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KONGRESSBERICHT
Virtuelle Jahrestagung der Deutschen, Österreichischen und Schweizerischen Gesellschaften für Hämatologie und Medizinische Onkologie vom 9. bis 11. Oktober 2020
Systemtherapie des fortgeschrittenen/metastasierten Nierenzellkarzinoms
Je nach Situation und Patientenprofil auch aktive Überwachung möglich
In den letzten Jahren hat sich die Palette an therapeutischen Optionen für die Systemtherapie des fortgeschrittenen/metastasierten Nierenzellkarzinoms deutlich erweitert. Prof. Dr. med. Viktor Grünwald vom Universitätsklinikum in Essen/D zeigte auf, welche Optionen aktuell in der ersten Linie empfohlen werden und in welchen Fällen auch eine aktive Überwachung möglich ist.
«Der Bereich der palliativen Systemtherapie des metastasierten Nierenzellkarzinoms hat sich in den letzten Jahren konstant verändert», sagte Prof. Dr. med. Viktor Grünwald, Universitätsklinikum, Essen/D, zu Beginn seines Referats. Gleich geblieben sei jedoch die Risikoklassifizierung nach IMDC(International Metastatic Renal-Cell Carcinoma Database Consortium)-Score anhand der folgenden sechs Parameter: Zeit bis zur medizinischen Behandlung, Hyperkalzämie, Anämie, Performance Status, Thrombozytophilie und Neutrophilie. «Die Auswahl einer Systemtherapie basiert auf der Zuordnung eines Patienten zu einer der drei
Risikogruppen», so der Redner. Zunehmend an Bedeutung würden auch Faktoren wie die Lokalisation der Metastasen gewinnen. «Gerade Patienten mit glandulärer Metastasenbildung, also Meta stasen in Pankreas, Schilddrüse, Speicheldrüsen oder Nebennieren, stellen eine Gruppe mit e iner besonders günstigen Prognose dar», meinte er weiter.
Checkpoint-Inhibitor-basierte Erstlinientherapie
Wie Grünwald erläuterte, stehen als Standardoptionen in der ersten Linie aktuell die Immuntherapie(IO)-Kombination Nivolumab-Ipilimumab sowie die beiden
IO-Tyrosinkinase-Hemmer(TKI)-Kombina tionen Pembrolizumab-Axitinib und Avelumab-Axitinib zur Verfügung. Während die S3-Leitlinien vom August 2020 den Einsatz der Kombinationen Pembroli zumab-Axitinib (starke Empfehlung) und Avelumab-Axitinib (schwache Empfehlung) unabhängig vom IMDC-Risikoprofil vorsehen, kann bei Patienten mit intermediärem und ungünstigem Risiko auch Nivolumab-Ipilimumab (starke Empfehlung) eingesetzt werden (siehe Tabelle) (1). Der Redner wies zudem darauf hin, dass am diesjährigen ESMO positive Resultate zu einer neuen Erstlinienoption – der Kombination Nivolumab-Cabozantinib – präsentiert wurden, dass dafür aber noch keine Zulassung vorliege (2). «Man muss sich bewusst sein, dass sich die verschiedenen Kombination in ihrem Toxizitätsspektrum unterscheiden», führte er aus. «So fehlen bei der alleinigen Immuntherapiekombination die klassischen
Tabelle
Empfehlungen der S3-Leitlinie zur palliativen Erstlinientherapie beim fortgeschrittenen und/oder metastasierten Nierenzellkarzinom
Therapielinie Erstlinie
IMDC-Risikoprofil Niedrig Intermediär
Ungünstig
Checkpoint-Inhibitor-basierte Therapie durchführbar Starke Empfehlung: Pembrolizumab + Axitinib
Schwache Empfehlung: Avelumab + Axitinib Starke Empfehlung: Pembrolizumab + Axitinib Nivolumab + Ipilimumab
Schwache Empfehlung: Avelumab + Axitinib
Starke Empfehlung: Pembrolizumab + Axitinib Nivolumab + Ipilimumab
Checkpoint-Inhibitor-basierte Therapie nicht durchführbar
Starke Empfehlung: Bevacizumab + IFN Pazopanib Sunitinib Tivozanib Schwache Empfehlung: Cabozantinib Sunitinib Pazopanib Tivozanib
Option: Bevacizumab + IFN Schwache Empfehlung: Cabozantinib Sunitinib
adaptiert nach (1)
Schwache Empfehlung: Avelumab + Axitinib
Option: Temsirolimus Pazopanib
48 SCHWEIZER ZEITSCHRIFT FÜR ONKOLOGIE 2/2021
KONGRESSBERICHT
Virtuelle Jahrestagung der Deutschen, Österreichischen und Schweizerischen Gesellschaften
für Hämatologie und Medizinische Onkologie vom 9. bis 11. Oktober 2020
TKI-Nebenwirkungen wie zum Beispiel Hand-Fuss-Syndrom oder Hypertonie fast gänzlich. Bei der Kombination Immuntherapie-Tyrosinkinase-Hemmer addieren sich zu den Tyrosinkinase-HemmerNebenwirkungen typischerweise noch immunvermittelte Nebenwirkungen.» Alles in allem gesehen seien aber beide Arten einer Kombinationstherapie gut durchführbar.
Aktive Überwachung für ausgewählte Patienten
Wie Grünwald weiter ausführte, werde vermehrt darüber diskutiert, ob bei ausgewählten Patienten eine Kombinationstherapie tatsächlich von Anfang an notwendig sei oder ob allenfalls eine andere Vorgehensweise, wie eine aktive Überwachung oder eine TKI-Monotherapie, möglich wäre. Solche Überlegungen hätten insbesondere vor dem Hintergrund der Coronaviruspandemie an Bedeutung gewonnen. «In den Studien CheckMate214 zu Nivolumab plus Ipilimumab sowie JAVELIN Renal 101 und KEYNOTE-426 zu Avelumab-Axatinib und PembrolizumabAxatinib konnte für Patienten mit einem günstigen IMDC-Risikoprofil kein klarer Überlebensvorteil durch den Einsatz einer Immuntherapie-haltigen Kombination gezeigt werden. Auch wenn die zum Teil nur
kurze Nachbeobachtungszeit die Interpretation der Daten limitiert, zeigt sich bei diesen Patienten aktuell kein Nachteil in der medianen Lebenserwartung durch den Einsatz einer alleinigen Tyrosinkinase-Hemmer-Therapie», erklärte er. Grünwald wies in diesem Zusammenhang darauf hin, dass die interdisziplinäre Arbeitsgruppe Nierenzellkarzinom (IAG-N) im April 2020 Empfehlungen zur Erstlinientherapie des metastasierten Nierenzellkarzinoms in der Pandemiesituation herausgegeben hat (3). «Wir kamen dabei zum Schluss, dass Patienten mit einem günstigen IMDC-Risikoprofil, aber auch solche mit einer speziellen Metastasenlokalisation, wie zum Beispiel glandulären Metastasen, primär mit einer aktiven Überwachung versorgt werden können und sich so der Einstieg in eine Systemtherapie verzögern lässt», so Grünwald.
In Vorbereitung: Studie zum PET-basierten Therapieabbruch
Im letzten Teil seines Referats griff Grünwald kurz das Thema der prognostischen Bedeutung der Remissionstiefe auf. Sowohl bei den IO-TKI-Kombinationen als auch bei der IO-IO-Kombination beeinflusst die erreichte Remissionstiefe die Prognose. Vergleichbares sei auch von
anderen Tumorentitäten bekannt, so zum
Beispiel für das mittels FDG-PET erfasste
Ansprechen eines Melanoms auf die Be-
handlung mit Nivolumab plus Ipilimumab
(4). «Dies hat uns dazu bewogen, eine
Studie vorzubereiten, die DISCO-Studie,
in welcher der PET-basierte Therapie-
abbruch bei Melanom- und Nierenzell-
karzinom-Patienten untersucht werden
wird. Das ist aktuell aber noch Zukunfts-
musik», schloss er.
n
Therese Schwender
Referenzen: 1. Leitlinienprogramm Onkologie (Deutsche Krebsge-
sellschaft, Deutsche Krebshilfe, AWMF): Diagnostik, Therapie und Nachsorge des Nierenzellkarzinoms, Kurzversion 2.0, 2020, AWMF Registernummer: 043/ 017OL, https://www.leitlinienprogramm-onkologie.de/ leitlinien/nierenzellkarzinom/. Zugriff am 13.12.2020. 2. Choueiri T et al.: Nivolumab plus cabozantinib versus sunitinib in first-line treatment for advanced renal cell carcinoma: First results from the randomized phase 3 CheckMate 9ER trial. ESMO 2020, Abstract 696O. 3. Grünwald V et al.: Aktuelle Empfehlungen der IAG-N zur Systemtherapie des Nierenzellkarzinoms (NCC) im Kontext der SARS-CoV-2-Pandemie, April 2020. https://www.aio-portal.de/index.php/stellungnahmen473.html. Zugriff am 13.12.2020. 4. Iravani A et al.: FDG-PET metabolic tumor volume in advanced melanoma treated with ipilimumab and nivolumab (ipi/nivo). J Clin Oncol. 2020;38(15_ suppl):10041.
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