Transkript
2020 EHA25 Virtual Congress
25th Congress of the European Hematology Association, Juni 2020
Chronische myeloische Leukämie (CML)
Neuer Tyrosinkinasehemmer und erste Resultate unter drei Ponatinib-Dosierungen
Schon einige Jahre ist es her, dass neue, zum Teil spektakuläre Daten zur Wirksamkeit der Tyrosinkinasehemmer (TKI) das Gebiet der CML dominierten. Mit Asciminib wurde nun ein neuartiger TKI vorgestellt, dessen erste Resultate bei stark vorbehandelten Patienten vielversprechend aussehen. Spannend waren zudem Interimsresultate der OPTIC-Studie und schwedische Daten zum TKI-Stopp in der Praxis.
Timothy Hughes aus Adelaide (Australien) berichtete in seiner Präsentation zur CML über Asciminib, einen neuartigen Tyrosinkinasehemmer (TKI) (1). Im Gegensatz zu den bisherigen TKI, die an die ATP-Bindungsstelle der BCR-ABL-Kinase binden, setzt Asciminib als erste Substanz spezifisch an der BCR-ABL1Myristoyl-Bindungsstelle an und wird deshalb auch als STAMP-Inhibitor (STAMP = Specifically Targeting BCRABL1 Myristoyl Pocket) bezeichnet. Die Wirkung von Asciminib wird aus diesem Grund auch nicht durch bekannte Mutationen der ATP-Bindungsstelle beeinflusst. «Durch die spezifische Bindung an die Myristoyl-Bindungsstelle sollen zudem Off-Target-Aktivitäten möglichst reduziert und damit die Verträglichkeit im Vergleich zu den anderen TKI deutlich verbessert werden», sagte Prof. Hughes.
Asciminib in Phase I bei Ph-positiver Erkrankung
Asciminib wird in einer laufenden Phase-I-Studie bei Patienten mit Philadelphia-Chromosom-(Ph-)positiver CML in der chronischen oder akzelerierten Phase eingesetzt, die unter mindestens 2 TKI rezidivierten oder ihnen gegenüber refraktär oder auch intolerant waren. Diese stark vorbehandelte Patientengruppe wurde einer Dosiseskalationsoder -expansionskohorte mit einer Asciminib-Monotherapie respektive mit Kombinationstherapien zugewiesen. Erste positive Resultate dieser Studie wurden bereits publiziert (2).
Neue Daten: Hohe Raten eines tiefen Ansprechens Prof. Hughes konzentrierte sich in der aktuellen Präsentation auf die mit Asciminib-Monotherapie behandelten CMLPatienten ohne T315I-Mutation und mit einem BCR-ABL1IS < 1% zu Studienbeginn (n = 48). «Es handelte sich um Patienten, die zwar ein gewisses Ansprechen auf einen TKI gezeigt, aber nie ein tiefes Ansprechen erreicht hatten», beschrieb er. Gut die Hälfte der Patienten (58,3%) war mit mehr als 2 TKI vorbehandelt. Nach einem medianen Follow-up von 3,2 Jahren befanden sich insgesamt 87,5% der Patienten weiterhin unter Behandlung mit Asciminib. Lediglich 3 Patienten (6,2%) hatten die Therapie aufgrund von Nebenwirkungen abgebrochen (1 Patient mit chronischer Nierenerkrankung, 2 aufgrund erhöhter Pankreasenzyme). Die häufigsten Nebenwirkungen vom Grad 3 oder 4 waren ein Anstieg der Lipase bei 13 der 48 Patienten, eine Erhöhung der Amylase bei 2 Patienten und eine Hypertonie bei 6 Patienten. «Die Zahl der Patienten mit Hypertonie erstaunt etwas», meinte Hughes. «Wir werden hoffentlich im Laufe des weiteren Follow-ups sehen können, ob es sich dabei um ein echtes Phänomen handelt oder ob das lediglich der Effekt einer häufigeren Messung des Blutdrucks darstellt.» Bei 5 der 48 Patienten kam es zu einem schweren arteriellen Verschlussereignis, darunter zu 2 Myokardinfarkten. «Von einem kausalen Zusammenhang mit der Behandlung wurde in 2 Fällen ausgegangen», ergänzte der Referent. «Allerdings ist die Festlegung einer Kausalität bei Patienten, die mit Nilotinib und womöglich auch mit Ponatinib vorbehandelt wurde, eher schwierig.» Die kumulative Inzidenz eines tiefen molekularen Ansprechens (MMR) betrug zum Zeitpunkt des Cut-offs 77%. Die Rate einer MR4 bzw. MR4.5 lag bei 52% respektive 50%. «Für diese Patientengruppe sind das bemerkenswert gute Resultate», so Hughes. Von den Patienten, die mindestens eine MR4 erreicht hatten, konnten 9 von 16 (56%) eine MR4 bzw. 10 von 18 (56%) eine MR4.5 über mehr als 2 Jahre halten. «Zusammen mit der guten Verträglichkeit unterstützen diese Wirksamkeitsdaten die weitere Untersuchung von Asciminib in der Gruppe der CML-Patienten, die bisher kein optimales Behandlungsresultat erreichen konnten», schloss er. OPTIC-Studie mit Ponatinib: Resultate einer Interimsanalyse Jorge Cortes, Augusta (USA), stellte die Resultate einer Interimsanalyse der laufenden Studie OPTIC (Optimizing Ponatinib Treatment In CP-CML) vor (3). In dieser randomisierten Studie der Phase II werden CML-Patienten, die gegenüber mindestens 2 TKI resistent oder intolerant sind, für die Dauer von 24 Monaten mit 3 unterschiedlichen Startdosen des Drittgenerationen-TKI Ponatinib behandelt. «Hintergrund dieses Vorgehens ist, dass tiefere Ponatinib-Dosierungen bei erhaltener Wirksamkeit womöglich das Risiko eines arteriellen Verschlussereignisses reduzieren könnten», erklärte er einleitend. Kohorte A erhält 45 mg, Kohorte B 30 mg und Kohorte C 15 mg pro Tag. Bei Erreichen einer BCR-ABL1IS < 1% wird die Dosis in den Kohorten A und B auf 15 mg reduziert. Der primäre Endpunkt der Studie ist der Anteil an Patienten mit einer BCR-ABL1IS < 1% nach 12 Monaten. Zu den sekundären Endpunkten gehören unter anderem die MMR-Rate nach 12 und 24 Monaten sowie die Sicherheit der verschiedenen Dosierungen. Insgesamt wurden 282 Patienten mit einem medianen Alter von 48 Jahren eingeschlossen. Gut die Hälfte der Patienten in jeder Kohorte hatte mindestens 3 SCHWEIZER ZEITSCHRIFT FÜR ONKOLOGIE 4/2020 37 2020 EHA25 Virtual Congress 25th Congress of the European Hematology Association, Juni 2020 Vortherapien erhalten. Eine T315I-Mutation fand sich bei gut einem Fünftel der Patienten jeder Kohorte. Prof. Cortes erklärte weiter: «Mit Ausnahme eines einzigen Patienten waren alle gegenüber ihrer letzten TKI-Therapie resistent. Das beste Ansprechen auf die Vortherapie war eine komplette hämatologische Response, wobei viele Patienten nicht einmal das erreichten. Wir haben es also mit einer stark vorbehandelten, sehr refraktären Patientenpopulation zu tun.» Ähnliche MMR-Raten unter 3 Dosierungen Zum Zeitpunkt der Interimsanalyse (medianes Follow-up: 21 Monate) konnten 77% der Patienten (216/282) hinsichtlich des primären Endpunkts ausgewertet werden. Die Ponatinib-Expositionsdauer betrug im Median 12 bzw. 14 Monate (Kohorte A). Nach 12 Monaten wiesen in der Kohorte A 38,7%, in der Kohorte B 27,4% und in der Kohorte C 26,5% eine BCR-ABL1IS < 1% auf. «Die MMR-Rate scheint in allen 3 Kohorten etwa gleich hoch zu sein. Allerdings ist es für diese Auswertung noch etwas früh», gab der Referent zu bedenken. Hinsichtlich des progressionsfreien und des Gesamtüberlebens zeigte sich bisher noch kein Unterschied zwischen den 3 Kohorten. Häufigste hämatologische Nebenwirkungen waren Thrombozytopenie (48,6%, bei 31,9% > Grad 3) und Neutropenie (25,2%, bei 17% > Grad 3). Unter den nicht hämatologischen Nebenwirkungen trat eine Hypertonie am häufigsten auf (24,1%). Arterielle Verschlussereignisse (AOE) bzw. schwere AOE traten bei 5% bzw. 2% der Patienten in Kohorte A, bei 4% bzw. 3% der Patienten in Kohorte B sowie bei 1% bzw. 0% der Patienten in Kohorte C auf. Zusammenfassend meinte Prof. Cortes: «Unsere Interimsanalyse zeigte, dass das optimale Nutzen-Risiko-Verhältnis für Ponatinib bei einer Startdosis von 45 mg pro Tag lag, das mit einer Reduktion auf 15 mg bei Erreichen eines BCR-ABL1-Levels von < 1%. Sobald für alle Patienten die 12-Monats-Resultate vorliegen, werden wir die primäre Analyse durchführen. Diese wird unser Wissen hinsichtlich des Nutzen-Risiko-Profils der verschiedenen Ponatinib-Dosierungen weiter verfeinern.» Schwedisches Register liefert Ergebnisse zu TKI-Therapiestopp Hjalmar Flygt, Uppsala (S), präsentierte Daten zum Absetzen (Stopp) einer TKI-Therapie, basierend auf einem grossen schwedischen Register (4). In Schweden werden über 95% der Patienten, bei denen eine CML diagnostiziert wird, einem nationalen Register gemeldet (5). Dadurch standen für die präsentierte Analyse Daten von 584 Patienten zur Verfügung, bei denen die Erkrankung zwischen 2007 und 2015 diagnostiziert wurde. Angaben zu Therapieunterbrüchen fanden sich bei 548 Patienten, bei 234 von ihnen dauerte der Therapiestopp mehr als 1 Monat. Bei 131 (56%) Patienten war der Grund für den Therapiestopp ein tiefes molekulares Ansprechen, bei 43 (18%) Nebenwirkungen, bei 31 (13%) eine allogene Stammzelltransplantation, sowie bei 29 (12%) hatte der Therapiestopp andere Ursachen. Von den 131 Patienten, die aufgrund einer tiefen molekularen Remission die Therapie absetzten, erfolgte das bei 38 (29%) im Rahmen einer Studie (EURO-SKI oder ENEST-Freedom), während 92 (70%) die Therapie ausserhalb einer Studie absetzten. Der mediane Zeitraum von der Diagnose bis zum Therapiestopp dauerte in der Studiengruppe 4,2 Jahre, ausserhalb der Studien dagegen 6,0 Jahre. Als letzten TKI vor dem Absetzen der Behandlung erhielten die Patienten in den Studien (bzw. ausserhalb dieser) Imatinib (3,2% bzw. 48,9%), Nilotinib (23,7% bzw. 29,3%) sowie Dasatinib (13,2% bzw. 21,7%). Zum Zeitpunkt der Analyse hatten 64 Patienten (48,9%) die TKI-Behandlung wieder aufgenommen, durchschnitt- lich 0,4 Jahre nach dem Therapieabsetzen. Unter den Patienten mit Therapiestopp ausserhalb einer Studie betrug die Wahr- scheinlichkeit 61%, 22 Monate nach Ab- setzen noch «TKI-frei» zu sein. Die Auto- ren vermuten, dass der Grund für die höhere Rate an therapiefreien Remissio- nen ausserhalb von Studien auf die län- gere Behandlungsdauer vor dem Stopp und/oder einen höheren Anteil an Pati- enten mit einer Zweitgenerationen- TKI-Behandlung vor dem Therapiestopp zurückzuführen ist. n Therese Schwender Quelle: 25th Congress of the European Hematology Association, Juni 2020. Referenzen: 1. Hughes T et al.: Asciminib in heavily pretreated patients with Philadelphia chromosome–positive chronic myeloid leukemia in chronic phase sensitive to tyrosine kinase inhibitor therapy. EHA 2020, Abstract #S170. 2. Hughes T et al.: Asciminib in Chronic Myeloid Leukemia after ABL Kinase Inhibitor Failure. New Engl J Med 2019; 381: 2315–2326. 3. Cortes J et al.: Interim analysis from the OPTIC trial, a doseranging study of 3 starting doses of ponatinib. EHA 2020, Abstract #S172. 4. Flygt H et al.: High level of successful TKI discontinuation outside clinical trials – a population-based study from the Swedish CML registry. EHA 2020, Abstract # S174. 5. Höglund M et al.: Tyrosine kinase inhibitor usage, treatment outcome, and prognostic scores in CML: report from the population-based Swedish CML registry. Blood 2013; 122: 1284–1292. Auf einen Blick n Der STAMP-Inhibitor (STAMP = Specifically Targeting BCR-ABL1 Myristoyl Pocket) Asciminib erreichte bei stark vorbehandelten Patienten hohe Raten eines tiefen molekularen Ansprechens bei guter Verträglichkeit (1). n Die Interimsanalyse der OPTIC-Studie spricht dafür, dass eine Ponatinib-Dosierung von 45 mg pro Tag, mit einer Reduktion auf 15 mg bei Erreichen einer BCR-ABL1IS von < 1%, das beste Nutzen-Risiko-Profil aufweist (3). n Daten eines schwedischen Registers ergaben, dass die Wahrscheinlichkeit eines erfolgreichen TKI-Therapiestopps ausserhalb von Studien höher ist (4). 38 SCHWEIZER ZEITSCHRIFT FÜR ONKOLOGIE 4/2020