Transkript
Im Fokus: Hämatologische Onkologie – Leukämien
Therapie der akuten myeloischen Leukämie bei älteren Patienten
Nach vielen Jahren Stagnation neue Medikamente mit Potenzial
Bis anhin gilt für ältere Patienten mit akuter myeloischer Leukämie (AML) die intensive Chemotherapie, so möglich, als Therapie der Wahl. Im Folgenden ein Überblick über etablierte und neue vielversprechende Therapieoptionen mit dem Potenzial, die Therapie auch in dieser Patientengruppe zu verbessern und zu verändern, hin zu einer Target-spezifischen Behandlung.
GEORG STÜSSI
SZO 2020; 4: 11–17.
Georg Stüssi
Einführung
Die akute myeloische Leukämie (AML) ist eine Krankheit des älteren Menschen (1). Die Diagnose wird im Schnitt mit 67 Jahren gestellt, und die Inzidenz der Erkrankung nimmt im Alter zu (2). Aufgrund des steigenden Alters der Bevölkerung ist in den nächsten Jahren und Jahrzehnten mit einer Zunahme dieser Diagnose zu rechnen. Die Unterscheidung zwischen älteren und jüngeren Patienten wird in den meisten Studiengruppen zwischen 60 und 65 Jahren angesiedelt (3). Während das Gesamtüberleben (OS) von jüngeren Patienten mit AML in den letzten Jahrzehnten kontinuierlich gestiegen ist, konnte diese Entwicklung bei älteren Patienten nicht beobachtet werden. Bei jüngeren Patienten können 40 bis 50% der Patienten längerfristig geheilt werden, bei älteren Patienten liegt die Heilungsrate weiterhin bei maximal 20 bis 30%.
Diagnostik der AML bei älteren Patienten
Bei älteren Patienten sollten die gleichen diagnostischen Untersuchungen wie bei jüngeren durchgeführt werden. Die Einteilung der AML erfolgt gemäss
ABSTRACT
AML Therapy for elderly patients
The current overview article describes the treatment algorithm for elderly patients with newly diagnosed AML. Elderly patients should be treated within clinical protocols and we are currently in Switzerland in the fortunate situation to have open protocols both for fit and unfit elderly patients. Generally, fit elderly patients should receive intensive chemotherapy, while unfit patients should be treated with hypomethylating agents or low dose cytarabine. After a long period of stagnation in the AML treatment, several new and promising drugs have arrived on the market in the last few years. These targeted drugs are very interesting for elderly patients and are tested in different combinations. Especially the combination of venetoclax and azacitidine has the potential for a paradigm shift from intensive chemotherapy to less intensive, more targeted therapies in the next few years.
Keywords: AML, elderly patients, targeted drugs, paradigm shift.
der WHO-Klassifikation von 2016 und die Risikostratifizierung gemäss den Kriterien des Europäischen Leukämienetzwerks (ELN) von 2017 (5, 6). Das bedeutet, dass bei allen Patienten nebst einer Morphologie und der Immunphänotypisierung auch zytogenetische und molekularbiologische Untersuchungen durchgeführt werden sollten. Die morphologischen und durchflusszytometrischen Untersuchungen dienen in erster Linie dazu, die Diagnose AML von anderen Krankheitsbildern (z. B. der akuten lymphatischen Leukämie) abzugrenzen, während die zytogenetischen und molekularbiologischen Untersuchungen für die genaue Klassifikation gemäss WHO 2016 und für die Risikostratifizierung gemäss ELN 2017 notwendig sind. Die zunehmende Bedeutung des NextGeneration-Sequencing in der Routinediagnostik von hämatologischen Erkrankungen führt zu einer zunehmenden Komplexität der Diagnostik und der Therapieentscheidungen (7, 8). Es ist wichtig zu wissen, dass in den meisten Fällen die Resultate aller Untersuchungen abgewartet werden können, bevor mit der Therapie begonnen wird. In mehreren Studien wurde gezeigt, dass die Zeit von der Diagnose bis zum Therapiestart keinen Einfluss auf das Überleben der Patienten hat (9, 10).
Was ist die beste Therapie für ältere Patienten?
Die Entscheidung, wie ältere Patienten mit AML therapiert werden sollen, ist komplex. Patienten sollten, wenn immer möglich, innerhalb von klinischen Protokollen behandelt werden. Das gilt insbesondere für ältere Patienten, für die häufig keine Daten aus klinischen Studien zur Therapieentscheidung vorliegen. In der Schweiz sind wir in der glücklichen Lage, dass wir zurzeit für fitte und unfitte ältere AML-Patienten klinische Protokolle offen haben, die den Patienten die Möglichkeit offerieren, neue vielversprechende Substanzen zu erhalten.
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Im Fokus: Hämatologische Onkologie – Leukämien
Fit für IC
Komplette Diagnostik, Komorbiditäten, geriatrisches Assessment, soziale Situation und Patientenwunsch
Nicht fit für IC/Patientenwunsch
Nicht fit für CT
FLT3-Mutation
IDH1/2-Mutation T-AML, AML MRC
Andere
AML mit ungünstiger Genetik Patient Kandidat für allogene HSCT?
Studie HOVON 156
Studie HOVON 150
Evtl. CPX-351
IC: intensive Chemotherapie
3+7
Ja
Nein HMA oder
HMA/Venetoclax
Abbildung: Entscheidungsfluss für ältere Patienten mit neu diagnostizierter AML
Studie HOVON 155
Best Supportive Care
Grob wird zwischen intensiver und niedrig intensiver Chemotherapie sowie einer rein supportiven Therapie unterschieden (siehe Abbildung). Generell wird für ältere Patienten eine aktive Therapie empfohlen. Wenn immer möglich, sollte eine intensive Chemotherapie (IC) einer niedrig dosierten Chemotherapie vorgezogen werden (3, 5, 11). Das ist bei älteren Patienten jedoch deutlich schwieriger als bei jüngeren Patienten (3). Mit zunehmendem Alter nimmt die Wahrscheinlichkeit für eine längerfristige Remission rasch ab, und gleichzeitig steigt das Risiko für therapieassoziierte Morbidität und Mortalität. Trotzdem führt eine IC auch bei älteren Patienten zu einem längeren OS, zu einer geringeren Frühmortalität innerhalb der ersten 30 Tage nach Diagnose und erstaunlicherweise auch zu einer geringeren Hospitalisationsdauer (2). Die Intensität der Behandlung orientiert sich an verschiedenen patienten- und krankheitsbezogenen Faktoren. Patientenbezogene Faktoren sind Alter, Komorbiditäten, Performancestatus und nicht zuletzt der Patientenwunsch. Ein strukturiertes geriatrisches Assessment ist hilfreich, um zu evaluieren, ob die älteren Patienten fit genug für eine IC sind. Es wird empfohlen, ein solches bei allen älteren Patienten vor der Therapieentscheidung durchzuführen (12, 13). Krankheitsbezogene Faktoren sind die höhere Inzidenz von ungünstigen und die verminderte Inzidenz von günstigen genetischen Veränderungen sowie eine höhere Anzahl von Patienten mit sekundärer AML oder einer AML mit Myelodysplasie-assoziierten Veränderungen (AML MRC). All diese Faktoren sind mit einer ungünstigeren Prognose verbunden (14). Typische ungünstige Veränderungen sind das Vorliegen eines komplexen oder monosomalen Karyotyps oder einer TP53-Mutation (15, 16). Günstige genetische Veränderungen sind wie beim jüngeren Patienten die Core-Binding-Factor-Leukämien und die isolierte Mutation des NPM1-Gens sowie die biallelische Mutation des CEBPA17-Gens. Diese genetischen Veränderungen sind auch bei älteren Pati-
enten mit einem besseren Therapieansprechen und einem besseren OS assoziiert. Krankheitsassoziierte Faktoren sind in verschiedenen prognostischen Scores zusammengefasst (siehe Tabelle 1) (18–21). Es wird empfohlen, diese bei älteren Patienten vor Therapiebeginn zu berechnen und die Ergebnisse in die Therapieentscheidung einzubeziehen. Mithilfe dieser Scores kann die Wahrscheinlichkeit für eine Frühmortalität sowie die Wahrscheinlichkeit für ein Therapieansprechen auf eine IC berechnet werden.
Intensive Chemotherapie
Die initiale Chemotherapie bei älteren Patienten unterscheidet sich nur geringfügig von derjenigen bei jüngeren Patienten. Der erste Zyklus besteht aus 3 Tagen Anthrazyklinen und 7 Tagen Cytarabin (3 + 7). Cytarabin 100 bis 200 mg/m2/Tag wird als kontinuierliche Infusion über 7 Tage hinweg verabreicht. Daunorubicin und Idarubicin sind die Anthrazykline, die in der AML-Behandlung am häufigsten verwendet werden, und bei älteren Patienten ist es meist Daunorubicin mit einer Standarddosis von 60 mg/m2 für 3 Tage. Eine Studie konnte zeigen, dass die Erhöhung von Daunorubicin von 45 auf 90 mg/m2 insgesamt kein verbessertes Überleben zeigte, wobei eine Untergruppe von jüngeren alten Patienten (60–65 Jahre) von der höheren Dosis profitierte (22). Eine weitere Studie, die Daunorubicin 60 mg/m2 mit 90 mg/m2 für 3 Tage verglich, konnte keinen Vorteil für die höhere Dosis zeigen, das bei gleichzeitig vermehrter Toxizität. Mit dieser Therapie kommt es bei circa 40 bis 60% aller Patienten (CM1) zu einer kompletten Remission, deutlich seltener als bei jüngeren Patienten. In verschiedenen Studien wurde versucht, weitere Medikamente zur Standardchemotherapie hinzuzufügen, häufig jedoch mit enttäuschenden Resultaten (23–25).
Postremissionstherapie
Eine komplette Remission nach der Induktionstherapie ist nicht ausreichend, die meisten Patienten wür-
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Tabelle 1:
Prognostische Scores für ältere Patienten
Prognostische Faktoren
Kategorien
Antwort
Frühsterblichkeit (%)
Wheatley (18) Alter
1-Jahres-OS (%)
Karyotyp
Good 60 N.B.
AML-Typ
Standard 48
N.B.
Performancestatus Poor 30 N.B.
Leukozytenzahl
Krug (19)
Alter Quartilen CR (%)
TRM (%)
AML-Typ 1st 30 35
Hämoglobin 2nd 45 25
Thrombozyten 3rd 60 15
Fibrinogen 4th
75 11
LDH
Fieber
Karyotyp
MDACC (20)
Alter 1-Jahres-OS (%)
Karyotyp
Good
> 50
10
AML-Typ (AHD-Dauer)
Intermediate
30
30
Performancestatus
Poor
< 10 > 50
Behandlung ausserhalb
einer Laminar-Flow-Einheit
Kreatinin
HCT-CI (21)
Verschiedene Komorbiditäten Good
45 W
3
Intermediate
31 W
11
Poor 19 W 29
W = Wochen; 1-Jahres-OS = 1-Jahres-Gesamtüberleben; HCT-CI = hematopoietic stem cell comorbidity index; AHD = antecedent hematological disease; N.B. = nicht beschrieben; CR = komplette Remission; TRM = behandlungsassoziierte Mortalität
den nach kurzer Zeit wieder rezidivieren. Die Postremissionstherapie besteht deshalb auch bei älteren Patienten aus weiteren Zyklen Chemotherapie (häufig 1 bis 2 Zyklen intermediär dosiertes Cytarabin) oder aber aus einer Stammzelltransplantation. Bei ungünstiger Risikokonstellationen ist eine allogene Stammzelltransplantation indiziert. Diese wurde traditionellerweise als zu toxisch für ältere Patienten betrachtet, seit der Einführung einer reduzierten intensivierten Stammzelltransplantation konnte die Toxizität der Behandlung jedoch verringert werden, sodass heutzutage auch ältere Patienten davon profitieren können (26).
CPX-351 CPX-351 ist eine Weiterentwicklung der klassischen 3 + 7-Chemotherapie. Es handelt sich um eine liposomale Verabreichungsform von Cytarabin und Daunorubicin mit einem fixen Verhältnis von 5:1. Die initiale Phase-II-Studie zeigte einen Trend für ein besseres Ansprechen auf die Therapie. In einer Subgruppe von Patienten im Alter zwischen 60 und 75 Jahren mit sekundärer AML und AML MRC konnte ein verbessertes OS gezeigt werden. Basierend darauf wurde in dieser Patientengruppe eine Phase-III-Studie durchgeführt, die das verbesserte OS und eine geringere therapieassoziierte Toxizität bestätigen konnte (27). Das Medikament wird sowohl in
der Induktion als auch in der Konsolidation verwendet.
Niedrig intensive Chemotherapie
Drei Gruppen von Patienten sind Kandidaten für eine niedrig intensive Chemotherapie: n Patienten, die für eine IC nicht genügend fit sind n Patienten, die eine IC ablehnen n Patienten ≥ 60 Jahre iin gutem Allgemeinzustand
mit ungünstigem genetischen Profil der AML, sofern sie für eine Stammzelltransplantation nicht in Frage kommen.
Für viele Jahre galt niedrig dosiertes Cytarabin (LDAC) für ältere unfitte Patienten als Standard (28). In den letzten Jahren wurde LDAC mehrheitlich durch hypomethylierende Agenzien (HMA) ersetzt. In einer randomisierten Phase-III-Studie zeigte Azacitidin ein verbessertes OS im Vergleich zu einer vom behandelnden Arzt gewählten Standardtherapie, wobei sich der Unterschied nicht im primären Endpunkt, sondern erst in einer geplanten sekundären Analyse zeigte (29). Auch eine Studie mit Decitabin konnte erst in einer nicht geplanten Sekundäranalyse einen signifikanten, aber relativ geringen Überlebensvorteil nachweisen (30). Insgesamt ist die Therapie mit HMA sicherlich eine Verbesserung, die Unterschiede sind aber nicht beeindruckend. Aus diesem
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Tabelle 2:
Resultate neuer Medikamente in der Erstlinienbehandlung von AML-Patienten
Therapie (median) IC/Midostaurin (34) CPX-351 (27) Glasdegib/LDAC (43) Venetoclax/Azacitidine (37) Venetoclax/LDAC (39) Ivosidenib (42) Enasidenib (44)
Krankheit
AML, FLT3 mutiert t-AML, AML MRC > 75 Jahre oder nicht fit für IC > 75 Jahre oder nicht fit für IC > 75 Jahre oder nicht fit für IC AML, IDH1 mutiert AML, IDH2 mutiert
Alter
18–60 60–75 63–92 49–91 36–93 64–87 58–87
n ORR (%) CR (%) CRi (%)
360 N.B. 153 47 88 27 431 N.B. 211 N.B. 34 18 39 30,8
59 N.A. 37 10 17 10
66,4 27 21 10 6 18 3
Frühsterblichkeit* Gesamtüberleben
4,5 51,4%@ 4 Jahre 5,9 9,6 Monate N.B. 8,8 Monate 7,0 14,7 Monate 13 7,2 Monate N.B. 12,6 Monate 8 11,4 Monate
N.B. = nicht beschrieben; CR = komplette Remission, CRi=Komplette Remission mit inkompletter hämatologischer Regeneration, IC = intensive Chemotherapie, LDAC = low-dose AraC, AML MRC = AML with myelodysplasia-related changes * innerhalb von 30 Tagen
Grunde ist es sinnvoll, Kombinationstherapien mit neueren AML-Medikamenten zu versuchen.
Target-spezifische Therapien
In den letzten Jahren sind eine Reihe von neuen Target-spezifischen Medikamenten auf den Markt gekommen oder werden zurzeit in klinischen Studien untersucht (31). Nach vielen Jahren der Stagnation in der Behandlung der AML bedeutet das einen wichtigen Schritt in Richtung einer gezielten Behandlung. Wurde die Entwicklung von neuen AML-Medikamenten 2012 noch als «boulevard of broken dreams» bezeichnet (32), stimmen die neuen Target-spezifischen Medikamente hoffnungsvoll und haben das Potenzial, die Behandlung der AML einen grossen Schritt weiterzubringen. Noch sind jedoch noch nicht alle Substanzen auch bei älteren Patienten und/oder als Erstlinientherapie untersucht worden.
FLT3-Inhibitoren FLT3-Inhibitoren werden schon seit längerer Zeit für die Behandlung von Patienten mit AML verwendet. Erste Versuche wurden mit Sorafenib gemacht, einem Multikinase-Inhibitor der ersten Generation, welcher nicht sehr spezifisch für das FLT3-Target ist. Eine doppelblinde, plazebokontrollierte Phase-II-Studie untersuchte bei jüngeren AML-Patienten den Effekt von Sorafenib zusätzlich zur Standardchemotherapie (33). Die Studie konnte ein verbessertes rezidivfreies und ereignisfreies Überleben zeigen, allerdings bei vermehrter Toxizität. Das OS war nicht unterschiedlich. Interessant ist an dieser Studie, dass die Patienten nicht nach FLT3 selektioniert wurden, sodass nur 17% die FLT3-Mutation aufwiesen. Der Effekt von Sorafenib scheint zumindest teilweise nicht durch eine direkte Inhibition von FLT3 zu erklären zu sein. Eine randomisierte, plazebokontrollierte Phase-IIIStudie mit FLT3-mutierten jüngeren Patienten untersuchte Midostaurin in Kombination mit einer Standardchemotherapie (34). Die Patienten erhielten Mi-
dostaurin in der Induktion und Konsolidation in Kombination mit der IC. Bei Patienten, die keine allogene Stammzelltransplantation erhielten, wurde zusätzlich für ein Jahr eine Erhaltungstherapie damit durchgeführt. Das führte zu einer Verbesserung des OS von 25 auf 74 Monate, und nach 4 Jahren lag das OS bei 51,4 vs. 44,3%. Die Toxizität war in beiden Gruppen ähnlich. Diese Studie führte dazu, dass Midostaurin bei jüngeren Patienten mit FLT3-Mutation zum Standard wurde. In der Schweiz ist zurzeit eine internationale Phase-II-Studie in Vorbereitung, die die Substanz bei älteren unfitten Patienten in Kombination mit Decitabin untersucht (HOVON 155). Gilteritinib ist ein neuer selektiver FLT3-Inhibitor, der bei Patienten mit rezidivierter und refraktärer AML getestet wurde (35). In dieser randomisierten PhaseIII-Studie gab es keine obere Altersbegrenzung, es wurden Patienten bis 85 Jahre eingeschlossen. Eine Monotherapie mit Gilteritinib wurde mit einer Chemotherapie nach Wahl des behandelnden Arztes verglichen, dabei hatten Patienten mit Gilteritinib ein besseres OS. Zurzeit läuft in der Schweiz eine multinationale Phase-III-Studie, die Midostaurin mit Gilteritinib zusätzlich zu einer intensiven Chemotherapie bei fitten Patienten mit neu diagnostizierter, FLT3-mutierter AML untersucht (HOVON 156).
Venetoclax Venetoclax ist ein BCL-2-Inhibitor, der in den letzten Jahren rasch Einzug in die Behandlung der AML gefunden hat. Er wurde in Kombination mit niedrig dosiertem Cytarabin und HMA untersucht (36–39). Beide Kombinationstherapien waren in den Phase-I/ II-Studien sehr vielversprechend (Ansprechraten von circa 50 bis 70%). In der Phase-III-Studie der Kombination LDAC/Venetoclax wurde der primäre Endpunkt (OS) nicht erreicht (39). Im Gegensatz dazu zeigte die Kombination aus Venetoclax und Azacitidin eine signifikante Verbesserung des OS. Es ist wichtig zu erwähnen, dass die Studie mit einer älteren Population durchgeführt wurde (mittleres Alter
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74 Jahre), und in dieser Patientengruppe wurden in keiner vorgängigen Studie solche Ansprechraten und 2-Jahres-Überleben erreicht. Aus diesem Grunde wird die Studie als Practice Changing und die Kombination Venetoclax/Azacitidin als ein neuer Standard in der Behandlung von älteren unfitten Patienten mit AML erachtet. Das Tumorlysesyndrom, welches bei der CLL sehr häufig auftritt, wurde bei AML nur sehr selten beobachtet (37).
Isocitrat-Dehydrogenase-Inhibitoren Isocitrat-Dehydrogenase 1 und 2 (IDH1/2) sind bei etwa 10 bis 20% aller Patienten mit AML mutiert. Diese Mutationen führen zu einer fehlerhaften Aktivierung des Isocitratzyklus und zu einer Anhäufung von pathologischen Metaboliten. Ivosidenib ist ein Inhibitor von IDH1 und Enasidenib einer von IDH2. Phase-I/II-Studien konnten für beide Medikamente sehr interessante Ansprechraten bei rezidivierten und refraktären AML-Patienten zeigen, und derzeit werden die Medikamente in der Erstlinientherapie in grossen internationalen Studien getestet (HOVON 150) (40–42).
Hedgehog-Inhibitor Glasdegib ist ein Hedgehog-Inhibitor, der bei älteren AML-Patienten in Kombination mit LDAC untersucht wurde. Eine randomisierte Phase-II-Studie zeigte ein verbessertes OS (8,8 Monate) bei insgesamt jedoch nur mässigen Ansprechraten (43). Derzeit laufen verschiedene Studien, die Glasdegib in anderen Kombinationen, beispielsweise mit HMA oder mit CPX-351, testen.
Zusammenfassung
Die vorliegende Übersicht beschreibt die Behand-
lung von älteren Patienten mit neu diagnostizierter
AML. Generell wird empfohlen, dass auch ältere Pa-
tienten im Rahmen von klinischen Studien behandelt
werden sollten, und wir sind in der Schweiz zurzeit in
der glücklichen Lage, dass für fitte und unfitte ältere
Patienten mehrere klinische Protokolle zur Verfügung
stehen. Fitte ältere Patienten sollten mit einer IC be-
handelt werden, unfitte sollten HMA oder LDAC er-
halten. Nach vielen Jahren der Stagnation wurden in
den letzten Jahren verschiedene neue Medikamente
auf den Markt gebracht, die ein grosses Potenzial ha-
ben, die Therapie von älteren AML-Patienten zu ver-
bessern. Die neueren Medikamente, insbesondere
die Kombination aus Venetoclax und Azacitidin, kön-
nen in den nächsten Jahren einen Paradigmenshift
von intensiver Chemotherapie zu mehr Target-spezi-
fischen Therapien bewirken.
n
Prof. Dr. med. Georg Stüssi Clinica di Ematologia, IOSI Laboratorio di Ematologia, EOLAB Via Ospedale 6500 Bellinzona E-Mail: georg.stuessi@eoc.ch
Interessenkonflikte: keine.
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SCHWEIZER ZEITSCHRIFT FÜR ONKOLOGIE 4/2020
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