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KONGRESSBERICHT
Virtuelle Jahrestagung der Deutschen, Österreichischen und Schweizerischen Gesellschaften
für Hämatologie und Medizinische Onkologie vom 9. bis 11. Oktober 2020
Fortgeschrittenes/metastasiertes nicht kleinzelliges Lungenkarzinom
Strategien bei Progress unter einem Tyrosinkinase-Hemmer
Zur gezielten Therapie von Treiber-mutierten nicht kleinzelligen Lungenkarzinomen sind mittlerweile verschiedene Tyrosinkinase-Hemmer verfügbar. PD Dr. med. Lucia Nogova vom Universitätsklinikum in Köln (D) ging in ihrem Vortrag darauf ein, welche Möglichkeiten zur Verfügung stehen, sollte es unter der Therapie zur Entwicklung von Resistenzen und damit zum Progress kommen.
Für die Behandlung von Treiber-mutierten nicht kleinzelligen Lungenkarzinomen (NSCLC) stehen mittlerweile verschiedene, gezielt wirksame Tyrosinkinase- Inhibitoren (TKI) zur Verfügung. Wie Nogova erklärte, kann es durch die Entwicklung von Resistenzen jedoch zum Voranschreiten der Erkrankung kommen. Verschiedene Mechanismen sind dabei für die Entstehung einer TKI-Resistenz verantwortlich. «So können wir es mit pharmakologischen Resistenzen zu tun haben. Das heisst: das Medikament wird nicht richtig absorbiert, zum Beispiel bei Durchfall, es wird nicht richtig metabo lisiert oder es weist eine ungenügende ZNS-Penetration auf», beschrieb sie. Sehr viel häufiger sei aber eine biologische Resistenz, bei der es durch Mutationen im bisherigen Treiber zu On-Target-Resistenzen kommen kann. «Oder es ent wickeln sich Off-Target-Resistenzen, indem neue Treiber entstehen und damit Bypass-Wege aktiviert werden», erläuterte Nogova.
Mechanismen einer EGFR-TKI-Resistenz
Verschiedene molekulare Mechanismen sind dafür verantwortlich, dass sich bei einem EGFR-mutierten NSCLC unter der Behandlung mit einem TKI eine Resistenz entwickeln kann. «Wir wissen mittlerweile, dass eine erworbene Resistenz gegen einen Tyrosinkinase-Hemmer der 1. und 2. Generation vor allem auf eine T790M-Mutation zurückzuführen ist», sagte Nogova. Yu et al. stellten diese Mutation denn auch in 63% der Tumorproben von NSCLC-Patienten mit einer erworbenen Resistenz gegenüber Erlotinib oder Gefitinib fest (1). «Bei Patien-
ten, die diese Gatekeeper-Mutation entwickeln, haben wir die Möglichkeit, den Drittgenerationen-TKI Osimertinib einzusetzen», erklärte Nogova. Patienten mit bestätigter EGFR-T790M-Mutation erreichten darunter eine Ansprechrate von 61% (2). Bei Patienten, die unter Therapie mit Osimertinib eine Resistenz entwickelten, konnte am häufigsten eine C797S-Mutation nachgewiesen werden (3) – eine Mutation, die die kovalente Bindung von Osimertinib an den EGFR-Rezeptor verhindert. TKI der 4. Generation, die den Effekt dieser Mutation überwinden können, befinden sich in klinischer Entwicklung. Ebenfalls ein häufiger Grund für eine Resistenz gegenüber einem Drittgenerationen-TKI stellt beim EGFR-mutierten NSCLC eine MET-Amplifikation dar (4). In einer multizentrischen, offenen Phase-IbStudie zeigte die Kombination aus Osimer tinib und Savolitinib bei NSCLC-Patienten mit MET-Amplifikation und Progress nach einer EGFR-TKI-Vortherapie ein gutes Nutzen-Risiko-Profil und könnte damit für solche Patienten einen möglichen neuen Therapieansatz darstellen (5).
Erworbene Resistenzen bei ALK-positiven Tumoren
Auch zur Behandlung ALK-positiver NSCLC-Tumore stehen TKI verschiedener Generationen zur Verfügung. «In der Erstlinientherapie setzen wir hier am häufigsten den Zweitgenerationen-ALK-Inhibitor Alectinib ein», sagte sie – aufgrund des verlängerten medianen Gesamtüberlebens, das darunter in der ALEX-Studie im Vergleich zu Crizotinib erzielt werden konnte. Unter der Behandlung mit einem
ALK-TKI kann es jedoch ebenfalls zur Entwicklung von Resistenzmutationen kommen. «Wir kennen hier sowohl OnTarget- als auch Off-Target-Resistenzen», schilderte die Referentin. Untersuchungen zur Aktivität der verschiedenen ALKTKI beim Vorliegen bestimmter Mutationen ergaben für Lorlatinib, als TKI der 3. Generation, das breiteste Wirkspektrum (6). «Aufgrund klinischer Daten wissen wir, dass Lorlatinib auch bei stark vorbehandelten Patienten noch gute Resultate erreicht. Zudem zeigt das Medikament auch eine gute intrakranielle Wirkung», ergänzte Nogova. Obwohl Lorlatinib erst nach Progress unter vorangegangener Behandlung mit mindestens zwei ALK-TKI zugelassen ist, wird die Substanz in Studien bereits in früheren Linien untersucht. Nogova wies in diesem Zusammenhang auf die am ESMO 2020 präsentierten Daten der CROWN-Studie hin. Diese zeigten, dass eine Erstlinientherapie mit Lorlatinib zu einem signifikant besseren progressionsfreien Überleben (PFS) führte als die Behandlung mit Crizotinib (nicht erreicht vs. 9,3 Monate; HR: 0,28; 95%-Konfidenzintervall [KI]: 0,19–0,41; p < 0,001) (Tab) (7). «Schade ist nur, dass Crizotinib hier als Vergleichssubstanz gewählt wurde und nicht Alectinib, unser heutiger Standard», kommentierte die Expertin. Optionen beim ROS1-positiven NSCLC Bei Patienten mit einem ROS1-positiven fortgeschrittenen NSCLC führte die Behandlung mit Crizotinib zu einem Gesamtüberleben von 51,4 Monaten (8). Der ebenfalls zur Behandlung von ROS1positiven Lungenkarzinomen zugelassene TKI Entrectinib erreichte ähnlich gute Resultate, berichtete Nogova. Zudem sei hier die gute Liquorgängigkeit zu erwähnen. «Bei Patienten mit Hirnmetastasen oder Patienten, bei denen es unter Crizotinib zu einem isolierten Progress im ZNS kommt, ist Entrectinib eine gute Wahl», sagte Nogova. 40 SCHWEIZER ZEITSCHRIFT FÜR ONKOLOGIE 1/2021 KONGRESSBERICHT Virtuelle Jahrestagung der Deutschen, Österreichischen und Schweizerischen Gesellschaften für Hämatologie und Medizinische Onkologie vom 9. bis 11. Oktober 2020 Tabelle Resultate zum progressionsfreien Überleben (PFS) aus der Phase-III-Studie CROWN zur Erstlinientherapie des ALK-positiven NSCLC mit Lorlatinib im Vergleich zu Crizotinib (7) Patienten mit Ereignis, n (%) medianes PFS, Monate (95%-Konfidenzintervall) 12-Monats-PFS-Rate (95%-Konfidenzintervall) Hazard Ratio (95%-Konfidenzintervall) p-Wert NE: nicht erreicht Lorlatinib (n = 149) 41 (28) NE 78% (70–84%) 0,28 (0,19–0,41%) Crizotinib (n = 147) 86 (59) 9,3 (7,6–11,1%) 39% (30–48%) < 0,001 Bei Patienten mit einem ROS1-positiven NSCLC wurde in einer offenen, einarmigen Phase-I/II-Studie auch die Sicherheit und Wirksamkeit von Lorlatinib untersucht (9). Der TKI erwies sich dabei als aktiv, sowohl bei TKI-naiven als auch bei den Crizotinib-vorbehandelten Patienten (auch bei Patienten mit ZNS-Metastasen). Mit Repotrectinib wurde mittlerweile auch ein ROS1/TRK/ALK-Tyrosinkinase-Hemmer der nächsten Generation in einer Phase-I-Studie untersucht (10). Die Sub stanz zeigte hier eine vielversprechende Aktivität, auch im ZNS. Insbesondere ist Repotrectinib, im Gegensatz zu Crizotinib und Lorlatinib, auch bei Vorliegen einer ROS1-G2032R-Resistenzmutation aktiv. An diesem Punkt ihres Vortrags wies Nogova zudem auf die Bedeutung einer guten Diagnostik hin. «Das gilt für alle TKI und alle Treiber, denn bei einer falschen Diagnostik fehlt auch das Ansprechen. Als Beispiel kann ich hier die Resultate unserer Phase-II-Studie mit Crizotinib bei ROS1-positiven Patienten erwähnen. Diejenigen, die rasch progredient waren, wiesen gar keine ROS1-Translokation auf. Gegebenenfalls ist also eine Re-Analyse solcher Patienten angezeigt, um an- schliessend die richtige Therapie wählen zu können.» Strategien zur Vermeidung einer Resistenzentwicklung Gibt es Möglichkeiten, die Entwicklung von Resistenzen zu verhindern oder wenigstens zu verzögern? «Eine grund- sätzliche Option wäre die Gabe einer Poly-Inhibitor-Therapie, um so das Ent- stehen von neuen, resistenten Klonen zu verhindern», sagte Nogova. Dieser An- satz würde jedoch mit einem erhöhten Risiko für Toxizitäten einhergehen. Auch die Kombination der gezielten Therapie mit einer Chemotherapie, zur Reduktion der resistenten Klone, sei möglich. Klini- sche Studien zur Kombination von Gefi- tinib mit Chemotherapie (Carboplatin/ Pemetrexed) zeigten positive Resultate in Bezug auf Ansprechraten und PFS (11, 12). «Auch hier ist natürlich an die höhere Rate an Toxizitäten zu denken, die mit einer solchen Kombination einher- gehen können», betonte Nogova ab- schliessend. n Therese Schwender Referenzen: 1. Yu HA et al.: Analysis of tumor specimens at the time of acquired resistance to EGFR-TKI therapy in 155 patients with EGFR-mutant lung cancers. Clin Cancer Res. 2013;19(8):2240-2247. 2. Jänne PA et al.: AZD9291 in EGFR inhibitor-resistant non-small-cell lung cancer. N Engl J Med. 2015; 372(18):1689-1699. 3. Oxnard GR et al.: Assessment of Resistance Mechanisms and Clinical Implications in Patients With EGFR T790M-Positive Lung Cancer and Acquired Resistance to Osimertinib. JAMA Oncol. 2018;4(11): 1527-1534. 4. Michels S et al.: Genomic Profiling Identifies Outcome-Relevant Mechanisms of Innate and Acquired Resistance to Third-Generation Epidermal Growth Factor Receptor Tyrosine Kinase Inhibitor Therapy in Lung Cancer. JCO Precis Oncol. 2019, Mar 27;3: PO.18.00210. 5. Sequist LV et al.: Osimertinib plus savolitinib in patients with EGFR mutation-positive, MET-amplified, non-small-cell lung cancer after progression on EGFR tyrosine kinase inhibitors: interim results from a multicentre, open-label, phase 1b study. Lancet Oncol. 2020;21(3):373-386. 6. Gainor JF et al.: Molecular Mechanisms of Resistance to First- and Second-Generation ALK Inhibitors in ALK-Rearranged Lung Cancer. Cancer Discov. 2016; 6(10):1118-1133. 7. Solomon B et al.: Lorlatinib vs crizotinib in the first-line treatment of patients with advanced ALK-positive non-small cell lung cancer: Results of the phase III CROWN study. Ann Oncol. 2020;31(suppl_4):S1142S1215. 8. Shaw AT et al.: Crizotinib in ROS1-rearranged advanced non-small-cell lung cancer (NSCLC): updated results, including overall survival, from PROFILE 1001. Ann Oncol. 2019;30(7):1121-1126. 9. Shaw AT et al.: Lorlatinib in advanced ROS1-positive non-small-cell lung cancer: a multicentre, open-label, single-arm, phase 1-2 trial. Lancet Oncol. 2019; 20(12):1691-1701. 10. Cho BC et al.: Safety and preliminary clinical activity of repotrectinib in patients with advanced ROS1 fusion-positive non-small cell lung cancer (TRIDENT-1 study). J Clin Oncol. 2019;37:9011. 11. Hosomi Y et al.: Gefitinib Alone Versus Gefitinib Plus Chemotherapy for Non-Small-Cell Lung Cancer With Mutated Epidermal Growth Factor Receptor: NEJ009 Study. J Clin Oncol. 2020;38(2):115-123. 12. Noronha V et al.: Gefitinib Versus Gefitinib Plus Pemetrexed and Carboplatin Chemotherapy in EGFR-Muta ted Lung Cancer. J Clin Oncol. 2020;38(2):124-136. SCHWEIZER ZEITSCHRIFT FÜR ONKOLOGIE 1/2021 41