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KONGRESSBERICHT
62nd ASH Annual Meeting and Exposition, 5.–8. Dezember 2020, virtuell
Akute myeloische und akute lymphatische Leukämie
Neue innovative Therapieoptionen für die Behandlung von AML und ALL
Bei Kindern mit akuter lymphatischer Leukämie (ALL) ist die Prognose insgesamt sehr gut, allerdings überleben bei Auftreten eines Krankheitsrückfalls nur etwa die Hälfte bzw. ein Drittel der pädiatrischen B-ALL- bzw. T-ALL-Patienten mehr als 5 Jahre. Blinatumomab und Bortezomib sind in der Therapie der B-ALL bzw. T-ALL vielversprechende neue Therapieoptionen. In der Behandlung der akuten myeloischen Leukämie (AML) ist Azacitidin eine Standardtherapie für ältere Patienten. Der hypomethylierende Ansatz wurde beim ASH 2020 mit Lebensqualitätsdaten bestätigt und eine therapieoptimierende Kombination mit Venetoclax vorgestellt.
OS-Verlängerung und gute Lebensqualität unter AzacitidinErhaltungstherapie
Mit einer Azacitidin-Erhaltungstherapie wurde in der randomisierten Phase-III-Studie QUAZAR AML-001 eine signifikante Verlängerung des Gesamtüberlebens (OS) von median 14,8 auf 24,7 Monate erreicht (Hazard Ratio [HR]: 0,69; 95%-Konfidenzintervall [KI]: 0,55–0,86; p = 0,0009) (1). Neu diagnostizierte AML-Patienten erhielten in der Studie nach kompletter Remission (CR) unter Induktionschemotherapie und Konsolidierung entweder orales Azacitidin (300 mg, d1–14, q4w) oder Plazebo. Zur Erfassung der Lebensqualität füllten Patienten die Fragebögen FACIT-Fatigue und EQ-5D-3L aus. 94 bis 95% der Patienten gaben auswertbare Fragebögen ab. In beiden Studienarmen gaben Patienten einen vergleichbar niedrigen FatigueAusgangswert und eine insgesamt gute Lebensqualität zu Beginn der Erhaltungstherapie an. Im Median erhielten die Patienten 12 Zyklen Azacitidin und 7 Zyklen Plazebo. Es wurde kein klinisch relevanter Unterschied zwischen den Studienarmen bezüglich der Lebensqualität gesehen. In einer longitudinalen Analyse konnte auch keine Veränderung der Lebensqualität im Verlauf der Erhaltungstherapie festgestellt werden. Klinisch relevante Verschlechterungen der Lebensqualität an einzelnen Erhebungstagen waren in beiden Studienarmen ähnlich. Eine statistisch signifikante Differenz bezüglich der Zeit bis zur Verschlechterung der Lebens-
qualität wurde mit keinem der Fragebögen festgestellt.
Hohe Effektivität in der AMLTherapie mit alternierenden Regimen
Die Therapie von älteren neu diagnostizierten AML-Patienten mit Venetoclax als Therapiepartner zu einer Chemotherapie mit Cladribin und niedrig dosiertem AraC (Zyklus 1–2) sowie alternierend Azacitidin (Zyklus 3–4) hat in einer Phase-II-Studie mit 55 Patienten zu hohen Ansprechraten und einer vielversprechenden Dauer des Gesamtüberlebens geführt. Beim ASH wurden Ergebnisse mit einer medianen Nachbeobachtungszeit von 14,2 Monaten präsentiert (2). Die Patienten waren median 68 Jahre alt und in 40% der Fälle ≥ 70 Jahre. Das genomische Risiko war bei 16% der Patienten niedrig, bei 40% intermediär und bei 44% hoch. Eine komplette Remission zeigten 78% der Patienten, von denen wiederum 93% auch MRD-Negativität aufwiesen. Eine zytogenetische CR (CRc) wurde bei 93% der Patienten beobachtet, von denen wiederum 84% auch MRDnegativ waren. Nach einem Jahr lebten noch 70% der Studienteilnehmer und 66% der Patienten hatten noch keinen Krankheitsrückfall erlitten. Entsprechend den Risikokriterien des European Leukemia Net (ELN) betrug die 1-Jahres-OS-Rate 100% für Patienten mit niedrigem Risiko, 62% bei mittlerem Risiko und 65% bei hohem Risiko. 15 Patienten (30% der Patienten mit Ansprechen) konnten eine
Stammzelltransplantation erhalten. Diese Patienten waren zwischen 60 und 72 Jahre alt (Median: 65 Jahre). 91% der Patienten mit versus 69% ohne Stammzelltransplantation überlebten wenigstens 1 Jahr (p = 0,059). MRD-negative Patienten (n = 40) wiesen eine 1-Jahres-OS-Rate von 83% und MRD-positive Patienten (n = 11) eine Rate von 48% auf (p = 0,003). Die Therapie wurde von diesem älteren Patientenklientel gut vertragen. Die Mortalität betrug 2% in 4 Wochen und 4% in 8 Wochen.
Blinatumomab verlängert Überleben bei Kindern mit B-ALL
Etwa 15% der Kinder mit akuter B-Zelllymphatischer Leukämie (B-ALL) erleiden nach einer Standardtherapie ein Rezidiv. Die meisten dieser pädiatrischen Patienten sind Kandidaten für eine allogene Stammzelltransplantation. In einer offenen Phase-III-Studie wurden B-ALL-Patienten im Alter < 18 Jahre nach einem ersten Rezidiv mit einer Induktionschemotherapie und zwei Konsolidierungschemotherapien behandelt. Anschliessend erhielten die pädiatrischen Patienten randomisiert Blinatumomab oder eine dritte Konsolidierung, darauf folgte eine allogene Stammzelltransplantation (3). Primärer Endpunkt der Studie war das ereignisfreie Überleben (EFS). Aufgrund der überlegenen Wirkung von Blinatumomab wurde die Rekrutierung der Studie nach Randomisierung von 108 Patienten beendet, geplant war der Einschluss von etwa 202 Patienten. Die Patienten waren median 5 bis 6 Jahre alt und hatten die Diagnose durchschnittlich 22 bis 23 Monate vor dem Krankheitsrückfall erhalten. Das Risiko für ein Ereignis konnte im Blinatumomab-Arm um 67% gegenüber dem Kontrollarm ge senkt werden (HR: 0,33; 95%-KI: 0,18–0,61; p < 0,001). Für Kinder mit erstem Rezidiv innerhalb von 18 Monaten ab Diagnose war der Unterschied noch deutlicher ausgeprägt, mit einer Hazard Ratio von 0,21 (95%-KI: 0,07–0,59), als bei Kindern mit einem rezidivfreien Intervall von ≥ 18 Mo-
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naten (HR: 0,43; 95%-KI: 0,20–0,95). Auch das OS konnte durch Blinatumomab mit einer Risikoreduktion um 57% verbessert werden (HR: 0,43; 95%-KI: 0,18–1,01). Die kumulative Inzidenz von Rückfällen nach zweiter Komplettremission war geringer im Blinatumomab- versus den Kontrollarm (24 versus 54%). Nebenwirkungen traten unter Blinatumomab weniger häufig und in geringerer Schwere im Vergleich zum Kontrollarm auf.
T-ALL – Gute Wirksamkeits ergebnisse mit Bortezomib
Um einen Krankheitsrückfall zu verhindern, wurde in der AALL1231-Studie bei Kindern mit T-ALL und T-LBL (T-lympho blastisches Lymphom) Bortezomib in insgesamt 8 Dosen während der Induktionsphase (zusätzlich zu Dexamethason und PEG-ASNase-BFM-Konsolidierung) und der späten Intensivierung (DI) gegeben. Entsprechend dem Ansprechen wurden die pädiatrischen Patienten in Risikogruppen (normales, mittleres, sehr hohes Risiko) eingestuft. Nur Patienten mit hohem Risiko erhielten eine Schädelbestrahlung, bei Patienten mit normalem und mittlerem Risiko wurde eine angepasste Therapie mit DI und einer oder zwei Methotrexat-Erhaltungstherapien gegeben. Primärer Endpunkt war das EFS. Es wurden 847 Patienten eingeschlossen und die Rekrutierung dann aufgrund der Ergebnisse der AALL0434Studie, die einen Wirksamkeitseffekt von zusätzlichem Nelarabin zeigen konnte, abgebrochen. Im Ergebnis wurde in der AALL1231Studie mit Bortezomib versus ohne Bortezomib eine signifikante Verbesserung der 3-Jahres-EFS-Rate (85,1 vs. 81,7%; p = 0,074) und der 3-Jahres-OS-Rate (88,2 vs. 85,5%) beobachtet. In einer Subgruppen-
Tabelle
Vergleich von ähnlichen Patienten, die eine Schädelbestrahlung in der AALL0434-, nicht aber in der AALL1231-Studie erhielten.
Anzahl Patienten 3-Jahres EFS (%) 3-Jahres-OS (%) ZNS-Rückfallrate (%) Gesamte Rückfallrate (%)
AALL0434 ohne Nelarabin (n = 318) 318 92,3 94,2 1,9 6,0
AALL0434 mit Nelarabin (n = 150) 150 92,5 93,8 1,3 7,3
AALL1231 ohne Bortezomib (n = 229) 229 88,3 91,4 5,2 7,4
AALL1231 mit Bortezomib (n = 233) 233 90,8 93,5 3,9 5,6
Mod. nach [4]
untersuchung entsprechend den Risikogruppen profitierten allerdings nur Patienten mit normalem Risiko (3-Jahres-EFS: 92,5 vs. 85,1%; p = 0,046) und mittlerem Risiko (3-Jahres-EFS: 90,3 vs. 85,9%; p = 0,033) von Bortezomib, nicht aber Patienten mit sehr hohem Risiko (3-Jahres-EFS: 6,5 vs. 37,5%; p = 0,038). Die Subgruppe der Patienten mit T-lymphoblastischen Lymphomen, die ein Viertel der Studienpopulation ausmachte, trieb mit einem 3-Jahres-EFS von 88,3 vs. 76,5% (p = 0,010) und einem 3-Jahres-OS von 89,5 vs. 78,0% (p = 0,007) den Therapievorteil von Bortezomib in der gesamten Studienpopulation. In der AALL0434-Studie erhielten 90,8% der Studienteilnehmer eine Schädel bestrahlung, in der AALL1231-Studie nur 9,5%. Ein Vergleich von ähnlichen Patienten beider Studien, die eine Schädel bestrahlung in der AALL0434- und keine Schädelbestrahlung in der AALL1231Studie erhalten hatten, zeigt eine vergleichbare Anzahl an Krankheitsrückfällen zwischen 5,6 bis 7,4% in allen Therapiearmen (siehe Tabelle), was bestätigt, dass die Schädelbestrahlung bei den meisten
Kindern nicht notwendig ist. Bisher ist
das Ergebnis für das OS in der AALL1231-
Studie dem der AALL0434-Studie unter-
legen, nicht aber das EFS-Ergebnis. Die
Autoren raten daher zu Rückschlüssen
erst nach einer längeren Nachbeobach-
tungszeit.
n
Ine Schmale
Referenzen: 1. Roboz GJ et al.: Health-related quality of life with
oral azacitidine in patients with acute myeloid leukemia (AML) in first remission following induction chemotherapy: Results from the phase III QUAZAR AML-001 maintenance trial. ASH 2020, Abstr. #214. 2. Kadia TM et al.: Phase II study of venetoclax added to cladribine + low dose AraC alternating with 5-azacytidine demonstrates high rates of minimal residual disease negative complete remissions and excellent tolerability in older patients with newly diagnosed acute myeloid leukemia. ASH 2020, Abstr. #25. 3. Locatelli F et al.: Superior event-free survival with blinatumomab versus chemotherapy in children with high-risk first relapse of B-cell precursor acute lymphoblastic leukemia (B-cell ALL): a randomized, controlled phase 3 trial. ASH 2020, Abstr. #268. 4. Teachey DT et al.: Cranial radiation can be eliminated in most children with T-cell acute lymphoblastic leukemia (T-ALL) and bortezomib potentially improves survival in children with T-cell lymphoblastic lymphoma (T-LL): Results of Children’s Oncology Group (COG) Trial AALL1231. ASH 2020, Abstr. #266.
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