeptor. Das hochdifferenzierte Karzinom vom gastrischen Typ entspricht dem früheren «minimal deviation adenocarcinoma». Das HPV-unabhängige Adenokarzinom vom mesonephrischen Typ muss differenzialdiagnostisch von mesonephrischen Resten oder einer mesonephrischen Hyperplasie abgegrenzt werden. Dies ist ausschliesslich über die Beurteilung von Architektur, nukleärer Atypie und mitotischer Aktivität möglich. Erwähnt seien weiterhin folgende seltene Adenokarzinome der Cervix uteri, die auch HPV-assoziiert sind: Karzinosarkom, adenoid-basaloides Karzinom sowie adenosquamöses und mukoepidermoides Karzinom. Das frühere «glassy cell carcinoma» entspricht einem gering differenzierten adenosquamösen Karzinom. Der alte Begriff soll nicht mehr verwendet werden.
Vagina und Vulva
Primäre Plattenepithelkarzinome der Vagina sind selten. Diese Diagnose darf entsprechend den Vorgaben
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der WHO nur gestellt werden, wenn ein gleichzeitiges oder in der jüngeren Vergangenheit (< 5 Jahre) aufgetretenes Plattenepithelkarzinom der Cervix uteri oder der Vulva ausgeschlossen ist. Aus Gründen der schon erwähnten Harmonisierung der Klassifikation werden auch die HPV-assoziierten Veränderungen von Vagina und Vulva in die Gruppen der low-grade und high-grade plattenepithelialen intraepithelialen Läsionen (LSIL und HSIL) unterteilt. In der Vulva kommt die LSIL praktisch ausschliesslich als Condyloma acuminata vor. Flache LSIL (VIN 1) sind selten. HSIL umfasst VIN 2 und VIN 3 «usual type». Morphologisch kann man basaloide (undifferenzierte) und warzenartige (kondylomatöse, bowenoide) Formen unterscheiden. Die Begriffe Morbus Bowen oder Bowenoide Papulose sollen nicht mehr verwendet werden. Die Diagnose HSIL sollte durch p16-Immunhistologie abgesichert werden. Die HPV-unabhängige vulväre intraepitheliale Neoplasie der neuen WHO-Klassifikation entspricht der bekannten dVIN (differenzierte vulväre intraepitheliale Neoplasie). Diese zeichnet sich durch basale Epi thelatypien in einem ausreifenden Plattenepithel mit Hyperparakeratose aus und ist immunhistologisch p16-negativ. Es existiert kein spezifischer Biomarker, jedoch ist eine abnorme p53-Expression (Überexpres- sion oder p53-Nulltyp) häufig, welche ein Hinweis auf eine entsprechende TP53-Mutation ist. Kürzlich wurde eine weitere HPV-unabhängige Vorläufer-VIN beschrieben, welche der dVIN ähnlich ist, nämlich die differenzierte exophytische vulväre intraepitheliale Neoplasie / vulväre Akanthose mit gestörter Differenzierung. Diese Läsionen zeigen exophytisches Wachstum, akanthotische oder Verruca-artige Architektur bei fehlender nukleärer Atypie. HPV-unabhängige vulväre intraepitheliale Neoplasien sind häufig mit einer vorbestehenden Entzündung (meistens anogenitaler Lichen sclerosus oder Lichen planus) assoziiert und haben – trotz ihrer relativ subtilen morphologischen Veränderungen – ein hohes Risiko für eine maligne Transformation in ein Plattenepithelkarzinom. Prof. Dr. med. Joachim Diebold Chefarzt Pathologie Luzerner Kantonsspital 6000 Luzern 16 E-Mail: joachim.diebold@luks.ch Der Autor gibt an, dass kein Interessenskonflikt besteht. Referenz: Female Genital Tumours, WHO Classification of Tumours, 5th Edition, Volume 4, WHO Classification of Tumours Editorial Board, International Agency for Research on Cancer, ISBN: 978-92-832-4504-9. Alle Abbildungen: Diebold SCHWEIZER ZEITSCHRIFT FÜR ONKOLOGIE 2/2021 11