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KONGRESSBERICHT
ASH 2019 – Annual Meeting of the American Society of Hematology, Orlando/Florida, 7. bis 10. Dezember 2019
Chronische lymphatische Leukämie/follikuläres Lymphom
Zielgerichtete Behandlungen statt Chemotherapie in der Erstlinie
Mit der Einführung zielgerichteter Therapien unterlagen die Rezidiv- und mittlerweile auch die Erstlinientherapien der chronischen lymphatischen Leukämie (CLL) in den letzten Jahren erneut einem starken Wandel. Beim ASH-Jahreskongress wurden dazu vor allem Updates grosser Phase-III-Studien präsentiert, die den Stellenwert der chemotherapiefreien Kombinationen weiter festigen und die Chemoimmuntherapie stärker zurückdrängen.
CLL
Neue zielgerichtete Therapien, wie die Bruton-Tyrosinkinase-(BTK-)Inhibitoren Ibrutinib (Imbruvica®) und Acalabrutinib (Calquence®) oder die B-Zell-Lymphom2-(BCL-2-)Inhibitoren Venetoclax (Venclyxto®), haben die Behandlungsmöglichkeiten der CLL in den letzten Jahren deutlich verbessert. Insbesondere steht mit der Kombination aus zielgerichteter Therapie und monoklonalem CD20-Antikörpern wie Rituximab (MabThera®) oder dem neueren Obinutuzumab (Gazyvaro®) erstmals eine hochwirksame chemotherapiefreie und vor allem zeitlich begrenzte Therapieoption zur Verfügung.
Neuer Erstlinienstandard für komorbide Patienten in Aussicht Für die Rezidivtherapie bereits zugelassen ist die auf 2 Jahre begrenzte Kombination Venetoclax plus Rituximab. Die laufende Phase-III-Studie CLL14 setzt mit der auf 1 Jahr begrenzten Kombination aus Venetoclax und Obinutuzumab nun auch einen neuen Erstlinienstandard bei CLL-Patienten mit Komorbiditäten. In den USA besteht bereits eine Zulassung. Die europäische Zulassung wird in diesem Jahr erwartet. Kirsten Fischer von der Deutschen CLL-Studiengruppe aus Köln präsentierte beim ASH-Kongress das 3-Jahres-Follow-up sowie weitere Daten zur minimalen Resterkrankung (MRD) (1). Die CLL14-Studie vergleicht randomisiert Venetoclax plus Obinutuzumab (VenG, n = 216) gegenüber dem bisherigen Standard Chlorambucil plus Obinutuzumab (ClbG, n = 216) bei 432 unbehandelten CLL-Patienten mit relevanten Komorbiditäten (CIRS-Score > 6 oder Kreatinin-Clearance < 70 ml/min). Venetoclax bzw. Chlorambucil wurde für 12 Monate gegeben und in den ersten 6 Monaten jeweils mit Obinutuzumab kombiniert.
Nach einer medianen Beobachtungszeit von 39,6 Monaten war der primäre Endpunkt, das progressionsfreie Überleben (PFS), auch weiterhin im VenG-Arm signifikant verbessert mit einem 3-Jahres-PFS von 82 versus 50% (HR: 0,31; p < 0,0001; Median nicht erreicht vs. 35 Monate; Primäranalyse: HR: 0,35; p < 0,0001 [2]). Ein PFS-Vorteil zeigte sich in allen relevanten Subgruppen – besonders deutlich bei nicht mutiertem IGHV-Status und weniger deutlich bei mutiertem IGHV-Status. Patienten mit TP53-Mutation profitierten ebenfalls, ihr PFS war insgesamt aber kürzer als bei Patienten mit TP53-Wildtyp. Eine TP53-Mutation dürfte somit auch unter den neuen zielgerichteten Therapien ein ungünstiger Prognosefaktor bleiben. Im Gesamtüberleben (OS) war bislang kein Unterschied festzustellen. VenG führte zu sehr hohen Raten an MRD-Negativität: In der ASO-PCRUntersuchung mit einer Sensitivität von < 10-4 war 3 Monate nach Therapieende bei signifikant mehr VenG-Patienten als ClbG-Patienten keine Resterkrankung mehr nachweisbar – im Blut bei 76 versus 35% und im Knochenmark bei 57 versus 17% (p < 0,001 für beide Vergleiche). Die mit dem sensitiveren Next-GenerationSequencing (NGS) im Blut bestimmten MRD-Negativitätsraten bestätigten diese Ergebnisse (Sensitivität < 10-6: 42 vs. 7%). Ausserdem war die Zeit bis zum Wiederauftreten einer MRD mit VenG wesentlich länger als mit ClbG (Median nicht erreicht vs. 7,5 Monate). In einer Landmarkanalyse korrelierte das PFS nach Therapieende deutlich mit dem MRD-Status. Damit bestätigte sich der prognostische Wert der MRD auch in diesem Setting. 2 Jahre nach Therapieende waren im VenG-Arm über 90% der MRD-negativen Patienten noch progressionsfrei. VenG verbesserte das PFS zu-
dem unabhängig vom klinischen Ansprechstatus bei Therapieende (ähnliches PFS bei CR/CRi versus PR).
Lang anhaltende Krankheitskontrolle mit Kombination bei fitten Patienten Ibrutinib plus Rituximab (IR) gilt als neuer Erstlinienstandard bei fitten CLL-Patienten < 70 Jahre, vor allem bei Patienten mit nicht mutiertem IGHV-Status. Nach den Ergebnissen der Phase-III-Studie E1912 führte die chemotherapiefreie IRKombination gegenüber der StandardChemoimmuntherapie FCR (Fludarabin, Cyclophosphamid und Rituximab) bereits in der Primäranalyse mit einem medianen Follow-up von 33,4 Monaten zu einer signifikanten Verlängerung im primären Endpunkt PFS (HR: 0,35) und im sekundären Endpunkt OS (HR: 0,17) (3). Eingeschlossen wurden 529 unbehandelte CLL-Patienten ≤ 70 Jahre (medianes Alter: 58 Jahre) in meist guter körperlicher Verfassung (zwei Drittel mit ECOG 0), die 2:1 randomisiert wurden: 352 Patienten zur IR-Kombination (zunächst 1 Zyklus Ibrutinib allein, danach folgten 6 Zyklen IR und danach Ibrutinib bis zur Progression) und 158 zu 6 Zyklen FCR. Patienten mit 17p-Deletion waren ausgeschlossen, weil sie bekanntlich schlecht auf FCR ansprechen. Mit dem von Dr. Tait Shanafelt aus den USA vorgestellten 4-Jahres-Update bestätigte sich nun, dass der bereits in der Primäranalyse gezeigte PFS- und OSVorteil zugunsten von IR auch langfristig anhält (PFS: HR: 0,39; p < 0,0001; OS: HR: 0,34; p = 0,009) (4). Das 3-Jahres-PFS betrug 89 versus 71% und das 3-Jahres-OS 98,8 versus 91,5%. Der Vorteil zeigte sich insbesondere bei Patienten mit nicht mutiertem IGHV-Status (HR: 0,28; p < 0,0001; 3-Jahres-PFS: 89 vs. 65%). Bei Patienten mit mutiertem IGHV-Status war der Unterschied nicht signifikant (HR: 0,42; p = 0,086; 3-Jahres-PFS: 88 vs. 82%). Bei diesen Patienten bleibt die Chemoimmuntherapie auch weiterhin eine Option. Zum Zeitpunkt der Analyse standen noch 73% der IR-Patienten unter Ibrutinib mit einer medianen Behandlungsdauer von bislang 43 Monaten. 48 Pati-
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enten (14%) brachen die Behandlung mit Ibrutinib aufgrund von Toxizitäten ab, nur 23 (7%) wegen CLL-Progression und 24 (7%) aus anderen Gründen. Im IR-Arm verstarb nur 1 Patient aufgrund einer Progression, während im FCR-Arm 4 Todesfälle auf eine Progression und 2 Todesfälle auf ein myelodysplastisches Syndrom zurückzuführen waren. Die IR-Kombination war insgesamt gut verträglich mit einer gegenüber FCR niedrigeren Rate an schweren Nebenwirkungen der Grade 3 bis 5 (69,6 vs. 80,4%; p = 0,013). Im Vordergrund standen bei FCR vor allem hämatotoxische Nebenwirkungen und infektiöse Komplikationen und bei IR Hypertonie, Arthralgie und kardiotoxische Nebenwirkungen, vor allem Vorhofflimmern.
Vielversprechender neuer BTK-Hemmer Jeff Sharman aus den USA berichtete über die ersten Zwischenergebnisse der dreiarmigen Phase-III-Studie ELEVATETN zum Vergleich einer Erstlinientherapie mit Acalabrutinib in Kombination mit Obinutuzumab oder als Monotherapie gegenüber der Standard-Chemoimmuntherapie Chlorambucil plus Obinutuzumab bei 535 unbehandelten CLL-Patienten im Alter ≥ 65 Jahre oder < 65 Jahre mit zusätzlichen Risikofaktoren (5). Es ist darauf hinzuweisen, dass Chlorambucil nur für 6 Monate anstelle der üblichen 12 Monate gegeben wurde. Bei Krankheitsprogression war ein Cross-over aus dem Kontrollarm zur Monotherapie möglich. Nach einem medianen Follow-up von 28,3 Monaten war das durch ein unabhängiges Review-Komitee (IRC) ermittelte PFS in beiden Acalabrutinib-Armen jeweils signifikant gegenüber dem Kontrollarm verbessert, wobei der PFS-Median in beiden Acalabrutinib-Armen noch nicht und im Kontrollarm nach 22,6 Monaten erreicht war (p < 0,0001 für beide Vergleiche). Das Progressionsrisiko war unter der Acalabrutinib-Kombination um 90% (HR: 0,10) und unter der Monotherapie um 80% (HR: 0,20) verringert. Für einen Vergleich der beiden Acalabrutinib-Arme war die Studie nicht gepowert, die Zugabe von Obinutuzumab schien aber einen Vorteil zu bringen. Das geschätzte 2-Jahres-PFS betrug 93% (Kombination), 87% (Monotherapie) und 47% (Kontrollarm). Von Acalabrutinib profitierten die meis-
ten Subgruppen, einschliesslich Patienten mit 17p-Deletion. Zusätzlich verbesserte die AcalabrutinibKombination die Gesamtansprechrate (ORR) signifikant gegenüber dem Kontrollarm (93,9 vs. 78,5%; p < 0,0001), darunter 13% (vs. 5%) komplette (CR) und 81% (vs. 74%) partielle Remissionen (PR). Mit der Monotherapie betrug die ORR 85,5% (1% CR, 85% PR), wobei der Unterschied zum Kontrollarm nicht signifikant war (p = 0,0763). Im OS zeigte sich bei noch kurzer Nachbeobachtungszeit in beiden Acalabrutinib-Armen ein positiver Trend, trotz Cross-over von 45 Patienten aus dem Kontrollarm. Bei insgesamt tolerablem Sicherheitsprofil wurden in der ELEVATE-TN-Studie keine neuen Signale festgestellt.
Follikuläres Lymphom
In der Phase-III-Studie AUGMENT verbesserte die chemotherapiefreie Kombination Lenalidomid (Revlimid®) plus Rituximab (R2) gegenüber Rituximab plus Plazebo (R-Plazebo) signifikant die Gesamtansprechrate (78 vs. 53%; p < 0,0001) und den primären Endpunkt PFS (39,4 vs. 14,1 Monate; HR: 0,45; p = 0,02) bei 358 Patienten ab der zweiten Therapielinie mit rezidivierten oder refraktären indolenten Non-Hodgkin-Lymphomen, darunter 295 Patienten mit follikulärem Lymphom (FL) und 63 Patienten mit Marginalzonenlymphom (MZL); bei Patienten mit FL ergab sich auch ein signifikanter OSVorteil (HR: 0,45; p = 0,02) (6).
Subgruppenanalyse bei älteren Patienten Marek Trněný aus Tschechien präsentierte nun eine klinisch sehr relevante Subgruppenanalyse der Patienten im Alter von ≥ 70 Jahre (7), da das FL eine Erkrankung des älteren Menschen ist und Patienten über 70 als «unfit» für eine Chemotherapie gelten. In der AUGMENT-Studie waren 91 Patienten ≥ 70 Jahre, 66 mit follikulärem Lymphom. Die älteren Patienten erhielten im Vergleich zur Gesamtpopulation häufiger eine niedrigere Startdosis aufgrund einer eingeschränkten Nierenfunktion (35 vs. 14%) und eine niedrigere Tagesdosis (durchschnittlich 14,4 vs. 17 mg). Weniger ältere Patienten absolvierten die vorgesehenen 12 Zyklen Lenalidomid (57 vs. 71%). Insgesamt war
damit auch die relative Dosisintensität
bei den älteren Patienten niedriger als in
der Gesamtpopulation (86 vs. 95%). Den-
noch war das PFS auch bei den älteren
FL-Patienten signifikant zugunsten von
R2 verbessert (28 vs. 14,3 Monate; HR:
0,49; p = 0,043), während sich in der Ge-
samtgruppe der Patienten ≥ 70 Jahre (FL
und MZL) nur ein Trend zum verbesserten
PFS ergab (24,9 vs. 14,3 Monate; HR:
0,66; p = 0,156). Im Sicherheitsprofil un-
terschied sich die ältere Gruppe nicht
wesentlich von der Gesamtpopulation.
Nebenwirkungsbedingte Dosisunterbre-
chungen, -reduktionen und Therapieab-
brüche waren bei den älteren Patienten
jedoch häufiger notwendig.
Zusammenfassend profitieren auch FL-
Patienten ≥ 70 Jahre im Rezidiv von R2,
auch wenn die Gabe mit etwas mehr
Toxizität verbunden ist.
I
Gerhard Emrich Quelle: 61st Annual Meeting and Exposition der American Society of Hematology (ASH), 7. bis 10. Dezember 2019, Orlando/Florida.
Auf einen Blick
I CLL14-Studie: Das 3-Jahres-Update bestätigt die auf 1 Jahr begrenzte Therapie mit Venetoclax + Obinutuzumab als neuen Erstlinienstandard bei CLL-Patienten mit Begleiterkrankungen: Bei sehr hohen und lang anhaltenden MRD-Negativitätsraten ist auch das PFS weiterhin signifikant gegenüber Chlorambucil + Obinutuzumab verbessert. Beim OS zeigte sich bislang kein Unterschied.
I E1912-Studie: Das 4-Jahres-Update bestätigt Ibrutinib + Rituximab als neuen Erstlinienstandard bei fitten CLL-Patienten < 70 Jahre, vor allem bei nicht mutiertem IGHV-Status. Der Vorteil im PFS und OS gegenüber FCR ist auch längerfristig anhaltend.
I Die erste Zwischenanalyse der ELEVATE-TNStudie zeigte, dass Acalabrutinib in Kombination mit Obinutuzumab oder als Monotherapie das PFS bei therapienaiven CLLPatienten signifikant gegenüber Chlorambucil plus Obinutuzumab verbessert, das bei akzeptablem Sicherheitsprofil.
I Eine Subgruppenanalyse der AUGMENT-Studie bestätigt Wirksamkeit und Sicherheit von R2 (Lenalidomid + Rituximab) bei älteren Patienten (≥ 70 Jahre) mit follikulärem Lymphom.
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ASH 2019 – Annual Meeting of the American Society of Hematology, Orlando/Florida, 7. bis 10. Dezember 2019
Referenzen: 1. Fischer K et al.: Quantitative analysis of ninimal resi-
dual disease (MRD) shows high rates of undetectable MRD after fixed-duration chemotherapy-free treatment and serves as surrogate marker for progression-free-survival: A prospective analysis of the randomized CLL14 trial. ASH 2019, abstract #36. 2. Fischer K et al.: Venetoclax and Obinutuzumab in patients with CLL and coexisting conditions. N Engl J Med. 2019; 380(23): 2225–2236. 3. Shanafelt TD et al.: Ibrutinib-Rituximab or chemoimmunotherapy for chronic lmphocytic leukemia. N Engl J Med. 2019; 381(5): 432–443. 4. Shanafelt TD et al.: Ibrutinib and Rituximab provide superior clinical outcome compared to FCR in younger patients with chronic lymphocytic leukemia (CLL): Extended follow-up from the E1912 trial. ASH 2019, abstract #33. 5. Sharman JP et al.: ELEVATE TN: Phase 3 study of acalabrutinib combined with obinutuzumab (O) or alone vs O plus chlorambucil (Clb) in patients (Pts) with treatment-naive chronic lymphocytic leukemia (CLL). ASH Annual Meeting 2019, abstract #31. 6. Leonard JP et al.: AUGMENT: A phase III study of lenalidomide plus rituximab versus placebo plus rituximab in relapsed or refractory indolent lymphoma. J Clin Oncol. 2019; 37(14): 1188–1199. 7. Trněný M et al.: Subgroup analyses of elderly patients aged ≥ 70 years in AUGMENT: A phase III randomized study of lenalidomide plus rituximab (R2) vs rituximab plus placebo (R-Placebo) in patients with relapsed/refractory (R/R) indolent Non-Hodgkin Lymphoma (iNHL). ASH 2019, abstract #347.
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