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KONGRESSBERICHT
European Society of Medical Oncology (ESMO), Virtual Congress, 19. bis 21. September 2020
Neuigkeiten vom ESMO-Kongress zur Therapie von Hirntumoren und Hirnmetastasen
Für Patienten mit Glioblastom gibt es nur sehr wenige systemische Therapieoptionen. Beim ESMO-Kongress wurden Untersuchungen präsentiert, die die Patientenselektion für potenziell verfügbare Therapiestrategien unterstützen. Für Patienten mit Hirnmetastasen gibt es aus mehreren klinischen Studien gute Nachrichten.
Perifokale Ödeme könnten Surrogat für Immunsensibilität sein
In den Studien CheckMate 143, CheckMate 498 und CheckMate 548 konnte mit dem Checkpoint-Inhibitor Nivolumab als Monotherapie oder in Kombination mit Radiatio beziehungsweise mit Temozolomid und Radiatio keine Verlängerung des Gesamtüberlebens (OS) bei Patienten mit neu diagnostiziertem Glioblastom erreicht werden. Trotzdem wurde bei einigen Patienten eine dauerhafte Remission unter der Checkpoint-Blockade beobachtet. Das zeigt eine grosse Heterogenität der Glioblastome hinsichtlich der Interaktionen mit dem Immunsystem auf. Um eine höhere immunogene Sensibilität zu erkennen, wurde die Korrelation von leichter verfügbaren bildgebenden zu molekularen Biomarkern untersucht (1). 133 Patienten mit neu diagnostiziertem, histologisch bestätigtem Glioblastom wurden in die Studie eingeschlossen. Die Patienten wiesen in 95,5% der Fälle eine IDH-Wildtyp-Erkrankung auf. Der MGMT-Promotor war bei 25% der Patienten methyliert, bei 38% nicht methyliert, und in 37% der Fälle war der MGMT-Methylierungsstatus nicht bekannt. Ödeme gehen mit Entzündungen einher und können bildgebend im MRT identifiziert werden. Das Volumen von peritumoralen T2-hyperintensen Signalanomalitäten wurde gemessen, um das Ausmass der Ödeme zu quantifizieren. Auf molekularer Ebene wurden CD3-, CD8und PD-1-positive tumorinfiltrierende Lymphozyten (TIL) mittels Immunhistochemie und Tissue-Phenomics-Software analysiert. Eine Korrelation konnte zwischen allen Subgruppen der TIL (CD3+, CD8+, PD-1+) beobachtet werden. Das perifokale Ödem korrelierte mit der
CD8+-TIL-Dichte und trat in grösseren Volumina bei nicht methylierten Tumoren auf. Somit korrelierten radiologische Marker mit Markern der lokalen Tumormikroumgebung und könnten als Immun-Surrogat-Biomarker eingesetzt werden, resümierten die Wissenschaftler.
Methylierungsstatus des MGMT-Promotors ist wichtig für Therapieentscheidung
Ein prognostischer und prädiktiver Biomarker beim Glioblastom ist die Hypermethylierung des MGMT-Promotors, die bei der IDH-Wildtyp-Subpopulation mit einer besseren Prognose sowie einem häufigeren Ansprechen auf die Chemotherapie mit Temozolomid einhergeht. Die TERT-Promotor-Mutation ist bei Gliom-Patienten mit IDH-Wildtyp die häufigste Mutation. In 2 retrospektiven Studien wurde eine prognostische Interaktion zwischen TERT-PromotorMutation und MGMT-Promotor-Methylierung bei Patienten unter Behandlung mit Temozolomid gesehen, bei der die TERT-Promotor-Mutation Voraussetzung für den Nutzen der Therapie war. Um diese Hypothese zu untersuchen, wurden eine prospektive Kohorte des German Glioma Network (GGN) (n = 298) und eine retrospektive Kohorte mit Patienten aus Düsseldorf und Zürich (n = 302) auf den MGMT-Promotor-Methylierungsstatus und den TERT-Promotor-Mutationsstatus untersucht (2). Die Analyse der beiden voneinander unabhängigen Kohorten zeigte bei Patienten ohne MGMT-Promoter-Hypermethylierung, die Träger einer TERT-PromotorMutation waren, ein numerisches, aber nicht statistisch signifikant schlechteres progressionsfreies Überleben (PFS) und OS gegenüber Nichtträgern. Bei Patienten mit MGMT-Promotor-methylierten
Glioblastomen konnte keine Assoziation des TERT-Promotor-Status mit dem Therapieerfolg festgestellt werden. In einer multivariaten Analyse zeigte sich der prognostische negative Effekt der TERT-Promotor-Mutation bei Patienten ohne methylierten MGMT-Promotor, der aber bei Patienten, die mit Radiatio/Temozolomid behandelt wurden, nicht signifikant war. Auch in der multivariaten Analyse konnte eine Assoziation des TERT-Promotor-Mutationsstatus mit der Prognose bei Patienten mit MGMT-Promotor-methylierten Tumoren nicht beobachtet werden. Mit dieser Studie werde also ein klinisch relevanter Zusammenhang zwischen MGMTPromotor-Methylierungsstatus, dem TERTPromotor-Mutationsstatus und dem Erfolg einer Temozolomid-Chemotherapie nicht bestätigt, resümierten die Autoren. Es sei deshalb nur wichtig, den MGMTPromotor-Methylierungsstatus bei IDHWildtyp-Patienten zu erheben, um einen Nutzen der Temozolomid-Therapie vorhersagen zu können.
Positive Effekte diverser Antitumortherapien bei Hirnmetastasierung
Beim ESMO-Kongress 2020 konnte für diverse Antitumortherapien, insbesondere bei Patienten mit nicht kleinzelligem Lungenkarzinom (NSCLC), eine vielversprechende intrakranielle Wirksamkeit gezeigt werden.
ADAURA-Studie: Verbesserung der Prognose mit Osimertinib Etwa 30% der Patienten mit NSCLC präsentieren sich mit resezierbarer Erkrankung und werden einer kurativen Operation unterzogen. Viele Patienten erleiden einen Krankheitsrückfall, oft mit Hirnmetastasierung. In der Phase-III-Studie ADAURA resultierte die adjuvante Therapie mit Osimertinib, einem Tyrosinkinase-Inhibitor (EGFR-TKI) der dritten Generation, in statistisch signifikanten und klinisch relevanten Verbesserungen der Prognose gegenüber Plazebo (3). Es wurden insgesamt 682 Patienten in die Studie eingeschlossen, wovon 60% auch eine adjuvante Chemotherapie erhalten
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hatten. Die Patienten erhielten bis zu 3 Jahre Osimertinib (80 mg, täglich) oder Plazebo. Nur bei 1% der Patienten unter Osimertinib versus 10% unter Plazebo wurden ZNS-Metastasen identifiziert, zusätzlich verstarben 1 versus 2% der Patienten an ZNS-Ereignissen. Das Risiko für ein ZNS-Ereignis war im Osimertinib-Arm gegenüber Plazebo um 82% reduziert (Hazard Ratio [HR]: 0,18; 95%-Konfidenzintervall [KI]: 0,10–0,33; p < 0,0001). Die Wahrscheinlichkeit für einen Krankheitsrückfall mit Hirnmetastasierung bis Monat 18 wurde für < 1% der Patienten unter Osimertinib und 9% der Patienten unter Plazebo berechnet. CROWN-Studie: Deutlich Verlängerung des PFS unter Lorlatinib Auch Lorlatinib, ein ALK-TKI der 3. Generation, erwies sich bei Rezidiven mit Hirnbeteiligung als sehr effektiv bei Patienten mit ALK-positivem NSCLC (4). In der randomisierten Phase-III-Studie CROWN wurden die Wirksamkeit und die Sicherheit der ALK-TKI Lorlatinib und Crizotinib verglichen. 296 Patienten mit NSCLC im Stadium IIIB/IV ALK+ erhielten in der ersten Therapielinie Lorlatinib (100 mg qd) oder Crizotinib (250 mg bid). Ein Crossover zwischen den Studienarmen war nicht erlaubt. Die CROWN-Studie erreichte ihren primären Endpunkt, eine Verlängerung des PFS mit einer HR von 0,28 (95%-KI: 0,19–0,41; p < 0,001). In einer Analyse bestätigte sich der deutliche PFS-Therapievorteil für Lorlatinib in allen untersuchten Subgruppen. Auch 66 versus 20% der Patienten mit Hirnmetastasen bei Studienbeginn zeigten ein intrakranielles Ansprechen unter Lorlatinib respektive Crizotinib, 61 versus 15% hatten eine komplette Remission. Die Zeit bis zu einem intrakraniellen Progress betrug im Crizotinib-Arm 16,6 Monate und war im Lorlatinib-Arm noch nicht erreicht. Das Risiko für einen intrakraniellen Progress wurde mit Lorlatinib gegenüber Crizotinib um 93% reduziert (HR: 0,07; 95%-KI: 0,03–0,017; p < 0,001). Das OS war mit 15 versus 19% OS-Ereignissen bisher nicht signifikant verschieden (HR: 0,72; 95%-KI: 0,41–1,25). Lorlatinib sei im Vergleich zu Crizotinib die zu präferierende Erstlinientherapie für Patienten mit fortgeschrittenem ALK-positivem NSCLC, schlussfolgerten die Autoren. Klinisch relevante Remissionsraten unter Entrectinib Bei Patienten mit NTRK-Fusions-positiven soliden Tumoren konnten mit Entrectinib klinisch relevante, dauerhafte Remissionen, auch intrakraniell, bewirkt werden. Insgesamt 74 Patienten aus 2 Phase-Iund 1 Phase-II-Studie wurden nun bezüglich der Effektivität von Entrectinib bei Patienten mit fortgeschrittenen NTRKFusions-positiven, soliden Tumoren und ≥ 6 Monaten Nachbeobachtungszeit ausgewertet (5). Die Sicherheitspopulation bestand aus 504 Patienten, die ≥ 1 Dosis Entrectinib erhalten hatten und deren Daten auswertbar waren. Innerhalb der Studienpopulation, deren Daten verwertbar waren, befanden sich 16 Patienten mit zu Studienbeginn bestätigten Hirnmetastasen, davon 8 Patienten mit bei Therapiebeginn messbaren Läsionen. Ein komplettes beziehungsweise partielles Ansprechen wurde bei jeweils 4 der 16 Patienten mit bestätigten und 1 beziehungsweise 4 der 8 Patienten mit messbaren Läsionen beobachtet. Die Ansprechraten betrugen 50,0% für Patienten mit bestätigten und 62,5% für Patienten mit messbaren Hirnmetastasen. Die mediane Dauer des intrakraniellen Ansprechens betrug innerhalb der Population mit bestätigten Hirnmetastasen 8,0 Monate, das mediane intrakranielle PFS 8,9 Monate. Für Patienten mit messbaren Läsionen bei Studieneinschluss war die mediane Dauer des intrakraniellen Ansprechens noch nicht erreicht, und das mediane intrakranielle PFS betrug 10,1 Monate. Die intrakranielle Wirksamkeit wurde unabhängig von einer vorangegangenen Radiatio beobachtet. Die Ansprechrate betrug 57,1% für Patienten mit einer Hirnbestrahlung ≥ 6 Monate nach erster Entrectinib-Dosis beziehungsweise ohne Hirnbestrahlung und 44,4% für Patienten mit einer Hirnradiatio < 6 Monate vor der ersten EntrectinibApplikation. Insgesamt wurden selten neue Hirnmetastasen oder ein Progress der Hirnmetasten beobachtet. Von 74 Patienten, deren Daten ausgewertet werden konnten, zeigten 3 Patienten, alle mit ZNS-Metastasen bei Studieneinschluss, ein intrakranielles PFS-Event. I Ine Schmale Referenzen: 1. Mair M et al.: Perifocal edema volume correlates with density of tumour-infiltrating cytotoxic T cells in newly diagnosed glioblastoma. ESMO 2020, Abstr. #362O. 2. Weller M et al.: Telomerase reverse transcriptase (TERT) promoter mutation and O6-methylguanine DNA methyltransferase (MGMT) promoter methylation-mediated sensitivity to temozolomide in IDHwildtype glioblastoma: Is there a link? ESMO 2020, Abstr. #360O. 3. Tsuboi M et al.: Osimertinib adjuvant therapy in patients (pts) with resected EGFR mutated (EGFRm) NSCLC (ADAURA): Central nervous system (CNS) disease recurrence. ESMO 2020, Abstr. #LBA1. 4. Solomon B et al.: Lorlatinib vs crizotinib in the firstline treatment of patients (pts) with advanced ALKpositive non-small cell lung cancer (NSCLC): Results of the phase III CROWN study. ESMO 2020, Abstr. #LBA2. 5. John T et al.: Intracranial efficacy of entrectinib in patients with NTRK fusion-positive solid tumours and baseline CNS metastases. ESMO 2020, Abstr. #364O. SCHWEIZER ZEITSCHRIFT FÜR ONKOLOGIE 5/2020 33