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EDITORIAL
Im Fokus: Hämatologische Onkologie – Leukämien
I n dieser Ausgabe der «Schweizer Zeitschrift für Onkologie» mit dem Schwerpunktthema hämatologische Neoplasien werden aktuelle Therapiekonzepte bei Leukämien vorgestellt. Sowohl bei der akuten myeloischen Leukämie, bei der chronischen lymphatischen Leukämie als auch bei der Haarzellleukämie führten Erkenntnisse aus der biologischen Grundlagenforschung zur Entwicklung gezielt wirkender Medikamente, welche heute in der Klinik zum Einsatz kommen. Hierbei sieht man bei den einzelnen Erkrankungen erhebliche Unterschiede.
Einsatz neuer gezielter Medikamente
bei Leukämien ...
Bei der Haarzellleukämie (Beitrag ab S. 6) zeigten seit mehreren Jahrzehnten bewährte Wirkstoffe wie Interferon alpha oder Cladribin sehr gute Langzeitresultate mit annähernd normalem Überleben. Bei allen Patienten mit klassischer Haarzellleukämie ist eine BRAF-V600E-Mutation nachweisbar. Phase-IIStudien zeigten ein gutes Ansprechen auf eine gezielte Therapie mit BRAF-Inhibitoren. Bei fehlender Zulassung kommen BRAF-Inhibitoren wie auch Moxetumomab-Pasudotox, ein Immunotoxin gegen CD22, derzeit nur bei fortgeschrittenen Rezidiven einer Haarzellleukämie als «off-label»-Therapie zum Einsatz. Bei der akuten myeloischen Leukämie (Beitrag ab S. 11) wird eine gezielte Therapie zusätzlich zur Standarderstlinientherapie bis anhin lediglich bei der Untergruppe der Patienten mit FLT3-Mutation eingesetzt, welche für eine intensive Therapie infrage kommen. Bei Patienten mit AML-Rezidiv mit FLT3Mutation oder IDH1/IDH2-Mutation können perorale Monotherapien mit FLT3- beziehungsweise IDH1oder IDH2-Inhibitoren anstatt einer Chemotherapie verwendet werden. Derzeit wird der Einsatz von verschiedenen zielgerichteten Substanzen in der Erstlinie im Rahmen von klinischen Studien untersucht. Bei der chronischen lymphatischen Leukämie (Beitrag ab S. 18) werden bei Höchstrisikoerkrankung oder bei Frührezidiv bereits seit längerer Zeit gezielte Therapien eingesetzt. In den vergangenen 2 Jahren publizierte Phase-III-Studien haben gezeigt, dass der Einsatz von Inhibitoren der Bruton-Tyrosin-
kinase (Ibrutinib und Acalabrutinib) wie auch die Kombination des BCL-2-Inhibitors Venetoclax mit monoklonalen Anti-CD20-Antikörpern Vorteile gegenüber der bis anhin üblichen Standardchemoimmuntherapie aufweisen. Diese Vorteile sind am ausgeprägtesten bei Patienten mit Hochrisikoerkrankung. Die Chemoimmuntherapie wird deshalb nur noch zur Erstlinientherapie bei Patienten mit Niedrigrisikoerkrankung empfohlen.
... in der Schweiz oft spät und schwierig! Bei allen hier und in den Beiträgen erwähnten, gezielt wirkenden Therapien fällt auf, dass die Zulassung in der Schweiz im Vergleich zur EU und zu Nordamerika jeweils mit deutlicher Verspätung erfolgt. Oft dauert es dann nochmals einige Zeit, bis neue Medikamente kassenpflichtig werden und im Alltag ohne Kostengutsprache nach KVG Art. 71 einsetzbar sind. Die erforderliche Beurteilung und häufig ablehnende Erstentscheide der Krankenkassen verzögern den Zugang zu neuen Therapien für die Patienten. Sowohl auf Ebene der Behörden, der Krankenkassen als auch der Fachgesellschaften sind Schritte notwendig, diese Verfahren zu beschleunigen, um einen besseren Zugang zu neuen Krebsmedikamenten in der Schweiz zu gewährleisten. Ergänzt wird diese Schwerpunktausgabe mit einem Beitrag zur Palliativ- und Trauerbegleitung in der pädiatrischen Onkologie und mit Informationen der Schweizerischen Arbeitsgemeinschaft für klinische Krebsforschung (SAKK) zu aktuellen klinischen Studien.
Ich wünsche Ihnen eine anregende Lektüre. Michael Gregor
SCHWEIZER ZEITSCHRIFT FÜR ONKOLOGIE 4/2020
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