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KONGRESSBERICHT
Virtuelle Jahrestagung der Deutschen, Österreichischen und Schweizerischen Gesellschaften für Hämatologie und Medizinische Onkologie vom 9. bis 11. Oktober
Chronische myeloische Leukämie
Tyrosinkinase-Inhibitor-Therapie und Familienplanung
Welche Optionen Patientinnen mit einer chronischen myeloischen Leukämie (CML) unter Behandlung mit einem Tyrosinkinase-Inhibitor (TKI) bei Kinderwunsch angeboten werden können und welches Vorgehen bei männlichen Patienten in Betracht gezogen werden sollte, erörterte Prof. Susanne Saussele aus Mannheim an der virtuellen Jahrestagung von DGHO, OeGHO und SGMO.
«Die Familienplanung sollte bei Leukämie- und anderen Tumorpatienten bereits zum Zeitpunkt der Diagnose thematisiert werden», erklärte Prof. Dr. med. Susanne Saussele, Mannheim (D). Um rechtzeitig die richtigen Massnahmen treffen zu können, ist bereits zu diesem Zeitpunkt zu bedenken, welche Therapie aktuell oder in Zukunft eingesetzt werden soll.
Schwangerschaft: Individuelle Lösungen notwendig
Zum Vorgehen bei Diagnose einer CML während einer Schwangerschaft liegen nur wenige Angaben vor. Das liegt einerseits am hohen medianen Alter bei CMLDiagnose, andererseits wird pro Jahr bei lediglich 1 von 100 000 Schwangerschaften eine CML diagnostiziert (1). «In manchen Fällen, vor allem bei stabiler Leukozytenzahl, kann die Therapie bis nach der Geburt des Kindes aufgeschoben werden», erläuterte Saussele. Sollte es zum Anstieg der Leukozytenzahl kommen, sei der Einsatz einer Leukapherese, von Interferon oder einem TKI (erst ab dem dritten Trimester) möglich.
Zum Einfluss einer TKI-Therapie auf die weibliche Fertilität liegen aus Tiermodellen verschiedene Daten vor. «In den getesteten Dosierungen zeigten Imatinib, Bosutinib, Dasatinib, Nilotinib und Ponatinib keinen Effekt auf die Fertilität. Wurden sie während einer Trächtigkeit verabreicht, kam es zum Tod des Wurfs oder zu Missbildungen. Es wird vermutet, dass das nicht auf den BCR-ABL-Effekt, sondern auf eine Hemmung des PlateletDerived-Growth-Factor Rezeptors zurückzuführen ist», sagte Saussele. Aus dem European Leukemia Net (ELN) liegen zudem Daten zum Verlauf von 224 Schwangerschaften unter Interferon (IFN) oder einem TKI vor (2). Dabei konnte der Schwangerschafts- beziehungsweise der Erkrankungsverlauf von Patientinnen mit CML-Diagnose während einer Schwangerschaft sowie in unterschiedlich tiefen Stadien eines Ansprechens analysiert werden. Saussele präsentierte anschliessend ihre auf den Ergebnissen dieser Analysen und den Erkenntnissen aus den Tiermodellen basierenden Empfehlungen (Tabelle). Sie betonte dabei:
Mögliche Empfehlungen für CML-Patientinnen mit Kinderwunsch
≥ Tiefes molekulares Ansprechen (DMR, MR ≥ 4) Anhaltende DMR (mind. 6 Monate) nach Stopp der TKI-Therapie, engmaschige Überwachung während Schwangerschaft Positiver Schwangerschaftstest: sofortiger Stopp der TKI-Therapie, im Falle des Verlusts eines MMR ist eine Intervention (z. B. Interferon) in Betracht zu ziehen Stopp der TKI-Behandlung und Versuch, schwanger zu werden. Falls es vor Eintritt der Schwangerschaft zum Verlust einer MR3 kommt, TKI-Therapie erneut starten (potentere Substanz) und später wieder versuchen.
< Tiefes molekulares Ansprechen TKI-Wechsel in Betracht ziehen (potentere Substanz) IFN dazugeben oder substituieren, engmaschig überwachen Zur IVF überweisen, wenn Embryo implantiert wird, TKI-Therapie kurze Zeit unterbrechen Zur IVF überweisen, Embryos einfrieren und implantieren, sobald DMR erreicht ist DMR: deep molecular response; MR = molecular response; IFN: Interferon; MMR: major molecular response (nach Vortrag Saussele) «Generell wird eine Schwangerschaft nicht empfohlen, wenn sich die Patientin nicht in einem tiefen molekularen Ansprechen, also MR4 oder tiefer, befindet.» Sollte das nicht der Fall sein, könnten den Frauen aber verschiedene andere Optionen angeboten werden, so zum Beispiel ein Wechsel des TKI (zu einer potenteren Substanz) oder die Kryokonservierung von Eizellen und der Einsatz von In-vitro-Fertilisationstechniken (IVF). Einfluss der TKI-Therapie auf die männliche Fertilität «In Tiermodellen konnte kein Einfluss einer TKI-Behandlung auf die Anzahl und die Mobilität der Spermien gefunden werden», führte Saussele weiter aus. Eine französische Arbeit fand bei 71 Männern, dass bereits zum Zeitpunkt der CML-Diagnose Veränderungen der Spermien (tiefere Anzahl, höherer Anteil an abnormen Spermien) vorlagen (3). Bei 8 Männern wurden die Spermien nach einer Imatinib-Therapie von 10 bis 65 Monaten Dauer nochmals untersucht. Dabei zeigte sich ein vergleichbares Bild wie zum Zeitpunkt der Diagnose. 4 Jahre später hatten 19 der 71 Männer 24 Kinder gezeugt, die alle gesund waren. «Es geht aus der Publikation allerdings nicht hervor, ob alle Männer auch beabsichtigt hatten, Vater zu werden», schränkte Saussele hier ein. Es würden auch Daten zum Schwangerschaftsverlauf bei Partnerinnen von CML-Patienten unter TKI-Therapie vorliegen. «Diese sprechen insgesamt für eine normale Konzeption und einen normalen Verlauf der Schwangerschaften. Die Rate an Fehlgeburten und Missbildungen bei den Kindern entsprach der Rate in der gesunden Bevölkerung. Aufgrund der Resultate der französischen Arbeit denke ich aber, dass man mit den Patienten durchaus darüber diskutieren sollte, unmittelbar nach CML-Diagnose Spermien einzufrieren», schloss sie. I Therese Schwender 28 SCHWEIZER ZEITSCHRIFT FÜR ONKOLOGIE 5/2020 KONGRESSBERICHT Virtuelle Jahrestagung der Deutschen, Österreichischen und Schweizerischen Gesellschaften für Hämatologie und Medizinische Onkologie vom 9. bis 11. Oktober Referenzen: 1. Milojkovic D, Apperley JF. How I treat leukemia du- ring pregnancy. Blood 2014; 123(7): 974–984. 2. Abruzzese E et al. Pregnancy management in cml patients: to treat or not to treat? Report of 224 outcomes of the European Leukemia Net (ELN) database. Blood 2019;134 (Suppl 1): 498. 3. Nicolini FE et al. CML patients show sperm alterations at diagnosis that are not improved with imatinib treatment. Leuk Res 2016; 48: 80–83. SCHWEIZER ZEITSCHRIFT FÜR ONKOLOGIE 5/2020 29