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Wenn ein Kind an Krebs stirbt ...
Auswirkungen auf die Eltern und Bedürfnisse für die Palliativ- und Trauerbegleitung in der pädiatrischen Onkologie
Jedes fünfte Kind, das an Krebs erkrankt, kann nicht geheilt werden und stirbt an den Folgen seiner Krebserkrankung. Eltern können auch lange nach dem Tod ihres Kindes unter Trauer und damit verbundenen psychischen Problemen leiden. Mit einer nationalen Studie soll die Grundlage geschaffen werden, um die Trauerbegleitung für Eltern zu verbessern.
MANYA J. HENDRIKS1, 2, EDDY CAROLINA PEDRAZA1, EVA MARIA TINNER3, EVA BERGSTRÄSSER4, GISELA MICHEL1
SZO 2020; 4: 32–34.
Trotz grosser Erfolge in der Behandlung, die mit sinkender Sterblichkeit und Überlebensraten von mehr als 80% verbunden ist (1), bleibt Kinderkrebs in der Schweiz nach Unfällen bei Kindern, die älter als 1 Jahr sind, die zweithäufigste Todesursache (2). Deshalb wurde der Bereich der pädiatrischen palliativen Onkologie entwickelt, um krebskranken Kindern und ihren Familien zu helfen, mit Hoffnung und Unsicherheit besser zurechtzukommen. Die Unterstützung beginnt bereits bei der Diagnose, wie es auch in den «Psychosocial Standards of Care Project for Childhood Cancer» von 2015 empfohlen wird (3). Die pädiatrische Palliative Care ist «ein aktiver und umfassender Versorgungsansatz, der zum Zeitpunkt der Diagnose beginnt und physische, emotionale, soziale und spirituelle Elemente bis zum Tod und darüber hinaus umfasst» (4). Damit soll die Lebensqualität des Kindes und der Familie verbessert werden. Die Palliative Care versucht, Leiden und Schmerzen zu lindern, und sollte auch die antizipierende Trauerbegleitung für alle beteiligten Familienmitglieder beinhalten. Da Eltern mit einem Trauerprozess konfrontiert sind, der noch lange nach dem Tod eines Kindes andauert, ist eine gut etablierte und holistische Palliative Care wichtig (5).
ABSTRACT
Childhood cancer and pediatric palliative oncology
Despite the enormous success in treatment of childhood cancer, one in five children cannot be cured and, as a result, dies from cancer. Little attention has been directed to 1) long-term bereavement of grieving parents, 2) family impact, adaptation and coping and 3) the use and needs for delivery of bereavement care services. The «Bereavement care for parents after death of a child to cancer» study brings together the knowledge and expertise from psychooncology and palliative care with the aim to broaden knowledge on the long-term outcomes and needs for help and support of bereaved parents who lost their child to cancer. This project can serve as a guide to establish national interventions that promote family adaptation, problem solving, coping, and resilience and mitigate specific mechanisms that create financial or other strain on families with seriously ill children.
Keywords: Palliative care, end of life, bereavement.
Trauerbegleitung nach dem Tod eines Kindes
Trotz oder sogar wegen der Fortschritte im Bereich der pädiatrischen Onkologie braucht es auch eine umfassende Trauerbegleitung. In der Schweiz besteht kein flächendeckendes Angebot, was zu erheblichen Diskrepanzen zwischen den Bedürfnissen einerseits und den zur Verfügung stehenden Angeboten an Palliative Care respektive Trauerbegleitung andererseits führt. Nur einem Teil der krebskranken Kinder und ihren Familien wird überhaupt eine Palliative Care angeboten, und nur eine Minderheit von ihnen erhält eine Trauerbegleitung (6, 7). Das körperliche und emotionale Wohlbefinden von Eltern, Geschwistern und anderen Familienmitgliedern während des gesamten Krankheitsverlaufs und darüber hinaus rückt zunehmend in den Fokus der Forschung. Obwohl viele Vertreter des Gesundheitswesens die Bereitstellung von Trauerdiensten für trauernde Eltern befürworten, zeigt die klinische Praxis, dass Trauerbegleitung häufig fehlt (8).
Zentrale Herausforderungen
Eine zentrale Herausforderung besteht darin, die Auswirkungen auf die Familie noch besser zu verstehen und Familien nach dem Tod eines Kindes besser zu unterstützen. Schwere Erkrankungen im Kindesalter haben erhebliche Auswirkungen auf alle Mitglieder der Familie (9). Eine wachsende Zahl von Forschungsarbeiten zeigt die Intensität von Trauerreaktionen und psychischen Problemen bei Eltern, die ein Kind durch Krebs verloren haben. Dazu gehören auch
1 Department Gesundheitswissenschaften und Medizin, Universität Luzern, Luzern, Schweiz 2 Klinische Ethik, Universitätsspital Zürich, Zürich, Schweiz 3 Abteilung für Hämatologie/Onkologie, Universitätsklinik für Kinderheilkunde, Inselspital Bern, Universität Bern, Bern, Schweiz 4 Pädiatrische Palliative Care, Kinderspital Zürich, Zürich, Schweiz
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Die Studie im Überblick
Zweck der Studie «Bereavement Care for Parents after Death of a Child to Cancer» ist es, besser zu verstehen, inwiefern Palliative-Care-Programme und Trauerbegleitung für Eltern zur Verfügung stehen und wo Lücken in der Betreuung bestehen.
Dr. sc. med. Manya J. Hendriks, Prof. Dr. Gisela Michel, Dr. med. Eddy Carolina Pedraza
schlechte körperliche Gesundheit, Verlust des Erwerbseinkommens und vermindertes psychosoziales Wohlbefinden (10). Tatsächlich ist die elterliche Trauer nach dem Verlust eines Kindes intensiver und hält länger an als bei einem Verlust eines anderen Angehörigen (11). Bis jetzt gibt es wenig Forschung zur Verfügbarkeit von psychologischer Unterstützung und zu den Faktoren, die mit deren Inanspruchnahme verbunden sind (8, 9). Zu verstehen, ob und unter welchen Umständen trauernde Eltern eine Trauerbegleitung in Anspruch nehmen, ist entscheidend für die Verbesserung des Zugangs zu Dienstleistungen für diese besonders vulnerable Gruppe (8, 12). Obwohl in der Schweiz einige Palliative-Care-Teams bestehen oder im Aufbau sind, ist die Palliative Care für Kinder in gewissen Regionen momentan noch nicht gewährleistet (7). Das und die hohe Belastung, mit denen trauernde Eltern und Vertreter des Gesundheitswesens konfrontiert sind, legitimieren die Forschung im Bereich der Palliative Care als einen eindeutigen Schwerpunkt für das pädiatrisch-onkologische Umfeld. Darüber hinaus haben Experten weitere Untersuchungen in zentralen Forschungsgebieten wie zu Auswirkungen auf die Familie, Coping-Strategien, Interventionen oder Outcome-Forschung sowie Bereitstellung und Nutzung von Trauerdiensten empfohlen, um die bestehende Evidenzbasis für Palliative-Care-Interventionen zu verbessern (9).
Stellenwert der Trauerbegleitung
Die Verbesserung der Trauerbegleitung ist für alle Eltern, die ihr Kind verloren haben, von besonderer Bedeutung. In dieser Studie konzentrieren wir uns auf die spezifischen Bedürfnisse von Eltern, die ein Kind durch Krebs verloren haben. Da sich ein grosser Teil der Forschung auf die psychosozialen Bedürfnisse und Dienstleistungen konzentriert hat, die für Kinderkrebsüberlebende und ihre Eltern bereitgestellt werden sollten (14–16), soll untersucht werden, wie trauernde Eltern von den bestehenden psychosozialen Unterstützungsangeboten profitieren könnten. Mit unserem Projekt möchten wir Risikogruppen identifizieren, deren Erfahrungen beschreiben und Interventionen entwerfen, die das Leben der Eltern
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Die Ziele der Studie sind: I. Eine systematische Literaturübersicht über Trauer und Trauerprozess von Eltern, wenn
ihr Kind an Krebs gestorben ist (laufend). II. Eine Querschnittsbefragung über Palliative-Care-Programme und Trauerbegleitung in al-
len spezialisierten pädiatrisch-onkologischen Zentren (n = 179) in 22 europäischen Ländern (Start Januar 2021). III. Eine Mixed-Method-Untersuchung mit 1. qualitativen Interviews zu den Lebenserfahrungen und Bedürfnissen von trauernden
Eltern und 2. einer Querschnittsumfrage
a. zu den psychologischen und soziodemografischen Folgen sowie zu den Bedürfnissen trauernder Eltern,
b. zu den möglichen Zusammenhängen dieser Folgen mit den klinischen Merkmalen der Erkrankung des Kindes und
c. Vergleiche5 zwischen trauernden Eltern, Eltern von Kinderkrebsüberlebenden und der Allgemeinbevölkerung in der Schweiz. (Beginn der Interviews ab Januar 2021). Eltern werden über verschiedene Organisationen für betroffene Familien und die ehemals behandelnden pädiatrisch-onkologischen Zentren rekrutiert.
Projektdauer: 1. August 2020–31. Juli 2023 Leitung: Prof. Dr. Gisela Michel, Professorin für Gesundheits- und Sozialverhalten, De-
partment Gesundheitswissenschaften und Medizin (GWM), Universität Luzern. Projektteam: An dem Projekt beteiligt sind Dr. sc. med. Manya Hendriks, Oberassistentin, und Carolina Pedraza, MD, Doktorandin am Departement GWM, sowie Dr. med. Eva Maria Tinner, Pädiatrische Onkologin im Inselspital Bern, und PD Dr. med. Eva Bergsträsser, Leiterin Pädiatrische Palliative Care im Kinderspital Zürich. Finanzierung: Die Studie wird von der Krebsforschung Schweiz (Nr. KFS-4995-02-2020) und durch das Forschungs- und Innovationsprogramm «Horizon 2020» der Europäischen Union im Rahmen des Marie Skłodowska-Curie (Nr. 801076) durch das SSPH+ Global PhD Fellowship Programme in Public Health Sciences (GlobalP3HS) der Swiss School of Public Health finanziert.
Die ersten Ergebnisse der Studienteile I und II werden im Laufe des Jahres 2021 erwartet.
Interessiert an der Studie? Für die qualitativen Interviews (Studienteil III), die 2021 beginnen werden, suchen wir Eltern, die über ihren Verlust berichten möchten. Auch weitere pädiatrisch-onkologische Zentren, die an einer Zusammenarbeit interessiert sind, sind willkommen. Bei Interesse nehmen Sie bitte Kontakt mit Prof. Dr. Gisela Michel auf.
5 Die beiden Datensätze (d. h. Eltern von Kinderkrebsüberlebenden und der Allgemeinbevölkerung), die als Vergleich dienen, wurden von der Corresponding-Autorin in einem früheren Projekt gesammelt (13).
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nach dem krebsbedingten Tod eines Kindes verbes-
sern. Kürzlich wurde die Studie «Paediatric End-of-
Life Care Needs» (PELICAN) abgeschlossen, die viele
neue Informationen zu den Bedürfnissen von Patien-
ten und ihren Familie in den letzten 4 Lebenswochen
brachte (6, 17). Es mangelt jedoch immer noch an
Wissen über die Zeit nach dem Tod und den Bedarf
an Hilfe und Unterstützung.
Zusammenfassend kann die Forschung über die Er-
fahrungen, psychosozialen Auswirkungen und Be-
dürfnisse trauernder Eltern dazu beitragen, nationale
Interventionen zu etablieren, um die Anpassung, die
Problemlösung, die Bewältigung und die Belastbar-
keit von Familien zu fördern und finanzielle oder an-
dere Belastungen für Familien mit schwerkranken
Kindern zu vermindern.
n
Korrespondierende Autorin Prof. Dr. Gisela Michel Department Gesundheitswissenschaften und Medizin, Universität Luzern Frohburgstrasse 3, Postfach 4466, 6002 Luzern Tel: 041-229 59 55 E-Mail: gisela.michel@unilu.ch
Interessenkonflikte: Alle Autoren haben keine Interessenkonflikte.
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