Transkript
2020 EHA25 Virtual
25th Congress of the European Hematology Association, Juni 2020
Akute myeloische Leukämie (AML)
Praxisrelevante Ergebnisse zur Erstlinientherapie
Auf dem Gebiet der AML fanden insbesondere die Resultate der VIALE-A-Studie grosse Beachtung. Sie ergab, dass die Kombination aus Azacitidin und Venetoclax in der Erstlinientherapie von Patienten, die sich nicht für eine intensive Therapie eigneten, zu einer Reduktion des Sterberisikos um 34 Prozent führte. Weitere, auch innovative Therapiestudien mit CAR-T-Zellen lieferten spannende Einsichten.
Azacitidin/Venetoclax versus Azacitidin/Plazebo
Die multizentrische, doppelblinde, plazebokontrollierte Phase-III-Studie VIALE-A stand als erster Beitrag auf dem Programm der virtuellen Late-Breaking-Abstract-Session (1). In der von Courtney DiNardo, Houston (USA), vorgestellten Studie wurden AML-Patienten, die sich aufgrund von Komorbiditäten und/oder ihres Alters von über 75 Jahren nicht für eine intensive Therapie eigneten, entweder zu einer Erstlinientherapie mit Azacitidin/Venetoclax (Aza/Ven) oder Azacitidin/Plazebo (Axa/Pbo) randomisiert. «Die bisherige Standardtherapie dieser Patienten mit tief dosiertem Azacitidin, Decitabin oder Cytarabin ist mit tiefen Ansprechraten, einer langen Zeit bis zum Ansprechen und einem Überleben von weniger als einem Jahr assoziiert», erklärte die Referentin einleitend. In der VIALE-A-Studie erhielten alle Patienten an den Tagen 1 bis 7 eines 28-tägigen Zyklus 75 mg/m2 Aza. Das wurde im experimentellen Arm mit 400 mg Ven pro Tag ergänzt. Dabei wurde die Dosis im ersten Zyklus über 3 Tage eintitriert, um so das Risiko für ein Tumor-Lyse-Syndrom zu reduzieren. Der primäre Endpunkt der Studie war das Gesamtüberleben (OS).
Signifikante Reduktion des Sterberisikos Insgesamt wurden 431 Patienten in einem medianen Alter von 76 Jahren randomisiert (286 zu Aza/Ven, 145 zu Aza/ Pbo). Knapp die Hälfte der Patienten in beiden Armen wies einen ECOG-Performance-Status von 2 bis 3 auf. Nach einem medianen Follow-up von 20,5 Monaten zeigte sich im Aza/Ven-Arm mit 14,7 Monaten ein signifikanter Überle-
bensvorteil gegenüber Aza/Pbo mit 9,6 Monaten (HR: 0,66; 95%-KI: 0,52–0,85; p < 0,001). «Die Subgruppenanalyse ergab zudem, dass die meisten Patientengruppen von Aza/Ven profitierten, vor allem auch die schwierig zu behandelnden Patienten über 76 Jahre und Patienten mit sekundärer AML. Allerdings ist dabei zu beachten, dass die einzelnen Gruppen zum Teil klein waren», führte DiNardo aus. Im Weiteren zeigte sich in der Studie auch eine Verbesserung der Ansprechraten im Aza/Ven-Arm von 66,4% CR plus CRi (CR = komplettes Ansprechen; CRi = komplettes Ansprechen mit unvollständiger Erholung der Zellzahlen) im Vergleich zu 28,3% im Aza/Pbo-Arm. Die Patienten sprachen zudem rasch auf die Behandlung an. So befanden sich 43,3% der Patienten unter Aza/Ven bei Start des zweiten Zyklus bereits in der Remission CR/CRi. Auch in den Subgruppen mit schlechter oder intermediärer Zytogenetik konnte mit Aza/Ven ein deutlich besseres Ansprechen erreicht werden als mit Aza/Pbo (53%/23% und 74%/32%). Bei signifikant mehr Patienten im Aza/ Ven-Arm kam es zu einer Transfusionsunabhängigkeit (Erythrozyten und Thrombozyten) von mindestens 8 Wochen Dauer (58% vs. 34% unter Aza/Pbo). Bei allen Patienten liess sich mindestens eine Nebenwirkung beobachten. Am häufigsten wurden hämatologische Nebenwirkungen registriert (alle Grade 83% unter Aza/Ven vs. 69% unter Aza/Pbo). Eine Grad-3- bis -4-Neutropenie bzw. febrile Neutropenie trat bei jeweils 42% der Patienten im experimentellen Arm und bei 29% respektive 19% der Patienten im Vergleichsarm auf. Gastrointestinale Nebenwirkungen wie Übelkeit, Verstopfung und Durchfall waren in beiden Behandlungsarmen die häufigsten nicht hämatologischen Nebenwirkungen. «Ein Tumor-Lyse-Syndrom trat bei 3 Patienten während des Aufdosierens von Ven auf. Die Therapie musste jedoch nicht unterbrochen und die Dosis musste auch nicht modifiziert werden», ergänzte die Referentin. In ihrer Zusammenfassung hob DiNardo nochmals hervor, dass die Kombination von Aza und Ven mit einer statistisch signifikanten und klinisch relevanten Verbesserung des Überlebens, der Ansprechraten und der Transfusionsunabhängigkeit einhergegangen sei. «Das stellt einen echten Paradigmenwechsel in der Behandlung unserer älteren AML-Patienten dar», meinte sie. Enasidenib plus Azacitidin in der ersten Linie bei IDH2-Mutation Neben den Resultaten der VIALE-A-Studie präsentierte DiNardo auch noch Daten zur Erstlinientherapie mit Enasidenib (Ena) plus Aza bei IDH2-mutierten AML-Patienten, die sich ebenfalls nicht für eine intensive Therapie eigneten (2). Bei Ena handelt es sich um einen oralen, niedermolekularen Inhibitor mutierter IDH2-Proteine. Er reduziert auf diese Weise die Bildung des Onkometaboliten 2-Hydroxyglutarat (2-HG) und die DNAMethylierung. Aza senkt die DNA-Methylierung ebenfalls, das durch eine Hemmung von DNA-Methyltransferasen. Als Monotherapie haben sowohl Ena als auch Aza zu Ansprechraten von etwa 30%, mit einer CR-Rate von etwa 20% geführt. «In-vitro-Untersuchungen weisen auf einen synergistischen Effekt der beiden Substanzen hin», sagte DiNardo. Die Studie ergab unter Ena/Aza (Gruppe, n = 68) eine Gesamtansprechrate (ORR, primärer Endpunkt) von 71% im Vergleich zu Aza (n = 33) mit 42%, das entspricht einer signifikanten Verbesserung (p = 0,0064). Auch in Bezug auf die CRRate erreichte Ena/Aza ein signifikant besseres Resultat als die Aza-Monotherapie (53% vs. 12%; p = 0,0001). Die mediane Ansprechdauer in der Gruppe mit Kombinationstherapie betrug 24 Mo- SCHWEIZER ZEITSCHRIFT FÜR ONKOLOGIE 3 – KONGRESSAUSGABE AUGUST/SEPTEMBER 2020 39 2020 EHA25 Virtual 25th Congress of the European Hematology Association, Juni 2020 nate (vs. 12 Monate unter Aza). Bei einem medianen Follow-up von 14 Monaten zeigte sich für die Patienten, die unter Ena/Aza eine CR erreicht hatten, eine 1-Jahres-OS-Rate von über 90%. Die mediane maximale Reduktion der 2-HGKonzentration gegenüber dem Ausgangswert betrug 97,8% unter Ena/Aza und 54,3% unter Aza (p = 0,0004). Als häufigste Nebenwirkungen in beiden Behandlungsarmen wurden Thrombozytopenie (62% unter Ena/Aza und 44% unter Aza), Übelkeit (69% und 38%), Anämie (53% und 44%) und Erbrechen (49% und 47%) registriert. Die häufigsten therapieassoziierten Nebenwirkungen vom Grad 3 und 4 waren Zytopenien, die in beiden Behandlungsarmen vergleichbar häufig auftraten, und ein IDH-Differenzierungssyndrom, das bei 10 Patienten im Ena/Aza-Arm und bei keinem Patienten im Vergleichsarm auftrat. Anti-CD47-Antikörper als Erstlinientherapie Der Antikörper Magrolimab blockiert CD47, einen Makrophagen-ImmunCheckpoint und ein «Don’t eat me»-Signal von Tumorzellen. Magrolimab induziert die Phagozytose der Tumorzellen durch Makrophagen und eliminiert leukämische Stammzellen. In einer Studie, deren Resultate Naval Daver, Houston (USA), präsentierte, wurde der Antikörper in Kombination mit Aza als Erstlinientherapie bei nicht für eine intensive Therapie geeigneten AML-Patienten (n = 29, im Median 74 Jahre alt) eingesetzt (3). Insgesamt 45% der Patienten wiesen eine TP53-Mutation auf. Bei den 25 Patienten mit auswertbaren Daten betrug die ORR 64%, mit einer CRRate von 40% und einer CRi-Rate von 16%. In der Gruppe der TP53-mutierten Patienten (n = 12) ergab sich eine ORR von 75%, 5 Patienten erreichten eine CR (42%) und 4 eine CRi (33%). Bei 4 der 9 Patienten mit CR/CRi war keine minimale Residualerkrankung (MRD) mehr nachweisbar. «Die Kombination wurde von den Patienten gut vertragen», berichtete Daver. «Insbesondere traten keine immunvermittelten Nebenwirkungen auf.» Abschliessend meinte er: «Die Wirksamkeit der Behandlung war insgesamt gut. Vor allem die Resultate bei den TP53-mutierten Patienten, für die gute Therapieoptionen nach wie vor fehlen, sind als sehr ermutigend anzusehen.» Duale CAR-T-Zelltherapie bei stark vorbehandelten Patienten Fang Liu, Chengdu (China), stellte schliesslich einen neuen Ansatz für stark vorbehandelte AML-Patienten vor (4). Die Hämatologin und ihre Arbeitsgruppe verwendeten bei der First-in-HumanStudie das Leukämie-Stammzell-assoziierte Antigen CLL1 sowie CD33 (ein ubiquitär auf myeloischen Zellen anzutreffendes Antigen) als Zielantigene einer dualen CAR-T-Zelltherapie. Untersucht wurden bisher 9 Patienten mit refraktärer oder rezidivierter AML in einem medianen Alter von 32 Jahren. Die mediane Blasteninfiltration des Knochenmarks betrug vor der Behandlung 47%. Die Patienten erhielten vor der Infusion der CAR-T-Zellen (1 bis 3 × 106/kg) eine übliche Konditionierung mit Fludarabin und Cyclophosphamid. Bei 8 Patienten trat nach der Infusion der CAR-TZellen ein Zytokin-Release-Syndrom auf; neurologische Nebenwirkungen wurden bei 4 Patienten beobachtet, diese waren alle reversibel. Bei der Evaluation des Ansprechens, 4 Wochen nach Infusion der CAR-T-Zellen, erwiesen sich 7 der 9 Patienten als MRD-negativ, 2 Patienten zeigten kein Ansprechen. Bei 6 der 7 Patienten, die auf die Infusion angesprochen hatten, konnte eine allogene Stammzelltrans- plantation durchgeführt werden. Liu er- klärte abschliessend, dass die Behand- lung mit dem CLL1-/CD33-CAR-T- Zell-Konstrukt bei den stark vorbehan- delten AML-Patienten eine hohe Wirk- samkeit bei kontrollierbaren Toxizitäten gezeigt habe und dass eine entspre- chende klinische Phase-I-Studie bereits gestartet sei. n Therese Schwender Quelle: 25th Congress of the European Hematology Association, Juni 2020. Referenzen: 1. DiNardo C et al.: A randomized, double-blind, placebocontrolled study of Venetoclax with Azacitidine vs Azacitidine in treatment-naïve patients with acute myeloid leukemia ineligible for intensive therapy – VIALE-A. EHA 2020, Abstr. # LBA2601. 2. DiNardo C et al.: Enasidenib plus Azacitidine significantly improves complete remission and overall response rates versus Azacitidine monotherapy in mutant-IDH2 newly diagnosed acute myeloid leukemia. EHA 2020, Abstr. # S139. 3. Daver N et al.: The first-in-class anti-CD47 antibody Magrolimab combined with Azacitidine is well-tolerated and effective in AML patients: phase 1b results. EHA 2020, Abstr. # S144. 4. Liu F et al.: First-in-human CLL1-CD33 compound CAR (CCAR) T cell therapy in relapsed and refractory acute myeloid leukemia. EHA 2020, Abstr. # S149. Auf einen Blick n Durch die Hinzunahme von Venetoclax zu Azacitidin konnte bei bisher unbehandelten, nicht für eine intensive Therapie geeigneten Patienten bei akzeptablem Toxizitätsprofil eine Reduktion des Sterberisikos um 34% erreicht werden (1). n Die Erstlinientherapie mit Enasidenib in Kombination mit Azacitidin führte bei IDH2-mutierten Patienten zu hohen Ansprechraten (2). n Der Anti-CD47-Antikörper Magrolimab erreichte vor allem bei TP53-mutierten, therapienaiven AML-Patienten gute Ansprechraten (3). n Die duale CLL1-/CD33-CAR-T-Zell-Therapie führte in einer kleinen Gruppe stark vorbehandelter AML-Patienten zu hohen Ansprechraten (4). 40 SCHWEIZER ZEITSCHRIFT FÜR ONKOLOGIE 3 – KONGRESSAUSGABE AUGUST/SEPTEMBER 2020